Öffentlichkeits-/Kampagnenarbeit, Lobbyarbeiten und Krisenkommunikation: Diese Aufgaben wird die Werbe- und Kommunikationsagentur Dachcom auf Rechnung der Steuerzahler übernehmen. Auftraggeber ist die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren. Das Budget beträgt 3,3 Millionen Franken. Das geht aus Unterlagen hervor, welche die Zeitschrift «K-Tipp» kürzlich veröffentlichte.
Die Rheintaler Agentur soll ein Projekt beliebt machen, das stark umstritten ist: Gerichte und Staatsanwaltschaften wollen eine landesweite elektronische Plattform für Justizakten einführen. Anwälte sollen per Gesetz gezwungen werden, über die elektronische Plattform «Justitia.Swiss» ihre Eingaben einzureichen, Akten einzusehen und Sendungen der Behörden entgegenzunehmen. Das Projekt betrifft alle 300 Schweizer Gerichte sowie die Staatsanwaltschaften der Kantone und des Bundes. Laut den Verantwortlichen wird das Projekt bis zum Jahr 2027 rund 89 Millionen Franken kosten. Später kommen Betriebskosten hinzu.
Das Bundesamt für Justiz arbeitete einen ersten Entwurf für ein Gesetz aus. Dieses kam bei mehreren kantonalen Anwaltsverbänden nicht gut an: Sie bezweifeln, dass die Plattform zuverlässig funktioniert und die sensiblen Daten ausreichend vor Datendiebstahl von Hackern geschützt sind (plädoyer 6/2021). Auch sehe das geplante Gesetz keine permanente Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Sendungen vor.
Die Leitung des Projekts hat die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren. Seit 2019 kostete die Werbung der Genfer PR-Agentur Enigma für Justitia 4.0 bereits 140 000 Franken. Jetzt soll die Werbung massiv ausgebaut werden, noch bevor das Parlament über das Gesetz zur elektronischen Justiz beraten hat.
PR-Strategien für den Fall einer gehackten Justitia 4.0
Das Budget für die Agentur Dachcom sieht für die nächsten sieben Jahre bis zu 2400 Stunden für Lobbying, Medienarbeit und öffentliche Kampagnen vor. Auf Kosten der Steuerzahler soll die Agentur den Projektverantwortlichen helfen, Kontakte mit wichtigen Politikern, Justizdirektoren und Anwälten zu knüpfen, Medienkonferenzen abzuhalten, sich auf Gespräche mit Journalisten vorzubereiten und über Plakate, Fernsehspots oder Inserate die elektronische Justiz in der Bevölkerung beliebt zu machen. Weiter soll die Agentur an zehn Veranstaltungen je 70 bis 80 Fotos machen, mindestens 35 Videos produzieren, eine Webseite betreuen, Schulungsunterlagen erstellen und monatlich Vorschläge für Werbeaktivitäten machen.
Brisant: Dachcom soll mit den Steuergeldern auch eine PR-Strategie für «mögliche Krisenszenarien» entwickeln. Dafür kann sie bis zu 800 Stunden aufwenden. Die Projektgruppe aus kantonalen Justizdirektoren, Vertretern von Gerichten und des Bundesamts für Justiz nennt in ihrem Pflichtenheft für die Werbeagentur drei mögliche «Krisenszenarien», die auf «Justitia 4.0» zukommen könnten. «Verzögerungen im Projekt», «Finanzen laufen aus dem Ruder» und «Hacking der Plattform». Das Szenario «Hacker legen das System lahm» wird im Bericht der beigezogenen Risiko-Planungsfirma mit der Eintrittswahrscheinlichkeit von zwei von sechs Punkten eingeschätzt.
Ein Hacking der Plattform wäre gravierend: Parteien, Behörden und Dritte könnten mit Hilfe von Spezialisten die höchstsensiblen Gerichtsdokumente manipulieren, entwenden oder löschen. Die Behördenvertreter wollten die elektronische Justizplattform ursprünglich in die Hand eines privaten Unternehmens geben. Nach der gescheiterten Abstimmung zur elektronischen ID 2021 erscheint dies laut Sitzungsprotokoll mittlerweile politisch als «nicht mehr opportun».
Computerexperten warnen vor der Gefahr, dass höchstsensible Gerichtsakten in fremde Hände gelangen könnten. Der Verein Digitale Gesellschaft schaute sich das Projekt «Justitia 4.0» genau an und sprach von einem drohenden «IT-Debakel» und «weiteren Millionengrab bei einem IT-Projekt» des Bundes.
Laut der Pressesprecherin des Projekts wolle man sich auf «kritische Situationen vorbereiten». Das gesprochene Budget von 3,3 Millionen Franken werde «nicht zwingend ausgeschöpft».