Erwachsenenschutz
Vorsorgliche Begutachtung nicht zulässig
Die stationäre Begutachtung dient nicht der Krisenintervention. Deshalb darf sie mangels Dringlichkeit nicht vorsorglich angeordnet werden. Entsprechend ist ein einzelnes Mitglied der Erwachsenenschutzbehörde nicht legitimiert, im Rahmen einer superprovisorischen Massnahme eine stationäre Begutachtung anzuordnen.
Aus den Erwägungen:
3.2.2 Die stationäre Begutachtung gemäss Art. 449 ZGB ist von der fürsorgerischen Unterbringung abzugrenzen. Laut Art. 426 Abs. 1 ZGB darf eine Person, die an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist, in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann.
Denselben Schutzzweck verfolgt Art. 429 ZGB, der die ärztliche Unterbringung regelt. Während die fürsorgerische Unterbringung im Sinn von Art. 426 Abs. 1 bzw. Art. 429 Abs. 1 ZGB zur Behandlung und/oder Betreuung erfolgt, handelt es sich bei der Einweisung zur Begutachtung (Art. 449 Abs. 1 ZGB) um eine Massnahme zur Abklärung der Verhältnisse. Damit unterscheiden sich die Voraussetzungen für die Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung von jenen für eine Einweisung zur Begutachtung. Eine Behandlung der (ausschliesslich) zur Begutachtung eingewiesenen Person ist unzulässig. Der zur Begutachtung verfügte Aufenthalt in einer Einrichtung ist auf die absolut notwendige Zeit zu beschränken.
3.3.1 Eine Begutachtung kann somit grundsätzlich sowohl im Rahmen des Erwachsenenschutzes als auch im Rahmen des Kindesschutzes in einer Einrichtung angeordnet werden, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Der jeweilige Anknüpfungsschwerpunkt (Kindes- oder Erwachsenenschutz) kann sich auf die Frage der örtlichen Zuständigkeit auswirken.
3.4.1 Vorliegend hat der Präsident der Kesb Z am 21. April 2021 gestützt auf die Einschätzungen der Gutachterin vom 14. April 2021 als superprovisorische Massnahme die Einweisung der Beschwerdeführerin in die Psychiatrische Klinik Y zwecks Begutachtung angeordnet. Zu prüfen ist, ob dieses Vorgehen (superprovisorische Anordnung einer stationären Begutachtung in Einzelzuständigkeit) zulässig ist.
3.4.3 Nachdem die Anordnung einer stationären Begutachtung nach Art. 449 Abs. 1 ZGB im Katalog der Einzelzuständigkeiten von § 49 EGZGB nicht erwähnt ist, kommt als mögliche Rechtsgrundlage für die getroffene Anordnung nur noch eine allfällige Einzelzuständigkeit gestützt auf § 50 EGZGB in Betracht. Damit stellt sich die Frage, ob die Unterbringung zur Begutachtung als vorsorgliche Massnahme − beziehungsweise bei besonderer Dringlichkeit als superprovisorische Massnahme ohne Anhörung der betroffenen Person − im Sinn von Art. 445 ZGB angeordnet werden kann.
Dies ist nicht der Fall. Denn gestützt auf Art. 449 Abs. 1 ZGB ist eine stationäre Begutachtung gegen den Willen der betroffenen Person nur zulässig, wenn der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt ist. Vorsorgliche Massnahmen setzen insbesondere zeitliche Dringlichkeit voraus. Dringlichkeit liegt vor, wenn der Endentscheid nicht abgewartet werden kann, um das Wohl der betroffenen Person zu schützen. Da die Einweisung zur Begutachtung nicht der Krisenintervention dient, kann sie mangels Dringlichkeit nicht vorsorglich (und schon gar nicht superprovisorisch) angeordnet werden. Macht der psychische Zustand der betroffenen Person eine umgehend wirkende Massnahme erforderlich, kommt nur eine fürsorgerische Unterbringung im Sinn von Art. 426 Abs. 1 beziehungsweise Art. 429 Abs. 1 ZGB in Betracht.
Nach dem Gesagten kann die Einweisung zur Begutachtung nicht als vorsorgliche Massnahme angeordnet werden, da es sich nicht um eine eigentliche Krisenintervention handelt, in der sofort ein Entscheid gefällt werden muss. Demgemäss war der Präsident der Kesb Z nicht zuständig, in Einzelkompetenz eine Einweisung der Beschwerdeführerin in die Klinik Y zur Begutachtung anzuordnen. Ein solcher Entscheid wäre vielmehr − nach einer Anhörung der Beschwerdeführerin − von der Fachbehörde als Kollegium zu fällen gewesen, unter sinngemässer Berücksichtigung der Bestimmungen über das Verfahren bei fürsorgerischer Unterbringung (vgl. Art. 449 Abs. 2 ZGB).
Da die Anordnung einer stationären Begutachtung − ebenso wie eine fürsorgerische Unterbringung − einen schweren Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit bedeutet, ist mit besonderer Sorgfalt sicherzustellen, dass die Verfahrensrechte der betroffenen Person gewahrt werden, was insbesondere die vorgängige Gewährung des rechtlichen Gehörs und die Garantie des Rechtsschutzes (Zugang zum Gericht) umfasst (vgl. auch nachfolgend E. 3.4.5).
Die sinngemässe Anwendbarkeit der Bestimmungen über die fürsorgerische Unterbringung verdeutlicht sodann zusätzlich, dass die Anordnung einer stationären Begutachtung niemals in Form einer superprovisorischen Massnahme, welche einstweilen ohne Anhörung der am Verfahren beteiligten Personen getroffen wird und nicht anfechtbar ist, erfolgen kann. Mit Blick auf die Schwere des Grundrechtseingriffs ist sodann sicherzustellen, dass der Aufenthalt zur Begutachtung auf die absolut notwendige Zeit beschränkt bleibt.
3.5.2 Vorliegend hat der Präsident der Kesb Z in Einzelkompetenz eine stationäre Begutachtung angeordnet, ohne dafür zuständig zu sein. Die getroffene Anordnung stellt sodann im Ergebnis eine fürsorgerische Unterbringung nach Art. 426 ZGB dar, ohne dass die einschlägigen Verfahrensbestimmungen Anwendung gefunden hätten und der Rechtsschutz gewährleistet worden wäre.
Da mit dieser faktischen Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung ein schwerer Eingriff in die Rechtsstellung der betroffenen Person einhergeht, stellt dieses Vorgehen einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar. Dies führt dazu, dass die Dispositiv-Ziffer 1 der Entscheidung als nichtig zu betrachten ist.
Kantonsgericht Luzern, Urteil 3H 21 18 vom 27.4.2021
Auftragsrecht
Vollmacht über Tod hinaus legitimiert zur Berschwerde
Ein durch eine auch nach dem Tod gültige Vollmacht dokumentiertes Auftragsverhältnis besteht nach dem Tod eines Mandanten wegen der Natur des Geschäfts weiterhin – wenigstens bis zum Zeitpunkt, in welchem die Erben ermittelt sind und abgeklärt ist, ob diese den Prozess fortführen wollen.
Sachverhalt:
Der Beschuldigte versuchte, in seinem Fahrzeug mit Kokain kontaminiertes Bargeld in der Höhe von 15 000 Euro sowie rezeptpflichtige Medikamente an der Grenze von St. Margrethen in die Schweiz zu schmuggeln. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen eröffnete daraufhin eine Strafuntersuchung wegen Verdachts auf Geldwäscherei und Vergehens gegen das Heilmittelgesetz. Der Beschuldigte starb während des Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft stellte deshalb das Verfahren ein und verfügte die Einziehung des Bargelds. Dagegen führte die Rechtsvertreterin des Beschuldigten im Namen der Erben Beschwerde vor Bundesgericht. Strittig war, ob die Rechtsanwältin über eine gültige Vollmacht verfügte, gestützt auf welche sie die erfolgte Einziehung des Bargelds im Namen und Interesse der damals noch nicht namentlich bekannten Erben anfechten konnte.
Aus den Erwägungen:
2.1 Die Vorinstanz argumentiert, der verstorbene A habe kein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des Einziehungsentscheids. Daran vermöge weder die von A unterzeichnete Vollmacht über den Tod hinaus noch Art. 405 Abs. 2 OR etwas zu ändern. Soweit die Rechtsvertreterin die Beschwerde im Namen der Erben von A erhebe, sei darauf nicht einzutreten, weil keine Bevollmächtigung der Rechtsvertreterin durch allfällige Erben vorliege.
2.2 Die Rechtsanwältin beruft sich für die Vertretungsbefugnis auf die von A sel. unterzeichnete Vollmacht vom 5. November 2018, welche über den Tod hinausgehe, sowie auf Art. 405 Abs. 2 OR. Sie argumentiert, der Verstorbene habe Erben. Indes seien u.a. Covid-bedingt noch keine Erbbescheinigungen vorhanden, da noch nicht abschliessend geklärt sei, wer Erbe sei.
Dies habe zur Folge, dass vorliegend niemand zur Beschwerde legitimiert wäre. Auch das Untersuchungsamt Altstätten sei von ihrer Vertretungsbefugnis ausgegangen, da es ihr die Verfügung vom 9. Dezember 2020 eröffnet habe. Gegebenenfalls sei die Beschwerdesache bis zum Vorliegen einer Erbbescheinigung zu sistieren. Sollte vom Untergang ihrer Vertretungsbefugnis mit dem Tod von A ausgegangen werden, sei die Nichtigkeit von Dispositiv-Ziff. 2 der Verfügung vom 9. Dezember 2020 infolge Eröffnung an eine unbefugte Person festzustellen. Die Nichtigkeit könne jederzeit und von jedermann vorgebracht werden. An der Feststellung der Nichtigkeit bestehe vorliegend zudem ein Interesse, anderenfalls davon auszugehen sei, dass die Staatsanwaltschaft die Verfügung als rechtskräftig erachte.
3. Nach den von der Vorinstanz zitierten Bestimmungen von Art. 382 Abs. 3 StPO können nach dem Tod der beschuldigten Person die Angehörigen im Sinne von Art. 110 Abs. 1 StGB in der Reihenfolge der Erbberechtigung ein Rechtsmittel ergreifen oder das Rechtsmittelverfahren weiterführen, soweit sie in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen sind. Diese Regelung ist indes nicht auf die Einziehung im Falle des Hinschieds der beschuldigten Person (im Verlauf des Untersuchungsverfahrens) zugeschnitten.
Stirbt die beschuldigte Person während des Untersuchungsverfahrens, ist das Strafverfahren infolge des Prozesshindernisses einzustellen (vgl. Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO) und eine allfällige Einziehung von Vermögenswerten des Verstorbenen zulasten der Erben anzuordnen, auf welche die Vermögenswerte mit dessen Tod übergegangen sind. Die Erben sind im Verfahren, in welchem über die Einziehung der bei der beschuldigten Person beschlagnahmten Vermögenswerte zu entscheiden ist, unmittelbar betroffene andere Verfahrensbeteiligte mit entsprechenden Parteirechten. Die Einstellungsverfügung ist ihnen mitzuteilen und sie können die darin erfolgte Einziehung der Vermögenswerte innert zehn Tagen mit Beschwerde anfechten, wobei die Rechtsmittelfrist mit der rechtsgültigen Zustellung des Einziehungsentscheids zu laufen beginnt. Das Untersuchungsamt Altstätten hätte daher nach diesen Grundsätzen verfahren müssen, was es zu Unrecht nicht tat. Es wäre folglich verpflichtet gewesen, die Erben von A ausfindig zu machen und die Einziehung der 15 000 Euro diesen gegenüber anzuordnen.
4.1 In Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Klienten und dem Anwalt greifen unter Vorbehalt von Sondervorschriften, wie sie sich namentlich aus dem Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte ergeben können. Der Auftrag erlischt, sofern nicht das Gegenteil vereinbart worden ist oder aus der Natur des Geschäfts hervorgeht, mit dem Tod des Auftraggebers.
Falls das Erlöschen des Auftrages die Interessen des Auftraggebers gefährdet, so ist der Beauftragte verpflichtet, für die Fortführung des Geschäftes zu sorgen, bis die Erben des Auftraggebers in der Lage sind, es selbst zu tun.
4.2 Prozessvollmachten über den Tod hinaus sind nach der Rechtsprechung grundsätzlich zulässig. Stirbt der Auftraggeber im Laufe des Prozesses und mangelt es an einer diesbezüglichen Vereinbarung, muss das Auftragsverhältnis in Beachtung des Vertrauensschutzprinzips nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre in Anwendung von Art. 35 Abs. 1 und Art. 405 Abs. 1 OR auch wegen der Natur des Geschäfts fortbestehen, wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, in welchem – nachdem die Erben ermittelt sind – abgeklärt ist, ob diese den Prozess fortzuführen gedenken und wer gegebenenfalls hierzu ermächtigt ist.
Eine über den Tod hinaus erteilte Prozessvollmacht ist demnach nicht einfach unbeachtlich, nachdem diese Möglichkeit gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist und sich der Fortbestand der Prozessvollmacht nach Lehre und Rechtsprechung nicht nur aus der Vereinbarung, sondern auch aus der Natur des Geschäfts ergeben kann. Sinn und Zweck einer transmortalen Vollmacht ist es unter anderem, die vermögensrechtliche Interessenwahrung nach dem Tod des Erblassers bis zur Ausstellung der Erbbescheinigung sicherzustellen, um so die Zeit bis zur Legitimation der Erben, die sehr lang sein kann, zu überbrücken. Darum geht es im vorliegenden Fall.
4.4 Der Rechtsanwältin wurde mit der Vollmacht über den Tod hinaus vom 5. November 2018 angesichts des bei A im Hinblick auf eine Einziehung nach Art. 70 StGB sichergestellten und beschlagnahmten Geldbetrages von 15 000 Euro auch die Interessenwahrung in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit anvertraut. Das Untersuchungsamt Altstätten wäre wie dargelegt verpflichtet gewesen, die Erben von A ausfindig zu machen, ihnen im Einziehungsverfahren die Parteirechte zu gewähren und sie aufzufordern, selbst einen Rechtsvertreter zu bestimmen. Die Rechtsanwältin blieb, nachdem ihr der Einziehungsentscheid vom 9. Dezember 2020 eröffnet wurde, daher zu Recht nicht untätig.
5. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen.
Bundesgericht, Urteil 6B 336/2021 vom 27.8.2021
Zivilprozessrecht
Gericht muss Aktienkurse nicht selber abklären
Der Wert von Aktien kann im Lauf eines Gerichtsprozesses stark schwanken. Wer will, dass das Gericht die aktuellen Kurse berücksichtigt, muss dies ausdrücklich verlangen.
Sachverhalt:
Ein Aargauer Ehepaar liess sich im Oktober 2018 scheiden. Das Bezirksgericht sprach dem Mann die Wohnung zu und verpflichtete ihn, der Frau vom Ersparten eine Ausgleichszahlung zu leisten. Zum Vermögen des Mannes zählte auch ein Aktiendepot. Die Frau hatte daher bei der Verhandlung eine Aufstellung der Kurse eingereicht, zu welchen die Aktien acht Tage zuvor an der Börse gehandelt worden waren. Der Mann wehrte sich erfolglos vor dem Obergericht Aargau gegen die Höhe der Ausgleichszahlung. Vor Bundesgericht argumentierte er erstmals, sein Aktiendepot sei zum Zeitpunkt des Obergerichtsurteils 130 000 Franken weniger wert gewesen als von der Vorinstanz angenommen. Die Börsenkurse seien während des Prozesses gesunken. Das Obergericht hätte dies beachten müssen. Denn die Kurse von börsenkotierten Firmen seien allgemein bekannt. Das Bundesgericht sah das anders.
Aus den Erwägungen:
3.2 Nach der gesetzlichen Regelung werden Errungenschaft und Eigengut jedes Ehegatten nach ihrem Bestand im Zeitpunkt der Auflösung des Güterstandes ausgeschieden (Art. 207 Abs. 1 ZGB). Als Zeitpunkt der Auflösung des Güterstandes gilt bei gerichtlicher Anordnung der Gütertrennung der Tag, an dem das Begehren eingereicht worden ist (Art. 204 Abs. 2 ZGB). Massgebend für den Wert der bei der Auflösung des Güterstandes vorhandenen Errungenschaft ist der Zeitpunkt der Auseinandersetzung (Art. 214 Abs. 1 ZGB). Erfolgt die güterrechtliche Auseinandersetzung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens, so ist der Tag der Urteilsfällung oder ein diesem möglichst nahe gelegener Zeitpunkt massgebend. Lehre und Rechtsprechung lassen aber Abweichungen von diesem Grundsatz zu, namentlich durch Vereinbarung der Parteien. Die Einigung auf einen anderen Zeitpunkt für die Bewertung kann auch implizit geschehen. Die für den Bestand und für die Bewertung massgebenden Zeitpunkte sind klar zu unterscheiden. Dass zwischen dem Zeitpunkt der Auflösung des Güterstandes und der güterrechtlichen Auseinandersetzung eingetretene Wertveränderungen berücksichtigt werden, ist nach der gesetzlichen Regelung gewollt.
Bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung sind die Vermögensgegenstände zu ihrem Verkehrswert einzusetzen (Art. 211 ZGB). Verkehrswert im Sinne des Gesetzes ist der Wert, der bei einem Verkauf auf dem freien Markt realisierbar wäre. Die Höhe des Verkehrswerts beschlägt eine Tatfrage, die Wahl der Methode für deren Ermittlung demgegenüber eine Rechtsfrage.
3.3 Der Beschwerdeführer stellt sich vor Bundesgericht neu auf den Standpunkt, sowohl Devisen- als auch Aktienkurse von börsenkotierten Gesellschaften seien notorisch und müssten nicht behauptet bzw. bewiesen werden, sodass es ihm nicht zum Nachteil gereichen dürfe, wenn er im Berufungsverfahren noch auf den Wert der Aktien im Jahr 2010 verwiesen habe.
3.4 Grundsätzlich ist – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz für den Zeitpunkt der güterrechtlichen Auseinandersetzung das Datum des erstinstanzlichen Urteils und nicht jenes ihres eigenen Entscheids als massgebend erachtete. Anders läge die Situation lediglich, wenn die Vorinstanz reformatorisch über den Ausgleichsanspruch entschieden hätte, was im Übrigen auch bei den in der Beschwerdeschrift zitierten Urteilen der Fall war (BGE 135 III 241 Sachverhalt lit. B in fine; Urteil 5P.82/2004 vom 7. Oktober 2004 Sachverhalt lit. C). Ob dazu Anlass bestanden hätte, d.h. ob das Bezirksgericht die Börsenkurse per 16. statt per 8. Oktober 2018 hätte heranziehen müssen, gilt es nachfolgend zu prüfen.
3.5 Der Beschwerdeführer beruft sich erstmals vor Bundesgericht darauf, dass Aktienkurse von börsenkotierten Gesellschaften notorisch seien.
3.6.2 Das Bundesgericht hatte bisher nicht zu beantworten, ob Aktienkurse börsenkotierter Gesellschaften als offenkundig zu gelten haben. Die Lehre äussert sich hierzu, soweit ersichtlich, grossmehrheitlich nicht.
3.6.6 In der Vergangenheit liegende Aktienwerte börsenkotierter Unternehmen sind ohne Weiteres etwa im Internet abrufbar, wobei hier üblicherweise der Börsenschlusswert angegeben wird. Als offenkundig hat zumindest zu gelten, dass Aktienkurse börsenkotierter Unternehmen starken Schwankungen unterworfen sein können, dies auch innerhalb eines einzigen Tages. So ist bereits einmal fraglich, ob für ein in der Vergangenheit liegendes Datum auf den Schlusswert oder einen anderen Wert (Tagesdurchschnitt, Höchstwert, Tiefstwert) abzustellen wäre, zumal die Aktien an jenem Datum nicht in jedem Fall zum Schlusswert verkauft worden wären. Ferner werden Aktien zum Teil auch an mehreren Börsen gehandelt, woraus unterschiedliche Kurse für dieselben Wertpapiere resultieren können. Im Unterschied zu Handelsregistereinträgen (vgl. Art. 396b Abs. 1 OR), die offenkundig sind (vgl. vorne E. 3.6.4), existiert keine gesetzliche Bestimmung, wonach Aktienkurse als bekannt zu gelten hätten. Im Gegensatz zur ebenfalls offenkundigen Lohnstrukturerhebung (vgl. vorne E. 3.6.4), deren Herausgeber allein das Bundesamt für Statistik ist, bestehen für in der Vergangenheit liegende Aktienkurse börsenkotierter Unternehmen mannigfaltige Quellen, welche teilweise gar minim voneinander abweichende Werte ausweisen.
Auch für den Wechselkurs – für den streng gesehen ebenfalls unterschiedliche Kurse bestehen (vgl. Vetter/Peyer, a.a.O., S. 778) – existiert eine Vielzahl von Quellen, was mit der Grund dafür sein dürfte, dass die Doktrin an der entsprechenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung (zumindest implizite) Kritik äusserte. Das Bundesgericht präzisierte denn auch in der Folge, nicht jede im Internet verfügbare Information sei offenkundig. Es gälten grundsätzlich nur Informationen aus dem Internet als offenkundig, welchen aufgrund des Umstands, dass sie leicht zugänglich sind und aus verlässlichen Quellen stammen, ein offizieller Anstrich anhafte. Während das Bundesamt für Statistik, öffentliche Register und die SBB alle zweifelsohne einen staatlichen Einschlag haben, ist nicht ersichtlich, weshalb dasselbe für Wechselkurse gelten sollte, welche am Devisenmarkt bestimmt werden. Erst recht ist nicht einsichtig, weshalb Aktienkursen börsenkotierter Unternehmen ein offizieller Anstrich anhaften sollte. Darüber hinaus weist Schwander zu Recht darauf hin, dass die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Wechselkurs wohl im Hinblick auf häufig gehandelte Währungen erging und nicht auf selten gehandelte Währungen zur Anwendung käme. Demnach lässt es sich nicht rechtfertigen, Börsenkurse den offenkundigen Tatsachen zuzuordnen.
3.7 Der Argumentation des Beschwerdeführers ist damit der Boden entzogen. Unbestrittenermassen stellte er vor Bezirksgericht keinerlei Behauptungen zu den Aktienwerten in einem dem Urteilsdatum nahen Zeitpunkt auf. Zwar bestritt er die von der Beschwerdegegnerin genannten Werte. Da er aber selbst für den relevanten Bewertungszeitpunkt keine Aktienwerte behauptete, ist angesichts der Geltung der Dispositionsmaxime nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils die beschwerdegegnerischen Werte übernahm.
Bundesgericht, Urteil 5A_1048/2019 vom 30.6.2021
Vertretung von Bürokollegin: Keine Parteientschädigung
Wenn eine Anwältin eine Kanzleikollegin vertritt, hat sie nur Anspruch auf eine Umtriebsentschädigung.
Sachverhalt:
Nach einer familienrechtlichen Streitigkeit liess sich eine Anwältin für eine Honorarbeschwerde von ihrer Bürokollegin vertreten. Die Anwältin forderte eine Parteientschädigung gemäss Honorarnote. Das Kantonsgericht Luzern beurteilte eine kanzleiinterne Vertretung jedoch gleich wie eine Vertretung in eigener Sache.
Aus den Erwägungen:
5.2 Nach bundesgerichtlicher Praxis haben obsiegende Parteien grundsätzlich nur dann Anspruch auf eine Parteientschädigung, wenn sie durch eine externe Anwältin oder einen externen Anwalt vertreten sind, und deshalb tatsächlich Anwaltskosten anfallen. Vorliegend wurde die Beschwerdeführerin durch eine Büropartnerin vertreten. Es liegt damit im Grundsatz ein Fall von Prozessführung in eigener Sache vor, bei welcher nur in Ausnahmefällen eine Parteientschädigung zugesprochen wird. Die Beschwerdeführerin ist folglich nicht im Sinn von Art. 95 Abs. 3 lit. b ZPO berufsmässig vertreten, entsprechend sind ihr diesbezüglich keine entschädigungsfähigen Kosten entstanden. Gemäss Art. 95 Abs. 3 lit. c ZPO besteht aber die Möglichkeit, einer Partei, welche nicht berufsmässig vertreten ist, eine angemessene Umtriebsentschädigung auszurichten. Diese Bestimmung zielt vor allem auf Selbständigerwerbende, die aufgrund des Prozesses einen nachweisbaren Verdienstausfall erleiden. Diese Situation ist mit jener einer Anwältin oder eines Anwalts vergleichbar, die oder der in eigener Sache auftritt. Diese sind nicht gemäss Anwaltstarif zu entschädigen; ihnen ist vielmehr in analoger Anwendung von Art. 95 Abs. 3 lit. c ZPO eine tiefere, ex aequo et bono bemessene Entschädigung zuzusprechen. Schliesslich soll, wer sich mit Sachverstand einer Sache selber annimmt, nicht schlechter gestellt werden, als wer eine Fachperson beizieht und deren Kosten auf die Gegenpartei abwälzen kann.
Der Beschwerdeführerin ist daher eine angemessene Umtriebsentschädigung zuzusprechen. Allerdings bemisst sich diese nicht nach den (höheren) Honoraransätzen, welche bei Beizug eines mandatierten externen Rechtsvertreters zur Anwendung kommen (BGer-Urteil 2C_807 /2008 vom 19.6.2009, E. 4.3). Vielmehr ist in analoger Anwendung von Art. 95 Abs. 3 lit. c ZPO eine tiefere, ex aequo et bono bemessene Entschädigung zuzusprechen. Nach § 29 Abs. 2 JusKV beträgt die Umtriebsentschädigung der Anwältin, die in eigener Sache handelt, maximal die Hälfte der Gebühr nach § 31 oder § 32. Für das Honorar der berufsmässigen Rechtsvertretung im Beschwerdeverfahren ergibt sich ein Gebührenrahmen von 375 bis 7500 Franken (§ 9 i.V.m. § 8 Abs. 3 und § 31 Abs. 1 JusKV). Der Rahmen für die Umtriebsentschädigung beträgt somit vorliegend maximal Fr. 187.50 bis 3750 Franken.
Mit Blick auf das nicht sehr umfangreiche Beschwerdeverfahren, das rechtlich keine Schwierigkeiten bot und für die Beschwerdeführerin von mässiger Bedeutung war (Streitwert rund 2600 Franken), ist eine pauschale Parteientschädigung von 1000 Franken (inkl. Auslagen und MwSt.) angemessen. Abgesehen davon, dass die Kostennote für die ex aequo et bono zu bemessende Umtriebsentschädigung nicht massgebend ist, gilt es dazu festzustellen, dass der geltend gemachte Stundenansatz von 280 Franken nicht dem im Kanton Luzern geltenden Anwaltstarif entspricht. Zudem können nicht die gleichen Aufwendungen geltend gemacht werden wie bei einer externen Vertretung; so erübrigt sich beispielsweise die Instruktion durch die Mandantin.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird die Kostennote der Beschwerdeführerin für das Verfahren 2B4 19 7 vor Bezirksgericht Willisau auf Fr. 5455.60 zuzüglich Fr. 149.60 Auslagen und MwSt. festgelegt.
Kantonsgericht Luzern, Urteil KG 3C 21 2 vom 2. 6. 2021
Betreibungsrecht
Betreibungen sind am Wohnort zu löschen
Bei einem Umzug ist das Betreibungsamt für die Löschung eines Eintrags im Register zuständig, bei dem die Betreibung eingegangen ist.
Sachverhalt:
Eine Zuger Firma verlegte ihren Sitz am 1. Februar 2019 in eine andere Gemeinde. Am selben Tag gingen beim Betreibungsamt am alten Sitz zwei Betreibungen ein. Das Amt konnte die Zahlungsbefehle nicht zustellen. Dennoch blieben die beiden Betreibungen im Register eingetragen. Später beantragte das Unternehmen beim Betreibungsamt der früheren Gemeinde, dass Dritte nicht mehr über die Betreibungen informiert werden dürfen. Das Amt lehnte das mit der Begründung ab, es sei dafür nicht zuständig. Anders urteilte das Obergericht Zug: Es hiess den Antrag gut.
Aus den Erwägungen:
3. Gemäss Art. 8a Abs. 3 lit. d des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) geben Ämter Dritten von einer Betreibung keine Kenntnis, wenn der Schuldner nach Ablauf einer Frist von drei Monaten seit der Zustellung des Zahlungsbefehls ein entsprechendes Gesuch gestellt hat, sofern der Gläubiger nach Ablauf einer vom Betreibungsamt angesetzten Frist von 20 Tagen den Nachweis nicht erbringt, dass rechtzeitig ein Verfahren zur Beseitigung des Rechtsvorschlages (Art. 79–84 SchKG) eingeleitet wurde.
3.1 Zunächst ist zu prüfen, ob das Betreibungsamt X. am alten Sitz der Gesellschaft für die Beurteilung des Gesuchs um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte zuständig war, konnten doch in den fraglichen Betreibungen keine Zahlungsbefehle zugestellt werden.
3.1.1 Zuständig für das Gesuch um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte ist dasjenige Betreibungsamt, bei welchem die beanstandete Betreibung eingereicht worden ist bzw. welches den Zahlungsbefehl ausgestellt hat. Ein unzuständiges Amt hat ein Gesuch um Nichtbekanntgabe gemäss Art. 32 Abs. 2 SchKG an das zuständige Amt zu überweisen (vgl. Weisung der Dienststelle Oberaufsicht für Schuldbetreibung und Konkurs Nr. 5 [neuer Art. 8a Abs. 3 Bst. d SchKG] des Bundesamtes für Justiz vom 18. Oktober 2018, S. 2 Ziff. 4; Rodriguez/Gubler, «Die Abwehr von Betreibungsregistereinträgen ab dem 1. Januar 2019», in: ZBJV 2019 S. 24).
3.1.2 Das Betreibungsamt X stellte in den Betreibungen zwar die Zahlungsbefehle aus, konnte diese aber nicht zustellen, da die Beschwerdeführerin am 1. Februar 2019 ihren Sitz von X nach Y verlegte. Gleichwohl war das Betreibungsamt X zuständig für die Beurteilung des Gesuchs um Nichtbekanntgabe einer Betreibung an Dritte, da die fraglichen Betreibungen beim Amt eingereicht wurden und es die entsprechenden Zahlungsbefehle ausgestellt hat.
4. In Gutheissung der Beschwerde ist demnach die Verfügung des Betreibungsamtes der Gemeinde X in den Betreibungen aufzuheben. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um Nichtbekanntgabe der Betreibungen ist gutzuheissen.
Obergericht Zug, Urteil BA 2020 42 vom 4.3.2021
Notariatsrecht
Notare müssen vorgängig über Kosten informieren
Notariate müssen Kunden darauf aufmerksam machen, dass bestimmte Dienstleistungen kostenpflichtig sind. Und wie hoch die Rechnung wird.
Sachverhalt:
Ein Hausbesitzer aus Wollerau SZ wollte eine Garage bauen. Er fragte beim Notariat des Bezirks Höfe SZ nach, welche Pläne er ändern müsse. Der stellvertretende Notar beriet den Hausbesitzer zehn Minuten lang und schickte ihm elf beglaubigte Plankopien zu. Die Rechnung belief sich auf Fr. 355.05. Der Eigentümer erhob Beschwerde vor dem Kantonsgericht Schwyz. Dieses reduzierte die Gebühr auf 98 Franken. Für die zehnminütige Beratung sei ein Honorar von 33 Franken angemessen. Die Kosten für eine beglaubigte Seite reduzierte das Gericht um die Hälfte.
Aus den Erwägungen:
3. Die Darstellungen des kostenpflichtigen Sachverhaltes des Beschwerdeführers und des Notariates gehen auseinander. Unbestritten ist, dass die Gebühren nicht für einen formellen Eintragungsakt erhoben werden sollen, sondern für Beratungen des Notariates. Der Beschwerdeführer behauptet, vom Notariat nur die telefonische Auskunft angestrebt zu haben, welche Unterlagen für einen späteren Eintrag notwendig seien. Die Sekretärin habe aber auf einem Termin beim Sachbearbeiter beharrt, welchem er «gezwungenermassen» nachkam und da er dann schon dort war, auch noch nach Einsicht in den Begründungsakt einer in seinem Miteigentum befindlichen Parzelle fragte. Dabei habe er elf Kopien gewünscht, jedoch diese nur in beglaubigter Form erhalten. Das Notariat dagegen führt aus, die Fragen nach der Ausgestaltung von Nutzungsrechten an Garagen auf der Miteigentumsliegenschaft seien komplexer Natur gewesen und hätten die Konsultation und Interpretation von Grundbuchbelegen erforderlich gemacht.
4. a) Die Parteien sind sich im Wesentlichen einig, dass die Beratungen des Beschwerdeführers betreffend des Näherbaurechts über die Anforderungen an die zeichnerische Darstellung des Grundbuchplanes im Sinne von Art. 732 Abs. 2 ZGB rund zehn Minuten dauerten. Es ist nachvollziehbar, dass dies nicht einfach telefonisch durch eine Mitarbeiterin des Sekretariats erfolgen konnte. Dagegen ist den Stellungnahmen des Notariates nicht zu entnehmen, dass weitere Beratungen im Zusammenhang für rechtliche Veränderungen an im Miteigentum stehenden Garagen im Hinblick auf eine konkret anstehende öffentliche Beurkundung erfolgten. Mithin ist für den rund zehnminütigen Aufwand des Notar-Stellvertreters im Hinblick auf die Eintragung eines Näherbaurechts die durch das Notariat selbst berechnete Gebühr von 33 Franken angemessen. Im Übrigen vermag das Notariat nicht hinreichend klarzustellen, inwiefern der Beschwerdeführer im Zusammenhang der verlangten Einsicht in Grundbuchbelege einer anderen Liegenschaft eine Beratung hinsichtlich einer öffentlichen Beurkundung einholen wollte, und kann mithin insofern für zusätzlichen, vom Beschwerdeführer bestrittenen Beratungsaufwand des Notar-Stellvertreters keine Rechnung stellen. Namentlich legt das Notariat auch nicht dar, den Beschwerdeführer darauf hingewiesen zu haben, dass es sich um kostenpflichtige Dienstleistungen handeln würde.
b) Der Beschwerdeführer legt nicht dar, mit der Zustellung beglaubigter Kopien konkret nicht einverstanden gewesen zu sein. Das Notariat behauptet indes ebenfalls nicht, den Beschwerdeführer auf die im Vergleich zu Normalkopien (§ 10 Abs. 1 lit. b GebO) erheblich höheren Kosten von 10 Franken je Seite beglaubigter Kopien (§ 11 Satz 3 GebO) aufmerksam gemacht zu haben. Dies hätte sich jedoch umso mehr aufgedrängt, als der Beschwerdeführer die Grundbuchbelege mit seinem Mobiltelefon unbestritten nur zu informativen Zwecken fotografieren wollte, was ihm nach der Darstellung des Notariats mit dem blossen Hinweis, dass Kopien nur in beglaubigter Form ausgestellt würden, nicht erlaubt worden sein soll.
Unter diesen Umständen erweist sich die volle Anrechnung von fünf bzw. sechs kopierten Seiten der beglaubigten beiden Belege als unangemessen, kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer angesichts ihm bekanntgegebener Kosten auf die Ausstellung verzichtet hätte. Der dafür in Rechnung gestellte Betrag von 110 Franken ist daher ermessensweise auf die Hälfte zu reduzieren (§ 9 GebO), hat doch der Beschwerdeführer zugegebenermassen höhere Kosten als bei normalen Kopien erwartet. Ein zusätzlicher Zeitaufwand kann neben den Beglaubigungsgebühren für die Sachbearbeiterin nicht angerechnet werden (§ 3 Abs. 1 GebO).
In Gutheissung der Beschwerde wird die angefochtene Verfügung aufgehoben und der vom Notariat in Rechnung gestellte Betrag auf 98 Franken reduziert.
Kantonsgericht Schwyz, Beschluss ZK2 2020 85 vom 13.7.2021
Strafrecht
Hund nicht an der Leine: Fahrlässige Tierquälerei
Ein Hundehalter kann auch ohne gesetzliche Leinenpflicht aufgrund seiner Sorgfaltspflicht gehalten sein, seinen Hund anzuleinen, wenn dieser nicht jederzeit abrufbar und unter Kontrolle ist.
Sachverhalt:
Ein freilaufender Appenzeller-Collie-Mischling biss in Schaffhausen einen Entlebucher Sennenhund, der an der Leine geführt wurde. Die Staatsanwaltschaft bestrafte den Halter des Mischlings wegen «fahrlässiger Tierquälerei» mit einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen à 120 Franken. Der Mann erhob Einsprache. Mit Erfolg: Das Kantonsgericht Schaffhausen sprach ihn frei. Doch das Obergericht Schaffhausen war anderer Ansicht: Der Halter hätte seinen Hund anleinen müssen, als er den anderen Hund erblickte. Der Halter habe so das Leid des anderen Hunds in Kauf genommen. Das Obergericht verzichtete allerdings auf eine Strafe, da der Halter sofort eingegriffen und alles getan habe, was ihm zuzumuten war. Ausserdem habe er die Arztrechnungen für den anderen Hund bezahlt.
Aus den Erwägungen
4.1.7 Die erlittene Bisswunde macht eine tierärztliche Behandlung nötig.
4.1.8 Vor diesem Hintergrund kann nicht mehr nur von einem unerheblichen Leiden von C ausgegangen werden. Die Folgen der Bissattacke gingen über ein schlichtes Unbehagen des Tiers hinaus und stellen eine erhebliche Beeinträchtigung seines Wohlergehens dar, die nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt ist und damit auch die Tierwürde missachtete. C.s Verletzung ist daher objektiv als Misshandlung im Sinne von Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG zu würdigen.
4.2.2 In Bezug auf die Hundehaltung sind namentlich folgende Normen einschlägig: Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a des Gesetzes über das Halten von Hunden vom 27. Oktober 2008 (Hundegesetz, SHR 455.200) sind Hunde so zu führen und zu beaufsichtigen, dass sie weder Mensch noch Tier gefährden, belästigen oder in der bestimmungsgemässen und sicheren Nutzung des frei zugänglichen Raumes beeinträchtigen. Gemäss Art. 10 Abs. 3 lit. c Hundegesetz ist es verboten, Hunde im frei zugänglichen Raum unbeaufsichtigt laufen zu lassen. Art. 12 Hundegesetz sieht zudem eine Leinenpflicht an gewissen Orten oder bei gewissen Hunden (z.B. wenn sie «bissig» sind, Abs. 2 lit. b) vor. Weiter hat gemäss Art. 77 der Tierschutzverordnung vom 23. April 2008 (TSchV, SR 455.1), wer einen Hund hält oder ausbildet, Vorkehrungen zu treffen, damit der Hund Menschen und Tiere nicht gefährdet.
4.3.1 Auf einem Feldweg muss mit Hundespaziergängern gerechnet werden, wobei gerade an unübersichtlichen Stellen damit zu rechnen ist, dass es zu überraschenden Direktbegegnungen mit anderen Hunden kommen kann. Dass es dabei zu aggressiven Auseinandersetzungen mit möglichen Bissverletzungen der Tiere kommen kann, ist nichts Ungewöhnliches, selbst wenn das eigene Tier bisher nie aggressiv aufgefallen ist.
4.4 Zusammengefasst bestand zwar unbestrittenermassen keine gesetzliche Leinenpflicht am Ort des Geschehens, und nicht «bissigen» Hunden ist Auslauf im Freien wenn möglich auch ohne Leine zu gewähren (vgl. Art. 71 Abs. 1 TSchV). Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, werden an die Sorgfaltspflicht des Hundehalters jedoch hohe Anforderungen gestellt. Hunde sind allgemein zu führen und zu beaufsichtigen. Ist der Hund nicht jederzeit abrufbar und unter der Kontrolle des Halters, so muss der Hund in einer Situation wie der vorliegenden an die Leine genommen werden, auch wenn keine ausdrückliche gesetzliche Leinenpflicht besteht.
4.6 Ein Hundehalter, der pflichtwidrig davon absieht, seinen Hund anzuleinen, überschreitet die Grenze des zulässigen Risikos und kann den Tatbestand der Tierquälerei nach Art. 26 Abs. 1 lit. a TSchG erfüllen, wenn aufgrund dieser Nachlässigkeit ein anderer Hund zu Schaden kommt. Der Beschuldigte ist daher der fahrlässigen Tierquälerei im Sinne von Art. 26 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 TSchG schuldig zu sprechen.
5. Die Staatsanwaltschaft beantragte im Berufungsverfahren zuletzt zusätzlich zum Schuldspruch wegen fahrlässiger Tierquälerei auch eine Verurteilung wegen Übertretung des Tierschutzgesetzes. Begründungshalber führte sie aus, dass es sich beim angeklagten Sachverhalt um eine mangelhafte Beaufsichtigung eines Hundes durch den Beschuldigten als Halter i.S.v. Art. 77 TSchV handle, wobei Art. 77 TSchV primär dem Schutz der öffentlichen Sicherheit diene. Art. 26 TSchG hingegen schütze die Würde und das Wohlergehen des einzelnen Tieres, womit unterschiedliche Rechtsgüter betroffen seien. Daher sei bei der fahrlässigen Tierquälerei i.S.v. Art. 26 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 TSchG und der fahrlässigen Übertretung des Tierschutzgesetzes i.S.v. Art. 28 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 TSchG i.V.m. Art. 77 TSchV von echter Konkurrenz auszugehen. Eine zusätzliche Verurteilung wegen Missachtung von Art. 77 TSchV fällt ausser Betracht. Art. 77 TSchV ist eine sicherheitspolizeiliche Norm und vorliegend keine genügende Grundlage der Übertretungsstrafnorm Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG (E. 5).
5.3 Ein Schuldspruch wegen Übertretung des Tierschutzgesetzes nach Art. 28 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 TSchG fällt damit ausser Betracht.
6. Voraussetzung für die Strafbefreiung gemäss Art. 52 StGB ist die Geringfügigkeit von Schuld und Tatfolgen, wobei beide Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen.
6.1 Das Tatverschulden ist vorliegend selbst im Spektrum der Fahrlässigkeitsdelikte im unteren Bereich anzusiedeln: Dem Beschuldigten ist vorzuwerfen, dass er die konkrete Situation einen kurzen Moment lang nicht richtig einschätzte bzw. pflichtwidrig darauf vertraute, sein ihm als friedliches Tier bekannter Hund werde keine Aggression zeigen. Der Beschuldigte hat zudem, nachdem sich sein Hund in C verbissen hatte, sofort eingegriffen und versucht, R wegzuziehen. Damit ist er seiner Halterpflicht gemäss Art. 10 Abs. 4 Hundegesetz, mit allen zu Gebot stehenden Mitteln einzugreifen, wenn der Hund einen Menschen oder ein Tier angreift oder hetzt, unverzüglich nachgekommen. Weiter fällt vorliegend ins Gewicht, dass noch andere Umstände als das Fehlverhalten des Beschuldigten den Erfolgseintritt begünstigt haben, auch wenn diese nicht zu einem Unterbruch des Kausalzusammenhangs führten (vgl. E. 4.3.3). Zusammenfassend wiegt das Verschulden des Beschuldigten auch im Vergleich zum typischen Regelfall des tatbestandsmässigen Verhaltens sehr leicht.
6.2 Bezüglich des Nachtatverhaltens ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte die Tierarztrechnung für die Behandlung von C vollumfänglich bezahlt und sich auch bei B entschuldigt sowie für C Hundeleckerli gekauft hat. Weiter besucht der Beschuldigte seit dem Vorfall mit R regelmässig einen Hundekurs.
6.3 In Bezug auf die Tatfolgen ist festzuhalten, dass bereits das Tierschutzgesetz selbst für leichtere Fälle den Übertretungstatbestand von Art. 28 Abs. 1 TSchG vorgesehen hat.
6.4 Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, da sowohl die Tatfolgen als auch das Verschulden geringfügig sind und das Strafbedürfnis nicht erkennbar ist, in Anwendung von Art. 52 StGB von einer Strafe abzusehen. Damit erfolgt auch kein Eintrag der Verurteilung ins Strafregister.
Obergericht Schaffhausen, Urteil 50/2020/20 vom 16.4.2021