Opfer von Datenlecks können Schadenersatz fordern
Entwenden Hacker bei Behörden oder Unternehmen persönliche Daten, steht Betroffenen aufgrund der Datenschutzgrundverordnung unter Umständen Schadenersatz zu. Das hält der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Vorabentscheidungsverfahren fest. Die Befürchtung, dass jemand die personenbezogenen Daten
missbräuchlich verwende, könne einen «immateriellen Schaden» darstellen. Das Urteil stärkt Opfern den Rücken, denn es ist für sie oft schwierig, einen materiellen Schaden nachzuweisen.
Der Fall geht auf ein Datenleck einer Behörde des bulgarischen Finanzministeriums zurück, das 2019 bekannt geworden war. Betroffen waren mehr als sechs Millionen Personen, darunter auch ausländische Staatsangehörige. Hunderte von ihnen verklagten die Behörde auf Schadenersatz.
Die Klägerin forderte 1000 Lew, umgerechnet rund 475 Franken, gestützt auf Artikel 82 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Sie befürchte einen Missbrauch ihrer im Internet aufgetauchten persönlichen Daten – zum Beispiel eine Erpressung oder eine Entführung.
Das Verwaltungsgericht in Sofia wies die Klage ab, die Klägerin gelangte an das oberste
Verwaltungsgericht Bulgariens. Dieses ersuchte den EuGH um einen Vorabentscheid, wie die DSGVO auszulegen sei.
Der EuGH hält in seinem Urteil fest, dass ein Opfer Schadenersatz von einer Behörde oder einem Unternehmen einfordern könne, wenn persönliche Daten verloren gegangen seien. Der Schaden muss «einen bestimmten Grad an Erheblichkeit» erreichen. Dagegen spiele es keine Rolle, ob die missbräuchliche Verwendung der persönlichen Daten schon erfolgt ist. Es reicht aus, wenn ein immaterieller Schaden «mit der Angst verknüpft ist, dass eine solche Verwendung in Zukunft erfolgen könnte».
Die nationalen Gerichte haben dann konkret zu beurteilen, ob die Schutzmassnahmen der Behörde oder des Unternehmens ausreichend im Sinne von Artikel 32 DSGVO waren. Die Beweislast liegt beim Datenbetreiber, nicht beim Opfer.
Dass Hacker am Werk waren, macht Schadenersatzansprüche nicht per se hinfällig. Umgekehrt bedeutet die Entwendung der Daten durch Kriminelle auch nicht automatisch, dass die Schutzmassnahmen ungenügend waren.
Urteil C-340/21 vom 14.12.2023, VB, ECLI:EU:C:2023:986
Anspruch auf Sozialhilfe nach Familiennachzug in ein EU-Land
Ein Mitgliedstaat der Europäischen Union kann das Aufenthaltsrecht von ausländischen Familienangehörigen von Erwerbstätigen nicht davon abhängig machen, dass sie keine Sozialhilfe beanspruchen. Das entschied der EuGH im Fall einer Rumänin, die in Irland bei der Tochter lebte und von ihr finanziell unterstützt wurde.
Die Freizügigkeitsrichtlinie gibt in Artikel 7 Absatz 1 litera b das Recht auf einen Aufenthalt in einem anderen EU-Land, wenn jemand selbst oder durch Familienmitglieder «über ausreichende Existenzmittel verfügt» und «keine Sozialhilfeleistungen» in Anspruch nehmen muss.
Die Rumänin zog 2017 zur Tochter nach Irland, die dort erwerbstätig war und sich 2016 hatte einbürgern lassen. Die Tochter kam für ihren Unterhalt auf. Die Mutter erhielt deshalb ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige gemäss Artikel 2 Absatz 2 litera d der Freizügigkeitsrichtlinie.
Im September 2017 stellte die Rumänin wegen zunehmender Arthritis Antrag auf Invaliditätsbeihilfe. Der Antrag wurde abgelehnt. Begründung: Bezöge die Mutter solche Sozialhilfe, würde sie ihr Aufenthaltsrecht verlieren, das mit der Unterstützung durch die Tochter verknüpft sei. Denn die Mutter wäre dann von der Sozialhilfe abhängig und nicht mehr von der Tochter. Umgekehrt werde die Invaliditätsbeihilfe nur an Leute mit Aufenthaltsrecht gezahlt.
In fünfter Instanz ersuchte der Court of Appeal den EuGH, die Problematik mit einem Vorabentscheid zu klären.
Gemäss dem Urteil des EuGH erweist sich die Erwerbstätigkeit der Tochter als massgeblich. Dies sei abgestützt durch die Verordnung 492/2011 (Freizügigkeitsverordnung). Sie hält in Artikel 7 Absatz 2 fest, dass Angestellte aus anderen EU-Staaten «die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer» erhalten müssen.
Die Invaliditätsbeihilfe sei eine solche soziale Vergünstigung, weil sie die Tochter von Unterstützungszahlungen entlastet. Deshalb kann sich die Mutter als mittelbare Nutzniesserin auf die Gleichbehandlungsbestimmung für Angestellte berufen, um die Invaliditätsbeihilfe zu erhalten.
Urteil C-488/21 vom 21.12.2023, GV, ECLI:EU:C:2023:1013