Je höher die Instanz, desto kleiner die Kleiderauswahl
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Plädoyer 04/2016
04.07.2016
Gian Andrea Schmid
Wer als Rechtsvertreter ans Bundesstrafgericht nach Bellinzona reist, muss sich zum Tenue nicht allzu viele Gedanken machen. Der Zürcher Rechtsanwältin Kathrin Thomann etwa hat der zuständige Gerichtsschreiber vor der Verhandlung wortreich erklärt, sie dürfe keinesfalls in heller Kleidung erscheinen – sei diese auch noch so elegant. «Bereits dunkelblau ist grenzwertig», wurde ihr beschieden. Kürzlich sei eine «Vertreterin I...
Wer als Rechtsvertreter ans Bundesstrafgericht nach Bellinzona reist, muss sich zum Tenue nicht allzu viele Gedanken machen. Der Zürcher Rechtsanwältin Kathrin Thomann etwa hat der zuständige Gerichtsschreiber vor der Verhandlung wortreich erklärt, sie dürfe keinesfalls in heller Kleidung erscheinen – sei diese auch noch so elegant. «Bereits dunkelblau ist grenzwertig», wurde ihr beschieden. Kürzlich sei eine «Vertreterin Ihres Berufsstandes» wegen eines beigen Kostüms nach Hause geschickt worden.
Tatsächlich hält Artikel 21 des Organisationsreglements für das Bundesstrafgericht fest: Die Gerichtsmitglieder, die Gerichtsschreiber sowie die Vertreter der Parteien haben in dunkler und dezenter Kleidung zu den öffentlichen Sitzungen des Gerichts zu erscheinen. Was aber heisst dunkel, wenn schon dunkelblau «grenzwertig» ist? Auf Nachfrage von plädoyer präzisiert Generalsekretärin Mascia Gregori Al-Barafi: «Die Kleidung muss eher schwarz oder dunkelgrau sein.» Gilt das auch für die Farbe der Krawatte? «Nein, die Krawatte des Parteivertreters ist in der Regel nicht relevant.»
Anders offenbar am Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen. Dort regelt Artikel 36 des Geschäftsreglements die Garderobe von Richtern, Gerichtsschreibern und Parteivertretern. Dunkle und dezente Kleidung ist ebenfalls vorgeschrieben. Aber «die Vorgabe ‹dunkel und dezent› umfasst auch problemlos einen dunkelblauen Anzug», sagt Katharina Zürcher, stellvertretende Kommunikationsverantwortliche des Gerichts. Beim Grau komme es sicher auf die Farbabstufung an, «ein anthrazitfarbener Anzug ist wohl ebenfalls möglich». Die Farbe der Krawatte des Parteivertreters ist aber nicht belanglos: «Sie trägt zum Gesamteindruck bei, weshalb ihre Farbe nicht unerheblich ist.»
Am Bundesgericht in Lausanne und Luzern gibt es laut dem Medienbeauftragten Peter Josi zur Farbe der Krawatte keine Vorschrift. Artikel 48 des Reglements für das Bundesgericht regle nämlich nur die Farbe der Kleidung. «Hier wird zwischen öffentlichen Sitzungen und Verhandlungen unterschieden.» Die Parteivertreter müssten nur bei Verhandlungen, in deren Rahmen ihnen eine aktive Rolle zukomme, in schwarzer Kleidung erscheinen. Bei öffentlichen Sitzungen hingegen, bei denen das Gericht das Urteil berate und entscheide und die Anwälte nur Zuschauer sind, gelte wie für die übrigen Zuhörer die freie Farbwahl.