Wettbewerbsrecht: Keine doppelte Strafverfolgung
Die Grosse Kammer des EuGH hat mit den Urteilen Bpost und Nordzucker den Schutz konkretisiert, den das Unionsrecht gegen die doppelte Strafverfolgung im Wettbewerbsrecht bietet. Der Grundsatz ne bis in idem – das Verbot der doppelten Strafverfolgung – ist in Artikel 50 der Grundrechtecharta verbrieft.
Die belgische Regulierungsbehörde für den Postsektor büsste die Firma Bpost im Juli 2011 wegen einer diskriminierenden Geschäftspraxis. Die Cour d’appel de Bruxelles hob den Entscheid 2016 auf. Im Dezember 2012 verhängte die belgische Wettbewerbsbehörde eine zweite Busse wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung aufgrund der Rabattregelung. Bpost wehrte sich gegen diese Busse und argumentierte, der Grundsatz ne bis in idem verbiete eine Bestrafung.
Die Grosse Kammer entschied, der Grundsatz ne bis in idem stehe einer Sanktionierung eines Unternehmens wegen eines Verstosses gegen das Wettbewerbsrecht nicht entgegen, wenn gegen dieses im Hinblick auf denselben Sachverhalt wegen Missachtung einer spezifischen Regelung bereits eine endgültige Entscheidung ergangen sei. Die Kumulierung von Verfolgungsmassnahmen und Sanktionen setze aber klare und präzise Regeln voraus. Es müsse vorhersehbar sein, bei welchen Handlungen und Unterlassungen eine Kumulierung in Frage komme. Zudem müssten die beiden Verfahren hinreichend koordiniert und in engem zeitlichem Zusammenhang geführt worden sein. Und die Gesamtheit der verhängten Sanktionen müsse der Schwere der begangenen Straftaten entsprechen. Andernfalls liege bei der zweiten Behörde, die tätig wird, ein Verstoss gegen das Verbot der doppelten Strafverfolgung vor.
In der Rechtssache Nordzucker befasste sich der Oberste Gerichtshof in Österreich mit einem Rekurs der österreichischen Wettbewerbsbehörde. Im Verfahren geht es auch um ein Telefonat, bei dem Vertreter von Nordzucker und einer anderen Unternehmung über den österreichischen Zuckermarkt sprachen. Dieses Telefonat wurde bereits von der deutschen Wettbewerbsbehörde in einer rechtskräftig gewordenen Entscheidung gegen Nordzucker erwähnt.
Die Grosse Kammer entschied auch im Nordzucker-Fall, dass der Grundsatz ne bis in idem der Sanktionierung eines Unternehmens grundsätzlich nicht entgegenstehe, auch wenn das Verhalten bereits von einer Wettbewerbsbehörde in einem anderen Mitgliedstaat erwähnt wurde. Die Entscheidung zur Sanktionierung dürfe jedoch nicht aufgrund der Feststellung einer wettbewerbswidrigen Handlung der Behörde aus dem Ausland getroffen werden. Falls dies zutreffe, verstosse die zweite Wettbewerbsbehörde, die Verfolgungsmassnahmen einleitet, gegen das Verbot der doppelten Strafverfolgung.
Die Grosse Kammer hielt zudem im Fall Nordzucker fest, dass ne bis in idem auch in Verfahren relevant ist, in denen die Kronzeugenregelung zur Anwendung kommt und deswegen keine Geldbusse verhängt wird. Ein Verstoss gegen das Wettbewerbsrecht dürfe in solchen Fällen lediglich festgestellt, jedoch nicht sanktioniert werden.
Urteile der Grossen Kammer des Gerichtshofs vom 22.3.2022, Bpost, C-117/20, EU:C:2022:202 und Nordzucker, C-151/20, EU:C:2022:203.
Voraussetzungen für einen Vertragsschluss per Internet
Der EuGH entschied mit dem Urteil Fuhrmann-2 ein Vorlageverfahren zum wirksamen Zustandekommen von Verträgen, die auf elektronischem Weg geschlossen wurden. Das Verfahren betraf die deutsche Gesellschaft Fuhrmann-2, Eigentümerin eines Hotels in Krummhörn-Greetsiel (D). Die Zimmer werden auch über die Webseite www.booking.com vermietet. Am 19. Juli 2018 rief ein Kunde diese Webseite auf, um für Mai 2019 nach Hotelzimmern in Krummhörn-Greetsiel zu suchen. Unter den angezeigten Suchergebnissen befanden sich auch die Zimmer im Hotel von Fuhrmann-2. Der Interessent klickte auf die Bilder des Hotels, worauf ihm die verfügbaren Zimmer und weitere Informationen wie die Preise für den gewählten Zeitraum angezeigt wurden. Er beschloss, vier Doppelzimmer zu reservieren, und klickte auf die Schaltfläche «Ich reserviere». Anschliessend gab er seine persönlichen Daten sowie die Namen der Mitreisenden ein und klickte auf eine Schaltfläche mit den Worten «Buchung abschliessen».
Der Kunde erschien am gebuchten Datum nicht im Hotel und Fuhrmann-2 stellte gemäss den AGB Stornierungskosten in Höhe von 2240 Euro in Rechnung. Er zahlte den geforderten Betrag nicht. Das Hotel klagte den Betrag am Amtsgericht Bottrop ein. Das Amtsgericht hatte zu prüfen, ob im Rahmen eines Bestellvorgangs zum Abschluss eines Fernabsatzvertrags auf elektronischem Wege die Formulierung auf der Schaltfläche «Buchung abschliessen» den Worten «zahlungspflichtig bestellen» entspricht. Mit seiner Vorlage wollte das Amtsgericht vom EuGH deswegen wissen, ob es dabei ausschliesslich auf die Worte auf der Schaltfläche ankomme oder ob auch die Begleitumstände des Bestellvorgangs zu berücksichtigen seien.
Der EuGH unterstrich, die Richtlinie 2011/83 über die Rechte der Verbraucher bei elektronischen Vertragsschlüssen verlange eine ausdrückliche Information der Verbraucher, wenn sie eine Zahlungsverpflichtung eingehen. Aus dem Wortlaut der Richtlinie ergebe sich, dass die Schaltfläche für die Bestellung mit eindeutigen Angaben zu kennzeichnen sei. In der Richtlinie selbst wird die Formulierung «zahlungspflichtig bestellen» angeführt, jedoch geht aus ihrem Wortlaut hervor, dass es sich dabei um ein Beispiel handle. Die Mitgliedstaaten seien ermächtigt, die Verwendung jeder anderen entsprechenden Formulierung zu gestatten, sofern diese im Hinblick auf das Eingehen der Verpflichtung eindeutig ist. Aus dem Wortlaut der Richtlinie ergebe sich allerdings, dass allein die Worte auf der Schaltfläche bei der Prüfung zu berücksichtigen sind. Die Begleitumstände spielen keine Rolle.
Das Amtsgericht Bottrop muss nun prüfen, ob der Begriff «Buchung» in der deutschen Sprache sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch in der Vorstellung der normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher zwangsläufig und systematisch mit der Begründung einer Zahlungsverpflichtung in Verbindung gebracht wird. Falls es dies verneint, hat es festzustellen, dass der Ausdruck «Buchung abschliessen» mehrdeutig ist und somit nicht den Worten «zahlungspflichtig bestellen» in der Richtlinie 2011/83 entspricht.
Urteil des Gerichtshofs C-249/21 vom 7.4.2022, Fuhrmann-2, EU:C:2022:269