Bei der Umsetzung des Massnahmenpakets Via sicura wurde mit Wirkung auf den 1. Januar 2020 ein Melderecht der IV-Stellen eingeführt. Sie dürfen den Strassenverkehrsämtern, die für die Erteilung von Führerausweisen zuständig sind, ihre Zweifel an der Fahrtauglichkeit von versicherten Personen melden (Artikel 66c IVG und Artikel 15d Absatz 1 litera d SVG).
Erstattet die IV-Stelle eine Meldung, muss den Betroffenen vorsorglich der Ausweis für das Führen eines Autos oder Schiffes entzogen werden. Es erfolgt eine verkehrsmedizinische, gegebenenfalls sogar verkehrspsychologische Abklärung auf Kosten der versicherten Person (Bundesgerichtsurteil 1C_405/2022).
Die IV wendet Melderecht oft willkürlich an
Ob der Zweifel ernsthaft und begründet ist, spielt letztlich keine Rolle, weil das Bundesgericht eine Meldung der IV-Stelle als genügenden Grund für einen vorsorglichen Führerausweisentzug betrachtet. Das begünstigt letztlich willkürliche Meldungen.
Ist eine betroffene Person trotz den gesundheitlichen Beeinträchtigungen fahrfähig, wird ihr der Führerausweis zwar wieder erteilt, die von der IV-Stelle zu Unrecht verursachten Kosten werden den Betroffenen aber nicht zurückerstattet. Artikel 78 ATSG statuiert eine spezialgesetzliche Staatshaftung nur für widerrechtliches Verhalten, nicht aber auch eine Billigkeitshaftung. Deshalb kann die versicherte Person die Kosten nicht auf den Staat abwälzen.
Entzieht die Strassenverkehrsbehörde den Führerausweis, hat dies keinen Einfluss auf die Zusprache von Versicherungsleistungen, insbesondere auch nicht auf eine Invalidenrente. Es entsteht, allerdings nur selten, die paradoxe Situation, dass die versicherte Person von den Verkehrsmedizinern nicht mehr als fahrfähig qualifiziert, von den Vertrauensärzten der IV aber als voll arbeitsfähig bezeichnet wird. In solchen Fällen stellt sich die Frage, weshalb eine medizinische Fahrunfähigkeit keinen Einfluss auf das funktionelle Leistungsvermögen in Bezug auf erwerbliche Tätigkeiten haben soll.
Das Melderecht wird zwar von den IV-Stellen selten ausgeübt, aber oft situativ – um nicht zu sagen willkürlich. So wird der Hinweis auf das Melderecht zum Beispiel dafür verwendet, Personen, die eine Invalidenrente beantragen, in Erinnerung zu rufen, dass ihre Schilderung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine Meldung an das Strassenverkehrsamt zur Folge haben kann, falls am Antrag auf IV-Leistungen festgehalten wird. Das Melderecht wird praxisgemäss nur im Zusammenhang mit beantragten Rentenleistungen benutzt.
Ämterzusammenarbeit zulasten der Versicherten
Es ist zwar zu begrüssen, wenn die IV-Stelle mit anderen Behörden, insbesondere den Strassenverkehrsämtern, zusammenarbeitet. Die Zusammenarbeit sollte aber nicht nur zulasten, sondern auch zugunsten der versicherten Personen erfolgen. Und die Kosten der verkehrsmedizinischen Abklärung sollten von der IV-Stelle, die eine Meldung erstattet, übernommen werden.