Luciano Romero, ein kolumbianischer Gewerkschafter, will 2005 vor einem internationalen Tribunal gegen den Lebensmittelkonzern Nestlé aussagen. Dazu kommt es nie: Romero wird wenige Tage zuvor mit fünfzig Messerstichen zu Tode gefoltert. Er ist der fünfte ermordete Gewerkschafter, der bei der Nestlé-Milchpulverfabrik «Cicolac» in Valledupar arbeitete. Eine Strafanzeige gegen Nestlé-VR-Präsident Peter Brabeck und weitere Spitzenmanager sollte klären, ob sie eine Mitverantwortung tragen.
Formuliert hatte die Klage der deutsche Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck. Und eingereicht wurde sie 2012 von Kalecks Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Die Schweizer Justiz wies 2014 alle Klagen ab. Begründung: Verjährung der Tatvorwürfe.
“Sorgfaltspflichten für Unternehmen”
«Verjährung, fehlende Zuständigkeit, Ermittlungsprobleme – es sind stets dieselben Argumente. Kaum ein europäisches Unternehmen wird in seinem Heimatstaat für im Ausland verübte Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen», sagt Kaleck. Er fordert deshalb für Europa einen Katalog der «unternehmerischen Sorgfaltspflichten zum Schutz der Menschenrechte».
Kalecks Wort hat Gewicht. Der 55-jährige Mitgründer und Generalsekretär des ECCHR hat sich seit Jahren einen Namen im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen gemacht – weltweit. Selbst vor den Mächtigsten der Welt schreckt er nicht zurück: Nach Klagen gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sahen sich auch dessen Chef Georg W. Bush und weitere Mitglieder der Administration sowie US-Militärs mit Strafanzeigen wegen Folter im Irak (Abu Ghraib) konfrontiert. «Zehn Jahre später reisten einige dieser mächtigen Menschenrechtsverletzer nicht mehr nach Westeuropa – unter anderem wegen uns», sagt Kaleck. Aktuell vertritt das ECCHR jemenitische Opfer der US-Drohnenangriffe, die von der US-Basis Ramstein (D) aus durchgeführt werden. Nebenbei bloggt er in der Wochenzeitung «Zeit Online» und publiziert Bücher, die unter anderem internationale Jurisdiktionsprobleme behandeln.
Frühe Kontakte mit Opfern von Gewaltakten
Ein Leben also, das zum grossen Teil dem Recht verschrieben ist. Und Recht, das wollte Kaleck von Anfang an studieren: «Wir versuchen, das geltende Recht zugunsten derjenigen anzuwenden, die entrechtet sind. Das fand ich sehr spannend an diesem Studium.» Nach dem Jusstudium in Bonn spezialisierte er sich auf internationales Strafrecht, Wehr- und Kriegsdienstverweigerungsrecht sowie Menschenrechte.
Ab 1990 arbeitete er als Rechtsreferendar für die Menschenrechtskommission in Guatemala. Kaleck sprach schon damals Spanisch und kam so in Kontakt mit Einheimischen, die Angehörige durch Gewaltakte verloren hatten. Das muss ihn geprägt haben.
Kalecks Beruf ist seine Berufung. Obwohl zu Beginn seines Studiums nicht absehbar war, was er heute macht: «Die transnationale Durchsetzung der Menschenrechte ist ein gerade entstehendes Berufsbild. Vor zwanzig Jahren konnte keiner ahnen, dass es so etwas mal geben wird.»
Wolfgang Kaleck nahm 1998 den globalen Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen auf. Er erreichte damals, dass die Verantwortlichen für die Ermordung und das «Verschwindenlassen» von Deutschen während der argentinischen Militärdiktatur zur Verantwortung gezogen wurden. Kaleck: «So wuchs ich in das internationale Netzwerk von Rechtsanwälten und Menschenrechtsorganisationen rein, die sich mit Fällen universeller Jurisdiktion befassten.» Seither ist er der deutsche Anwalt für diese Art von Fällen. 2007 gründete Kaleck dann mit weiteren Anwälten das ECCHR und verschrieb sich der Aufgabe, die Menschenrechte mit juristischen Mitteln einzufordern und durchzusetzen. Heute stehen ihm 22 juristische Mitarbeiter sowie acht Praktikanten zur Seite. Pro Jahr übernimmt das ECCHR mehrere Dutzend Fälle.
«Es sind die schlimmsten Verbrechen, die man sich vorstellen kann, also muss man auch die nötigen Ressourcen bereitstellen, um sie aufzuklären», sagt Kaleck. Das finde aber nicht statt. Er fordert deshalb: «Es wäre sinnvoll, zumindest dasselbe Mass an Standards, Kontrolle und Sanktionierung zu gewährleisten, wie sie zum Beispiel im Bereich Korruption gelten. Es kann doch nicht sein, dass der Korruptionsschutz besser geregelt ist als der Menschenrechtsschutz!» Die Staatsanwälte würden sich aber lieber mit dem Glücksspiel im Hinterzimmer beschäftigen, «statt mit kriminellen Wirtschaftsakteuren und deren Teilnahme an den blutigsten Menschenrechtsverletzungen in Afrika.» Die Strafverfahren im Westen müssten auch gegen mächtige Menschenrechtsverletzer aus Russland, China oder den USA geführt werden. «Die Doppelstandards im internationalen Strafrecht müssen ein Ende finden.»
Kaleck fordert zudem die Umsetzung von konkreten Reformen, um den Menschen den Zugang zu den Gerichten zu erleichtern. «Das Zivilprozessrecht in Deutschland ist eine Katastrophe, man muss viel Geld bezahlen und das Prozessrisiko ist hoch.» Zudem gebe es keine Möglichkeit für Sammelklagen. Auch müssten Geschädigte früher und intensiver durch Anwälte betreut werden. «Und sie sollten bessere Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Einstellung von Verfahren oder die Nichtaufnahme von Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft erhalten.» Im Nestlé-Fall habe der ECCHR den Fall auf den Tisch bringen müssen, bis die Staatsanwaltschaft in Zug überhaupt etwas unternommen habe. Statt von sich aus Ermittlungen einzuleiten, hätte sie nur zugewartet, «bis die Verjährung eintritt, indem sie die Akte hin und her schob».
“An Arbeitslosigkeit wird keiner von uns leiden”
Juristen kämen traditionell aus der Mittel- und Oberschicht, sagt Kaleck. «Diese Leute fühlen sich ihrer Klasse verpflichtet und weniger den Entrechteten der Welt.» Ihn selbst treibe ein Gerechtigkeitsgefühl an, das auch Menschen erfasse, die nicht gerade in Westeuropa lebten, sondern «die woanders leben und arbeiten und versuchen, nach denselben Idealen wie ich zu leben».
Persönlichere Einblicke blockt Kaleck mit breitem Lachen ab. Man erfährt einzig, dass er im Berliner Stadtteil Kreuzberg lebt, keine Kinder hat und ledig ist. Er lese viel und gerne. Und was die heranwachsenden Menschenrechtsanwälte angeht, sagt Kaleck: «An Arbeitslosigkeit wird keiner von uns leiden müssen – so sieht die Welt leider nicht aus.»