Wäre Daniel Hürlimann in der Filmbranche tätig – er hätte die Funktion eines Regisseurs inne. Er wäre mit Sicherheit kein Filmkritiker. Hürlimann packt immer zuerst selber an – dann folgt die Kritik. So schuf er etwa den Twitter-Account @chBGer und verbreitete jede einzelne Mitteilung aus dem Bundesgericht, bis die Richter in Lausanne einlenkten. Damit hat er das Bundesgericht zu grösserer Social-Media-Präsenz gezwungen. Dass er dabei die höchsten Richter nicht sanft anfasste, ist typisch für das Vorgehen des 32-Jährigen.
Mit dem gleichen energischen Esprit geht der an der Uni St. Gallen lehrende und forschende Assistenzprofessor zurzeit gegen Salt vor. Das Mobilfunkunternehmen verweigert ihm das Auskunftsrecht nach Artikel 8 des Datenschutzgesetzes (DSG) und verwehrt ihm die Einsicht in die gespeicherten Randdaten der vergangenen sechs Monate. Hürlimann setzt auf Angriff und reagiert mit einer Strafanzeige. «Ich habe sie heute Nachmittag eingereicht», sagt er und lächelt. «Wenn man mit Vorsatz das Auskunftsrecht verletzt, macht man sich strafbar – und Salt hat mit Unrechtsbewusstsein gehandelt, weil ich das Unternehmen auf das aktuelle Urteil hingewiesen habe.»
Der einschlägige Entscheid des Bundesgerichts zur Vorratsdatenspeicherung ist in der Tat interessant: Die Mobilfunkfirmen vertraten den Standpunkt, sie müssten keine Auskünfte zu den über eine Person gespeicherten Randdaten erteilen. Dabei beriefen sie sich auf die Regelung im Fernmelderecht, die eine Ausnahme zum datenschutzrechtlichen Auskunftsrecht darstelle. «Eine absurde Argumentation», sagt Hürlimann.
Dieser Auffassung ist auch das Bundesgericht und wies die Mobilfunkunternehmen auf die zentrale Bedeutung des Auskunftsrechts hin. «Mir ist klar, dass es für Salt einen grossen Aufwand bedeutet, diese Daten zusammenzusuchen. Der Aufwand ist aber kein Grund dafür, die Auskunft zu verweigern.»
Kampf für kostenlosen Zugang zur Wissenschaft
Unbestritten ist, dass jedermann Anspruch auf solche Daten hat. Hürlimann ergänzt: «Das könnte die ganze Vorratsdatenspeicherung zu Fall bringen, die ja ohnehin verfassungswidrig ist, bedenkt man den schweren Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen.» Das Bundesgericht sieht es freilich anders und spricht von keinem schweren Eingriff. Der St. Galler Assistenzprofessor sieht gute Chancen dafür, dass die in Strassburg hängige Beschwerde erfolgreich sein wird.
An vorderster Front setzt sich Hürlimann auch für einen schranken- und kostenlosen Zugang zur Wissenschaft ein. Ganz zum Missfallen der grossen Verlage, die «von den Autoren häufig eine fertig formatierte PDF-Datei verlangen, diese dann ausdrucken und die Inhalte im Internet gar nicht anbieten oder zum gleichen Preis wie die physischen Exemplare verkaufen». Als Gegengewicht hat Hürlimann 2014 die Online-Zeitschrift «Sui generis» initiiert und mitbegründet. Alle wissenschaftlichen Beiträge sind hier kostenlos abrufbar.
Sein eifriges Wirken scheint bei vielen anzuecken. Als er kürzlich an der Uni Zürich ein Referat zum Thema «Open Access und das Zweitveröffentlichungsrecht» vor Uni-, Bibliotheken- und Verlagsvertretern hielt, wurde er prompt als «Open-Access-Kamikaze» vorgestellt. Das habe ihn überrascht, sagt Hürlimann. Er weist die Unterstellung zurück. Natürlich entfalte er einen «gewissen Aktivismus». Er äussere sich auch sehr kritisch gegenüber Verlagen. Das sei im akademischen Betrieb nicht selbstverständlich, «ist doch eine Mehrzahl der Personen mit den Verlagen verbandelt». Er selbst geht einen andern Weg: «Ich publiziere einzig Open Access, und solange die Verlage das nicht anbieten, publiziere ich nicht bei ihnen.»
An der Hochschule St. Gallen lehrt Hürlimann seit zwei Jahren Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Informationsrecht. Er könne sich gut vorstellen, nach seiner Habilitation in St. Gallen eine Professur zu übernehmen – «am liebsten würde ich weiterhin Informations- und Immaterialgüterrecht lehren». Dieses Feld hat er bereits tatkräftig beackert: Seit er in der Ostschweiz lehrt, bietet er Vorlesungen an, die bei den Studenten auf breites Interesse stossen. «Als Professor geniesst du eine grosse Unabhängigkeit – das schätze ich enorm.» Deshalb komme auch eine Nebentätigkeit als Anwalt oder Konsulent in einer Grosskanzlei nicht in Frage. Er kommt dabei auf seine Strafanzeige gegen Salt zurück: «Wäre ich Partner oder Konsulent in einer Anwaltskanzlei oder hätte ich einen Verwaltungsratssitz in der Privatwirtschaft inne, würde das meine Meinung deutlich abschleifen. Es gäbe dann Hunderte Gründe, auf diese Strafanzeige zu verzichten.»
“Ich erhielt eine Absage nach der anderen”
Hürlimann hat diese Einengung bei Universitätskollegen erlebt: Für «Sui generis» wollte er einen Professor für Steuerrecht engagieren, der einen Beitrag zum Thema «Abzugsfähigkeit von Steuerbussen» verfasst. Hintergrund: die UBS nach der Finanzkrise und ihre hohen Strafzahlungen an die USA. Hürlimann störte sich an den «klientengetriebenen Wissenschaftsmeinungen», die behaupteten, die Abzugsfähigkeit von Bussen sei zulässig. «Diese Publikationen wurden offensichtlich im Interesse der gebüssten Banken verfasst. Also suchte ich nach einem Autor, der die Thematik aus einer neutralen Perspektive angehen würde.» Erstaunt stellte er fest, dass kein Steuerrechtsprofessor in der Schweiz etwas in dieser Richtung verfassen wollte. «Ich erhielt eine Absage nach der anderen.» Nachträgliche Recherchen zeigten Hürlimann: «Es gibt kaum einen Steuerrechtsprofessor, der nicht gleichzeitig in einer Kanzlei tätig ist!»
Die Treue hält der 32-Jährige nicht nur seiner Unabhängigkeit, sondern auch seiner Heimatstadt Bern. Der Vater einer vierjährigen Tochter ist in der Bundesstadt aufgewachsen und absolvierte hier auch sein Studium samt Dissertation. Das Anwaltspatent sowie erste praktische Erfahrungen als Jurist machte er ebenfalls in Bern. Wobei Letzteres in seiner Erinnerung einen faden Nachgeschmack hinterlässt: Hürlimann hatte bei der Weblaw AG acht Jahre lang gearbeitet – unter anderem als Projektleiter des «Jusletter» und der Schweizer Richterzeitung. Kurz nachdem er die Idee von Open Access eingebracht hatte, habe er sein Büro nur noch von aussen gesehen.