plädoyer: Martino Mona, im Interview mit «NZZ-Campus» übten Sie neulich harsche Kritik an der juristischen Ausbildung und der fehlenden Motivation der Jus-Studenten. Ist das Problem so gross?
Martino Mona: Ja, das Problem ist gross. Aber harsch würde ich die Kritik nicht nennen. Mir geht es darum, dass man wieder vermehrt über die juristische Ausbildung diskutiert: Welche Ziele soll sie verfolgen? Diese Diskussion ist nahezu eingeschlafen, man hat den Fokus auf die Ausbildung der Studenten etwas verloren.
Was soll das Studium vermitteln?
Es gibt zwei Tendenzen: Die eine Gruppe von Rechtsgelehrten fordert gute Handwerker, die in der Praxis bestehen. Diese Leute reagieren fast panikartig, wenn die uralte, stets wiederkehrende Rückmeldung kommt, die junge Generation von Juristen beherrsche das Metier nicht mehr. Die zweite Gruppe fordert, dass sich die Rechtswissenschaft vor allem als analytische und kritische Wissenschaft positioniert und sich nicht zu einem Handwerk degradieren lässt. Sonst gebe es keinen Grund, das Studium nicht an eine Fachhochschule auszulagern. Fachhochschulen könnten genauso gute – wenn nicht noch bessere – Handwerker ausbilden. Die Studenten verlören dann keine Zeit mit angeblich praxisfernen Fächern wie Rechtsgeschichte oder Rechtsphilosophie.
Warum das Studium nicht in Wissenschaft und Praxis aufteilen?
Für eine auf das blosse praktische Handwerk bezogene Ausbildung spricht nichts dagegen. Beschweren sich Praktiker, sie hätten an der Uni nicht viel gelernt, was ihnen im Beruf von Nutzen ist, so trifft das oft zu. Der Grund: Ihr aktueller Beruf hat eben nichts mit Rechtswissenschaft und oft auch nichts mit dem Recht zu tun. Die brisante Frage ist, ob für eine solche Praxisausbildung überhaupt ein Universitätsstudium nötig ist. Ich schlage – als Gedankenexperiment – vor, dass man zunächst eine kaufmännische Lehre macht und dann an eine Fachhochschule geht oder gleich eine Anwalts- oder Juristenlehre macht.
Was spricht dagegen?
So würden Handwerksjuristen produziert, die nicht fähig wären, über den Tellerrand hinaus zu schauen und abzuschätzen, was sie gesellschaftlich bewirken. Juristen sind keine Ingenieure des Rechts. Rechtswissenschaft ist kein Handwerk, keine blosse Technik. Juristen müssen einen Bezug zu Gerechtigkeitsdebatten haben, komplexes Denken beherrschen und Zusammenhänge weit übers Fach hinaus erkennen. Sie müssen sich der moralischen, ökonomischen und politischen Dimension ihres Tuns bewusst sein. Sonst besteht die Gefahr, dass sie für Willkürsysteme instrumentalisiert werden. Das bedeutet nicht, dass wir an der Uni nicht mehr für eine intellektuell anspruchsvolle Praxisausbildung tun können: Ich denke an Moot Courts, Law Clinics und ECTS-Punkte für Praktika während des Studiums.
Sie beklagten sich auch über unmotivierte Studenten.
Eher unentschlossene als unmotivierte. Mir scheint, nicht wenige haben die Rechtswissenschaften nach dem Ausschlussprinzip gewählt. Da muss man – gegenüber anderen Fächern – vermeintlich kein Vorwissen haben. Es ist aber eine Welt, die mit einem spezifischen Denken verbunden ist. Das muss man lernen – lernen wollen.
Sollten die Prüfungen schwieriger werden?
Die Prüfungen sind in Ordnung, ich würde sie aber strenger bewerten. Das Problem dabei: Die Universitäten wollen sowohl die besten wie die meisten Studenten. Die Anzahl ist für mich aber kein Massstab. Manche fokussieren zu sehr auf Quantität statt Qualität.
Was heisst strenger bewerten?
Man sollte nicht nur strenger, sondern auch anders bewerten. Man müsste sich einigen, auf welche qualitativen Punkte man achtet. Voraussetzung ist eine vertiefte Diskussion über das Verständnis von Wissenschaft und juristischer Ausbildung. Heute ist weitgehend umstritten, was eine gute juristische Arbeit ausmacht. Das erklärt ansatzweise die Kuriosität, dass Notendurchschnitte in Prüfungen zuweilen von einem Jahr zum andern ganz unterschiedlich sind. Bei Hunderten von Studenten ist unwahrscheinlich, dass diese Fluktuation auf einen schlechteren Jahrgang zurückzuführen ist.
Worauf ist also zu achten?
Auf eine schlüssige Argumentation. Sie muss wissenschaftlichen Charakter und Originalität haben. Sie muss überzeugen, nicht bloss zufriedenstellen. Es reicht nicht, wenn der Fall einfach weitgehend sauber bearbeitet wird und man für allerlei triviale Schritte aus dem memorisierten Prüfschema Punkte erhält, die eigentlichen Probleme aber kaum erkennt und vertieft. Statt an Klausuren könnte man im Übrigen zunehmend an Prüfungsformen wie Essays, Open-Book-Falllösungen und praktische Arbeiten denken.
Unterstützt das Bologna-System Ihre Ausbildungsideale?
Der erste Teil meines Studiums war im Lizenziats-System, der zweite im Bologna-System. Ich finde das Bologna-System viel besser. Es ist besser strukturiert, harmonischer und kohärenter. Man hat mehr Zeit, um Dinge zu vertiefen, und kann besser persönliche Schwerpunkte setzen. Die Konzeption des Masterstudiums ist brillant. Ich verstehe nicht, was man am Lizenziat toll findet – da ist viel Nostalgie im Spiel. Das neue System erleichtert auch zwei Studien nebeneinander oder hintereinander, da sich die Dauer verkürzt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es im Bologna-System einfacher ist, während der Studienzeit nebenbei zu arbeiten.
Ihr Dekan, Peter V. Kunz, wünscht sich mehr Querdenker.
Das wünsch ich mir auch. Meine Studenten sollen selbständig denken lernen – aber nicht das Gleiche denken wie ich. Man sollte auch mal eine neue Meinung vertreten, die anderen nicht passt. Gute Rechtswissenschaft ist im Kern die wissensbasierte, fundierte und überzeugende Begründung einer eigenen These – nicht das Zusammentragen und die Wiedergabe fremder Meinungen.
Was können Studenten sonst noch tun, um zu den Besten zu gehören?
Viel lesen, viele Filme schauen, oft ins Theater gehen, vieles tun, das auf den ersten Blick nichts mit den Rechtswissenschaften zu tun hat. Auf jeden Fall ein Auslandstudienjahr einplanen. Hätte ich nicht in Harvard studiert, wäre ich heute als Strafrechtler wohl ein Präventionist. Ich besuchte damals ein Seminar über Vergeltung. Dies hat meine Sicht auf den Strafzweck völlig verändert.