Vier Monate lang, bis zum 1. September 2008, war die Stelle vakant. Dann kam Markus U. Diethelm (51) – der neue Group General Counsel der UBS und Chef von zweitausend Juristen. Mit dem Ziel vor Augen, Schaden von der Bank abzuwenden und laut Geschäftsbeschrieb darauf zu achten, «dass die UBS die einschlägigen Berufs- und regulatorischen Standards in der Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit einhält». Als UBS-Chefjurist ist Diethelm automatisch Mitglied der zwölfköpfigen Konzernleitung. Er entscheidet mit, wohin die Bank marschiert.
Das war bereits früher so, als er bei dem weltweit grössten Rückversicherer Swiss Re angestellt war. Damals wandelte sich die bedächtige und für Anleger eher langweilige Rückversicherungsgesellschaft zu einem Unternehmen, das auch trendige Finanzprodukte unter die Leute brachte. Daneben wurden in hoher Kadenz Gesellschaften eingekauft, etwa für 6,8 Milliarden Dollar die amerikanische General Electric Insurance Solution, der fünftgrösste Rückversicherer der Welt. Diethelm war bei allen Deals dabei und hat mitverhandelt. Doch gegen aussen traten andere in Erscheinung.
Kein Wunder ist er für die Medien heute primär der «Kurer-Nachfolger». Das stört ihn nicht. Im Gegenteil, es macht ihn sogar stolz. Sagts und legt die Hände wie einstudiert übereinander. Der Krawattenknopf sitzt. Hemd, Schnupftuch und Manschettenknöpfe harmonieren akkurat mit dem royalblauen Anzug – etwas steif zwar, aber vornehm und wirkungsvoll.
Nach dem Jus-Studium in Zürich verdiente sich Diethelm die ersten Sporen bei der Wirtschaftskanzlei Bär & Karrer ab, machte seinen Doktor an der kalifornischen Renomier-Universität Stanford und führte bis 1998 für US-Wirtschaftskanzleien von New York, Paris und Brüssel aus Fusionen und Akquisitionen durch. Heute lebt er mit seiner amerikanischen Ehefrau und zwei Töchtern am Zürichberg.
Stil ist angesagt, aber auch eine gehörige Portion Understatement. «Ein Group General Counsel sollte stets eine diskrete Rolle spielen und sich öffentlich nur äussern, wenn in einem medienwirksamen Fall eine juristische Meinung gefragt ist und dies ein laufendes Verfahren nicht kompromittiert.» Beispiel: Der Versicherungsfall der Twin Towers des World Trade Centers. Mieter Larry Silverstein verlangte nach 9/11 von der Swiss Re die doppelte Versicherungssumme, da nicht ein, sondern zwei Flugzeuge in die Türme geflogen seien. Trotz emotional aufgeladener Stimmung drehte sich der damalige Swiss Re Legal Officer Markus U. Diethelm den Spiess um und klagte seinerseits, das Gericht habe festzustellen, dass es sich juristisch um einen und nicht um zwei Versicherungsfälle handle. Ein «Husarenstück», so das Branchenblatt «Schweizer Bank». «No way», sagte sich Diethelm. «Wir bezahlen einmal, aber nicht zweimal», und er gewann.
Er weiss, wie die US-Justiz tickt und wie man sich in eine gute Ausgangsposition manövriert. Etwa indem man sich die Lebensläufe von Geschworenen vornimmt. Und dann beim Richter den Antrag stellt, gewisse Personen seien auszuschliessen, da sie mit Versicherungen schlechte Erfahrungen gemacht hätten. In den USA laufe jeder grosse Wirtschaftsprozess in drei Phasen ab. «Zuerst reissen sich die Medien um die News. Dann kommt die Diskussion in die politischen Gremien. Und erst danach gehts vielleicht vor Gericht.» In jeder Phase die Chancen und Risiken abzuschätzen, das sei die Kunst. Und wenn es drauf ankommt, ist ihm kein Aufwand zu gross. Spezialistenteams wälzen wenn nötig Tag und Nacht alle möglichen Szenarien. Die «Schweizer Bank» schreibt, einen «besseren neuen Chefanwalt hätte die UBS kaum finden können».
Als die UBS im Mai 2008 via Headhunter bei ihm anklopfte, sagte er sich: «Diesen Job will ich.» Es sei weltweit wohl einer der anforderungsreichsten Group-General-Counsel-Jobs. «Und zwar aufgrund der unterschiedlichen Geschäftszweige, der Internationalität und den damit zusammenhängenden Rechts- und Compliance-Aufgaben.» Zudem habe «die UBS in den USA ein paar sehr grosse Rechtsfälle zu lösen, und das trau ich mir zu». Langsam bringt er die Sache auf den Punkt: Seit er vom UBS-Hauptsitz an der Zürcher Bahnhofstrasse aus die juristischen Fäden zieht, traf er sich bereits mehrmals mit Vertretern der US-Aufsichts- und Steuerbehörden.
Das ist bitter nötig, stehen doch fünf grosse Fallkomplexe an. Unter anderem geht es um Steuerbetrug. Der Vorwurf: Zwischen 2000 und 2007 halfen UBS-Banker tausenden von reichen US-Bürgern, Milliarden von Dollars an Vermögen via Offshore-Steueroasen am Fiskus vorbeizuschleusen. Jetzt verlangen die US-Behörden von der UBS – Bankgeheimnis hin oder her – vertrauliche Kundendaten. Für die Bank der «blanke Horror», so der «Tages-Anzeiger».
Im Juli 2008 zog die UBS die Notbremse. Sie wird künftig im Private Banking für US-Kunden keine grenzüberschreitenden Deals mehr anbieten. Dieser «Exit-Entscheid war historisch», kommentiert Diethelm. Und deshalb könne er auch mit gutem Gewissen die UBS vertreten. «Ich stehe dahinter. Was ich von der UBS weiss, ist, dass die Bank ihre Fehler rasch und gründlich korrigiert.»
Und wie war das mit den Holocaust-Geldern Mitte der Neunzigerjahre? Diese Sache habe die ganze Schweiz beschäftigt und nicht nur die Banken. Er wolle ihr Verhalten nicht kritisieren. «Ich kenne die interne Lage von damals nicht.»
Stattdessen verweist er auf die Zeit, als die Bergier-Kommission die Swiss-Re-Firmenarchive durchstreifte. Damals war er eben erst als Chief Legal Officer eingestiegen. Der Rückversicherer liess sich nicht lumpen. Aus den USA wurden Anwälte eingeflogen, die hausinterne Historikerberichte nach Risiken abklopften. Im Juli 2000 beteiligte sich das Unternehmen zusammen mit der Basler Versicherung, Swiss Life und Helvetia Patria an einem Vergleich über 50 Millionen Franken. Dass Swiss Re in den Kriegsjahren vor Bundesgericht zwei Prozesse gegen jüdische Kläger verlor und mit Nazideutschland gut geschäftet hatte, machte erst die Bergier-Kommission publik: Die Schweizer Rück strebte «nicht eine kulante Regelung für die NS-Opfer» an, «sondern Schadensbegrenzung im eigenen Interesse.»
Das Thema ist längst passé. Bei der UBS gehts jetzt nicht um 50 Millionen, sondern um 68 Milliarden Franken, die der Staat als Retungspaket für die serbelnde Grossbank geschnürt hat. «Niemand konnte die Marktverwerfungen voraussehen – vor allem nicht die Geschwindigkeit, in der sie passiert sind», sagt Diethelm.
«Marktverwerfungen» also, hereingebrochen wie eine Naturkatastrophe über offenbar ahnungslose Banker. Und jetzt muss sich Diethelm als Mitglied der Konzernleitung auch noch mit der Boni-Frage auseinandersetzen. Undgibt dazu das Versprechen ab, dass sich «gewisse Exzesse aus der Vergangenheit nicht wiederholen werden.» On verra.