Im Dublin-Verfahren spätere Umstände berücksichtigen
Asylsuchende können gemäss Entscheid des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg Umstände, die nach Erlass einer Überstellungsentscheidung gemäss Dublin-III-Verordnung eingetreten sind, im Rahmen einer Beschwerde gegen die Entscheidung geltend machen.
Im beurteilten Fall beantragte H. A. in Belgien Asyl. Sein Antrag wurde zurückgewiesen, da die spanischen Behörden bereits zugesagt hatten, ihm Asyl zu gewähren. Er erhielt eine Entscheidung zur Überstellung nach Spanien. Kurz darauf reiste sein Bruder in Belgien ein und stellte ebenfalls einen Asylantrag. H. A. legte daraufhin eine Beschwerde gegen die Überstellungsentscheidung ein und machte geltend, dass die beiden Asylanträge zusammen geprüft werden müssen. Die Beschwerde wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Bruder von H. A. nach Erlass der streitigen Entscheidung nach Belgien eingereist sei und dieser Umstand für die Prüfung ihrer Rechtmässigkeit daher nicht berücksichtigt werden könne. H. A. gelangte mit Kassationsbeschwerde an den Conseil d’État und machte einen Verstoss gegen sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf geltend, wie er sich aus der Dublin-III-Verordnung und Art. 47 der Grundrechtecharta ergebe. Unabhängig von der Feststellung, ob sich die Einreise des Bruders tatsächlich auf die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags von H. A. auswirken könne, gelangte der Conseil d’État an den EuGH. Zu klären war die Frage, ob sich Asylbewerbende auf Umstände berufen können, die nach Erlass einer Überstellungsentscheidung eingetreten sind.
Das Urteil der Grossen Kammer des EuGH besagt, dass nationale Rechtsvorschriften dem Unionsrecht entgegenstehen, wenn sie vorsehen, dass nach einer Überstellungsentscheidung eingetretene, entscheidende Umstände, nicht berücksichtigt werden dürfen. Es sei aber Sache der Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie die Art des Rechtsbehelfs zu definieren.
Urteil des Gerichtshofs (Grosse Kammer) vom 15.4.2021, H. A. c. État belge, C‑194/19, EU:C:2021:270
Klage gegen EU-Klimapaket endgültig abgewiesen
Der EuGH bestätigt seinen Beschluss über die Unzulässigkeit der Klage gegen das Klimapaket der Union von 2018. Die Klage am Gericht der EU hatten Familien erhoben, die in der Landwirtschaft oder im Tourismus tätig sind, sowie ein schwedischer Verband, der junge indigene Samen vertritt. Sie forderten, die Europäische Union solle für die Reduktion von Treibhausgasemissionen schärfere Massnahmen als im vorgesehenen Gesetzespaket von 2018 ergreifen. Die Klagenden beantragten insbesondere, das Klimapaket für nichtig zu erklären, soweit darin festgelegt werde, die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, und anzuordnen, dass der Rat der EU und das Europäische Parlament Massnahmen erlassen, die Reduktionen um mindestens 50 bis 60 Prozent vorschreiben.
Mit Beschluss stellte das Gericht 2019 fest, die Klage sei unzulässig, da die Klagenden nicht aktivlegitimiert seien. Die Klagenden seien vom Gesetzespaket nicht individuell betroffen. Mit seinem Urteil vom 25. März 2021 weist der Gerichtshof nun das Rechtsmittel gegen den Beschluss des Gerichts zurück und bestätigt damit endgültig die Abweisung der Klage gegen das Klimapaket.
Urteil des Gerichtshofs vom 25.3.2021, Armando Carvalho u.a. / Parlament und Rat, C‑565/19 P, EU:C:2021:252
Kein Algenpulver für Bio-Reisgetränke
Das deutsche Unternehmen Natumi stellt Soja- und Reisgetränke her. Es setzt diesen eine Alge in Form eines Pulvers zu, welches überwiegend aus Calciumcarbonat besteht. Natumi vertreibt seine Getränke mit Bio-Kennzeichnung. Das Land Nordrhein-Westfalen leitete gegen Natumi ein Bussgeldverfahren ein, da die Verwendung von Calciumcarbonat als Mineralstoff für die Anreicherung von Bioprodukten mit Calcium unzulässig sei. Natumi brachte vor, die Alge stelle eine natürliche Alternative zu Calcium dar, deren Verwendung zur Anreicherung biologischer Lebensmittel erlaubt sein müsse. Das deutsche Bundesverwaltungsgericht ersuchte deswegen den EuGH um Auslegung des Unionsrechts.
Der EuGH stellt in seinem Urteil fest, dass das Unionsrecht der Verwendung des in Rede stehenden Algenpulvers als nichtbiologische Zutat landwirtschaftlichen Ursprungs bei der Verarbeitung biologischer Lebensmittel wie biologischen Reis- und Sojagetränken zu deren Anreicherung mit Calcium entgegensteht. Die Verwendung einer nichtbiologischen Zutat landwirtschaftlichen Ursprungs in biologischen Lebensmitteln ist nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, etwa wenn ohne diese Zutat diese Lebensmittel nicht hergestellt oder haltbar gemacht werden können.
Urteil des Gerichtshofs vom 29.4.2021, Natumi GmbH / Land Nordrhein-Westfalen, C-815/19, EU:C:2021:336 tn