Kolumne: Neue freie Mitarbeiter der Rechtspflege
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Plädoyer 01/2025
03.02.2025
René Schuhmacher
Anwälte sind keine «Organe der Rechtspflege» und keine «Gehilfen der Richter» mehr. Davon nahm das Bundesgericht schon vor über 40 Jahren Abstand. Deshalb dürfen Rechtsvertreter heute kompromisslos die Interessen ihrer Mandanten vertreten, ohne Nachteile zu riskieren. Neu sind sie aber «Mitarbeiter der Rechtspflege». Das geht aus einem Entscheid des Bundesgerichts kurz vor Weihnachten hervor. Es hatte über eine Beschwerde ...
Anwälte sind keine «Organe der Rechtspflege» und keine «Gehilfen der Richter» mehr. Davon nahm das Bundesgericht schon vor über 40 Jahren Abstand. Deshalb dürfen Rechtsvertreter heute kompromisslos die Interessen ihrer Mandanten vertreten, ohne Nachteile zu riskieren. Neu sind sie aber «Mitarbeiter der Rechtspflege». Das geht aus einem Entscheid des Bundesgerichts kurz vor Weihnachten hervor. Es hatte über eine Beschwerde gegen einen Beschluss des Zürcher Kantonsrats zu entscheiden. Danach dürfen Anwälte ab 2026 nur noch elektronisch mit dem Verwaltungsgericht kommunizieren.
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Die Begründung muss ein gedanklicher Kraftakt gewesen sein. Der Zwang zum elektronischen Verkehr verletze zwar die Wirtschaftsfreiheit. Unter die Wirtschaftsfreiheit falle nämlich auch die Organisation einer Kanzlei. Die Umstellung sei aber nur ein «kurzfristiger organisatorischer Mehraufwand». Denn das «Signieren und Versenden von Eingaben» gehöre «nicht zu den Kernaufgaben» von Anwälten. Die Lausanner Richter scheinen noch nie kurz vor Schliessung des Dringlichkeitsschalters auf der Zürcher Sihlpost gewesen zu sein. Dort geben sich Anwälte die Klinke in die Hand und nicht Sekretariatspersonal.
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Eingriffe in ein Grundrecht dürfen laut Entscheid nur erfolgen, wenn daran ein öffentliches Interesse besteht. Dieses liegt offenbar darin, dass der Zürcher Regierungsrat dafür sorgen muss, dass die Verwaltung «rechtmässig, effizient, kooperativ, sparsam und bürgerfreundlich handelt». Nun sind Anwälte aber nicht Teil der Verwaltung. Dieses Problem wird im Urteil so gelöst: Anwälte nähmen zwar «keine hoheitlichen Aufgaben wahr», seien aber «Mitarbeiter der Rechtspflege». Und an die Adresse von Anwälten geht der Tipp: Elektronisch liessen sich Rechtsschriften einreichen, «ohne auf die örtliche und zeitliche Verfügbarkeit von Leistungen der Post angewiesen zu sein».
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Die neue Pflicht der Anwälte zur digitalen Kommunikation ist in den Augen des Gerichts auch verhältnismässig. Datenschutz, Anwaltsgeheimnis und Postgeheimnis finden keine Erwähnung im Entscheid, dafür aber Meinungsumfragen der Organisation «Digitale Verwaltung Schweiz», der Technischen Universität München und der Wirtschaftsprüfungsfirma Deloitte. Gefragt wurde, ob der Staat neue Technologien zur Erhöhung der Effizienz der Verwaltung einsetzen solle. Die Meinung der Anwälte zur Frage von elektronischen Eingaben wurde dagegen nicht erhoben. Dazu gäbe es aber durchaus aussagekräftige Zahlen: Im Jahr 2023 gingen beim Bundesgericht gerade einmal 5 Prozent der Eingaben auf elektronischem Weg ein.