Er hat einen der wichtigsten Jobs beim Bund. Seine Wirkungsstätte: Bern, Bundesrain 20 – ein paar Meter neben der Talstation des Marzilibähnli. Martin Dumermuth hat doktoriert, besitzt das Anwaltspatent und arbeitet seit mehr als 25 Jahren beim Bund. Er sitzt in dunklem Anzug in seinem Büro. Draussen ist es 34 Grad heiss – drinnen geschätzte 30 Grad. «Im ganzen Komplex hat es keine Klimaanlage», sagt der Direktor mit einem Lächeln und leicht heiserer Stimme.
Dumermuth ist seit 2013 Direktor des Bundesamts für Justiz. Alles, was im Bund an Recht gesetzt wird, geht über sein Amt. Er ist Vorgesetzter von 270 Mitarbeitern. Zuvor war er von 2005 bis 2013 Direktor des Bundesamts für Kommunikation (Bakom). Geschäfte wie die Totalrevision des Radio- und TV-Gesetzes oder die Konzessionserteilung für die lokalen Radio- und TV-Stationen tragen seine Handschrift.
Seine Dissertation über die Programmaufsicht bei Radio und Fernsehen schrieb Dumermuth beim Berner Staatsrechtsprofessor Jörg Paul Müller. Das sei seine «Eintrittskarte zum Bakom» gewesen. Das war vor über zwanzig Jahren. Damals war Dumermuth neben seiner Haupttätigkeit als Assistent an der Uni auch Ruderer. Er machte bei internationalen Wettkämpfen mit und trainierte bereits als 32-Jähriger die Schweizer Olympia-Mannschaften, die 1988 im Doppelzweier die Silbermedaille holten.
Aufgewachsen ist der heute 59-Jährige «im obersten Stock» der AEK-Bank mitten in Thun. «Mein Vater war Direktor dieser genossenschaftlich organisierten Bank.» Später folgte der Sohn dem Vater in den AEK-Verwaltungsrat. Mit der Wahl zum Direktor des Bundesamts für Justiz beendete er aber sein Engagement bei der Bank.
Dumermuth redet Klartext – und das eloquent und mit scharfem Intellekt. Das Problem der Volksinitiative «Landesrecht vor Völkerrecht» zum Beispiel veranschaulicht er mit einem Vergleich: «Man stelle sich ein Unternehmen vor, das sagt, die Beschlüsse meiner Generalversammlung gehen allen Verträgen vor.» Um dann rhetorisch zu fragen: «Wer würde mit einer solchen Firma zusammenarbeiten, geschweige denn einen Vertrag schliessen wollen?» Es sei eine Illusion zu glauben, ein Kleinstaat könne sich abschotten. «Gerade als Kleinstaat ist man vom Völkerrecht mehr als alle anderen Staaten abhängig.»
“Vielleicht haben wir heute noch blinde Flecken”
Pragmatisch bewertet Martin Dumermuth auch die Bedeutung der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) für die Schweiz. Er mahnt, die Proportionen nicht aus den Augen zu verlieren: Der Gerichtshof für Menschenrechte heisse nur etwa 1,6 Prozent der gegen die Schweiz eingereichten Beschwerden gut. Natürlich gebe es immer wieder Urteile, «die man als störend empfindet». Aber die EMRK sei ein Vertrag, den die Schweiz innerstaatlich genehmigt habe: «Es geht also nicht um fremdes Recht», betont er. Obwohl die EMRK und die Grundrechte der Bundesverfassung in hohem Mass übereinstimmen würden, zeige die Geschichte, dass auch die Schweiz immer wieder blinde Flecken gehabt habe: «Denken wir an die Geschichte mit den fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, die wir jetzt am Aufarbeiten sind.» Er fügt bei: «Vielleicht haben wir noch heute blinde Flecken.»
Besorgt ist der Bundesamtschef auch über Volksbegehren wie die Ausschaffungs-, Durchsetzungs-, Pädophilen-, Verwahrungs- oder Minarettinitiative. Dumermuth: «Sie stehen alle mit den Menschenrechten in einem Spannungsverhältnis.» Die Umsetzung von Initiativen, die sich schwer in das Verfassungsgefüge einbetten lassen, sei eine enorme Herausforderung. Gegenüber Reformen des Initiativrechts ist Dumermuth aber zurückhaltend. Entscheidend sei die «politische Kultur». Mit ernster Miene sagt er: «Ich habe das Gefühl, dass in der demokratischen Auseinandersetzung der Rechtsstaat als Argument nicht mehr den gleichen Stellenwert hat, wie es früher einmal selbstverständlich war.»
Dann spricht der Direktor über weitere Herausforderungen, die auf sein Amt zukommen. Er erwähnt die Revision des Familienrechts. Da würden sich Fragen stellen, die alle betreffen: «Wie behandelt man gleichgeschlechtliche Partnerschaften? Will man die Ehe öffnen? Revisionen stünden auch beim Datenschutz-, beim Opferhilfe- sowie beim Öffentlichkeitsgesetz an. Dumermuth: «Revidiert werden sollen auch das Gleichstellungsgesetz sowie die Lex Koller. Darüber hinaus laufen oder beginnen die Evaluationen der relativ neuen Prozessordnungen, die zu Revisionen führen werden.»
Wie geht er mit all diesen grossen Herausforderungen um? Als Direktor wolle er «mit allen Dossiers zumindest rudimentär vertraut sein, um Prioritäten zu setzen». Wichtige Geschäfte will Dumermuth im Detail kennen und auch selbst beeinflussen können. Die Vorlagen würden im Amt vorbereitet, denn: «Häufig werden am Anfang Weichen gestellt, die man später nicht mehr fundamental ändern kann.»
Und wie vermittelt der Profijurist seiner Chefin Simonetta Sommaruga – einer ausgebildeten Pianistin – all die juristischen Themen? Wenn er mit ihr rede, habe er nicht das Gefühl, dass ihm eine Nichtjuristin gegenübersitze. Sie wiederum lobte ihn nach seiner Ernennung zum Chef des Bundesamts als profilierte und unabhängige Persönlichkeit, wissenschaftlich beschlagen und mit grossen Managementfähigkeiten.
“Überzeugungen vererbt man nicht”
Seine Unabhängigkeit scheint Dumermuth tatsächlich heilig zu sein: «Ich lasse mich nicht verbiegen», sagt er mehrmals im Gespräch. Er komme zwar aus bürgerlichem Haus, «aber man vererbt ja bekanntlich Überzeugungen nicht». Seine Schwester Marianne ist Gemeinderätin für die SP in Thun. Er selbst hat sich bewusst nie einer Partei angeschlossen.
Der Wechsel vom Bakom zum Bundesamt für Justiz sei nicht leicht gewesen, gesteht Dumermuth. «Es gab keinen Grund, das Bakom zu verlassen.» Er habe aber plötzlich gedacht, dass die Mitarbeiter mit der Zeit genug von ihm haben könnten: «Es ist wie bei einem Fussballtrainer: Man kann noch so gut sein, irgendwann läuft man sich zu Tode mit dem Team.» Alte Bekanntschaften hätten beim Wechsel auch eine Rolle gespielt: Matthias Ramsauer, der heutige Generalsekretär des Justizdepartemens, war vorher beim Bakom Vizedirektor. «Er steht Sommaruga als Generalsekretär sehr nahe und hat ihr über seine Erfahrungen mit mir berichten können. Die waren offenbar nicht so schlecht.»