Dreizehn Jahre lang hat Ganden Tethong stets das Gleiche wiederholt, vor einem halben Dutzend Staatsanwälten, vor den Geschädigtenvertretern, vor den Richtern aller Instanzen: Ihr Mandant, Rudolf Elmer, habe sich nicht strafbar gemacht. Er könne nicht wegen Bankgeheimnisverletzung verurteilt werden. Und schon gar nicht sei er in U-Haft zu stecken – was dennoch geschah, monatelang.
Die Worte der 53-jährigen Zürcher Rechtsanwältin mit tibetischen Wurzeln verhallen – vorerst. Das Blatt wendet sich im Sommer 2016 vor Zürcher Obergericht. Die I. Strafkammer unter dem Vorsitz von Peter Marti spricht Elmer vom Hauptvorwurf frei. Zu Schuldsprüchen kommt es wegen versuchter Nötigung, Drohung und Urkundenfälschung. Das Gericht fällt für den Ersttäter ein strenges Verdikt:
14 Monate Freiheitsstrafe bedingt, bei einer Probezeit von drei Jahren. Zudem wird ihm ein Grossteil der Gerichts- und Untersuchungskosten von total 350 000 Franken auferlegt.
Laut Tethong sind die harte Strafe und die Kostenauferlegung ein Zeichen dafür, dass der Freispruch im Hauptanklagepunkt nur widerwillig gefällt worden sei: «Es war von Anfang an die Intention, Rudolf Elmer zu verurteilen. Den entlastenden Momenten sind die Strafverfolger kaum nachgegangen.»
Zur Erinnerung: Offshore-Banker Rudolf Elmer soll geheime Kundendaten an hiesige Steuerämter und an Wikileaks-Chef Julian Assange übergeben haben. Das hat ihm zwei separate Strafverfahren eingebrockt, eines beginnt 2005, das zweite 2011. Elmer ist zur fraglichen Zeit auf den Kaimaninseln für eine ausländische Tochtergesellschaft der Julius- Bär-Holding tätig. Er selbst bezeichnet sich als Whistleblower, er habe über illegale Offshore-Machenschaften aufklären wollen.
Tethong: Elmer unterstand nicht dem Bankgeheimnis
Seine Verteidigerin hat dieses Argument nie aufgenommen. Das sei gar nicht nötig gewesen, betont sie. Als Strafrechtlerin interessiere sie nur, ob dem Beschuldigten ein strafbares Verhalten nachgewiesen werden könne und ob sich die Strafverfolger an die Verfahrensregeln halten. Elmer habe sich wegen des ausländischen Arbeitsorts und der ausländischen Arbeitgeberin nicht strafbar gemacht. Ihr Mandant sei dem Schweizer Bankgeheimnis nicht unterstellt gewesen. Eine Auffassung, die der emeritierte Arbeitsrechtsprofessor Thomas Geiser in einem von der Verteidigung bestellten Parteigutachten untermauerte.
Das Bundesgericht bestätigt Mitte Oktober das Urteil des Obergerichts und weist die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft ab. Das Gericht ringt in 5er-Besetzung fast drei Stunden lang öffentlich um den Entscheid. Im Gerichtssaal auf Mont-Repos mit dabei: Rechtsanwältin Tethong, ihr Klient Elmer und dessen Ehefrau, Peter Giger von der auf Wirtschaftsdelikte spezialisierten Zürcher Staatsanwaltschaft III sowie der inzwischen pensionierte Oberrichter Peter Marti. Letzterer erinnert sich gut an den Berufungsprozess vom Sommer 2016. Er bezeichnet Tethong im Nachhinein als eine «sehr engagierte Verteidigerin, die für ihren Klienten das Maximum herausgeholt hat».
Das schriftlich begründete Urteil des Bundesgerichts steht noch aus, doch es sieht ganz danach aus, als ob Ganden Tethong die Akte Elmer schliessen kann, nach über dreizehn Jahren. Der Fall umfasst gut 150 Bundesordner und weist zahllose Verästelungen auf, an deren Aufarbeitung die Anwältin meist nicht mitbeteiligt war. Sie hat sich auf die Verteidigung konzentriert und die Nebengleise Rudolf Elmer überlassen.
Zu all ihren Mandanten pflege sie ein distanziert-professionelles Verhältnis, sagt die Anwältin. Das gelte auch im Fall Elmer. Sie bleibt lieber per Sie, lässt sich nicht instrumentalisieren, versteht sich nicht als Sprachrohr der Klienten, sondern als deren fachkundige und wertneutrale Vertretung. Sie müsse nicht die Gesinnung ihrer Mandanten übernehmen und sei auch keine Bankengegnerin.
Ganden Tethong ist zusammen mit vier Geschwistern im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen AR aufgewachsen, wo ihre Eltern tibetische Flüchtlingskinder betreuten. Sie habe in einem Grosshaushalt mit 25 Kindern und Erwachsenen gelebt – Tür an Tür mit Familien aus aller Welt: «Das hat mich geprägt. Im Nachhinein wurde mir bewusst, wie toll es war, so aufzuwachsen, in dieser internationalen Atmosphäre. Das ist wohl der Grund, dass ich keine Berührungsängste habe, was Nationen oder Religionen betrifft.
Studiumsentscheid nach dem “Ausschlussverfahren”
Bis zur fünften Primarklasse ging Tethong im Kinderdorf zur Schule, danach in Trogen AR. Nach der Matura entschied sie sich im «Ausschlussverfahren» für ein Rechtsstudium. Sie empfand das Studium an der Uni Zürich allerdings als ziemlich theoretisch und abstrakt. Die Begeisterung für das Juristische und vor allem fürs Strafrecht kam mit der ersten Praxiserfahrung: bei der damaligen Bezirksanwaltschaft in Bülach ZH und Zürich oder am Bezirksgericht Pfäffikon ZH.
Der Fall Elmer gehört weder zu den längsten noch zu den aufwühlendsten Mandaten der Anwältin. Ganden Tethong ist als Geschädigtenvertreterin im Fall Behring involviert. Dieses Verfahren dauert schon über vierzehn Jahre.
Zu den besonderen Fällen, die sie begleitet hat, gehört die Vertretung einer hochschwangeren Frau, die sich in U-Haft befand. Die Mandantin wollte den Untersuchungsbehörden zunächst ihren Zustand verschweigen. Als sie es doch noch offenbarte, ahnte niemand, wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten war. Kurz vor einer Einvernahme – im Gebäude der Staatsanwaltschaft – begannen die Wehen. Tethong, Mutter von zwei Töchtern, musste dafür kämpfen, dass die Frau ins Spital überführt wurde. Die Beschuldigte durfte ihr Kind im Spital gebären, wurde danach aber ans Bett gefesselt und polizeilich überwacht – und am nächsten Morgen umgehend zurück ins Gefängnis gebracht. Erst sechs Tage später wurde das Haftentlassungsgesuch gutgeheissen. Die Strafuntersuchung gegen die junge Mutter sei schliesslich eingestellt worden. Doch es habe fast anderthalb Jahre gedauert, bis sie ihr Kind zurückbekommen habe.
Ganden Tethong hat sich kurz vor der Geburt der älteren Tochter als Anwältin selbständig gemacht. Dank der Mithilfe ihrer Mutter konnte sie die Familienpflichten mit dem Beruf verbinden. Ihre Eltern gehören zu den ersten tibetischen Flüchtlingen, die in die Schweiz kamen. Ganden Tethong engagiert sich bis heute für die tibetische Exilgemeinde. Seit neustem ist sie im Vorstand des Tibet Justice Center, das in den USA gegründet wurde. Acht Jahre lang war sie im Komitee des Tibet Film Festival, das jeweils parallel in der Schweiz und in Indien stattfindet. Ihr grösster Wunsch ist es, nächstes Jahr erstmals nach Tibet zu reisen, zusammen mit ihren Töchtern – mit denen sie beharrlich tibetisch spricht.