Während das wirtschaftliche Umfeld von Anwälten komplexer, schnelllebiger und internationaler wird, bleibt ihre betriebswirtschaftliche Ausbildung weiterhin rudimentär. Das Studium lässt für zusätzlichen Tiefgang in Betriebswirtschaft keinen Raum, besonders nicht im knapp gehaltenen Bologna-System. Und den neuen, spezialisierten Masterprogrammen, etwa dem «Master in Business Law» der Universität Zürich, stehen potenzielle Arbeitgeber kritisch gegenüber. Unter den Universitätsabgängern suchen selbst Wirtschaftskanzleien explizit gute Generalisten, die sie selber formen können - und nicht Wirtschaftsrechtsspezialisten.
Laufbahnberater raten meist von einem MBA ab
Es liegt also an den einzelnen Juristen selbst, sich nach dem Studium betriebswirtschaftlich weiterzubilden. Das gilt unabhängig davon, ob sie als angestellte Anwälte tätig sind, sich selbständig machen oder eine Karriere im Management anstreben. Bloss: Für die Nachfrage nach spezifischen Fortbildungen gibt es nur wenig passende Formate.
Die am weitesten verbreitete akademische Weiterbildung ist der «Master of Business Administration» (MBA). Als «Executive MBA» (EMBA) ist er Bewerbern mit Führungserfahrung vorbehalten und kann im Gegensatz zu den amerikanischen MBA nicht direkt im Anschluss an das Studium abgelegt werden - ideal also für den Anwalt, der sich das nötige Rüstzeug holen will, um mit Klienten aus der Wirtschaft auf der gleichen Augenhöhe diskutieren zu können?
Nicht wirklich. Arbeitgeber und Laufbahnberater raten Anwälten in der Regel von dieser Zusatzausbildung ab, die nach dem LL.M. wieder mit langen Absenzen am Arbeitsplatz, mit Auslandaufenthalten und Studiengebühren von 60 000 Franken an aufwärts verbunden wäre. «Ein Executive MBA ist für Juristen dann sinnvoll, wenn sie schon als Unternehmensjurist gearbeitet haben und sich für Geschäftsführungsaufgaben empfehlen möchten», sagt Oliver Berger vom Kadervermittler Schilling Partners. «Wer weiterhin als Anwalt arbeiten möchte und ein EMBA Programm absolviert, setzt seine Zeit und sein Geld nicht optimal ein», sagt Berger, der selbst Jurist ist. Gar keinen Sinn ergebe ein EMBA, der im Inland erworben werde.
Wenn ein MBA, dann an einer Top-Universität
Im Wildwuchs der MBA-Rankings schafft es unter den Schweizer Instituten jeweils nur das International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne unter die ersten fünfzig. Wenn schon, sagt Berger, dann müsse es eine Uni mit Top-Ranking sein, wo ein EMBA gut 100 000 Franken kostet. «Die beste betriebswirtschaftliche Ausbildung für Anwälte ist aber ohnehin, in eine Top-Kanzlei einzusteigen. Dort lernt man ‹on the job›, mit komplexen Sachverhalten in komplexen Branchen umzugehen», so Berger.
Mehr berufliche Flexibilität erhofft
Rechtsanwälte, die selbst einen MBA-Titel führen, bestreiten nicht, dass sie in der anwaltlichen Tätigkeit nur beschränkt davon profitieren. «Für einen Anwalt - selbst im wirtschaftsrechtlichen Bereich - ist der direkte Nutzen eines MBA eher gering», räumt der Berner Wirtschaftsanwalt Rolf Hartmann freimütig ein. Als Partner bei GHR Rechtsanwälte und Inhaber eines EMBA liege für ihn der Nutzen nicht in seiner Haupttätigkeit, sondern vor allem in den «akzessorischen Tätigkeiten» - zum Beispiel bei den unternehmerischen Entscheiden in der Führung der Kanzlei oder bei Verwaltungsrats- und Geschäftsführungsmandaten, die er wahrnimmt. Dennoch, so betont Hartmann, bringe ihm der MBA natürlich auch in der eigentlichen Anwaltstätigkeit zuweilen «echten Mehrwert».
Klienten aus der Unternehmenswelt würden einem Anwalt den Titel durchaus anmerken - nicht nur, weil er den MBA in der Regel mit grossem Selbstvertrauen herausstreicht. «Ich bin eine valable Ansprechperson, auch für unternehmerische Fragen, das schätzen Klienten sehr», sagt etwa Esther Nägeli, die in Zürich eine Wirtschaftskanzlei betreibt. Sie hat nach dem LL.M. noch einen EMBA abgelegt. Für die Zusatzausbildung entschied sie sich, weil sie nachvollziehen wollte, wie die Zahlen über den Kaufpreis eines Unternehmens zustande kamen, welche Betriebswirtschafter auf ihren Schreibtisch legten. «Zu verstehen, wie zum Beispiel eine Unternehmensbewertung vor sich geht, hat mir Welten geöffnet», sagt sie.
Die juristische Beratung gewinnt an Qualität, je mehr Einblick ein Anwalt in die unternehmerischen Hintergründe eines rechtlichen Problems hat. Ronald Kessler, Partner bei Zulauf, Bürgi und Partner in Zürich, sagt: «Es ist nicht schlecht, wenn man einen Klienten, der CEO oder CFO ist, wirklich versteht, wenn er über Finanzkennzahlen spricht. Vor dem Erwerb des MBA habe ich davon vielleicht zwanzig Prozent begriffen.» Nach dem Erwerb des MBA wandte er seine neuen Kenntnisse eine Zeit lang als Unternehmensjurist an. Doch seine Laufbahn führte ihn nicht in die Etage der Geschäftsleitung, er bevorzugte den Wechsel zurück in den Anwaltsjob. Diese berufliche Flexibilität, die ihm der MBA verschafft hat, geniesst er. «Ein paar Türchen mehr gehen schon auf», sagt er. Die Möglichkeit, doch wieder in ein interessantes Unternehmen zu wechseln, steht ihm offen.
«Juristen werden ja selten ganz verstanden»
Die Anwälte mit MBA streichen einen weiteren Effekt hervor: Es ist der Blick über den Tellerrand, die Überwindung rein juristischer Paradigmen. Dieser Effekt geht über blosse Sachkenntnisse hinaus und kann von einer juristischen Fortbildung, insbesondere einem LL.M., nicht geleistet werden. «Juristen werden ja selten ganz verstanden», sagt Esther Nägeli. Sie realisieren das aber oft erst dann, wenn sie in eine andere Gedankenwelt blicken können, zum Beispiel jene der Manager. Der Einblick ist hilfreich, um den eigenen Standpunkt verständlicher zu machen. So kann ein Anwalt manchmal nicht nachvollziehen, warum ein Prozess trotz intakter Erfolgschancen nicht weiterverfolgt wird, denn Streitfälle sind für Juristen wie für Klienten häufig Prinzpienfragen. «Aus Management-Optik gibt es aber manchmal gute Gründe dafür», weiss Ronald Kessler heute. Und Rolf Hartmann ist überzeugt, dass es «positiv auffällt, wenn ein Jurist Opportunitätskosten vorrechnet und herausstreicht, was aus einem Fall für Lehren gezogen werden können».
«We'll change the way you think», wirbt das EMBA-Programm, das von den Universitäten Bern und Rochester gemeinsam angeboten wird. Absolvent Rolf Hartmann gibt dem Versprechen recht. Darüber hinaus, sagt er, habe ihm das Programm ein weltweites Netzwerk erschlossen. Dabei handle es sich nicht einfach um Kollegen, wie dies bei einer juristischen Fortbildung der Fall gewesen wäre, sondern um potenzielle Klienten oder Vermittler potenzieller Klienten. Von diesem Netzwerk profitiert man bereits während der Ausbildung. «Zu Beginn des MBA-Studiums hiess es, wir müssten uns darauf gefasst machen, dass wir das meiste nicht von den Dozierenden, sondern von den Kollegen lernen werden», erzählt Ronald Kessler. «Ich dachte damals, das sei übertrieben. Am Schluss konnte ich über weite Strecken beipflichten.»
Eine Fortbildung für die Mitte der Karriere
Der Lerneffekt eines MBA-Programms ist umso grösser, je mehr Berufserfahrung die einzelnen Teilnehmer mit Kollegen austauschen können. Wer die Zusatzausbildung also in einer frühen Karrierephase absolviert, wo Absenzen am Arbeitsplatz noch eher drin liegen, zieht nicht den grösstmöglichen Nutzen daraus. Der MBA - und ganz besonders der EMBA - eignet sich daher nur als Fortbildung in der Mitte der Karriere. «Der durchschnittliche EMBA-Absolvent ist zehn Jahre älter als der durchschnittliche LL.M.-Absolvent», sagt Kadervermittler Oliver Berger.
Er beobachtet allerdings eine Tendenz, den MBA früh, oft schon direkt nach dem Studium, zu absolvieren. Das drückt zwar das Ansehen des MBA-Titels, ironischerweise katapulieren sich jedoch die Universitäten mit vielen jungen Teilnehmern in den einschlägigen MBA-Rankings nach oben. Denn die Bewertung des MBA nach erzieltem Lohnunterschied fällt bei jungen Teilnehmern naturgemäss besser aus, weil sie vorher praktisch nichts verdient haben.
Netzwerke sind wertvoller als ein MBA
Neben dem aufwendigen Format des MBA gibt es auch weniger formalisierte Möglichkeiten einer betriebswirtschaftlichen Fortbildung. So hat etwa der junge Zürcher Jurist und Betriebsökonom Chris Küng den «Law and Economics Club» gegründet. Der Club soll eine Symbiose und Netzwerke zwischen Juristen und Ökonomen ermöglichen und bietet dazu regelmässig Fortbildungsveranstaltungen an. Der «Law and Economics Club» ist für die Clubmitglieder ein wertvolles Kontaktnetz, in dem sie bei komplexen Fachfragen rasch einen befreundeten Experten anrufen können - ohne sich dabei schämen zu müssen, von einem spezifischen Bereich keine Ahnung zu haben.
Solche Netzwerkmodelle kopieren das Erfolgsrezept von grossen Anwaltsfirmen, in denen die internen Spezialisten für eine jeweilige Branche den anderen für Fragen jederzeit zur Verfügung stehen. So kann das Wissen, das unter einem Dach versammelt ist, optimal genutzt werden.
Netzwerke wie der «Law and Economics Club» in der Limmatstadt können auf den ersten Blick als nette Freizeitbeschäftigung erscheinen. Längerfristig bringen solche Netzwerke vielleicht sogar mehr als die Investition in einen MBA. Denn bei komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen haben oft nur noch hochspezialisierte Experten den Durchblick. Gut, wenn man deren Telefonnummer auf seinem Handy gespeichert hat.
Kanzleien bieten massgeschneiderte Ausbildungen
Grosse Anwaltskanzleien reagieren auf die gestiegenen betriebswirtschaftlichen Anforderungen an den Anwaltsberuf: Homburger beispielsweise setzt bei der betriebswirtschaftlichen Weiterbildung der Mitarbeiter neben dem Lernen «on the job» anhand der Bearbeitung konkreter Fälle auch auf verschiedene interne Ausbildungsgefässe.
Einen Schritt weiter in der Fortbildung der Mitarbeiter geht Bär & Karrer. Die Zürcher Grosskanzlei greift ein Modell auf, das in ähnlicher Form bereits zwei deutsche Kanzleien in Partnerschaft mit der Universität St. Gallen (HSG) pflegen.
http://www.lam.unisg.ch/kursangebot/management-fuer-juristen.php
Ab kommenden Oktober werden alle Anwälte, die neu bei Bär & Karrer eintreten - und sukzessive auch die bereits länger in der Kanzlei tätigen Anwälte -, für das sogenannte Bär & Karrer College an der Universität St. Gallen eingeschrieben. Die Weiterbildung ermöglicht einen formellen Abschluss an der Universität St.Gallen und steht grundsätzlich nur den Angehörigen der Kanzlei offen. Sie erfolgt modular in zwei Etappen, von denen jede zwei bis zweieinhalb Jahre in Anspruch nimmt. Zwischen den beiden Etappen erwerben die Teilnehmer in der Regel einen LL.M.-Titel. Das abgeschlossene College entspricht einem halben MBA-Programm und ist auch auf ein solches anrechenbar.