Schon die Ankündigung, mein Forschungssemester in Huntsville, Texas, verbringen zu wollen, hat in Schweizer Strafrechtskreisen Verwunderung oder gar Befremden ausgelöst. Warum ich denn ausgerechnet nach Texas wolle, wurde ich mehrfach gefragt – immerhin der US-Bundesstaat mit den meisten vollstreckten Todes­urteilen.

Das Strafsystem der USA hat ­international keinen guten Ruf, und das konservative texanische ­System ist auch im Inland umstritten. ­Hunts­ville ist der Inbegriff des ­texa­nischen Strafvollzugs, denn die Stadt ist ­bekannt für ihre zahlreichen ­Gefängnisse und als Vollzugsort der Todesstrafe.

Trotzdem zog es mich für mein Forschungssemester erneut an die Sam Houston State University, nachdem ich hier bereits während meines Kriminologiestudiums ein Austauschjahr verbracht hatte.

Die Universität ist eine der bekanntesten und renommiertesten Adressen für das Studium von Criminal ­Justice & Criminology und auch fachlich ein bereichernder Ort.

Ich geniesse hier den Austausch mit meinen Kolleginnen und ­Kollegen, darunter der aus der  Schweiz stammende Professor Jürg Gerber, und nutze die Zeit, um Tagungen zu besuchen und Gastvorträge zu halten.

Daneben bleibt viel Zeit, um mich in Ruhe meinen verschiedenen Forschungsprojekten zu widmen. Dazu gehören etwa die Erstellung einer Schweizer Datenbank zu den  Tötungsdelikten (Swiss Homicide Monitor) oder die Aktualisierung des Lehrbuchs «Grundriss der ­Kriminologie».

Mein kontemplatives Forsche­rinnendasein wird jeweils nur alle paar Stunden durch einen lang­gezogenen Sirenenton unter­brochen, das Zeichen dafür, dass im ­benachbarten Gefängnis ­wieder ­einmal die Insassen gezählt werden.