Kolumne: Gerichte für Anfänger

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Plädoyer 05/2024

07.10.2024

Milad Al-Rafu

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Die Absolventen der juristischen Fakultät Zürich müssen nicht nur über juristische Kenntnisse verfügen, sondern auch kulinarisch bewandert sein. Zumindest zu Beginn ihrer Karriere am Bezirksgericht Horgen ZH. Dort frönt das Personal einem morgendlichen Ritual, das kein anderes Gericht im Kanton kennt: Die dortigen Auditoren, Gerichtsschreiber und Richter treffen sich jeden Tag zum gemeinsamen Frühstück – von den Mitarbeitern der anderen Bezirksgerichte auch als «Zmorge in Horge» betitelt.
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Das Zubereiten der Brötchen klingt auf den ersten Blick gemütlich. Das gilt allerdings nicht für die Berufseinsteiger, die am Anfang ihrer Karriere während eines Monats jeden Tag einkaufen und den Znüni vorbereiten müssen. Das kann schon mal den halben Vormittag dauern, was sich signifikant auf die Ausbildungszeit auswirkt. Fairerweise wird diese Pflicht im Bewerbungsgespräch angesprochen.
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Und immerhin zählt das Vorbereiten des Znünis zum Netto-Ausbildungsjahr für die Anwaltsprüfung. Wer den Juristenberuf schon immer als Brotjob betrachtete, lernt in Horgen, dass er seinen Lohn tatsächlich auch mit dem Zubereiten des Frühstücks verdient.
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Hinweise auf willkommene kulinarische Kenntnisse im Juristenberuf gibt es bereits während des Studiums. Weshalb wurde die Studienreform gerade nach Bologna, der Hauptstadt der Kulinarik, benannt, die dem wohl beliebtesten Pastagericht in der Schweiz ihren Namen gab? Auch Seminare an der Uni Zürich wie zum Beispiel «Wein und Recht» geben das Lernziel vor. Grundkenntnisse zum Schaum- und Branntweinrecht sind unumgänglich.
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Das Erlernte ist dann an den Apéros anwendbar, die an den Gerichten für einen erträglichen Übergang ins Wochenende sorgen. Das Bezirksgericht Zürich zum Beispiel trifft sich jeden Freitagabend zum gemeinsamen Umtrunk. Der Anlass ist offiziell freiwillig. Doch vor allem von den Auditoren wird eine gewisse «Apérodisziplin» erwartet.
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Das Gleiche gilt für die Teilnahme an der gemeinsamen morgendlichen Kaffeepause des Gerichts. Der dortige Smalltalk kann gemäss Informationen von Augenzeugen zwar trockener sein als die Znünibrote am Bezirksgericht Horgen. Wichtig ist aber auch hier für Berufsanfänger die Erkenntnis, dass das Wort «Gericht» in der deutschen Sprache eine Doppelbedeutung hat.

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