Ja. Die in Artikel 28 der Bundesverfassung (BV) verankerte Koalitionsfreiheit gewährleistet dem einzelnen Arbeitnehmer oder Arbeitgeber erstens das Recht, sich zum Schutz seiner Interessen mit anderen Betroffenen zu einer Vereinigung zusammenzuschliessen. Zweitens können Arbeitnehmer- und Arbeitgebervereinigungen das Recht beanspruchen, ihre Aktivitäten frei auszuüben. Teilgehalt der Koalitionsfreiheit sind Arbeitskampfmassnahmen, die ergriffen werden, wenn die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände keine Einigung über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen erzielen. Die Koalitionsfreiheit ermöglicht es den Gewerkschaften, ihre Kräfte zu bündeln und ihre soziale Potenz zu steigern.
Artikel 28 Absatz 3 BV setzt staatlichen Handlungen Schranken, die Kampfmassnahmen im Rahmen von Arbeitskonflikten verhindern oder erschweren.
Die staatlichen Organe haben bei kollidierenden Grundrechten verschiedener Grundrechtsträger neutral zu bleiben beziehungsweise diese zu koordinieren. Eine einseitige Intervention zur Verwirklichung der Grundrechte nur eines Grundrechtsträgers ist mit Artikel 35 BV nicht vereinbar. In Lehre und Rechtsprechung besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass sich der Staat in Arbeitskonflikten grundsätzlich neutral verhalten muss. Dies gilt insbesondere auch für die polizeiliche Tätigkeit.
Polizeiliche Interventionen sind deshalb in Arbeitskonflikten nur eingeschränkt und unter Beachtung der Neutralitätspflicht zulässig. In besonderem Mass gilt dies für Interventionen, mit denen eine Arbeitskampfmassnahme vereitelt oder unterbunden wird. Mit einer solchen Intervention würde einseitig in den Arbeitskonflikt eingegriffen und das Ergebnis der Auseinandersetzung unzulässigerweise antizipiert. Die Polizei darf ihre Dienste nicht einer Partei zur Verfügung stellen, welche die Unannehmlichkeiten eines Arbeitskonflikts beseitigt haben möchte.
Eine auf Unterbindung einer Arbeitskampfmassnahme zielende polizeiliche Intervention hält vor Artikel 28 BV nur stand, wenn dies zum Schutz höherrangiger Rechtsgüter erforderlich wäre (Leib, Leben, öffentliche Sicherheit, erhebliche Zerstörung von Eigentum).
Beim Straftatbestand des Hausfriedensbruchs ist der Staat Träger des Strafanspruchs. Der Inhaber des Hausrechts kann sich aber der Polizei nicht im Sinne eines Dienstleistungsunternehmens zur Durchsetzung seiner Ansprüche bedienen. Hat der Staat in einer Arbeitskampfsituation neutral zu bleiben, so kann er nicht gleichzeitig seine Strafgewalt ausüben. Beim angeblichen Bruch des Hausfriedens beziehungsweise bei Missachtungen von Hausverboten verbietet die Neutralitätspflicht die polizeiliche Intervention aus zwei Gründen:
Erstens: Ob ein Hausverbot wirksam ist und eine Wegweisung rechtfertigen kann, ist bei Arbeitskonflikten regelmässig strittig. Es ist nicht Sache der Polizei, die kollektivarbeitsvertragliche Zulässigkeit einer Arbeitskampfmassnahme zu beurteilen. Deshalb verstösst es gegen die Neutralitätspflicht, wenn die Polizei die Widerrechtlichkeit des Verbleibs an einem Arbeitsplatz antizipierend bejaht.
Zweitens setzt die Neutralitätspflicht des Staates polizeilichen Massnahmen im Zusammenhang mit der Ausübung verfassungsmässiger Rechte enge Schranken – und zwar auch dann, wenn ein Hausverbot zulässig ist. Die zur Anzeige gebrachte angebliche Missachtung eines Hausrechts verletzt oder gefährdet keine schwerwiegenden Rechtsgüter und ist keine unmittelbare Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Nur in solchen Fällen darf eine Wegweisung und Fernhaltung erfolgen. Eine polizeiliche Intervention darf bei blosser Missachtung des Hausrechts in einem Arbeitskonflikt nicht erfolgen.