Finanzinvestoren dürfen sich nicht an deutschen Kanzleien beteiligen
Es ist zulässig, reinen Finanzinvestoren zu verbieten, sich an Anwaltskanzleien zu beteiligen. Die damit einhergehende Beschränkung des freien Kapitalverkehrs ist gerechtfertigt, weil ein zwingender Grund des Allgemeininteresses dahintersteht. Ein Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) darf davon ausgehen, dass ein Finanzinvestor Einfluss auf das Unternehmen nimmt und die Unabhängigkeit der Anwälte dadurch eingeschränkt wird. Dies entschied die Grosse Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs.
Der Fall betrifft die Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft in Höhenmoos. Sie wurde von Rechtsanwalt Daniel Halmer 2020 gegründet. Unabhängig davon hatte der heute 48-Jährige zuvor in Berlin das Unternehmen Wenigermiete.de (heute: Conny) mitbegründet. Conny hat sich auf Dienstleistungen für Mieter spezialisiert, die ihre Rechte bei der Durchsetzung der Mietpreisbremse wahrnehmen wollen. Diese Gesetzgebung will seit 2015 in Ballungsräumen mit angespanntem Wohnungsmarkt sicherstellen, dass die Miete in neu vermieteten Wohnungen höchstens 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt.
2021 verkaufte Daniel Halmer 51 Prozent der Geschäftsanteile der Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft an die österreichische Beteiligungsgesellschaft Sive. In den Statuten verankerte er zuvor eine Bestimmung, wonach die Kanzlei weiterhin die Bundesrechtsanwaltsordnung einhalten muss und «insbesondere die für sie tätigen Rechtsanwälte in der Freiheit ihrer Berufsausübung nicht beeinträchtigen» darf. Das genügte der Rechtsanwaltskammer München nicht. Sie entzog die Zulassung. Halmer zog den Fall weiter.
Die Berufs- und Standesregeln für Anwälte sind in der EU nicht harmonisiert.
Gemäss dem EuGH-Urteil darf ein Mitgliedstaat davon ausgehen, «dass der Rechtsanwalt nicht in der Lage wäre, seinen Beruf unabhängig und unter Beachtung seiner Berufs- und Standespflichten auszuüben», wenn Anteile reinen Finanzinvestoren gehören. Die mit der deutschen Regelung einhergehende Beschränkung des freien Kapitalverkehrs diskriminiere nicht aufgrund der Staatsangehörigkeit. Sie sei angemessen und durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt. Rechtsanwälten wird laut EuGH «die in einer demokratischen Gesellschaft grundlegende Aufgabe übertragen, für die Rechtsuchenden einzutreten». Einzelne Rechtsuchende müssen sich völlig frei an einen Rechtsanwalt wenden können, umgekehrt gehört «das Erfordernis der Loyalität des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten» ebenso unabdingbar dazu.
EuGH-Urteil C-295/23 vom 19.12.2024, Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft c. Rechtsanwaltskammer München,
ECLI:EU:C:2024:826
Ford Italia haftet genauso wie der Hersteller für fehlerhaften Airbag
Der Käufer eines Produkts kann sich bei Produktionsfehlern nicht nur an den Hersteller selbst wenden (vorliegend Ford WAG in Deutschland). Er kann auch gegen den Lieferanten klagen, wenn sein Name oder Warenzeichen zumindest teilweise mit jenem des Herstellers übereinstimmt (Ford Italia). Dies entschied der EuGH, der vom Kassationsgerichtshof Italien um einen Vorabentscheid ersucht wurde.
Der Fall betrifft einen italienischen Kunden, der von einem Ford-Vertragshändler in Italien, dem Autohaus Stracciari, im Jahr 2001 einen Wagen kaufte. Nach einem halben Jahr versagte der Airbag bei einem Unfall. Der Kunde forderte Schadenersatz von Stracciari und von Ford Italia, der Import- und Vertriebsgesellschaft. Ford Italia wehrte sich durch alle Instanzen. Der Kunde müsse Ford WAG belangen. Als blosse Lieferantin könne sie nicht aufgrund der Produkthaftungsrichtlinie 85/374 belangt werden.
Gemäss EuGH kann Ford Italia aber als «Hersteller» im Sinn der Richtlinie betrachtet werden. Voraussetzung ist, dass sich das Unternehmen als solcher präsentiert hat, indem es auf dem Produkt sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen angebracht hat. Ob Ford Italia selbst das Erkennungszeichen (Ford) auf dem Auto anbrachte oder ob dies in Deutschland durch Ford WAG geschah, ist laut EuGH unerheblich: «In beiden Fällen nutzt der Lieferant nämlich die Übereinstimmung zwischen der in Rede stehenden Angabe und seiner eigenen Firma, um sich dem Verbraucher als für die Qualität des Produkts Verantwortlichen zu präsentieren und beim Verbraucher ein Vertrauen hervorzurufen, das mit dem vergleichbar ist, das er hätte, wenn das Produkt unmittelbar von seinem Hersteller verkauft würde.»
Der Gesetzgeber ging von einem weiten Verständnis des Begriffs Hersteller aus. Der Konsument hat die Wahl, den tatsächlichen Hersteller oder jenes Unternehmen, das sich als Hersteller ausgibt, zu belangen. Beide haften im gleichen Mass.
EuGH-Urteil C-157/23 vom 19.12.2024, Ford Italia SpA c. ZP, Stracciari SpA ECLI:EU:C:2024:1037