Das schweizerische Anwaltspatent verleihen die Kantone. Sie bestimmen die Zulassungsvoraussetzungen für die Prüfungen und führen diese in Eigenregie durch. Von Kanton zu Kanton gibt es dabei deutliche Unterschiede.
Das Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwälte schreibt für den Erwerb des Anwaltspatents lediglich den erforderlichen Studienabschluss und ein mindestens einjähriges Praktikum vor. Den Kantonen bleibt es überlassen, diese Vorgaben mit Einführungsgesetzen und Verordnungen zu konkretisieren. Nur schon die Voraussetzungen für die Anmeldung zur Prüfung sind nicht einheitlich (plädoyer 1/2011).
Seit 2011 in der ganzen Schweiz die einheitliche neue Zivil- und Strafprozessordnung eingeführt wurde, wird die Forderung nach einer einheitlichen Anwaltsprüfung immer lauter.
Der Rechtswissenschafter Peter Gauch machte Ende 2017 in einem Vortrag vor dem Zürcher Anwaltsverband deutlich, weshalb dies notwendig sei: «Durch den beschleunigten Transport und die beschleunigte Kommunikation hat die örtliche Ausdehnung des Raums die faktische Bedeutung verloren. Distanzen sind belanglos geworden.» In der Schweiz habe dies zur längst fälligen Vereinheitlichung der Zivil- und Strafprozessordnung geführt. Und dem Anwaltsstand habe dies die bundesgesetzlich garantierte Freizügigkeit der Anwälte gebracht: «Nur das Anwaltsexamen wird partikulär und kantonal gehandhabt. Während man sogar im unendlich grossen China in der Lage ist, ein einheitliches Anwaltsexamen für das ganze Land durchzuführen.»
“Praktikanten arbeiten zu Hungerlöhnen”
Anwalt Niklaus Meier coacht bei der Firma Lawbility Anwaltsprüfungskandidaten. Er diagnostiziert einen «Kantönligeist», der die Vereinheitlichung verhindere. Zudem vermutet er psychologische Gründe: «Was man als Anwalt selbst erdulden musste, will man auch den Nachkommen zumuten.» Ein weiterer Grund sei die Ausbeutung der Anwaltsprüfungskandidaten, «die zu Hungerlöhnen arbeiten müssen – im Wallis zum Teil für knapp über 1000 Franken pro Monat».
Dabei hätte es die Vereinheitlichung des Examens beinahe in einen ausgearbeiteten Entwurf des Schweizerischen Anwaltsverbandes (SAV) zu einem neuen Anwaltsgesetz geschafft: 2012 stellte der Verband der Bundesverwaltung gleich ein vollständiges «Schweizer Anwaltsgesetz» als Gesetzesentwurf vor, um ihn ins ordentliche Gesetzgebungsverfahren zu übernehmen.
Der Basler Advokat und frühere SAV-Präsident Ernst Staehelin, der als geistiger Vater dieses Entwurfes gilt, sagte 2012 gegenüber der NZZ: Eines der Herzstücke des neuen Gesetzes wäre es, die Anwaltsprüfung zu vereinheitlichen. Zwar würde es weiterhin den kantonalen Anwaltskommissionen obliegen, die Prüfung durchzuführen. Allerdings sollten die Voraussetzungen eidgenössisch harmonisiert werden.
Doch diese Idee war nicht einmal innerhalb des SAV mehrheitsfähig. Staehelin sagt gegenüber plädoyer, der Vorschlag sei bloss innerhalb einer kleinen Fachgruppe besprochen worden. Bereits dort hätten sich starke Gegenmeinungen gebildet. Das Anliegen habe es deshalb nicht einmal bis zum Vorstand des SAV geschafft.
Laut SAV-Generalsekretär René Rall hat sich der Verband nie direkt mit den Gedanken Staehelins zur Vereinheitlichung des Anwaltsexamens auseinandergesetzt. «Es gab also nie eine Meinung des Vorstands zu diesem Thema.»
Laut Bundesamt für Justiz wird kein Entwurf für ein neues Anwaltsgesetz ausgearbeitet. Deshalb wird auch punkto Vereinheitlichung der Anwaltsprüfungen alles beim Alten bleiben.