1. Arbeitsrecht
1.1 Gesetzgebung
Der Gesetzgeber hat per 1. Januar 2023 und 1. Januar 2024 weitere Urlaubsregelungen in Kraft gesetzt. Zu nennen sind zunächst ein zweiwöchiger Adoptionsurlaub (Artikel 329j OR)2 sowie ein 14-wöchiger Urlaub des andern Elternteils, wenn die Mutter am Tag der Niederkunft oder während der 14 Wochen danach stirbt (Artikel 329gbis OR).3
In beiden Fällen erfolgt die Finanzierung durch Leistung der EO-Versicherung. Ergänzt wurde auch Artikel 329f OR, der den allgemeinen Mutterschaftsurlaub regelt. Gemäss dem neuen Absatz 3 hat die Arbeitnehmerin einen zusätzlichen Anspruch auf weitere zwei Wochen Urlaub, wenn der andere Elternteil innert sechs Monaten nach der Geburt des Kindes stirbt.4
Als Folge des Inkrafttretens der «Ehe für alle» erfuhr schliesslich auch Artikel 329g OR eine Neufassung. Sie stellt klar, dass auch eine Arbeitnehmerin, die im Zeitpunkt der Geburt des Kindes der rechtlich andere Elternteil ist, anspruchsberechtigt ist. Der Urlaub gemäss Artikel 329g OR wird konsequenterweise nicht mehr als Vaterschaftsurlaub, sondern als Urlaub des andern Elternteils bezeichnet.5
Die Vergütungsverordnung (VegüV), die als vorübergehende Regelung die sogenannte Abzockerinitiative umsetzte,6 wurde per 1. Januar 2023 aufgehoben und ins revidierte Aktienrecht überführt.7 In Artikel 735c OR sind die unzulässigen Vergütungen aufgelistet.8, 9 Sie gelten nur für börsenkotierte Aktiengesellschaften und die gegenwärtigen und früheren Mitglieder ihres Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung und des Beirats oder für Personen, die ihnen nahestehen.
Am 1. Juli 2023 ist nach längeren Vorarbeiten eine Revision der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2) in Kraft getreten. Durch die Einfügung der beiden neuen Artikel 32b und 34a ArGV 2 verschafft das neue Recht eine Option zur Flexibilisierung der Arbeits- und Ruhezeiten für Betriebe der Informations- und Kommunikationstechnologie einerseits und für Dienstleistungsbetriebe in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Treuhand und Steuerberatung andererseits.
So wird den erwähnten Dienstleistungsbetrieben unter bestimmten Voraussetzungen und für ausgewählte Angestelltenkategorien die Einführung eines Jahresarbeitszeitmodells ermöglicht,10 was in Abkehr von den sonstigen Vorgaben des Arbeitsgesetzes Wochenarbeitszeiten von bis zu 63 Stunden11 und bewilligungsfreie Sonntagsarbeit an bis zu neun Sonntagen pro Jahr erlaubt.12
Am 1. September 2023 ist nach langjährigen Vorbereitungsarbeiten das revidierte Datenschutzgesetz (DSG) in Kraft getreten. Die Revision verfolgt insbesondere den Zweck der Anpassung an technologische Entwicklungen sowie der Harmonisierung mit europarechtlichen Vorgaben. Das neue Recht bringt für den arbeitsrechtlichen Anwendungsbereich keine fundamentalen Änderungen mit sich. Artikel 328b OR als spezifische arbeitsrechtliche Datenschutzbestimmung bleibt materiell unverändert in Kraft. Demzufolge dürfen Arbeitgeber auch weiterhin Daten über Angestellte nur dann bearbeiten, soweit sie deren Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrags erforderlich sind.
1.2 Abschluss und Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses
Die Cour de justice des Kantons Genf hatte über die rechtliche Qualifikation eines «contrat de stage» zu entscheiden.13 Sie kam zum Schluss, dass die strittige Vertragsbeziehung zwischen einer Klinik und einer Pflegeperson einen Arbeitsvertrag darstellte.
Das Bundesgericht hatte eine geltend gemachte Anstellungsdiskriminierung gegenüber einer Bewerberin für eine Stelle als Wildhüterin im Kanton Freiburg zu beurteilen.14 Dies, nachdem sich die Kandidatin mehrfach erfolglos auf freie Stellen beworben hatte. Das Bundesgericht wies die Sache infolge willkürlicher Beweiswürdigung an die Vorinstanz zurück.
1.3 Arbeitszeit
Ein neues Urteil des Bundesgerichts ruft die zentrale Bedeutung der Unterscheidung zwischen der Überstunden- und der Überzeitarbeit in Erinnerung.15 Überstunden betreffen die Mehrarbeit gegenüber der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit, während es bei der Überzeit um die Überschreitung der Höchstarbeitszeiten des Arbeitsgesetzes geht.
Die Unterscheidung ist vor allem deswegen von Bedeutung, weil bezüglich der Entschädigung oder Kompensation von Überstunden grundsätzlich Vertragsfreiheit gilt,16 wohingegen bei Überzeitarbeit in der Regel ein zwingender Anspruch auf Vergütung oder Zeitausgleich besteht.17 Im zu entscheidenden Fall hat das Bundesgericht wegen verspäteter Geltendmachung in Bezug auf die Überstunden Rechtsmissbrauch angenommen, während es dies bezüglich der Überzeitstunden verneinte.
Ein weiteres Mal hatte sich das Bundesgericht mit der Frage zu befassen, ob Umkleidezeiten vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen. Dieses Mal ging es um Polizisten und Gefängnisangestellte im Kanton Genf.18 Wie schon in früheren Entscheiden hat das Bundesgericht die geltend gemachte Lohnforderung abgewiesen. Allerdings ist vor einer Verallgemeinerung zu warnen, da sich die Rechtslage je nach anwendbaren Anstellungsmodalitäten unterschiedlich präsentieren kann. So kam denn auch die Cour d’appel des Kantons Waadt in einem anderen Fall zu einem gegenteiligen Schluss.19
Vor dem gleichen Gericht war die Entschädigung einer Hausangestellten für Pikettleistungen während der Nacht strittig.20 Die Arbeitnehmerin erhielt gemäss Arbeitsvertrag pro Nacht eine Pauschale von Fr. 46.05. Ausserdem war der Stundenlohn höher als jener gemäss dem anwendbaren Normalarbeitsvertrag. Daraus schloss das Gericht, dass kein Anspruch auf weitergehende Entschädigung bestehe.
1.4 Lohnfragen
Heisst ein Gericht eine Lohnforderung gut, stellt sich die Frage, ob der Anspruch brutto oder netto zuzusprechen ist. Dazu fehlen klare gesetzliche Regeln, und die kantonale Praxis ist entsprechend heterogen.21 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung handelt es sich prinzipiell um Bruttolohn, wobei dem Gericht zwei Lösungen zur Verfügung stehen: Es kann entweder einen Bruttobetrag zusprechen und die abzuziehenden Sozialversicherungsbeiträge berechnen, oder es kann auf Letzteres verzichten und dafür ausdrücklich vorsehen, dass dieser Betrag von der Arbeitgeberin um die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers zu kürzen ist.22
Unabhängig von diesen beiden Varianten äusserte sich das Bundesgericht in BGE 149 III 258 zur betreibungsrechtlichen Behandlung einer zugesprochenen Lohnforderung. Demnach stellt ein endgültiges und vollstreckbares Urteil, das eine Arbeitgeberin dazu verurteilt, ihrem Angestellten einen Bruttolohn abzüglich der von diesem zu tragenden Sozialabgaben zu zahlen, einen definitiven Rechtsöffnungstitel im Sinne von Artikel 80 Absatz 1 SchKG dar. Die Arbeitgeberin kann jedoch als Einwendung gemäss Artikel 81 Absatz 1 SchKG ihre Verpflichtung zur Abführung dieser Beiträge geltend machen.
Dabei obliegt es ihr, den Umfang ihrer Verpflichtung urkundlich zu beweisen, wobei sie sich aber nicht auf eine effektive Zahlung berufen muss. Andernfalls hat der Rechtsöffnungsrichter den Rechtsvorschlag in Höhe des Bruttolohns aufzuheben. Es sei nicht seine Aufgabe, das Urteil inhaltlich zu überprüfen, indem er selbst den Nettolohn bestimmt.23
Ein Direktor machte vergeblich geltend, er habe ab seiner Beförderung einen zu tiefen Lohn erhalten.24 Das Arbeitsgericht Zürich erwog, dass der Arbeitnehmer den ausbezahlten Lohn während 28 Monaten vorbehaltlos entgegengenommen und damit stillschweigend akzeptiert habe, weshalb es die nachträglich erhobene Lohnforderung abwies.
Das Kantonsgericht Luzern hat unter Berücksichtigung der Materialien entschieden, dass auch bei Mehrlingsgeburt nur Anspruch auf eine einzige Vaterschaftsentschädigung bestehe. Ob eine Vermehrfachung oder Erhöhung der Vaterschafts- und der Mutterschaftsentschädigung wünschenswert ist, sei Sache des Gesetzgebers und liege nicht in der Kompetenz des Gerichts.25
Die Cour d’appel des Kantons Waadt hat den Monatslohn eines Taxifahrers, dessen Entlöhnung aus einer Beteiligung an den erzielten Einnahmen bestand, von Fr. 4221.30 auf Fr. 5000.– erhöht.26 Wie schon das Bundesgericht in früheren Fällen27 stützte sich die Cour d’appel auf eine analoge Anwendung des Handelsreisendenrechts, konkret von Artikel 349a Absatz 2 OR, wonach bei ausschliesslicher oder vorwiegender Entlöhnung auf Provisionsbasis ein angemessenes Entgelt erreichbar sein muss.
1.5 Covid-19
Die Gerichte haben weitere Urteile zu arbeitsrechtlichen Fragen rund um die Covid-19-Pandemie gefällt.28 An erster Stelle zu erwähnen ist BGE 150 III 22, mit dem das Bundesgericht eine der umstrittensten Fragen geklärt hat, nämlich ob im Falle einer behördlichen Betriebsschliessung der Arbeitgeber im Sinn von Artikel 324 OR in Arbeitgeberverzug gerät und damit lohnzahlungspflichtig bleibt. Anders als das Kantonsgericht St. Gallen als Vorinstanz 29 hat das Bundesgericht die Frage verneint.30
Im Kern erwog das Bundesgericht, behördliche Betriebsschliessungen zur Bekämpfung des Coronavirus seien als objektiver Grund zu werten, der keinen Arbeitgeberverzug und damit auch keine Pflicht des Arbeitgebers zur Lohnfortzahlung nach sich ziehe.31
Gerechtfertigt war nach einem weiteren Urteil des Bundesgerichts die fristlose Entlassung einer bei der Stadt Zürich tätigen Betriebspsychologin, die sich während der Covid-19-Pandemie unter Hinweis auf ein ärztliches Zeugnis weigerte, eine Maske zu tragen. Die Arbeitnehmerin hatte trotz wiederholter Aufforderung eine vertrauensärztliche Untersuchung verweigert.32 Nach Zürcher Personalrecht war auch die Entlassung einer Berufsschullehrerin rechtmässig, welche die Durchsetzung der Maskentragpflicht im Unterricht unterliess.33 Das Bundesgericht verneinte auch einen Konflikt mit der Meinungsäusserungsfreiheit.
Nicht besser erging es einem Mitarbeiter der Universität Neuenburg, der trotz Symptomen und positivem Coronatest den Arbeitsplatz aufsuchte. Seine fristlose Entlassung wurde vom Bundesgericht ebenfalls nicht beanstandet.34
Gleiches galt für einen Zürcher Polizisten, der sich auf Social Media aktiv an der coronamassnahmenkritischen Plattform «Wir für Euch» beteiligt hatte,35 sowie für eine Genfer Lehrerin, nachdem sie sich unter anderem im Internet unangemessen über Massnahmen gegen die Covid-19-Pandemie geäussert hatte.36
Will man eine Zwischenbilanz ziehen, ist festzustellen, dass die Gerichte die behördlichen Massnahmen zum Gesundheitsschutz während der Covid-19-Pandemie stark gewichten. Entsprechend wurden Entlassungen wegen Verletzung dieser Vorgaben in der gerichtlichen Praxis – soweit sie bekannt ist – in der Regel als rechtmässig taxiert.
1.6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Missbräuchliche Entlassungen im Sinn von Artikel 336 OR, tatsächliche oder vermeintliche, beschäftigen die Gerichte sehr häufig.37 Voraussetzung für einen darauf fussenden Rechtsanspruch in der Form einer finanziellen Entschädigung38 ist eine schriftliche Einspracheerhebung bei der Gegenpartei, und zwar längstens bis zum Ende der Kündigungsfrist.39 Dabei handelt es sich um eine Verwirkungsfrist, sodass bei Säumnis die Durchsetzung des Anspruchs ausgeschlossen ist, selbst wenn die Kündigung tatsächlich missbräuchlich war.
In BGE 149 III 304 war nun das Vorliegen einer rechtsgenügenden Einspracheerhebung strittig. Ausgangspunkt war, dass die Frage überhaupt erst in der Hauptverhandlung vor dem Tribunal der Prud’hommes des Kantons Genf zum Thema gemacht wurde. Die Arbeitnehmerin räumte ein, dass sie es versäumt hatte, das entsprechende Schreiben vorzulegen. Sie bot aber an, dies nachzuholen, und wies weiter darauf hin, dass das Schreiben in den Akten erwähnt werde. Das half ihr allerdings vor der Erstinstanz nicht weiter: Diese wies die Klage mit der Begründung ab, dass die Klägerin weder behauptet noch bewiesen habe, rechtzeitig Einsprache erhoben zu haben.
Ausserdem seien die Voraussetzungen für ein Novenrecht nach Artikel 229 Absatz 1 ZPO nicht erfüllt. Auf bemerkenswerte Milde stiess die Arbeitnehmerin dagegen bei dem von ihr mittels Berufung angerufenen Genfer Kantonsgericht. Dieses hielt im Kern dafür, dass die Nichtverwirkung eines Rechts, wie dies bei der Einspracheerhebung nach Artikel 336b Absatz 1 OR der Fall sei, als implizite Tatsache nur dann formell behauptet und bewiesen werden müsse, wenn sie bestritten werde, was in casu nicht der Fall gewesen sei.40
Infolgedessen wurde das erstinstanzliche Urteil aufgehoben. Nach einem weiteren Instanzenzug hatte sich schliesslich das Bundesgericht mit der Sache zu beschäftigen. Es fand deutliche Worte: Es sei Sache der Klägerin, die Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, gestützt auf welche das Gericht schliessen könne, dass sie gegen die angeblich missbräuchliche Kündigung Einsprache erhoben habe. Die Klägerin, die bereits vor Beginn des Gerichtsverfahrens professionell vertreten gewesen sei, habe es schlicht versäumt, diese Anforderungen zu erfüllen.41 Infolgedessen wies das Bundesgericht die Klage auf Zusprechung einer Missbrauchspönale ab.
Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung zur Konfliktkündigung bestätigt, wonach eine Kündigung in einer Konfliktsituation ohne Vornahme zumutbarer Konfliktlösungsbemühungen missbräuchlich ist.42 Im konkreten Fall ging es um einen Geschäftsleiter, der einerseits in Konflikt zum Verwaltungsrat stand und dem andererseits die vertraglich zugewiesenen Kompetenzen beschnitten wurden. Die Genfer Vorinstanz sprach die Maximalentschädigung von sechs Monatslöhnen in der Höhe von 250 000 Franken zu, was vom Bundesgericht nicht beanstandet wurde.
Ebenfalls bestätigt hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur Alterskündigung, wonach bei der Entlassung älterer Angestellter eine erhöhte Fürsorgepflicht greift. Im konkreten Fall taxierte das Bundesgericht die Entlassung eines 64-jährigen Mitarbeiters mit rund 30 Dienstjahren, elf Monate vor der Pensionierung, als missbräuchlich.43
Nicht missbräuchlich war dagegen eine Entlassung, die wegen fortwährender Alkoholprobleme einer Mitarbeiterin ausgesprochen worden war. Daran änderte für das Bundesgericht auch nichts, dass die Kündigung unmittelbar nach Aussprechen einer Verwarnung angekündigt worden war. Das Verhalten der Arbeitgeberin erscheine zwar merkwürdig und unangemessen, doch mache dies die Kündigung nicht zu einer missbräuchlichen.44
Das Obergericht des Kantons Bern hat die Rechtsauffassung bestätigt, wonach der Sperrfristenschutz nach Artikel 336c Absatz 1 litera b OR bei bloss arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit nicht greift.45 Um eine Sperrfrist auszulösen, müsste jedenfalls bewiesen sein, dass die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers Krankheitswert habe, also ihn auch bei der Suche oder Annahme einer neuen Stelle hindere. Dabei obliege dem Arbeitnehmer die Beweislast für eine generelle Arbeitsunfähigkeit.
Die Weisung einer Schaffhauser Kantonsschule an einen Lehrer, einen Schüler, der sich als «trans» und Junge erklärt hatte, nur noch mit seinem neu gewählten, männlichen Vornamen anzusprechen, erwies sich vor dem Bundesgericht als rechtmässig.46 Infolgedessen war auch die Entlassung des Lehrers zulässig, nachdem er dieser Weisung nicht nachgekommen war.
Gerechtfertigt war die fristlose Entlassung eines «Officers» einer Bank, der die Geschäftskreditkarte wiederholt und trotz Abmahnung für private Dating-Services verwendet hatte.47 Vergeblich machte der Mitarbeiter vor dem Arbeitsgericht Zürich geltend, er habe wegen der Dunkelheit in der Bar die Kreditkarte verwechselt.
Das Kantonsgericht Freiburg hat erwogen, dass der Verdacht einer strafbaren Handlung unter Umständen auch dann eine fristlose Entlassung rechtfertigen könne, wenn er sich nachträglich als unbegründet erweise. Zu beurteilen war ein Diebstahlverdacht gegenüber einer Serviceangestellten in einem Restaurant. Weil die Arbeitgeberin es unterlassen hatte, die Mitarbeiterin anzuhören und ihr so Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, erwies sich die fristlose Entlassung dennoch als ungerechtfertigt.48
Die Cour de justice des Kantons Genf hat klargestellt, dass eine fristlose Entlassung, auch wenn sie ungerechtfertigt ist, zur Beendigung des Vorsorgeverhältnisses führt.49 Der Verlust der arbeitgeberseitigen Beiträge könne vom Arbeitnehmer aber als Schadenersatz im Sinn von Artikel 337c Absatz 1 OR geltend gemacht werden.50 Im zu entscheidenden Fall ging es um den COO einer Genfer Privatbank, der wegen verschiedener Vorwürfe zu Unrecht fristlos entlassen worden war.
1.7 Verschiedenes
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hat die Zulässigkeit einer Weiterbildungsvereinbarung bejaht, die während fünf Jahren nach Abschluss eine anteilmässige Rückzahlungsverpflichtung vorsah.51 Das Gericht bezeichnete die Rückzahlungsdauer von fünf Jahren zwar als eher lang, doch sei sie vorliegend aufgrund der konkreten Umstände nicht übermässig.
Eine Verweigerung der Barabgeltung von nicht bezogenen Ferienansprüchen durch den Arbeitgeber setzt nach einem Urteil des Zürcher Obergerichts voraus, dass der Angestellte erfolglos zum Ferienbezug in der Kündigungsfrist aufgefordert worden ist. Dies war in casu nicht der Fall, weshalb dem Arbeitnehmer der Ferienanspruch erhalten blieb.52
Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung bestätigt, wonach der Streitwert eines Arbeitszeugnisses einzelfallbezogen und nicht aufgrund von Standardansätzen losgelöst vom konkreten Fall auf einen Bruchteil oder ein Mehrfaches des Monatslohnes festzusetzen sei, wie es in der kantonalen Praxis häufig der Fall ist.53 Im zu entscheidenden Fall nahm das Bundesgericht einen Streitwert von mindestens 3000 Franken an, was etwas mehr als einem Monatslohn entsprach.
Ein Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern ruft in Erinnerung, dass die Verletzung von Gesundheitsschutzbestimmungen des Arbeitsgesetzes strafbar sein kann.54 Im konkreten Fall ging es um das Fehlen eines Handlaufs bei einer Treppe. Das Obergericht hob eine Nichtanhandnahme der Staatsanwaltschaft auf und ordnete die Eröffnung eines Strafverfahrens an.
2. Mietrecht
2.1 Anfangsmietzins
2.1.1 Beweislastverteilung bei Anfechtung
Das Bundesgericht hat in einem Urteil von 2021 ein Privatgutachten der Vermieterin mit 23 Vergleichsobjekten akzeptiert, um die Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses zu widerlegen. Das Bundesgericht hob den Entscheid des Obergerichts Zürich auf und wies den Fall zur Neubeurteilung an die Vorinstanzen zurück.55 Nachdem das Mietgericht und das Obergericht Zürich den Anfangsmietzins für missbräuchlich erklärt und auf 855 Franken festgesetzt hatten, zog die Vermieterin den Fall erneut vor das Bundesgericht.
Dieses hat den Entscheid des Obergerichts erneut aufgehoben. Es erwog, die Vorinstanz habe die Anforderungen an die Zahl und die Parameter der Vergleichsobjekte zu hoch angesetzt. Es verwies dabei nochmals auf seinen ersten Rückweisungsentscheid. Um begründete Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses zu wecken, sei beispielsweise denkbar, dass die Vermieterin Statistiken hinzuziehe, selbst wenn diese den Anforderungen gemäss Artikel 11 Absatz 4 in Verbindung mit Absatz 1 VMWG nicht durchwegs genügen sollten und es sich dabei nicht um amtliche Statistiken handle.
Unter Umständen möge es ausreichen, dass die Vermieterin bloss drei oder vier Vergleichsobjekte aufführe, sofern beispielsweise zusätzlich eine Statistik, selbst wenn diese den Anforderungen gemäss VMWG nicht durchwegs entspreche, oder andere Faktoren die Orts- und Quartierüblichkeit indizierten. Auch sei an die Vergleichbarkeit der Objekte betreffend die relevanten Kriterien nicht der gleich strenge Massstab wie beim eigentlichen Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit anzulegen. Gehe es doch in diesem Schritt nur darum, begründete Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung der Missbräuchlichkeit zu wecken.
Damit obliegt der strikte Beweis der Orts- und Quartierüblichkeit des Anfangsmietzinses der Mieterin. Im kantonalen Verfahren hatte sie keine Vergleichsobjekte offeriert. Aufgrund der langen Verfahrensdauer entschied das Bundesgericht in der Sache gleich selbst und legte den von der Vermieterin bei Vertragsbeginn bestimmte Mietzins von 1060 Franken pro Monat als nicht missbräuchlich fest.56
2.1.2 Formularanzeige Anfangsmietzins
Die Parteien schlossen einen Mietvertrag über ein umfassend saniertes Mietobjekt ab. Im Rahmen des Vertragsabschlusses wurde den Mietern der Anfangsmietzins mittels Formular mitgeteilt. Die Sparte für den früheren Mietzins war leer und mit dem Vermerk «na» versehen. Die Mieter machten vor Bundesgericht geltend, dass der Anfangsmietzins nichtig sei, weil der bisherige Mietzins auf dem amtlichen Formular nicht angegeben wurde.
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der bisherige Mietzins nicht aufgeführt werden muss, wenn die Sanierung so umfassend war, dass man von einer neuen Wohnung sprechen kann. Der Vermerk «na» in der Sparte des bisherigen Mietzinses reicht aus, um dem Mieter aufzuzeigen, dass kein bisheriger Mietzins vorliegt. Eine explizite Erwähnung des Begriffs «Erstvermietung» war nicht notwendig.57
2.2 Abgrenzung Untermiete und Beherbergung
Ein Ehepaar unterzeichnete einen Mietvertrag für eine Wohnung in Genf. Als die Ehefrau verstarb, nahm der Witwer seine Tochter mit ihrer vierköpfigen Familie in die Wohnung auf. Dabei wurde vereinbart, dass er einen Drittel und die Tochter zwei Drittel des Mietzinses übernimmt. Nach einer Kündigung schlossen die Parteien einen neuen Mietvertrag ab. Diesen unterzeichnete die Tochter als Miterbin der verstorbenen Mutter.
Die Vermieterin forderte die Mieterschaft auf, alle relevanten Informationen zum Mietverhältnis zu liefern, weil auf dem Briefkasten die «Familie» sowie der Name der Mieterschaft stand. Weil dieser Brief als nicht abgeholt retourniert wurde, kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis ordentlich. Die Kündigung wurde von sämtlichen Instanzen als ungültig erachtet.58
Noch während des Verfahrens sprach die Vermieterin eine ausserordentliche Kündigung aus. Vorausgegangen war die erfolglose Aufforderung an den Vater, die unerlaubte Untervermietung zu kündigen. Das Mietgericht stellte die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Das Kantonsgericht war der Auffassung, dass keine Untervermietung vorliege. Die Vermieterin rief das Bundesgericht an.
Zur Abgrenzung der Untermiete und Beherbergung hielt das Bundesgericht fest, dass es sich nicht immer um Beherbergung handelt, wenn die Kinder dauerhaft in der vom Vater gemieteten Wohnung leben. Rechtlich gesehen ist von Belang, ob die ganze oder teilweise Überlassung der Wohnung auf einer vertraglichen Beziehung beruht oder in Erfüllung einer gesetzlichen Unterstützungspflicht erfolgt beziehungsweise ob die mietrechtliche Komponente gegenüber der familienrechtlichen Beziehung überwiegt, welche eine Beherbergung von Familienmitgliedern erlaubt.
Erlischt die Unterhaltspflicht der Eltern, können die Kinder mit ihren Eltern einen Untermietvertrag abschliessen oder eine Mietgemeinschaft eingehen. In casu liegt eine Untervermietung vor. Sodann prüfte das Bundesgericht, ob im konkreten Fall bei der bloss teilweisen Untervermietung Gründe für deren Verweigerung vorgelegen hätten, was im Ergebnis verneint wurde.59
2.3 Mietzinsanpassungen
2.3.1 Anpassung auf Ablauf der Indexklausel
Die Parteien eines Mietvertrags können die Höhe des Mietzinses an den Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) binden. Ein entsprechender Vertrag muss von Gesetzes wegen für mindestens fünf Jahre abgeschlossen werden. Während der Laufzeit des Vertrags hängt der Mietzins einzig von der Entwicklung des LIK ab, ohne Berücksichtigung von Veränderungen des hypothekarischen Referenzzinssatzes. Im konkreten Fall hatten Mieter und Vermieterin 2015 einen auf fünf Jahre indexierten Mietvertrag abgeschlossen. Danach sollte der Vertrag mit einer Frist von drei Monaten kündbar sein, frühestens auf das Ende der Indexierung am 31. März 2020.
Die Mieter ersuchten im März 2020 um eine Herabsetzung des Mietzinses auf den nächsten Kündigungstermin. Zur Begründung führten sie den nunmehr tieferen hypothekarischen Referenzzinssatz (1,25 Prozent im März 2020) gegenüber demjenigen zu Indexbeginn (2,0 Prozent 2015) an. Im erstinstanzlichen Verfahren gestand die Vermieterin eine Mietzinsherabsetzung ein, berechnet auf einer Senkung des Referenzzinssatzes von 1,5 Prozent (Stand Dezember 2019) auf 1,25 Prozent. Das Mietgericht folgte der Vermieterin. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft gab den Mietern recht und senkte den monatlichen Mietzins ab dem 1. Juli 2020 von 3500 Franken auf 3215 Franken.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Vermieterin gut.
Wollen Mieter oder Vermieter auf Ende eines indexierten Mietvertrags eine Mietzinsanpassung wegen einer Veränderung des hypothekarischen Referenzzinssatzes gegenüber dem Zinssatz bei Indexbeginn verlangen, müssen sie dies unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist auf das Ende der Indexdauer tun. Sonst ist vermutungsweise davon auszugehen, dass sie mit dem bisherigen Mietzins (vorerst) einverstanden sind. Wird dann zu einem späteren Zeitpunkt eine Anpassung des Mietzinses wegen einer Senkung oder eines Anstiegs des Referenzzinssatzes verlangt, kann dies nicht mehr unter Berufung auf dessen Höhe zu Beginn des Indexierungsvertrags erfolgen.
Massgebend ist in diesem Fall der hypothekarische Referenzzinssatz zu dem Zeitpunkt, an dem der Vertrag unter Einhaltung der Kündigungsfrist hätte gekündigt werden können. Das war im vorliegenden Fall Ende Dezember 2019, als der Referenzzinssatz 1,5 Prozent betrug. Die Differenz gegenüber dem tieferen Zinssatz im März 2020 hat die Vermieterin bereits weitergegeben und den Mietzins auf 3393 Franken herabgesetzt. Für eine darüber hinausgehende Mietzinssenkung gibt es keine Grundlage.60
2.3.2 Verwendung eines «alten» Formulars
Der Vermieter zeigte am 7. Juni 2011 eine Mietzinserhöhung wegen wertvermehrender Investitionen per 1. Oktober 2011 an. Diese focht der Mieter an. Die Schlichtungsverhandlung blieb ohne Erfolg. Nach etlichen prozessualen Weiterungen erging im September 2021 ein Urteil des Mietgerichts.
Beide Parteien gelangten an das Kantonsgericht. Dabei machte der Mieter unter anderem und erstmals im Berufungsverfahren geltend, dass die Vermieterin am 7. Juni 2011 ein Formular verwendet habe, welches nur bis am 31. Dezember 2010 in Kraft war. Das Kantonsgericht hielt in seinem Urteil fest, dass der Mieter im Verfahren vor Mietgericht die gesamte Argumentation auf die materielle Begründung der Mietzinserhöhung gestützt habe. Erst im Berufungsverfahren hätte sich der Mieter auf die Nichtigkeit berufen. Unter diesen Voraussetzungen sei die Berufung auf die Nichtigkeit rechtsmissbräuchlich.
Der Mieter gelangte in der Folge mit diversen Rügen an das Bundesgericht. Das Bundesgericht erinnert zunächst daran, dass die Mietzinserhöhung nichtig ist, wenn der Vermieter nicht das dafür vorgesehene Formular verwendet. Die Nichtigkeit ist von Amtes wegen festzustellen und kann daher vom Mieter jederzeit geltend gemacht werden, selbst wenn er den erhöhten Mietzins bereits bezahlt hat. Darum gehe es vorliegend aber nicht. Bei der Beurteilung, ob die Berufung auf Formnichtigkeit rechtsmissbräuchlich ist, sind sowohl die näheren Umstände als auch die Art und Weise der formungültigen Mietzinserhöhung zu berücksichtigen.
Vorliegend hat das Formular seinen Hauptzweck erfüllt, indem der Mieter über die Gründe der Erhöhung informiert wurde. Auch was die Anfechtungsmöglichkeit betrifft, wurde der Mieter weitestgehend informiert. Ficht der Mieter die Mietzinserhöhung bei der richtigen Stelle an, ohne dabei die unzutreffenden Angaben auf dem veralteten Formular zu rügen, obwohl er den Mangel erkannt hat, verhält er sich rechtsmissbräuchlich, wenn er mit der Geltendmachung der Nichtigkeit zuwartet, da er verhindert, dass die Vermieterschaft die Mietzinserhöhung zeitnah auf einem korrekten Formular nachholen kann.61
2.3.3 Neue Regelung der Nebenkosten
Im Rahmen eines laufenden Mietverhältnisses stellte die Vermieterin mit einem Nachtrag das Nebenkostensystem von monatlichen Pauschalen von 700 Franken auf monatliche Akontozahlungen von 950 Franken um. Mit einem weiteren Nachtrag vereinbarten die Parteien eine Senkung des Nettomietzinses und beliessen die monatlichen Akontozahlungen bei 950 Franken. Später kündigte die Mieterin den Mietvertrag und verlangte 30'000 Franken an zu viel bezahlten Nebenkosten zurück. Das Zivilgericht erachtete den Nachtrag mangels hinreichender Begründung als nichtig. Das Appellationsgericht bestätigte den Entscheid.
Die Vermieterin gelangte vergebens ans Bundesgericht. Strittig war nur noch die Gültigkeit des zweiten Nachtrags. Das Bundesgericht schützte die Begründung der Vorinstanz. Der Nachtrag sei weder einvernehmlich noch auf Initiative der Mieterin abgeschlossen worden. Er wurde zwar auf dem amtlichen Formular mitgeteilt, enthalte aber keine genügende Begründung für die Umstellung der Nebenkostenregelung. Daher sei nicht zu beanstanden, dass der Nachtrag als nichtig qualifiziert wurde.62
2.4 Kündigungen
2.4.1 Abgrenzung Wohnraum und reine Grundstücke
Zu Beginn der Sechzigerjahre überliess der Kanton Waadt vier Mietern je ein Landstück am Neuenburgersee. Die Verträge erlaubten den Mietern, auf diesen Parzellen Ferienhäuser zu errichten, die in ihrem Eigentum blieben. Gleichzeitig wurden die Mieter verpflichtet, diese Häuser im Falle einer Kündigung abzubrechen. Der Kanton Waadt kündigte die Verträge. Die Mieter wehrten sich gegen diese Kündigungen. Das Mietgericht gelangte zum Schluss, dass die Kündigungen gültig sind, und verpflichtete die vier Mieter, ihre Chalets abzubrechen und die Parzellen zu räumen. Es erachtete die Chalets als Fahrnisbauten im Eigentum der Mieter. Die Kündigung betreffe daher nur das Landstück. Dieses könne ohne Formularanzeige gekündigt werden.
Das Kantonsgericht bestätigte das Urteil. Die vier Mieter gelangten mit Beschwerden ans Bundesgericht. Hier blieb im Wesentlichen strittig, ob die Kündigungen formgültig sind. Das Bundesgericht prüfte zunächst, ob es sich bei den Ferienwohnungen um Fahrnisbauten im Sinne von Artikel 677 ZGB handelt oder aber um Bauten, die fest mit dem Boden verbunden sind und nach dem Akzessionsprinzip dem Eigentümer des Landes zufallen.
Für die Fahrnisbaute ist nebst dem subjektiven Moment einer zeitlich begrenzt geduldeten Baute die äussere Verbindung zwischen Baute und Grundstück massgebend. Nur bei einer intensiven Verbindung mit dem Grundstück kann von einer Dauerbaute ausgegangen werden. Entspricht die Baute dagegen der gesetzlichen Definition der Fahrnisbaute nach Artikel 677 ZGB, kommt der Absicht der Parteien über die Dauer der Landüberlassung besondere Bedeutung zu. Das traf im vorliegenden Fall zu.
Für das Bundesgericht war klar, dass die Parteien nie von dauerhaften Bauten ausgegangen sind und daher Fahrnisbauten erstellt wurden. So war nur noch zu prüfen, ob die Kündigung der Grundstücksparzellen auch ohne Formularanzeige gültig war. Da es sich dabei nicht um eine Raummiete handelte, sind die Formvorschriften für die Kündigung von Wohnungen und Geschäftsräumen nicht anwendbar. Das Bundesgericht erachtete die Kündigungen daher als gültig und wies die Beschwerden der Mieter ab.63
2.4.2 Verrechnung von Gegenforderungen bei Zahlungsverzugskündigung
Es geht um einen Geschäftsraummietvertrag über ein Restaurant. Die Mieter bezahlten den Mietzins nicht. Nach der ersten Abmahnung eines Zahlungsverzugs im April 2021 vereinbarten die Parteien, dass die Vermieterin zur Deckung der geschuldeten Summe auf die Mietzinsgarantie zurückgreifen kann. Am 10. September 2021 folgte eine zweite Abmahnung, die sich aus dem unbezahlten Rest der Miete für Juni 2021 und den vollen Mietzinsen von Juli bis September 2021 zusammensetzte. Da die Zahlung innert der gesetzten 30-tägigen Frist nicht einging, kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis vorzeitig per 30. November 2021.
Die Mieter fochten die Kündigung als missbräuchlich an. Sie machten im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie einen Mangel am Mietobjekt geltend. Die Vermieterin beantragte demgegenüber die Ausweisung der Mieter im summarischen Verfahren für Rechtsschutz in klaren Fällen. Das Mietgericht verpflichtete die Mieter, das Mietobjekt sofort zu verlassen.
Auf Berufung der Mieter hin hob das Kantonsgericht das Urteil auf. Es erwog, dass auf das Ausweisungsbegehren nicht eingetreten werden könne, da es sich nicht um einen Fall von klarem Recht handle.
Die Vermieterin gelangte ans Bundesgericht. Gemäss dem Bundesgericht muss der Mieter, der zur Abwendung der Zahlungsverzugskündigung die Verrechnung mit einer Gegenforderung erklärt, diese Forderung und damit die geltend gemachten rechtsvernichtenden Tatsachen sofort beweisen. Er steht in Verzug und ist abgemahnt. Unter diesen Umständen muss er beweisen, dass er die Verrechnungseinrede vor Ablauf der Zahlungsfrist nach Artikel 257d Absatz 1 OR erhoben hat. Vorliegend hätten die Mieter eine Schuld von 12'000 Franken anerkannt.
Zudem verpflichteten sie sich, diese Schuld sowie weitere fällige Mietzinse bis 15. Oktober 2021 zu begleichen. Diese Schuldanerkennung und das entsprechende Zahlungsversprechen müssen ihnen entgegengehalten werden. Sie haben die anerkannte Schuld nicht beglichen. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass die Mieter die zur Verrechnung gestellte Gegenforderung oder die verlangte Mietzinsreduktion bereits innert der Zahlungsfrist geltend gemacht haben. Erst in ihrer Eingabe zur Anfechtung der Kündigung haben sie erstmals einen Mangel an der Mietsache sowie das Recht auf eine Mietzinsreduktion beziehungsweise einen Wegfall des Mietzinses behauptet.
Der Einwand der Verrechnung und der Mietzinsreduktion kann daher mangels rechtzeitiger Geltendmachung nicht berücksichtigt werden. Im Übrigen ist es offensichtlich, dass die Mieter auch nicht in der Lage wären, ihre Gegenforderung sofort zu beweisen. Aus all dem ergibt sich, dass diese Verrechnungseinrede im Rahmen eines Verfahrens für den Rechtsschutz in klaren Fällen nicht berücksichtigt werden kann.64
2.5 Übertragung Geschäftsraummietvertrag
Die Mieter eines Genfer Coiffeursalons hatten den Raum selbst eingerichtet. Im September 2019 ersuchten sie die Vermieterin, die Übertragung auf eine Nachfolgerin zu genehmigen. Sie legten dem Gesuch den Vertrag über die Geschäftsübernahme vor und dokumentierten die Vermieterin mit weiteren Auskünften über die Nachfolgerin. Als Übernahmepreis wurden vertraglich 40'000 Franken vereinbart. Die Vermieterin verweigerte die Zustimmung zur Übertragung des Vertrags.
Sie stellte sich auf den Standpunkt, beim verlangten Preis handle es sich um ein Schlüsselgeld. Vor Mietgericht legten die Mieter zwei Schätzungen zum Geschäftswert vor. Beide lagen über den 40'000 Franken. Das Mietgericht entschied, dass die Übertragung der Geschäftsmiete zu Unrecht verweigert wurde.
Das Kantonsgericht wies die Berufung der Vermieterin ab. Ebenso das Bundesgericht. Das Bundesgericht hielt zusammenfassend fest, dass der Vermieter sich der Übertragung von Geschäftsmieten nur aus wichtigen Gründen widersetzen kann. Dazu gehören unter anderem die Zahlungsunfähigkeit des Nachfolgemieters oder die Vereinbarung eines Entgelts für die reine Gebrauchsüberlassung (Schlüsselgeld), nicht aber ein Geschäftsübernahmepreis, der einzig materielle oder immaterielle Werte abdeckt, die der bisherige Mieter erwirtschaftet hat.65
2.6 Prozessuale Fragen
2.6.1 Zuständigkeit von Miet- und Handelsgericht
Das Verfahren steht im Zusammenhang mit einem Streit betreffend ein Mietverhältnis über ein grosses Warenhaus in Zürich. Die Vermieterin machte vor Handelsgericht Zürich geltend, die Mieterin schulde ihr noch 45 Millionen Franken für die Zeit der kalten Erstreckung. Das Handelsgericht trat zunächst auf die Klage nicht ein, weil eine abgeurteilte Sache vorliege. Das Bundesgericht hob auf Beschwerde hin das Urteil auf.66
Das Handelsgericht trat auf die Klage erneut nicht ein, dieses Mal mangels sachlicher Zuständigkeit. Das Handelsgericht erwog, dass sich die Mietzinsforderung der Vermieterin auf einen Zeitraum beziehe, in dem sich die Parteien in einem Erstreckungsverfahren gegenüberstanden. In diesem Verfahren werde auch der Mietzins während der Dauer der Erstreckung festgelegt. Obwohl es sich vorliegend nur um eine «kalte Erstreckung» handle, liege ein enger Zusammenhang zwischen dem Erstreckungsverfahren und der Frage nach dem ab 1. Februar 2014 geschuldeten Mietzins vor. Die Streitigkeit falle daher unter den weit ausgelegten Begriff des «Kündigungsschutzes».
Die Vermieterin zog auch diesen Entscheid ans Bundesgericht, wiederum mit Erfolg. Dem Urteil des Handelsgerichts begegnete das Bundesgericht mit der lakonischen Feststellung, dass nicht mehr zum Streit stehe, bis wann die Mieterin das Mietobjekt noch benutzen darf. Die Klage der Vermieterin erfolge mehr als ein Jahr nach der Rückgabe des Mietobjekts. Dabei sei über rein finanzielle Ansprüche aus einem schon beendeten Mietverhältnis zu entscheiden.
Der Streitgegenstand falle daher nicht mehr unter den Begriff des Kündigungsschutzes. Ein weit gefasster Begriff des Kündigungsschutzes habe nur den Zweck, ein rasches und laientaugliches Verfahren zur Verfügung zu stellen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses zum Streit stehe. Damit wurde der Fall zur weiteren Behandlung und zum Entscheid über die gestellte Mietzinsforderung ans Handelsgericht zurückgewiesen.67
2.6.2 Aktivlegitimation bei mehreren Vermietern
In einem Mietverhältnis waren zum Zeitpunkt der Kündigung drei Miteigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Kündigung wurde lediglich im Namen von zwei Miteigentümern ausgesprochen. Die Mieter beantragten, die Nichtigkeit der Kündigung festzustellen, und waren damit bei allen drei Instanzen erfolgreich. Das Bundesgericht hielt fest, dass bei einer Gemeinschaft von mehreren Vermietern die Kündigung im Namen aller Vermieter erklärt werden muss.
Tritt einer von ihnen seinen Anteil ab, scheidet er als Miteigentümer erst mit der Eintragung des Vorgangs ins Grundbuch aus. Bis dahin muss die Kündigung auch in seinem Namen erfolgen. Weiter verneinte das Bundesgericht eine nachträgliche Genehmigung der Kündigung durch den auf dem amtlichen Kündigungsformular nicht aufgeführten Vermieter.68
Fussnoten siehe PDF.