Was im Schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB) steht, wird als Allgemeinwissen vorausgesetzt. Rechtsunkenntnis schützt vor Strafe nicht. Das Gleiche gilt für die kantonalen Strafgesetze, die es immer noch gibt. Ihre Gültigkeit ist auf den jeweiligen Kanton beschränkt. Wer ab und zu seinen Wohnkanton verlässt, eignet sich mit Vorteil ein Minimum an Basiswissen anderer Kantone an. Sonst drohen Bussen oder im schlimmsten Fall einige Tage Haft.
Die Grenze zwischen Recht und Unrecht ist manchmal dünn: Wer im Kanton Zürich «Sitte und Anstand im Zustand der Betrunkenheit öffentlich in grober Weise verletzt», wird mit Haft oder Busse bestraft. Straflos geht offenbar aus, wer Sitte und Anstand in nüchternem Zustand verletzt.
Beim Betteln entscheidet die Motivation über Recht oder Unrecht: Zürich bestraft das Betteln nur mit Haft, wenn jemand «aus Arbeitsscheu mittellos im Lande herumzieht». In Solothurn ist Betteln auch aus «Habsucht» verboten – was den Kreis der potenziellen Missetäter deutlich vergrössert.
Soldaten wissen, dass man in der Schweiz die Armeewaffe bei sich zu Hause aufbewahren darf. Nach Berner und Zürcher Recht ist dies auch für andere Waffen Pflicht: «Wer Waffen oder Werkzeug, von denen er weiss oder annehmen muss, dass sie zur Begehung von Tötung, Körperverletzung, Raub oder Diebstahl bestimmt sind, in Gewahrsam von Dritten verwahren lässt oder Dritten überlässt, wird ausdrücklich mit Busse bestraft.»
In Bern gilt für den Besitz von Schusswaffen übrigens ein tiefes Schutzalter. Artikel 18 des kantonalen Strafrechts statuiert: «Wer einer Person unter 16 Jahren Schusswaffen oder Munition überlässt, ohne sie pflichtgemäss zu beaufsichtigen, wird mit Busse bis 1000 Franken bestraft.» Unklar bleibt bei diesem Wortlaut, ob die jugendliche Person oder die Munition zu beaufsichtigen ist.
Jugendliche sind in Bern auch gegen Suchtmittel nur beschränkt geschützt: Artikel 13 des Berner Strafrechts besagt: «Wer einer Person unter 18 Jahren Spirituosen oder Tabak abgibt, ohne die elterliche Sorge innezuhaben, wird mit Busse bestraft.» Gleiches gilt für die Abgabe von alkoholischen Getränken an unter 16-Jährige. Mit andern Worten: In Bern regelt das Sorgerecht auch das Alkoholabgabemonopol.
Auf aktuelle Zeiterscheinungen gemünzt scheint Artikel 26 des Solothurner Strafrechts: Wer «aus Bosheit oder Mutwillen telefonische Einrichtungen zur Belästigung eines andern missbraucht», wird mit bis zu acht Tagen Haft bestraft. Telefonische Belästigungen aus Gewinnsucht sind offenbar nicht strafbar.
Einigen Kantonen ist die Ausbeutung der Leichtgläubigkeit ihrer Bürger ein Dorn im Auge: «Wer gewerbsmässig die Leichtgläubigkeit anderer durch Wahrsagen (Horoskopeerstellen, Traumdeutungen, Kartenschlagen und dergleichen), Geisterbeschwören, Anleitung zum Schatzgraben oder ähnliche Weise ausbeutet», wird in Bern und Solothurn mit Busse bestraft. In Zürich lautet das Ausbeutungsverbot fast gleich, doch Horoskope sind erlaubt – möglicherweise aus Rücksicht auf ortsansässige Medienunternehmen. Vor diesem Hintergrund wäre auch die singuläre Zürcher Bestimmung erklärbar: «Wer die Bevölkerung wissentlich durch falsche Nachrichten in Angst und Schrecken versetzt, wird mit Busse oder Haft bestraft.» Im Thurgau sind Horoskope ebenfalls erlaubt, dafür ist die Teufelsaustreibung amtlich untersagt.
Interessant: Die kantonalen Strafgesetze kennen nicht nur Verbote, sondern auch zusätzliche Bürgerpflichten. In Bern ist jeder Bürger ein Hilfspolizist: «Wer ohne genügenden Grund der Aufforderung von Polizeiorganen nicht nachkommt, ihnen beim Anhalten einer auf frischer Tat ertappten oder zu verhaftenden Person Beistand zu leisten», wird mit Busse bestraft.
Solothurn verlangt von seinen Bürgern unter Androhung von Busse, dass sie «einer Polizeibehörde anzeigen», wenn sie «in Notwehr oder in einem Notstand einen Menschen verletzt oder getötet» haben. Bern statuiert: «Wer die Aufsicht über eine Person, die aufgrund einer psychischen Störung gefährlich erscheint, pflichtwidrig vernachlässigt, wird mit Busse bestraft.» In Washington D.C. wäre eine solche Strafnorm zurzeit ebenfalls hilfreich.