Millionengewinne dank Bundesgericht
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Plädoyer 02/2020
30.03.2020
Karl Kümin
Nicht nur eine Epidemie kann die Börse erschüttern. Auch das Bundesgericht beeinflusst die Aktienkurse, beispielsweise am 26. Juli 2019. Im Gerichtssaal tagte die II. öffentlich-rechtliche Abteilung. Sie entschied nach öffentlicher Beratung darüber, ob die Grossbank UBS Daten von über 40 000 Kunden an die französische Steuerbehörde herausgeben muss.
In einem Internet-Liveticker berichtete die NZZ aus dem Gerich...
Nicht nur eine Epidemie kann die Börse erschüttern. Auch das Bundesgericht beeinflusst die Aktienkurse, beispielsweise am 26. Juli 2019. Im Gerichtssaal tagte die II. öffentlich-rechtliche Abteilung. Sie entschied nach öffentlicher Beratung darüber, ob die Grossbank UBS Daten von über 40 000 Kunden an die französische Steuerbehörde herausgeben muss.
In einem Internet-Liveticker berichtete die NZZ aus dem Gerichtssaal. So konnten interessierte Kreise praktisch in Echtzeit verfolgen, wie der Rechtsstreit ausging. Denn Finanzexperten prognostizierten schon vor der Verhandlung, das Verdikt werde den UBS-Aktienkurs beeinflussen. Bundesrichter Thomas Stadelmann (CVP), einer der fünf beteiligten Richter, belegte die Börsenrelevanz der richterlichen Vorträge im Januar im Aufsatz «Twitter and SMS from the Courtroom» im «International Journal for Court Administration».
Stadelmann selbst kam als erster Richter um 9.30 Uhr zu Wort. Er sprach sich gegen die Herausgabe der Kundendaten an Frankreich aus. Der Wert der UBS-Aktie begann zu steigen. Dann kam Richterin Florence Giradin Aubry (GP) zu Wort. Sie stimmte für die Übergabe der Daten an Frankreich. Die UBS-Aktie stieg weiter an. Stadelmann führt das darauf zurück, dass die linke Richterin bloss die Erwartungen erfüllt habe. Gleich war es beim dritten Richter. Stephan Haag (GLP) votierte wie erwartet gegen die UBS – für die Herausgabe. Die Aktie hielt den Kurs.
Chefredaktor Arthur Rutishauser schrieb auf den Tamedia-Webseiten zu diesem Zeitpunkt bereits: «Wahrscheinlich gewinnt die UBS das Verfahren.» Denn die beiden SVP-Richter schätzte er als UBS-freundlich ein. Doch dann stimmte Yves Donzallaz wider Erwarten gegen die UBS. Da half auch die Stimme seines SVP-Kollegen Hans Georg Seiler zugunsten der UBS nichts mehr. Schlussresultat: Steueramt gegen UBS 3 : 2.
Unmittelbar nach dem Votum von Donzallaz sank der Wert der UBS-Aktie von Fr. 11.54 auf 11.38 – ein Minus von 1,4 Prozent. Angesichts von 3,8 Milliarden UBS-Aktien vernichtete der Bundesrichter somit 617 Millionen Franken.
Laut Stadelmann wussten die Richter nicht, dass die NZZ live berichtete. Live-Nachrichten aus dem Gericht seien aber nicht verboten. Das bedeutet: Spekulanten können bei Gelegenheit weiterhin an der Börse auf Urteile des Bundesgerichts wetten. Für mindestens fünf Personen gilt dies allerdings nicht: die Richter der urteilenden Kammer. Das Ausnützen von Insiderinformationen bei Börsengeschäften wird nämlich durch die Finanzmarktaufsicht hart bestraft.