Anfang 2011 ist die Zivilprozessordnung für die ganze Schweiz vereinheitlicht worden. Das Verfahren ist also grundsätzlich im ganzen Land gleich. Und somit auch der damit verbundene Arbeitsaufwand.
Die Kosten der gerichtlichen Verfahren setzen aber die Kantone fest. Sie sind dabei an das in der Verfassung verankerte Äquivalenzprinzip gebunden. Das bedeutet: Die von den Parteien zu zahlende Gerichtsgebühr darf nicht in einem «offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert der bezogenen staatlichen Leistung» stehen – so die Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 141 I 105).
Trotz dieser Einschränkung sind die Unterschiede bei den 26 kantonalen Tarifrahmen riesig. Zu diesem Ergebnis kam die Zürcher Juristin Linda Weber 2015 in ihrer Master-Arbeit (plädoyer 1/2016). So liegen die maximalen Gerichtsgebühren im erstinstanzlichen Verfahren bei einem Streitwert bis 100 000 Franken in einzelnen Kantonen um bis das 50-Fache auseinander. Im Kanton Neuenburg beträgt die Gebühr höchstens 10 000 Franken, im Kanton Bern bereits 40 000 Franken und in den Kantonen Graubünden und Schwyz bis 100 000 Franken. Im Baselbiet sind in Ausnahmefällen gar Gebühren von 500 000 Franken denkbar.
Dass hohe Unterschiede nicht nur theoretisch möglich sind, sondern auch in der Praxis vorkommen, zeigt der Fall eines Zürcher Anwalts. Seinem Klienten drohte die Anordnung einer superprovisorischen Massnahme. Als Gerichtsstand kam die ganze Schweiz in Frage. Der Anwalt reichte daher in jedem Kanton beim zuständigen Gericht eine Schutzschrift ein. Die angerufenen Gerichte verlangten für die Entgegennahme des gleichen Papiers eine Gebühr zwischen 100 und 2000 Franken.
Ein anderes Beispiel: Der emeritierte Zürcher Rechtsprofessor Isaak Meier klärte für einen Muster-Haftpflichtfall die zu erwartenden Gerichtskosten ab. Und zwar beim zuständigen Gericht in den Kantonen Luzern, Schwyz, St. Gallen, Thurgau und Zürich. Der Musterfall: Ein Familienvater verunfallt, er wird bleibend arbeitsunfähig, der Streitwert beträgt 1,5 Millionen Franken. Ergebnis des Vergleichs: Die Kosten der ersten Instanz beliefen sich auf 35 000 Franken im Kanton St. Gallen bis 60 000 Franken im Kanton Luzern.
Ehemaliger Oberrichter fordert einen Rahmentarif
Wegen diesen enormen Unterschieden wird die Tarifhoheit der Kantone kritisiert, etwa vom Zürcher Titularprofessor und ehemaligen Schaffhauser Oberrichter Arnold Marti. Er forderte letztes Jahr in der «Anwaltsrevue» einen vom Bund erlassenen Rahmentarif. «Die Kantone könnten dann innerhalb dieses Rahmentarifs eine Konkretisierung (detaillierter Tarif) vornehmen und so besonderen kantonalen Gegebenheiten Rechnung tragen.»
Doch der Bundesrat will an der kantonalen Gebührenhoheit festhalten, «auch wenn durchaus Gründe dafür sprechen würden, zumindest die Möglichkeit eines schweizweit harmonisierten Rahmentarifs zu prüfen, um damit die Prozesskosten zu reduzieren und die Rechtsdurchsetzung zu erleichtern». Das schreibt der Bundesrat in seinem Bericht zum Vorentwurf für eine revidierte Zivilprozessordnung. Er will sich darauf beschränken, die bestehende Prozesskostenregel anzupassen und zu verbessern. Das heisst: Halbierung der Gerichtskostenvorschüsse und keine Überwälzung des Inkassorisikos auf die klagende Partei (plädoyer 1/2019).
Beim Entscheid des Bundesrats spielte die abwehrende Haltung der Kantone eine Rolle. Bereits beim Erlass der heutigen Zivilprozessordnung schlug die Landesregierung als Alternative zur kantonalen Tarifhoheit einen Bundestarif vor. Der Vorschlag der damaligen Expertenkommission wurde bereits 2003 in der Vernehmlassung von den meisten Kantonen abgelehnt. Nur die Kantone Appenzell Ausserrhoden, Nidwalden, Tessin und Schaffhausen sprachen sich für einen bundesrechtlich geregelten Tarif aus.
Mit dem gleichen Widerstand der Kantone ist auch heute zu rechnen. Das zeigt eine plädoyer-Umfrage im Februar bei neun Kantonen aus der Deutschschweiz (AG, AI, AR, BE, BL, NW, OW, SG und ZH). Keine der angefragten Kantonsregierungen war für einen Bundestarif. Die Mehrheit sprach sich explizit dagegen aus: «Wir lehnen eine ‹Flachwalzenregelung› ab», schrieb etwa Landschreiber Hugo Murer im Kanton Nidwalden.
Die Kantone argumentieren stets mit demselben Argument: Die Organisation der Gerichte sei ihre Sache. Daher müsse ihnen die Tarifhoheit erhalten bleiben. Nur so können sie die unterschiedliche Kostenstruktur ihrer Gerichte berücksichtigen.
Dem hält Professor Isaak Meier in seiner Vernehmlassung zum Vorentwurf der revidierten Zivilprozessordnung entgegen: «Die Gerichtskosten haben keinen Zusammenhang mit der Befugnis der Kantone zur Einrichtung der Gerichte. Kein Kanton richtet die Ausgestaltung und Einrichtung der Gerichte nach dem (bescheidenen) Umfang der Einnahmen aus den Gerichtskosten.» Isaak Meier befürwortet einen Bundestarif, wie es ihn als Gebührenverordnung zum Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (SchKG) bereits seit 1958 im Betreibungs- und Konkursrecht gibt. Auch hier bestimmen die Kantone die Organisation der Betreibungs- und Konkursämter – «ohne dass die Kantone die Gebühren bestimmen können», so Meier.
Höchsten Ansatz auf das Dreifache begrenzen
In der Vernehmlassung zum Vorentwurf der revidierten Zivilprozessordnung befürworteten der Berner Anwaltsverband und die Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz einen Bundestarif. Dagegen begnügt sich der Schweizerische Anwaltsverband (SAV) mit einem vom Bund erlassenen Rahmentarif. «So können die Kantone ihre Autonomie behalten. Ein zu grosser Unterschied der Gerichtskosten in den einzelnen Kantonen wird damit aber verhindert», sagt Urs Haegi vom SAV.
Einen Rahmentarif befürwortet auch die Wirtschaftsanwaltskanzlei Walder Wyss Rechtsanwälte. Zusätzlich fordert die Kanzlei, die Vorhersehbarkeit der Kostenhöhe zu verbessern. «Die einzelnen kantonalen Tarife sind zum Teil so ausgestaltet, dass sie dem Rechtsuchenden nicht ermöglichen, im Voraus die mutmasslichen Prozesskosten einigermassen verlässlich zu bestimmen», schreibt Rechtsanwalt Dieter Hofmann von Walder Wyss. Als Beispiel nennt er den Kanton Bern. Bei einem Streitwert von 50 000 Franken können Berner Gerichte eine Gebühr zwischen 1900 Franken und 11 400 Franken festlegen.
Noch grösser ist der Ermessensspielraum bei einem Streitwert von 5 Millionen Franken: Die Spannweite der möglichen Gebühr reicht von 25 000 Franken bis zu 350 000 Franken. Die Kosten können also nach Ermessen des Gerichts 14-mal mehr betragen als das Minimum. Rechtsanwalt Hofmann schlägt vor, dass der höchste Gerichtskostenansatz nicht mehr als das Doppelte oder Dreifache des tiefsten Ansatzes für einen bestimmten Streitwert betragen sollte. «Dies würde die Vorhersehbarkeit der Gerichtsgebühren zumindest erhöhen», sagt Hofmann.
Dass ein nationaler Tarif möglich wäre, zeigen Beispiele aus dem Ausland: In Deutschland und Österreich setzen alle Gerichte die Gerichtskosten nach dem landesweit geltenden Gerichtskosten- respektive Gerichtsgebührengesetz fest. Und: Die Gebühren sind massiv tiefer. Bei 10 000 Franken Streitwert beträgt die Gerichtsgebühr im erstinstanzlichen Verfahren in Deutschland 253 Franken. In Zürich ist die Grundgebühr sechs Mal höher (1750 Franken), Erhöhungen und Reduktionen sind möglich. Bei einem Streitwert von 1 Million Franken verlangen die österreichischen Gerichte 15 977 Franken als Gebühr. Bei Zürcher Gerichten sind es über 30 000 Franken.
Als Nächstes muss der Bund die Botschaft zur revidierten Zivilprozessordnung verabschieden. «Mitte 2019 sollte dies der Fall sein», sagt Philipp Weber vom Bundesamt für Justiz.