Ein jedes Kind soll in familienrechtlichen Verfahren durch die Kindesschutzbehörde oder durch eine beauftragte Drittperson in geeigneter Weise persönlich angehört werden, soweit nicht sein Alter oder andere wichtige Gründe dagegen sprechen (Art. 314a Abs. 1 ZGB). Ergänzend dazu verpflichtet Art. 299 Abs. 2 ZPO das Gericht in eherechtlichen Verfahren, wenn nötig die Vertretung des Kindes anzuordnen und als Beiständin oder Beistand eine in fürsorgerischen und rechtlichen Fragen erfahrene Person zu bezeichnen.
Das Gericht prüft die Anordnung einer Kindesvertretung immer dann, wenn die Eltern zur Zuteilung der elterlichen Obhut oder Sorge oder bei wichtigen Fragen des persönlichen Verkehrs unterschiedliche Anträge stellen, wenn die Kindesschutzbehörde oder ein Elternteil eine Vertretung beantragt oder wenn das Gericht aufgrund der Anhörung der Eltern oder des Kindes oder aus anderen Gründen erhebliche Zweifel an der Angemessenheit der gemeinsamen Anträge der Eltern über die Zuteilung der elterlichen Obhut oder Sorge oder über den persönlichen Verkehr hat, oder wenn es den Erlass von Kindesschutzmassnahmen erwägt (Art. 299 Abs. 2 ZPO). Auch das urteilsfähige Kind selber kann dem Gericht einen Antrag auf Vertretung stellen.
Aufgaben der Kindesvertretung
Das Gesetz regelt die Aufgaben der Kindesvertretung nicht, sondern nur deren Kompetenzen: Gemäss Art. 300 ZPO kann die Vertretung des Kindes Anträge stellen und Rechtsmittel einlegen, soweit es um folgende Angelegenheiten geht: die Zuteilung der elterlichen Obhut oder Sorge, wichtige Fragen des persönlichen Verkehrs oder Kindesschutzmassnahmen.
Zu den Aufgaben der Kindesvertretung hat sich das Bundesgericht in einem Leitentscheid vom 17. Dezember 2015 geäussert.1 In diesem Entscheid hat das Bundesgericht als Grundsatz festgehalten, dass der Kindesvertreter nicht in erster Linie subjektive Standpunkte zu vertreten, sondern das objektivierte Kindeswohl zu ermitteln und zu dessen Verwirklichung beizutragen habe. Eine im eigentlichen Sinn anwaltliche, auf den subjektiven Standpunkt des Vertretenen fokussierte Tätigkeit sei nicht angezeigt. Mit Entscheid vom 16. März 2016 hat das Bundesgericht diese Rechtsprechung bestätigt.2
Das Postulat der objektiven Ermittlung des Kindeswohls wirft einerseits die Frage auf, was unter dem Begriff des Kindeswohls zu verstehen ist, und andererseits, welche Qualifikationen die Kindesvertretung als Ermittlerin des objektivierten Kindeswohls aufweisen muss. Der Begriff des Kindeswohls bezeichnet ein Rechtsgut, das nicht rechtlich, sondern nur interdisziplinär, unter Einbezug der Kinderpsychologie, definiert werden kann. Zur Problematik des Begriffes Kindeswohl äussert sich Harry Dettenborn ausführlich in «Kindeswohl und Kindeswille»: «Jeder, der den Begriff Kindeswohl verwendet, überschreitet seine Kompetenzen. Der Jurist ist genötigt, über rechtliche und dadurch implizierte Wertaspekte hinaus auch psychologische Aspekte einzubeziehen. Da er nicht entsprechend ausgebildet ist, wird sein Entscheiden abhängig von den zufälligen Alltagskonzepten oder individuell erworbenem Fachwissen sein.»3 Dazu kommt, dass der Begriff des Kindeswohls in starkem Mass dem Wertewandel der Zeit unterliegt.
Das Gesetz verlangt von der Kindesvertretung eine Erfahrung in fürsorgerischen und in rechtlichen Belangen (Art. 314a Abs. 1 ZGB). Eine bestimmte Ausbildung wird nicht vorausgesetzt. Gemäss Lehre kommen als Kindesvertretungen Personen aus sozialen Berufen oder Anwälte in Frage.4 Das Bundesgericht hat sich noch nie zu den nötigen Qualifikationen einer Kindesvertretung geäussert.
Kindesvertreter als Gutachter?
Indem das Bundesgericht verlangt, dass der Kindesvertretung die Aufgabe zukomme, «dem Gericht das objektivierte Kindeswohl zu vermitteln»,5 erhebt es die Kindesvertretung faktisch zur Gutachterin. Die Ermittlung des Kindeswohls erfordert Sachkunde, die dem Gericht fehlt, andernfalls es selber beurteilen könnte, was das Kindeswohl gebietet.
Die Bestellung eines Gutachters unterliegt gemäss Art. 183 ff. ZPO strengen prozessualen Anforderungen: Vorab ist die sachverständige Person zur Wahrheit verpflichtet. Das Gericht muss sie auf die Strafbarkeit eines falschen Gutachtens nach Art. 307 StGB sowie auf die Folgen von Säumnis und mangelhafter Auftragserfüllung hinweisen. Das Gericht instruiert die sachverständige Person und stellt ihr die abzuklärenden Fragen schriftlich oder mündlich in der Verhandlung. Es gibt den Parteien Gelegenheit, sich zur Fragestellung zu äussern und Änderungs- oder Ergänzungsanträge zu stellen (Art. 185 ZPO). Für eigene Abklärungen benötigt die sachverständige Person die Zustimmung des Gerichts (Art. 186 Abs. 1 ZPO).
All den strengen Anforderungen der Zivilprozessordnung an fachkundige Abklärungen unterliegt die Ermittlungstätigkeit der Kindesvertretung nicht. Die Kindesvertretung darf nach aktueller Rechtsprechung als sachverständige Person ohne klare prozessuale Schranken arbeiten. Fazit: Setzen die Gerichte Kindesvertretungen ohne besondere Ausbildungen ein, sind diese kaum in der Lage, dieses objektivierte Kindeswohl zu ermitteln. Beauftragen sie ausgebildete Kindesvertretungen, kollidiert der Auftrag mit den Vorschriften der ZPO über die Einholung von Gutachten.
Mitwirkungsrechte der Eltern
Gegen die Person, mithin ihre fachliche Qualifikation, und gegen die Amtsführung der Kindesvertretung haben die Eltern kein Beschwerderecht. Das Bundesgericht begründet das fehlende Beschwerderecht mit der Unabhängigkeit der Kindesvertretung: Die Unabhängigkeit des Kindesvertreters sollten die Eltern nicht dadurch unterlaufen, dass sie fortlaufend dessen Handlungen in Frage stellen können. Im Übrigen würden ihre Befugnisse als gesetzliche Vertreter des Kindes auch nur durch die Errichtung einer Vertretung, nicht aber durch die einzelnen Handlungen des einmal eingesetzten Vertreters beschnitten. Ein formelles Beschwerderecht in Bezug auf die Amtsführung beziehungsweise die konkreten Handlungen des Kindesvertreters könne ihnen deshalb ebenso wenig zukommen wie ein Recht, aufgrund der Amtsführung seine Auswechslung zu verlangen.6
Immerhin müsse, so hält das Bundesgericht fest, den Eltern die Möglichkeit zustehen, der einsetzenden Behörde einen Missstand zur Kenntnis zu bringen, sodass diese von Amtes wegen Massnahmen ergreifen könne, wenn dies als angezeigt erscheine.7 Wenn allerdings die Kindesvertretung mit ihrer Amtsführung das Kindeswohl gefährde, müsse die ernennende Behörde eingreifen und die notwendigen Massnahmen treffen, wozu notfalls auch die Abberufung des Kindesvertreters gehöre.8
Wenn also die Kindesvertretung ihre unklaren Aufgaben und Kompetenzen überschreitet oder zum Schaden des Kindes ausübt, kann die einsetzende Behörde plötzlich selber entscheiden, was das Kindeswohl gebietet. Das wirft die Frage auf, weshalb sie denn vorgängig eine Kindesvertretung mit der Ermittlung des Kindeswohls beauftragen musste.
Klärungsbedarf
Da die Einsetzung von Kindesvertretungen laufend an Bedeutung gewinnt, bedarf deren fachliche Qualifikation, deren Aufgaben und Amtsführung dringend einer Klärung durch die Rechtsprechung. Wie erwähnt, äussert sich das Gesetz zu den fachlichen Anforderungen und Aufgaben von Kindesvertretungen nicht oder nur ungenügend.
Kindesvertretungen können den Ausgang von familienrechtlichen Verfahren wie Gutachter massiv beeinflussen, ohne aber die für Gutachter geltenden Leitplanken beachten zu müssen. Der Leitentscheid des Bundesgerichts vom 17. Dezember 2015 kollidiert mit den Vorschriften der ZPO über die Amtsführung von sachverständigen Personen.
Die Anordnung von Kindesvertretungen erscheint nur da sinnvoll, wo die anordnende Behörde nicht selber beurteilen kann, was das Wohl des Kindes gebietet, es sei denn, das Bundesgericht würde auf seinen vorerwähnten Leitentscheid zurückkommen und den Kindesvertretungen wieder diejenige Aufgabe zugestehen, die ihnen ein grosser Teil der Lehre immer noch zugesteht: nämlich den subjektiven Standpunkt des Kindes im familienrechtlichen Verfahren der Eltern darzulegen.