Die Ursachen für eine Überschuldung sind Legion. Das Leben lässt sich vielfach nicht vorausplanen. Und auf dem Weg in den Schuldensumpf bedarf es oft nicht mehr als eines Schicksalsschlags. Überschuldeten Menschen einen realistischen Ausweg aus ihrer schwierigen Lage aufzuzeigen, ist unbedingt notwendig und letztlich ein Gebot der Menschenwürde. Kann diesen Menschen keine Perspektive geboten werden, werden sie an den Rand der Gesellschaft und zumeist in die Sozialhilfe gedrängt. Dadurch entstehen dem Staat hohe, vermeidbare Kosten. Deren Ursache liegt in faktisch uneinbringlichen, aber rechtlich weiterbestehenden Schuldverhältnissen. Ihre Folgekosten werden schlicht verallgemeinert.
Die Möglichkeit eines «fresh start» hat erwiesenermassen stimulierende Wirkung auf unternehmerische Tätigkeiten und Innovationen. (Jung-)Unternehmer – also Leute mit erhöhtem Überschuldungsrisiko – sind eher geneigt, etwas Neues zu wagen, wenn sie bei einem Misserfolg nicht für den Rest ihres Lebens aussichtslos verschuldet bleiben müssen.
Mit den Instrumenten des geltenden Rechts lässt sich ein Neustart oft nicht erreichen. Das sehr teure Nachlassverfahren und die einvernehmliche private Schuldenbereinigung benötigen die Zustimmung aller oder der Mehrheit der Gläubiger. Kann der Schuldner keine substanzielle Dividende in Aussicht stellen, scheitern diese Verfahren. Auch der Privatkonkurs kann nur durchgeführt werden, wenn genügend Mittel zur Bezahlung der Verfahrenskosten und einer Konkursdividende vorhanden sind. Da am Ende des Verfahrens Konkursverlustscheine ausgestellt werden, wird keine Schuldensanierung erreicht. Alte Gläubiger können sofort wieder betreiben und – sofern neues Vermögen vorhanden ist – pfänden.
Zweite Chancen, die den Namen verdienen, indem sie Tabula rasa machen und allen – auch den armen – Schuldnern offenstehen, gibt es im Schweizer Recht nicht.
Es ist an der Zeit, auch eine Restschuldbefreiung beispielsweise nach deutschem Vorbild einzuführen. Auf den dort gewonnenen Erfahrungen ist in der Schweiz aufzubauen. Nach unserer Vorstellung muss ein Restschuldbefreiungsverfahren durchgeführt werden können, wenn gegen den Schuldner Pfändungs- oder Konkursverlustscheine bestehen. Alles, was verwertbar ist, wurde also bereits für die Gläubiger verwertet. Diese können nicht mehr ernsthaft mit der Begleichung der offenen Restschuld in absehbarer Zeit rechnen. Der Schuldner erstellt einen Schuldenbereinigungsplan und lässt ihn vom Nachlassgericht bewilligen. Darin verpflichtet er sich zur Ablieferung der pfändbaren Vermögenswerte während dreier Jahre. Zudem wird das gesamte Einkommen in dieser Zeit bis auf das Existenzminimum abgeschöpft (im Gegensatz zum wesentlich höheren «erhöhten Existenzminimum», das dem Schuldner nach einem Privatkonkurs immer verbleibt). Diese Durststrecke bringt die Ernsthaftigkeit des Schuldners zum Ausdruck und beugt Missbräuchen vor.
Das Verfahren bietet Gläubigern die Gelegenheit, ihre Konkursdividende aufzubessern, ohne ein risikoreiches Verfahren zur Feststellung neuen Vermögens durchlaufen zu müssen. Schuldner haben mit der absehbaren Restschuldbefreiung einen starken Anreiz, eine Kraftanstrengung zugunsten der Gläubiger auf sich zu nehmen. Von einer zweiten Chance profitiert also nicht nur der Schuldner. Auch Gläubiger kommen unter dem Strich besser davon und durch eingesparte Beiträge der Sozialhilfe wird auch der Steuerzahler entlastet.
Isaak Meier, Prof. Dr. iur., Ordinarius an der Universität Zürich
Carlo Hamburger, wissenschaftlicher Assistent an der Universität Zürich