Kolumne: Versuch und Irrtum
Inhalt
Plädoyer 03/2023
29.05.2023
Benjamin Rothschild
Es ist so eine Sache mit polizeilichen Zwangsmitteln: Das Thema ist emotional, es scheint sich einer wissenschaftlichen Aufarbeitung zu entziehen. Weshalb man mit Gummigeschossen auf Menschen schiessen oder ihnen mit Tasern Stromstösse zuführen soll, ist nicht so leicht zu vermitteln. Zahlen zu Verletzungen mit Gummischrot oder zur Gefährlichkeit von Elektroschockgeräten wurden von Seiten der Behörden bislang nicht präsentiert, wohl nicht einmal erhoben...
Es ist so eine Sache mit polizeilichen Zwangsmitteln: Das Thema ist emotional, es scheint sich einer wissenschaftlichen Aufarbeitung zu entziehen. Weshalb man mit Gummigeschossen auf Menschen schiessen oder ihnen mit Tasern Stromstösse zuführen soll, ist nicht so leicht zu vermitteln. Zahlen zu Verletzungen mit Gummischrot oder zur Gefährlichkeit von Elektroschockgeräten wurden von Seiten der Behörden bislang nicht präsentiert, wohl nicht einmal erhoben. Stattdessen wird die Debatte darüber gerne mit einem anderen Stilelement geführt: Dem Selbstversuch der starken Männer.
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Als es 2007 etwa darum ging, die breite Anwendung des Tasers im Zwangsanwendungsgesetz zu verankern, liess der damalige Justizminister Christoph Blocher verlauten, er habe das Gerät an sich selbst ausprobiert – und den Selbstversuch «unbeschadet überstanden». Das liess sich zwar nicht nachprüfen, insbesondere auch nicht, wer mit dem Taser auf ihn schiessen durfte.
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Mit Gummigeschossen scheint es sich ähnlich zu verhalten: Ärzteorganisationen verlangten wiederholt Erhebungen zu Augenschäden. Doch damit wollen sich die Polizeikorps lieber nicht herumschlagen. Stattdessen setzt man auch in diesem Bereich auf Selbsterfahrung: So sagte ein ehemaliger Basler Polizeikommandant plädoyer, dass seine Truppe die Gummigeschosse am eigenen Leib ausprobiert hätte. «Fuudi aane!», habe die entsprechende Order gelautet. Das Problem, dass Gummigeschosse immer wieder gerade nicht aufs «Fuudi» sondern ins Auge gehen, wurde bei der Truppenübung aus nachvollziehbaren Gründen ausgeblendet.
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Das jüngste Beispiel eines solch offenbar nicht ganz realitätsgetreuen Selbstversuches stammt aus dem Zürcher Polizei- und Justizzentrum. Dort konnten sich Freiwillige vor Inbetriebnahme des Gefängnistraktes für zwei Tage einsperren lassen, damit das Personal ein bisschen üben konnte. Für die Realität brachte das wenig. Nach Eröffnung des Polizeizentrums liess das überforderte Personal vier Häftlinge versehentlich frei, wie Anfang April bekannt wurde. Andere wurden länger als vorgesehen in Haft behalten.