Facebook darf besonders sensible Personendaten nicht nutzen
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschied, dass Informationen über die sexuelle Orientierung auch dann als «besonders sensibel» gelten, wenn die betroffene Person daraus kein Geheimnis macht. Mit dem Urteil hat der österreichische Datenschutzaktivist Maximilian Schrems einen weiteren Erfolg gegen den Internetkonzern Meta errungen.
Der Gerichtshof erinnert daran, dass es das Gebot der Datenminimierung von Artikel 5 Absatz 1 litera c der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nicht zulässt, solche sensiblen Personendaten zusammen mit den übrigen gesammelten Daten «zeitlich unbegrenzt und ohne Unterscheidung nach ihrer Art für Zwecke der zielgerichteten Werbung» zu aggregieren, zu analysieren und zu verarbeiten. Denn Artikel 9 Absatz 1 untersagt grundsätzlich die Verarbeitung sensibler personenbezogener Daten über Rasse, Ethnie, politische Meinungen, religiöse Überzeugungen, Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft, Gesundheit, Sexualleben, sexuelle Orientierung oder genetische und biometrische Eigenschaften.
Ein Internetkonzern wie Facebook muss deshalb laut Gerichtshof die sensiblen Daten aus der Fülle all der anderen Daten herausfiltern, die er mit seinen Verfolgungstechnologien einsammelt. Zu solchen Technologien gehören beispielsweise Cookies oder der «Gefällt mir»-Button auf anderen besuchten Internetseiten, der selbst ohne Anklicken Daten der Besucher an Facebook übermittelt. Auch mit sogenannten Pixeln, die nicht sichtbar auf besuchten Websites eingebaut sind, greift Facebook Daten der Besucher ab. Ob die sensiblen Daten richtig sind oder nicht, spielt gemäss dem Gerichtshof keine Rolle.
Die DSGVO nennt in Artikel 9 Absatz 2 zehn Ausnahmen vom Verarbeitungsverbot. Darunter fällt der Umstand, dass jemand die betreffenden Daten «offensichtlich öffentlich gemacht hat». Meta behauptet, Schrems habe an einer Podiumsdiskussion über Datensicherheit und Facebook im Jahr 2019 in Wien über seine sexuelle Orientierung gesprochen. Nun muss der um eine Vorabentscheidung ersuchende Oberste Gerichtshof von Österreich prüfen, ob Schrems dabei «in voller Kenntnis der Sachlage» handelte und es somit zulässig sei, diese Daten zu verarbeiten.
Für Facebook wäre das keineswegs ein Freipass, wie der EuGH klarmacht. Selbst bei einer zulässigen Verarbeitung der öffentlich gemachten Daten läge keine Zustimmung vor, dass eine Online-Plattform auch «andere Daten über die sexuelle Orientierung» verarbeiten dürfe, die sie von Dritten «im Hinblick darauf erhalten hat, sie zu aggregieren und zu analysieren», um personalisierte Werbung anzubieten.
EuGH-Urteil C-446/21 vom 4.10.2024, Maximilian Schrems c. Meta Platforms Ireland, ECLI:EU:C:2024:834
Pauschalverbot von «Wurst» und «Steak» für vegane Produkte geht zu weit
Ein Dekret der französischen Regierung untersagt es Herstellern veganer Lebensmittel, für tierische Herkunft typische Begriffe wie «Wurst» oder «Steak» zu verwenden. Zugleich regelt es, welcher Anteil an pflanzlichen Proteinen erlaubt ist, damit der typische Begriff noch zulässig ist. Demnach darf Salami höchstens 1 Prozent pflanzliches Eiweiss enthalten. Der Lebensmittelproduzent Beyond Meat und drei Vereinigungen wehrten sich gegen das Dekret beim Conseil d’État, dem obersten Verwaltungsgericht von Frankreich. Sie vertreten die Ansicht, der französische Erlass verstosse gegen die EU-Lebensmittel-Informationsverordnung 1169/2011. Der Conseil d’État ersuchte darauf um einen Vorabentscheid.
In seinem Urteil kommt der EuGH zum Schluss, ein dermassen generelles und abstraktes Verbot einer «verkehrsüblichen Bezeichnung» wie Wurst, Steak oder Salami gehe tatsächlich zu weit. Auch den maximalen Anteil an pflanzlichen Eiweissen dürfe ein einzelner Mitgliedstaat nicht eigenmächtig festlegen, weil er damit gegen die gebotene Harmonisierung im Unionsrecht verstosse. Hingegen sei es der französischen Regierung unbenommen, jeweils gegen einen Hersteller vorzugehen, wenn sie der Auffassung sei, dass die konkreten Umstände beim Verkauf eines veganen Lebensmittels die Konsumenten irreführen.
Ausdrücklich weist der EuGH zudem auf Artikel 17 der Verordnung 1169/2011 hin, wonach Frankreich für solche vegane Produkte eine «rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung» einführen kann. Diese Bezeichnung muss dann bei veganen Lebensmitteln anstelle von Begriffen verwendet werden, die für tierische Produkte typisch sind.
EuGH-Urteil C-438/23 vom 4.10.2024, Protéines France, Union végétarienne européenne, Association végétarienne de France und Beyond Meat c. Wirtschaftsministerium Frankreich, ECLI:EU:C:2024:826
Pflicht für Lastwagen zur Rückkehr ins Herkunftsland ist nichtig
Der EuGH bestätigt den grössten Teil des sogenannten «Mobilitätspakets», das vom EU-Parlament und vom EU-Rat im Sommer 2020 erlassen wurde. Sein Ziel ist es, Sozialdumping zu verhindern und einen fairen Wettbewerb in der Transportbranche sicherzustellen. Geregelt werden zum Beispiel Berufszugangsregeln oder die Lenk- und Ruhezeiten der Chauffeure.
Eine der zahlreichen Bestimmungen erklärt der Gerichtshof jedoch für nichtig. Es handelt sich um Artikel 1 Absatz 3 der EU-Verordnung 2020/1055, wonach ein Transportunternehmen sicherstellen muss, dass Fahrzeuge, «die in der grenzüberschreitenden Beförderung eingesetzt werden, spätestens acht Wochen nach Verlassen des Mitgliedstaats zu einer der Betriebsstätten in diesem Mitgliedstaat zurückkehren». Gemäss EuGH hat der Gesetzgeber nicht nachweisen können, dass er genug Informationen hatte, um die Verhältnismässigkeit der Massnahme zu beurteilen.
In den übrigen Punkten wies der Gerichtshof die Klage von Litauen und sechs weiteren Ländern ab. Sie wandten sich unter anderem gegen das Verbot für Chauffeure, ihre wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug zu verbringen oder gegen die Pflicht eines Transportunternehmens, die Arbeitseinsätze so zu planen, dass die Chauffeure alle drei oder vier Wochen nach Hause zurückkehren können.
Das 2020 verabschiedete Mobilitätspaket umfasst die beiden EU-Verordnungen 2020/1054 und 2020/1055 sowie die EU-Richtlinie 2020/1057. Die Schweiz setzte verschiedene Teile davon in Schweizer Recht um.
EuGH-Urteil C-541/20 bis C-555/20 vom 4.10.2024, Bulgarien, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, Ungarn und Zypern
c. EU-Parlament und EU-Rat, ECLI:EU:C:2024:818
Wohndiscounter verletzt mit nachgeahmtem Vitra-Stuhl Urheberrechte
Der Gerichtshof stärkt den Schutz der Inhaber von Urheberrechten aus Drittstaaten an Werken der angewandten Kunst. Anlass war ein Streit um den «Dining Sidechair Wood», der vom inzwischen verstorbenen Ehepaar Charles und Ray Eames 1948 in Kalifornien entworfen worden war. Der Schweizer Designmöbelhersteller Vitra ist Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums an diesen Stühlen. Er klagte gegen den niederländischen Wohndiscounter Kwantum, der seit 2014 ein Nachahmerprodukt unter dem Titel «Paris Chair» vertreibt. Der Oberste Gerichtshof der Niederlande legte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Kwantum berief sich auf die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst. Sie zählt 181 Mitgliedstaaten, die EU selbst ist jedoch kein Mitglied. Das Abkommen gewährt Urhebern aus anderen Ländern grundsätzlich die gleichen Schutzrechte wie inländischen Urhebern. Eine Ausnahme davon statuiert Artikel 2 Absatz 7 für Werke der angewandten Kunst. Dazu gehören kunstvoll gestaltete Gegenstände, die einem Gebrauchszweck dienen, beispielsweise Lampen, Stühle, Gestelle oder Vasen. Ist ein solches Werk im Herkunftsland – vorliegend in den USA – nur als Muster und Modell geschützt, so wird auch im Zielland nur dieser Schutz gewährt.
Wie der EuGH ist seinem Urteil festhält, ist Artikel 2 Absatz 7 des Berner Übereinkommens nicht anwendbar. Beim «Dining Sidechair Wood» handle es sich um eine eigene geistige Schöpfung seiner Urheber und somit um ein Original, das als Werk im Sinn der Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG einzustufen sei. Gemäss der Richtlinie spielt es für den Schutz keine Rolle, aus welchem Land das Werk stammt oder welche Staatsangehörigkeit sein Schöpfer hat. Ein einzelnes EU-Land kann die Richtlinie nicht mit der besagten Klausel der Berner Übereinkunft aushebeln.
EuGH-Urteil C-227/23 vom 24.10.2024, Kwantum BV c. Vitra Collections AG, ECLI:EU:C:2024:914