Kolumne: Brief aus Hongkong
Valentine Macheret, 26, absolviert einen LL.M.-Studiengang an der City University of Hongkong im Rahmen eines Doppel-Masters mit der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg.
Inhalt
Plädoyer 01/2025
03.02.2025
Seit vergangenem Sommer erweitere ich mein juristisches Wissen mit einem LLM-Programm an der City University of Hongkong. Schon nach kurzer Zeit wurde mir ein wesentlicher Unterschied bewusst: die grundlegende Divergenz der Rechtssysteme.
Hongkong, geprägt vom Prinzip «Ein Land, zwei Systeme», agiert als Sonderverwaltungszone Chinas mit einer bemerkenswerten Eigenständigkeit. Das manifestiert sich in einem eigenen rechtlichen und wirtsc...
Seit vergangenem Sommer erweitere ich mein juristisches Wissen mit einem LLM-Programm an der City University of Hongkong. Schon nach kurzer Zeit wurde mir ein wesentlicher Unterschied bewusst: die grundlegende Divergenz der Rechtssysteme.
Hongkong, geprägt vom Prinzip «Ein Land, zwei Systeme», agiert als Sonderverwaltungszone Chinas mit einer bemerkenswerten Eigenständigkeit. Das manifestiert sich in einem eigenen rechtlichen und wirtschaftlichen System. Als ehemalige britische Kolonie bleibt Hongkong im Common Law tief verwurzelt – ein faszinierender Kontrast zum kontinentaleuropäischen Zivilrecht.
Ich belege Kurse wie «Introduction to Common Law», «Law of Contract» und «Commercial Application of Equity & Trusts», um die Grundlagen dieses Rechtssystems besser zu verstehen. Darüber hinaus profitiere ich vom vergleichenden Einblick in «Corporate Governance, Law & Society in China» und – unverzichtbar in dieser fortgeschrittenen Bankenmetropole – «Digital Money Law».
Der Wechsel von der beschaulichen Schweiz in eine pulsierende Grossstadt war, gelinde gesagt, ein kleiner Kulturschock. In Hongkong ist das Leben geprägt von urbaner Dichte, pausenloser Geschäftigkeit und kultureller Vielfalt, die einen schnellen Perspektivenwechsel erfordert.
Ein eindrückliches Erlebnis der ersten Wochen war ein Taifun, der das öffentliche Leben in Hongkong für 36 Stunden fast vollständig zum Erliegen brachte und die Vorlesungen der Universität kurzfristig ins Internet verlagerte. Das Ereignis erinnerte ein wenig an den Beginn der Corona-Pandemie. Plötzlich stand das gesamte Leben in der Millionenstadt still, selbst die Taxis verschwanden von den Strassen.
Der Unterricht an der City University of Hongkong ähnelt dem in Freiburg – das Gerüst bilden Vorlesungen und Prüfungen. Jedoch unterscheidet sich die Gestaltung der Gruppenarbeiten. Die Teilnehmer der multikulturell zusammengesetzten Arbeitsgruppen stammen aus Hongkong und dem chinesischen Festland bis hin zu Studenten aus Frankreich, Österreich, Spanien, Italien und Norwegen. Das macht ein Zusammenspiel unterschiedlichster Arbeitsweisen und Perspektiven nötig. Im juristischen Bereich erlebe ich täglich, wie kulturelle Unterschiede das Studium und meine persönliche Erfahrung auf vielfältige Weise bereichern.