Eine seltsame Blüte des Föderalismus ist das Verhältnis der Kantone zum Laienrichtertum. In Zürich werden seit 2016 nur noch Richter mit juristischer Ausbildung gewählt, der Kanton Luzern machte diesen Schritt schon 2010. Doch unweit davon gedeiht das kontrovers diskutierte Institut weiterhin: Im Kanton Uri finden sich Richter ohne juristische Ausbildung nicht nur an den unteren Gerichten, sondern auch an der höchsten kantonalen Instanz, am Obergericht. Sie sind dort sogar in der Überzahl. Von den 13 Richtern verfügen lediglich drei über einen Jus-Abschluss. Auch jener Richter, der die strafprozessuale Beschwerdeinstanz bildet, kann kein universitäres Abschlusszeugnis vorweisen. Immerhin ist er Ehrenpräsident eines lokalen Theatervereins, der gemäss Eigenbeschrieb «die Magie und den Zauber des Broadways» in die Innerschweiz bringt.
Die in der New Yorker Theaterszene hochgehaltene Diversität geht dem Urner Obergericht aber zumindest in altersmässiger Hinsicht weitgehend ab: Nur zwei der 13 Richter sind Jahrgang 1960 oder jünger. Sieben haben das für Normalsterbliche geltende Pensionsalter 65 überschritten, der älteste Richter hat stolze 74 Jahre auf dem Buckel. Er verfügt damit zweifellos über jene «Lebenserfahrung», die Befürworter des Laienrichtertums den nicht juristischen Vertretern der Judikative gerne zusprechen.
Diese Erdung hebt auch Rolf Dittli hervor, seit 1995 Präsident des Urner Obergerichts, wenn er über die Eigenheiten «seines» Gerichts spricht. «Wenn es um die Sachverhaltsabklärung oder um Ermessensfragen geht, können Laienrichter aus ihrer reichen Berufserfahrung schöpfen.» Er sei immer wieder erstaunt, welche Widersprüche sie bei Fallbesprechungen aufdecken würden. Dittli räumt aber ein, dass für die Juristen der Umgang mit den Laien «herausfordernd» sein könne. Offenbar so herausfordernd, dass eine Richterin mit juristischem Hintergrund in den letzten Jahren das Weite gesucht hat.
Insgesamt ist die Bilanz für den Gerichtspräsidenten aber zufriedenstellend: In den Jahren 2018 und 2019 erledigte das Urner Obergericht 266 Fälle. In diesem Zeitraum wurden 43 Beschwerden ans Bundesgericht erhoben, wovon nur 9 ganz oder teilweise gutgeheissen wurden. «Das ist eine ordentliche Quote», so Dittli.
Doch was sagt Dittli zum Durchschnittsalter an seinem Gericht? Er wünsche sich auf den Richterbänken eine möglichst gute Mischung. Es sei jedoch so, dass die Parteien, welche die Richterkandidaten portieren, dafür nur sehr selten junge Leute finden würden. Der Arbeitsalltag sei stressiger geworden, nebenamtliche Laienrichter fänden sich immer seltener.
Man könnte es auch anders formulieren: Richten ist ein Beruf, für den man sich Zeit nehmen muss. Und diese Zeit haben im Kanton Uri offenbar fast nur noch Rentner.