Für seine Langzeitstudie befragte der deutsche Strafrechtsprofessor Franz Streng zwischen 1989 und 2012 insgesamt 3133 Jura-Studenten an den Universitäten Konstanz und Erlangen, fast alle im ersten oder zweiten Semester. Die Befragung erfolgte anonym. Ermittelt werden sollten die höchstpersönlichen Vorstellungen der Befragten. Die Antwortquote lag bei 100 Prozent.
Aus der Zusammensetzung der Befragten liessen sich zwei Trends erkennen: Das Jura-Studium wird mehr und mehr zu einem Frauenstudium. Waren 1989 noch knapp 42 Prozent der Befragten weiblich, stieg die Zahl bis 2012 auf gut 60 Prozent. Und: Die Studenten sind heute jünger: Von 1989 bis 2010 waren die meisten der Befragten 20 Jahre alt, im Jahr 2012 stellten die 19-Jährigen die grösste Altersgruppe dar.
Weniger Scharfmacher unter motivierten Studenten
Anlässlich der Langzeitstudie befragte Streng den Juristennachwuchs auch nach der subjektiven Einschätzung der Kriminalitätslage, ihrer Haltung zu den unterschiedlichen Strafzwecken und ihrer Vorstellung über das angemessene Strafmass. Bezüglich der allgemeinen Kriminalitätslage mussten die Befragten angeben, ob sie diese als «bedrohlich» oder «nicht bedrohlich» einschätzten. Ergebnis: In den Jahren 1989 bis 1993 war ein bemerkenswerter Anstieg in der Bedrohlichkeitswahrnehmung festzustellen – von 44 Prozent auf 74 Prozent. Seit 1995 sinkt die subjektive Bedrohungswahrnehmung wieder – sogar unter den Wert von 1989.
Die Vorstellung zum angemessenen Strafmass änderte sich über die Jahre besonders markant. Dies zeigte sich am fiktiven Beispiel eines Totschlags im Affekt nach der Trennung eines Paars. Erachteten die Studenten 1989 dafür noch eine Freiheitsstrafe von durchschnittlich sechs Jahren als angemessen, waren es 23 Jahre später fast neuneinhalb Jahre.
Streng stellte zudem fest, dass mit den Jahren immer mehr Befragte die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe verlangten und sich immer weniger Studenten für deren Abschaffung aussprachen. Im Jahr 2012 waren gut 30 Prozent der Befragten der Ansicht, eine lebenslange Freiheitsstrafe sei für manche Straftaten zu mild. Zum Vergleich: Im Jahr 1977 waren nur 6,7 Prozent dieser Ansicht.
Wenn der Wunsch nach härteren Strafen wächst, erstaunt es nicht, dass sich immer mehr Studenten für die Wiedereinführung der Todesstrafe aussprechen. 1977 waren 11,5 Prozent dieser Meinung, 33 Jahre später schon 31,9 Prozent (vgl. Grafik). Interessant: Kritisch zur Todesstrafe stehen vor allem jene Studenten, die als Studienmotiv «Neigung» angaben. Wer das Studium aus andern Gründen wählte, befürwortete die Todesstrafe eher. Pikant: Der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung ist laut mehreren aktuellen repräsentativen Umfragen skeptischer gegenüber der Todesstrafe als die befragten Jus-Studenten in den vergangenen Jahren.
51,3 Prozent für Zulässigkeit von Folter
Die Todesstrafe würden die Befragten am ehesten für einen Sexual- oder einen «grausamen Mord» verhängen. Bei Massen- oder Völkermord dagegen würde bloss je eine Person die Todesstrafe vorsehen. Zu erwähnen ist, dass im Fragebogen der Massen- und der Völkermord nicht explizit aufgezählt waren, man konnte die Begriffe bei «andere Delikte» einfügen.
Auch die Folter erfreut sich bei den Studenten immer höherer Beliebtheit: 51,3 Prozent der Befragten sprachen sich zwischen 2003 und 2010 für die Zulässigkeit von staatlicher Folter aus. Ein generelles Folterverbot, wie es in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UN-Antifolterkonvention statuiert ist, befürworten nur 2 von 5 Jus-Studenten – eine Minderheit.
Die Ergebnisse der Studie sind zusammengefasst in:
Franz Streng, Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität im Wandel, Kriminalitäts- und berufsbezogene Einstellungen junger Juristen, Kriminalistik Verlag 2014