Der Nebel hängt an diesem Wintertag schwer über Bauma im Zürcher Tösstal. Doch Roger Fuchs (Name geändert) ist optimistisch, als er auf der Terrasse des Pflegezentrums Gymnastikübungen macht: «Die Sonne wird sich zeigen», sagt er. Der 79-Jährige ist gut gelaunt, obwohl er ein schweres Schicksal hat. Vor sechs Jahren verletzte er eine Pflegerin in einem Altersheim mit dem Messer.
Das Gericht verurteilte ihn wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Eine Freiheitsstrafe kam jedoch nicht in Frage, weil er schuldunfähig war. Die Gutachter attestierten ihm eine Schizophrenie. Es wurde eine stationäre Massnahme nach Artikel 59 StGB verhängt, die kleine Verwahrung.
Wegen seines hohen Alters landete Fuchs nach mehreren Stationen in Bauma. Die Lebensbedingungen hier seien im Vergleich zum Aufenthalt in anderen Anstalten «vorzüglich», sagt Fuchs.
Das Pflegezentrum Bauma ist ein Sonderfall im Schweizer Strafvollzug: Es ist die einzige private Institution mit geschlossenen Abteilungen. Von den 162 Bewohnern sind über 50 im Zusammenhang mit einem Delikt hier untergebracht: Personen mit der kleinen Verwahrung gemäss Artikel 59 StGB. Andere befinden sich wegen ihres Gesundheitszustands im modifizierten Strafvollzug (Artikel 80 StGB): Sie sind pflegebedürftig. Sieben Personen sind ordentlich verwahrt nach Artikel 64 StGB: Sie sind in einer eigenen Pflegeabteilung untergebracht.
Nach Bauma kommen Fälle, die in anderen Einrichtungen nicht versorgt werden können. «In der Praxis ist es so, dass in staatlichen Strafvollzugsanstalten oder psychiatrischen Kliniken die Spitex kommt, wenn Insassen gepflegt werden müssen. Wird der Aufwand zu gross, kommen die Betroffenen zu uns», sagt Anton Distler, Leiter Pflege. Die durchschnittliche Verweildauer betrage acht Jahre, nicht wenige Bewohner würden bis an ihr Lebensende hier bleiben.
Viele ungeklärte Fragen zu Zwangsmassnahmen
Skeptisch beäugt wird das Pflegezentrum etwa von Benjamin Brägger. Er ist seit über 30 Jahren im Bereich Freiheitsentzug tätig und sieht es kritisch, wenn private Institutionen Aufgaben im geschlossenen Straf- und Massnahmenvollzug wahrnehmen. Es gebe zu diesem Thema «enorm viele Fragen», die nicht geklärt seien. Aus grundrechtlicher Sicht am drängendsten seien diese, wenn es um unmittelbaren Zwang gehe.
Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter, die das Pflegezentrum Bauma im Sommer 2023 besuchte, befasste sich unter anderem mit freiheitsbeschränkenden Massnahmen im Pflegezentrum. Die Rede ist von Zwangsmedikationen und von vier auf verschiedene Abteilungen verteilten Isolationszimmern.
Laut Pflegeleiter Distler werden in Bauma keine Zwangsmedikationen durchgeführt. «Die Bewohner werden in solchen Fällen in der Regel in eine externe Klinik verlegt.» Die Isolationszimmer kämen «nur in Notfällen wegen hochakuter Fremd- und Selbstgefährdung» sowie auf Anordnung von Ärzten, die vor Ort sind, zum Einsatz. Länger als vier Stunden verbleibe niemand in der Isolationszelle. Beruhige sich die betroffene Person nicht, werde sie in eine psychiatrische Klinik verlegt. Gemäss Distler wird über den Gebrauch der Isolationszelle Protokoll geführt, Betroffene werden über Beschwerdemöglichkeiten aufgeklärt.
Laut Brägger darf die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung kein «Alibi» für eine unzureichende gesetzliche Regelung sein. «Will man, dass Private unmittelbaren Zwang anwenden dürfen, muss dies das Parlament des betroffenen Kantons im Justizvollzugsgesetz so regeln.» Ohne formelle gesetzliche Delegation des Gewaltmonopols sei eine solche Praxis «äusserst unbefriedigend, ja grundrechtswidrig».
Beaufsichtigt wird das Pflegezentrum vom Bezirksrat Pfäffikon. Er führt jährlich Kontrollen vor Ort durch. Die Oberaufsicht liegt bei der Gesundheitsdirektion. Benjamin Brägger sagt, dass es zusätzlich auch einer Bewilligung und der Aufsicht durch die Justizdirektion bedürfe. «Es geht ja auch um die Sicherheit, um Grundrechte und um die Zusammenarbeit mit den Justizvollzugsbehörden.» Eine Mindestanforderung ist für ihn eine Zertifizierung durchs Ostschweizer Strafvollzugskonkordat. Seit Oktober hat Bauma ein solches Zertifikat. Laut Brägger gewährleiste dies, dass solche Institutionen vollzugsrechtliche Minimalstandards einhielten.
“Pflege von Gefangenen ist eine Staatsaufgabe”
Das Pflegezentrum Bauma wird von einer Aktiengesellschaft betrieben. Sie gab plädoyer keinen Einblick in die Geschäftszahlen. Laut Anton Distler werden seit Jahren keine Dividenden ausbezahlt. Die Gewinne würden reinvestiert, zum Beispiel in einen Neubau mit 28 Betten und zwei Tiefgaragen. Staatliche Subventionen erhalte man keine. Die Pflegeleistungen würden mit den Krankenkassen, die Betreuungsleistungen für Bewohner aus dem Straf- und Massnahmenvollzug mit den Zürcher Justizbehörden abgerechnet.
Für Brägger ist die Versorgung von pflegebedürftigen Gefangenen und Massnahmenbetroffenen eine Staatsaufgabe. Aus Kostengründen nehme sich der Staat aus der Verantwortung und delegiere den Vollzug an Bauma. Den damit verbundenen unangenehmen Fragen weiche er aus.
“Vollzugsbedingungen nicht menschenrechtskonform”
Im Jahr 2023 besuchte die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) zweimal das Pflegezentrum Bauma. Die Besuche waren wenige Tage zuvor angekündigt worden. Die NKVF stufte die Vermischung von Insassen im Straf- oder Massnahmenvollzug mit solchen mit einer fürsorgerischen Unterbringung als «problematisch» ein. Das könne zu «ausgesprochen schwierigen Abgrenzungsfragen, einem reduzierten Grundrechtsschutz und einem intransparenten Rechtsweg» führen.
Weiter kritisierte die NKVF die unübersichtliche und verschachtelte Wirkung des Gebäudes und dass Räume und Aussenbereiche nicht wohnlich wirkten. Mangelnde Bewegungsmöglichkeiten hätten vor allem auf Bewohner mit einer Verwahrung nach Artikel 64 StGB negative Auswirkungen. Die Vollzugsbedingungen der Verwahrten stufte die NKVF als «nicht menschenrechtskonform» ein. Die medizinische und pflegerische Versorgung sowie Personal hinterliessen einen positiven Eindruck.
In einer Stellungnahme vom Mai 2024 sagte das Pflegezentrum Bauma dazu, dass im NKVF-Bericht zumeist «subjektive Eindrücke oder selektive Wahrnehmungen» vermittelt würden und weniger «messbare Fakten».