Letzten Dezember nahmen die beiden Parlamentskammern Japans ein neues Gesetz über Staatsgeheimnisse an. Es bringt zwei Änderungen: Bisher lag die Kompetenz, eine Information zum Staatsgeheimnis zu erklären, beim Verteidigungsministerium. Neu ist jedes Regierungsgremium oder jeder Staatsbeamte dazu befugt. Zudem wurden die Strafen für die Veröffentlichung von geheimen Informationen verschärft.
Das neue Gesetz ist ein Sieg für den rechts stehenden japanischen Premier Shinzo Abe. Es hat eine grosse Debatte über demokratische Regeln und Freiheiten im wirtschaftlich hochentwickelten, aber politisch gespaltenen Land ausgelöst und angeheizt.
Unter dem neuen Gesetz kann alles für «geheim» erklärt werden. Es definiert vier Hauptgruppen von Staatsgeheimnissen – Verteidigung, Diplomatie, Anti-Terrorismus und Anti-Spionage –, bleibt aber vage bei der Definition, was genau ein Staatsgeheimnis ist. Gleichzeitig erlaubt das Gesetz staatlichen Stellen, unbeschränkt Informationen zu blockieren, indem sie zu Staatsgeheimnissen erklärt werden. Dazu gehören etwa Militärfragen, Verträge des Militärs mit der Wirtschaft, die Sicherheit der Atomreaktoren oder Entscheide über die Atomkraft.
Privaten oder Staatsangestellten, die «Staatsgeheimnisse» veröffentlichen, drohen bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe und Bussen bis zu zehn Millionen Yen (rund 87 000 Franken). Journalisten, die Geheiminformationen veröffentlichen, riskieren bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. Unter dem alten Gesetz lag das Maximum noch bei einem Jahr Freiheitsstrafe.
USA verlangten mehr Schutz für geheime Informationen
Weder Premier Shinzo Abe noch seine regierende Partei, die konservative Liberal-Demokratische Partei, versuchten zu verschleiern, dass dieses Staatsgeheimnisgesetz von den USA gefordert wurde. Die USA sind Japans wichtigster militärischer Partner. Laut dem nationalen Sicherheitsvertrag mit den USA ist Japan seit dem Zweiten Weltkrieg militärisch vollständig von den USA abhängig.
Nach der Weitergabe von Staatsinformationen durch Bradley Manning und Edward Snowden baten die USA ihren engsten Verbündeten in Asien, geheime Staatsinformationen besser zu schützen, insbesondere Geheimdienstinformationen, die Japan mit den USA teilt. Die USA ersuchten Japan aber auch darum, Whistleblower und Journalisten, die Staatsgeheimnisse offenlegen, strenger zu bestrafen.
Direkte Bedrohung für die Demokratie
Ein weiteres Problem des neuen Gesetzes: Es definiert nicht, wie lange Staatsgeheimnisse geheim bleiben. So ist es möglich, Informationen der Öffentlichkeit für immer vorzuenthalten. Ist die festgelegte Geheimhaltungszeit vorbei, wird sie entweder verlängert oder die Information zerstört. Laut liberalen japanischen Juristen verunmöglicht dies, verlässliche historische Aufzeichnungen über staatliches Handeln zu erstellen. Auch können diese Unterlagen nie gebraucht werden, um Minister für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen oder künftigen Forschern Zugang zu umstrittenen Themen zu geben.
Unter dem alten Recht wurden von 2006 bis 2011 gut 55 000 Unterlagen als «Verteidigungsgeheimnis» klassifiziert. Laut Verteidigungsministerium wurden 34 000 davon zerstört, als die Geheimhaltungszeit vorbei war. In derselben Periode wurde ein einziges Dokument aus der Geheimhaltung entlassen und damit öffentlich.
Der japanische Anwaltsverband ist besorgt, dass das neue Gesetz dem Volk das Recht nimmt, über einen grossen Teil von Regierungsaktivitäten informiert zu werden. Sie berufen sich dabei auf das internationale Dokument «The Global Principles on National Security and the Right to Know», bekannt als «Tshwane Principles», das im Juni 2013 veröffentlicht wurde. Es definiert Regeln, um das Recht des Volkes auf Informationen mit nationalen Sicherheitsinteressen in Einklang zu bringen. Bei der Erarbeitung waren Organisationen wie die Uno, die Organisation amerikanischer Staaten und die OSZE beteiligt. Doch Premier Abe erklärte die Tshwane-Prinzipien für irrelevant.
Juristen, unabhängige Medien, Professoren und Kulturschaffende kritisieren das neue Gesetz, weil es die Demokratie und die Meinungsäusserung direkt bedroht. Einige kritisieren, damit kehre Japan in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück, als der Staat das «Friedensbewahrungsgesetz» (Peace Preservation Act) missbrauchte, um politische Gegner zu verhaften.
Die internationale Organisation «Reporter ohne Grenzen» hält fest, Japan erkläre mit dem neuen Gesetz den «investigativen Journalismus für illegal». Diese Ängste wurden bestätigt, als im Dezember Katsuto Momii neuer Direktor des öffentlichen Fernsehsenders NHK wurde. Momii sagte öffentlich, dass er die staatlichen Regeln befolgen würde. Bereits die NHK-Berichterstattung nach dem Atomkraftdesaster von Fukushima im 2011 hatte zu grossem Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Sender geführt, weil er den Versuchen der Regierung folgte, das Ausmass der Bestrahlung zu verschleiern.
Medien, die von Regierungsrichtlinien geführt und zensiert werden – vor diesem Hintergrund fürchten viele Japaner, dass das neue Staatsgeheimnisgesetz auch die Transparenz der Informationen zur Freisetzung von Strahlung in der Umgebung von Fukushima und künftigen ähnlichen Fällen beeinflussen wird. Mit gutem Grund: Minister Masako Mori stellte nämlich explizit fest, das neue Gesetz könne auch auf die japanische Atomindustrie angewandt werden, weil sie ein potenzielles Terrorziel sei. Viele Details zum Versagen des Energieriesen Tepco im Umgang mit Sicherheitsrisiken rund um die Atomreaktoren von Fukushima wurden zuerst von Medien veröffentlicht. Erst danach fanden sie Eingang in öffentliche Regierungsberichte.
Geschichte Japans soll ein Facelifting erhalten
In Japan sieht man das neue Staatsgeheimnisgesetz im Kontext der politischen Agenda von Premier Shinzo Abe, der Japans Armee stärken will. Abe ist Nationalist und Revisionist. Als solcher will er die Geschichte der kaiserlichen japanischen Armee und ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg neu schreiben. Er setzt sich dafür ein, dass Geschichtsschulbücher umgeschrieben werden. Unangenehme Fakten des Zweiten Weltkriegs sollen aus ihnen gelöscht werden, wie zum Beispiel die Zwangsprostitution von Chinesinnen und Koreanerinnen sowie die erzwungenen Massenselbstmorde von Zivilisten auf Okinawa.
Premier Abe hat es zu seinem Karriereziel erklärt, die pazifistische Nachkriegsverfassung Japans zu ändern. Ein Dorn im Auge sind ihm insbesondere die Artikel 9 (Antikriegsartikel) und 96 (Verfassungsänderung), die auf Krieg als Mittel zur Lösung von internationalen Konflikten verzichten und den Unterhalt von bewaffneten Streitkräften verbieten. Japan hat offiziell keine Streitkräfte, verfügt aber über eine stark bewaffnete Selbstverteidigungsarmee.