Kolumne: Schweizer Recht, Import und Export

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Plädoyer 01/2024

05.02.2024

Karl Kümin

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Studenten dürfen in wissenschaftlichen Arbeiten nicht abschreiben. Wer erwischt wird, fällt durch. Ganz anders halten es Rechtsgelehrte, die Gesetze entwerfen: Der Bund übernimmt grosszügig das Recht von den EU-Staaten. Laut Studien sind 30 bis 50 Prozent der Schweizer Gesetze vom EU-Recht bestimmt.
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Mit dem Abschreiben auf die Spitze trieben es aber die Chefjuristen der frisch gegründeten Türkischen Republik. Sie übernahmen 1926 das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) und das Obligationenrecht (OR) fast wörtlich. Vedat Buz ist Professor an der Bilkent-Universität in Ankara. In der Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins vom September schreibt er, der damalige türkische Justizminister habe erklärt, das Schweizerische Zivilgesetzbuch sei «das neuste, das vollkommenste und das volkstümlichste».
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Für Buz ist ein Gesetz dann volkstümlich, «wenn es in der Sprache des Volkes geschrieben und für jedermann verständlich ist». Das sei auch für den ZGB-Vater Eugen Huber wichtig gewesen. Zudem sollten Absätze «selten mehr als einen Satz» enthalten. Heutige Anwälte können nur davon träumen, dass Gesetzgeber und Gerichte ihre Rechtstexte nach diesen Grundsätzen verfassen. Buz hat jedoch auch eine ganz naheliegende Antwort für den Import der Schweizer Gesetze: Der damalige türkische Justizminister studierte in der Schweiz und kannte dieses Rechtssystem am besten. Durch dessen Übernahme musste er im Heimatland nichts dazulernen.
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Seither hat die Türkei auch die Revisionen von OR und ZGB akribisch übernommen. Und trotz dem Scheitern der Revision des Haftpflichtrechts in der Schweiz habe die Türkei einzelne Haftungsbestimmungen dem Entwurf entnommen. «Das neue türkische OR ist sozusagen noch schweizerischer als das schweizerische», resümiert Vedat Buz.
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Ähnlichkeiten haben die beiden Staaten nicht nur im Zivilrecht. Im Verhältnis zur Bevölkerung kassierten 2023 beide Staaten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ähnlich viele Verurteilungen. Für die Schweiz gab es 0,79 Verurteilungen pro Million Einwohner – für die Türkei 0,84.
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Die Schweiz liess sich auch von der Türkei inspirieren. Dort galt jahrzehntelang ein Kopftuchverbot. Die Schweiz zog mit einer Bekleidungsvorschrift nach – und hat seit 2021 das Burkaverbot in der Verfassung. Die Türkei hat das Kopftuchverbot inzwischen aufgehoben. Offen ist, wie lange die schweizerische Verfassung an Kleidervorschriften festhält.

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