Personenrecht
Schweiz muss Geschlechtseintrag löschen
Die Schweizer Behörden müssen die ausländische Entfernung eines Geschlechtseintrags im Zivilstandsregister anerkennen, entschied das Aargauer Obergericht.
Sachverhalt:
Die beschwerdeführende Person A. hat die Schweizer Staatsbürgerschaft und ist aus beruflichen Gründen vor ein paar Jahren nach Deutschland ausgewandert. In Deutschland liess sie beim Standesamt den Vornamen ändern und zugleich den amtlichen Geschlechtseintrag streichen. Denn es entspricht ihrer nicht-binären Geschlechtsidentität, keinen Geschlechtseintrag zu haben. Im vergangenen Juni beantragte die beschwerdeführende Person beim Heimatort im Kanton Aargau, den neuen Vornamen und die Streichung des Geschlechtseintrags anzuerkennen, also im Schweizer Register zu übernehmen. Das zuständige Departement lehnte den Antrag auf Streichung des Geschlechtseintrages ab. Dagegen beschwerte sich A. beim Obergericht Aargau – mit Erfolg.
Aus den Erwägungen:
2.1 Die Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung im Wesentlichen erwogen, die Eintragung einer ausländischen Entscheidung oder Urkunde über den Zivilstand in das schweizerische Personenstandsregister werde bewilligt, wenn die Voraussetzungen der Art. 25–27 des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (IPRG) erfüllt seien. In Frage stehe die Zulässigkeit einer Streichung des in der Schweiz bestehenden Geschlechtseintrags, welche nach deutschem Recht in Deutschland (Berlin) durchgeführt worden sei.
Die geltenden schweizerischen Grundsätze über die Registerführung basierten ausschliesslich auf dem binären System männlich/weiblich. Es bestehe aktuell keine rechtliche Grundlage, die eine Abweichung davon zulasse. Das heisse, mittels Eintrag im schweizerischen Personenstandsregister sei eine Person nach schweizerischem Recht stets dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuzuordnen; dies unabhängig davon, ob die Person im Ausland unter dessen Rechtsordnung eine andere oder keine Geschlechtsbezeichnung aufweise. Damit würden zurzeit andere bzw. fehlende Geschlechtsbezeichnungen, welche im Ausland im Rechtsverkehr verwendet würden, von der schweizerischen Rechtsordnung abweichen und widersprächen offensichtlich dem Ordre public der Schweiz.
Ob inskünftig die Möglichkeit eingeführt werden solle, den Eintrag zum Geschlecht offen zu lassen oder abweichend von männlich bzw. weiblich zu bezeichnen, werde zurzeit fachlich und politisch u.a. im Rahmen eines Berichts zu den Postulaten Arslan und Ruiz erörtert. Die Vorinstanz verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Botschaft des Bundesrats vom 6. Dezember 2019 zur Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister, welche sich auch zum Thema binäre Geschlechterordnung in der Schweiz sowie zur Handhabung von internationalen Konstellationen äussere.
Durch den Vorbehalt des Ordre public solle vermieden werden, durch eine Verweisung auf ausländisches Recht in der Schweiz Ergebnisse verwirklichen zu müssen, die mit den schweizerischen Rechtsanschauungen offensichtlich nicht übereinstimmten. Aus dem Gesagten sei abzuleiten, dass die geltende Rechtsordnung der Schweiz und das damit verbundene Rechtsgefühl (welches sich selbstverständlich laufend ändern könne) durch die Anerkennung der – in der Schweiz rechtlich nicht vorgesehenen – in Deutschland erfolgten Streichung der Geschlechtsbezeichnung im Personenstandsregister in unerträglicher Weise verletzt würde.
2.2 Mit der Beschwerde wird gerügt, nach dem Gesetzeswortlaut sei der Ordre-public-Vorbehalt bei der Anerkennung ausländischer Entscheide restriktiver auszulegen als im Bereich der Anwendung fremden Rechts, zumal nur «offensichtliche» Verstösse gegen den Ordre public zu einer Nichtanerkennung führen könnten. Es genüge damit nicht, dass die im Ausland getroffene Lösung von der nach schweizerischem Recht vorgesehenen Lösung abweiche oder in der Schweiz unbekannt sei. Vielmehr müsse der ausländische Entscheid an zentralen Säulen der hiesigen Rechtsordnung ritzen. Dabei seien die hiesigen Wertvorstellungen relativ und könnten sich mit der Zeit ändern, weshalb der Ordre-public-Vorbehalt wandelbar sei.
Nicht binäre Geschlechtsidentitäten seien bereits gesellschaftliche Realität und die binäre Geschlechterordnung gelte auch hierzulande langsam, aber sicher als überholt. Dies zeige sich in verschiedenen Formen – beispielsweise in Werbekampagnen, welche die entsprechende Terminologie verwenden würden, dem Corona-Screening des Bundesamts für Gesundheit, welches als Geschlechtsbezeichnung auch «Andere» zulasse, sowie dem aktuellen Aktionsplan der Stadt Bern zur Gleichstellung von Frauen und Männern und von LGBTIQ-Menschen, welcher «nicht-binäre Erwachsene und Kinder» explizit aufführe. Nach dem Gesagten stelle die Streichung der Geschlechtsangabe im Personen- und Geburtenregister keinen Verstoss gegen den materiellen Ordre public dar.
3.2 Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung oder Urkunde über den Zivilstand nach Art. 32 Abs. 1 IPRG setzt zunächst voraus, dass die Zuständigkeit der ausländischen Behörde gestützt auf eine Bestimmung des IPRG begründet ist (Art. 25 lit. a und Art. 26 IPRG). Weiter wird vorausgesetzt, dass gegen die Entscheidung oder die Urkunde kein ordentliches Rechtsmittel mehr geltend gemacht werden kann oder dass sie endgültig ist (Art. 25 lit. b IPRG). Zuletzt darf auch kein Verweigerungsgrund i.S.v. Art. 27 IPRG vorliegen (Art. 25 lit. c IPRG). Dass die Anerkennungsvoraussetzungen von Art. 25 lit. a und b IPRG erfüllt sind, ist im vorinstanzlichen Verfahren unbestritten geblieben und wird in der Beschwerde nicht gerügt.
3.3.1 Eine ausländische Entscheidung oder Urkunde wird in der Schweiz nicht anerkannt, wenn die Anerkennung mit dem schweizerischen Ordre public offensichtlich unvereinbar wäre (materieller Ordre public; Art. 27 Abs. 1 IPRG). Eine Anerkennung verstösst dann gegen den materiellen Ordre public, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und die Vollstreckung eines ausländischen Entscheids in unerträglicher Weise verletzt würde, weil dadurch grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden. Nicht jeder Verstoss gegen das Rechtsempfinden, die Wertvorstellungen oder zwingendes Recht rechtfertigt jedoch diesen Eingriff. Für die Verletzung ist vielmehr erforderlich, dass die Anerkennung und Vollstreckung des ausländischen Entscheids in der Schweiz mit den hiesigen rechtlichen und ethischen Werturteilen schlechthin unvereinbar wäre. Ob der Ordre public verletzt ist, beurteilt sich nicht abstrakt.
Man geht davon aus, dass in der Schweiz jährlich etwa 40 Kinder zur Welt kommen, deren Geschlecht nicht eindeutig bestimmt werden kann. In diesem Kontext wird von einer «Variante der Geschlechtsentwicklung» oder von «Intersexualität» gesprochen. In diesen Fällen muss nach dem heute geltendem Recht eines der beiden amtlichen Geschlechter im Personenstandsregister eingetragen werden. Dies kann für die Betroffenen zu unbefriedigenden Situationen führen, wenn sie sich später nicht der ihnen zugewiesenen oder keiner der amtlichen Geschlechterkategorien zugehörig fühlen.
3.3.3.7 Nach dem Gesagten ist aktuell weder die Eintragung eines dritten Geschlechts noch der Verzicht auf eine Geschlechtsangabe im schweizerischen Personenstandsregister explizit vorgesehen. Es ist auch nicht absehbar, wie eine allfällige Anpassung des schweizerischen Rechtssystems konkret aussähe. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Binarität des amtlichen Geschlechts zunehmend in Frage gestellt wird. Darauf deutet auch der Umstand hin, dass in der Verwaltung offenbar bereits daran gearbeitet wird, die Abbildung nichtbinärer Geschlechtseinträge ausländischer Register in schweizerischen Registern zu ermöglichen.
Im Bereich der Einwohnerregister wurden entsprechende Anpassungen bereits umgesetzt. Die Vielfalt der Beweggründe und Lösungsvorschläge vermag nichts daran zu ändern, dass der Status quo – die Pflicht, sich entweder als «männlich» oder «weiblich» im Personenstandsregister eintragen zu lassen – vermehrt auf Kritik stösst.
3.4 Die beantragte Eintragung nach Art. 32 IPRG stellt keine offensichtliche Verletzung des Ordre public i.S.v. Art. 27 Abs. 1 IPRG dar. Entsprechend ist die Beschwerde gutzuheissen und die Eintragung nach Art. 32 Abs. 2 IPRG zu bewilligen.
Obergericht Aargau, Urteil ZBE.2020.8 vom 29.3.2021
Vertragsrecht
Schlüsselverlust: Mieter muss nicht alles zahlen
Das komplette Schliesssystem eines Bürohauses muss nur ersetzt werden, wenn ein ernstzunehmendes Sicherheitsrisiko vorliegt. Der Verlust eines Schlüssels erfüllt diese Voraussetzung nicht.
Sachverhalt:
Der Mieter eines Büros in Zürich wollte vorzeitig vom Mietvertrag zurücktreten. Er schlug zwei Nachmieter vor, die das Objekt im bestehenden Zustand übernehmen wollten. Der Vermieter übergab das Büro einem der vorgeschlagenen Mieter. Vom bisherigen Mieter forderte er 11 000 Franken Schadenersatz für Mängel sowie für einen fehlenden Schlüssel, was einen Schlosswechsel erforderlich mache. Das Bezirkgsgericht und das Obergericht Zürich sahen es anders: Der Mieter muss nicht für den Ersatz der gesamten Schliessanlage zahlen, sondern nur für das Schloss an der Tür der gemieteten Büros.
Aus den Erwägungen:
4.1 Die Kläger fordern von der Beklagten 5700 Franken für den Ersatz der Schlosszylinder zu den ehemaligen Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten sowie aller Allgemeinzylinder und für den Austausch von insgesamt 221 Schlüsseln. Die Beklagte habe trotz Aufforderung nicht alle Schlüssel vollständig retournieren können.
4.2 Die Beklagte gab anlässlich der Hauptverhandlung an, zunächst zwei Schlüssel nicht wiedergefunden zu haben. Einen davon habe sie erst gefunden, als die Schliessanlage bereits ersetzt gewesen sei; daher habe sich eine Rückgabe erübrigt. Anlässlich der Hauptverhandlung erklärte sich die Beklagte grundsätzlich bereit, für den Ersatz der Schlosszylinder im oberen, von der Beklagten als Büroräumlichkeiten genutzten Bereich und den Ersatz der zehn bereichsspezifischen Schlüssel aufzukommen. Die Kläger versuchten mit ihrem Vorgehen allerdings, die Schliessanlage eines ganzen Komplexes auf Kosten der Beklagten zu modernisieren.
Die Kläger führten dagegen ins Feld, dass der zusätzliche Austausch aller Allgemeinzylinder notwendig gewesen sei, um den Sicherheitsstandard der Liegenschaft aufrechtzuerhalten. Sie müssten den übrigen Mietern regelmässig Rechenschaft darüber ablegen, wie viele Schlüssel insgesamt in Umlauf seien. Deshalb hätten allen Mietern der Liegenschaft neue Schlüssel ausgehändigt werden müssen, welche jeweils zu den neuen Allgemeinzylindern und ihren alten individuellen Bereichszylindern passten.
4.3 Bei der Rückgabe des Mietobjekts hat die Mieterin sämtliche Schlüssel zurückzugeben. Die Rückgabe der Mietsache gilt auch dann als vollzogen, wenn ein Schlüssel fehlt, weil er abhandengekommen ist und dies dem Vermieter bei der Rückgabe mitgeteilt wird. Händigt die Mieterin nicht alle Schlüssel aus oder hat sie solche verloren, so sind die Vermieter berechtigt, auf Kosten der Mieterin die verlorenen Schlüssel nachmachen zu lassen.
Ob die Vermieter darüber hinaus befugt sind, das ganze Schliesssystem ersetzen zu lassen, hängt aufgrund der Schadenminderungsobliegenheit der Vermieter von den konkreten Umständen ab. Dabei ist in erster Linie zu prüfen, ob nach dem Ersatz der abhandengekommenen Schlüssel noch ein Mangel, insbesondere in Form eines ernst zu nehmenden Sicherheitsrisikos vorliegt.
4.3.3 Es ist richtig, dass sich jemand mit dem abhandengekommenen Schlüssel im Falle eines Austauschs lediglich der Schlüssel und der Schlosszylinder theoretisch Zutritt zu den Allgemeinräumlichkeiten der Liegenschaft hätte verschaffen können. Das Mietobjekt und die übrigen Objekte des Hauses wären durch ein solches Vorgehen aber ausreichend geschützt gewesen. Zwar kann auch in der Gefahr eines Zutritts zu den Allgemeinräumen ein je nach Gebrauchszweck eines Objekts nicht unerhebliches Sicherheitsrisiko erblickt werden. Dieses scheint jedoch angesichts des Umstands, dass die Beklagte den fehlenden Schlüssel unwidersprochen schon seit längerer Zeit vermisste und dass in der ganzen Zeit kein Missbrauch erfolgte, äusserst gering.
Dem Argument der Beklagten ist zuzustimmen, dass die Umstände des Verschwindens des Schlüssels nicht auf ein erhöhtes Sicherheitsrisiko hindeuten, und zwar auch nicht in Bezug auf die Allgemeinräume. Der pauschale Hinweis der Kläger auf den allgemeinen Sicherheitsstandard genügt aufgrund der unbestrittenen und nachvollziehbaren Angaben der Beklagten zum Verbleib des Schlüssels nicht, um den kostspieligen Austausch der ganzen Schliessanlage zu rechtfertigen. Zudem zeigt der Umstand, dass die Schliessanlage mindestens sieben Monate seit der Wohnungsabgabe und der Kenntnis der Beklagten über die fehlenden Schlüssel noch nicht erneuert wurde, dass selbst die Kläger nicht ernsthaft mit einem Missbrauch aufgrund der fehlenden Schlüssel rechneten.
4.3.5 Zu ersetzen hat die Beklagte allerdings die Kosten, soweit sie einzig im Zusammenhang mit der Auswechslung der Zylinder und der dazugehörigen Schlüssel zu den konkreten Mieträumlichkeiten angefallen wären. Dies gilt umso mehr, als unbestrittenermassen als Nachmieterin eine Anwaltskanzlei die Büroräumlichkeiten bezogen hat. Es ist gerichtsnotorisch, dass sich in Räumlichkeiten von Anwaltskanzleien besonders schützenswerte Daten befinden, welche einen weitreichenden gesetzlichen Schutz geniessen. Entsprechend rechtfertigte es sich, zumindest für die ehemaligen Büroräumlichkeiten der Beklagten den Zylinder auszutauschen und entsprechend neue Schlüssel anfertigen zu lassen.
Obergericht Zürich, Urteil PD210001 vom 16.2.2021
Zivilprozessrecht
Recht auf Teilnahme an Verhandlung trotz Pandemie
Die persönliche Anwesenheit einer Partei ist für eine wirksame Schlichtung wichtig. Ein Interesse der Behörden am grosszügigen Erlass des persönlichen Erscheinens infolge Covid-19-Pandemie darf den Anspruch der Parteien auf Teilnahme an der Verhandlung nicht verletzen.
Sachverhalt:
Eine Vermieterin aus dem Kanton Zürich kündigte Ende 2019 den Geschäftsraum einer GmbH. Die Inhaberin focht die Kündigung an. Die Schlichtungsverhandlung hätte im Februar 2020 in Horgen ZH stattfinden sollen. Auf Antrag des Anwalts der Mieterin verschob die Schlichtungsbehörde den Termin. Eine Woche vor dem zweiten Termin erkrankte die Mieterin. Ihr Anwalt bat erneut um eine Verschiebung – zunächst ohne Erfolg.
Aus den Erwägungen:
3.1 Die Vorinstanz begründete die Abweisung des Verschiebungsgesuchs im Wesentlichen damit, die Mieterin habe das Verfahren am 16. Januar 2020 eingeleitet und sei am 22. Januar 2020 auf den 10. Februar 2020 vorgeladen worden, wobei dieser Termin auf Gesuch der Mieterin und nach Absprache mit deren Rechtsvertreter auf den 4. Mai 2020 verschoben worden sei. Da die Kündigung per 31. März 2020 ausgesprochen worden sei, bestehe eine gewisse zeitliche Dringlichkeit, zumal der Verhandlungstermin bereits einmal verschoben worden sei. Aus dem eingereichten Arztzeugnis gehe nicht hervor, wann der Gesundheitszustand der Mieterin eine Teilnahme an der Verhandlung zulassen würde. Aufgrund der ausserordentlichen Lage im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie werde den Parteien das persönliche Erscheinen zurzeit grosszügiger erlassen.
3.2 Die Mieterin bringt in ihrer Berufung im Wesentlichen vor, eine Partei müsse von der Möglichkeit, sich zufolge Krankheit vertreten zu lassen, keinen Gebrauch machen. Auch handle es sich bei den Vorschriften, dass die Schlichtungsverhandlung innert zwei Monaten seit Eingang des Schlichtungsgesuches stattzufinden habe und das Schlichtungsverfahren nach spätestens zwölf Monaten abgeschlossen sein solle, um Ordnungsvorschriften. Es bestehe daher kein Anlass, das Verschiebungsgesuch unter Hinweis auf die zeitliche Dringlichkeit zu verwehren. Weiter bestünden entgegen der Vorinstanz keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Verschiebungsgesuch ein taktisches Verzögerungsmotiv zugrunde liege.
3.3 Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen (Art. 204 Abs. 1 ZPO). Sie können sich von einer Rechtsbeiständin, einem Rechtsbeistand oder einer Vertrauensperson begleiten lassen (Art. 204 Abs. 2 ZPO). Nicht persönlich erscheinen muss und sich vertreten lassen kann, wer sich auf einen gesetzlich vorgesehenen Dispensationsgrund berufen kann, so namentlich, wer ausserkantonalen oder ausländischen Wohnsitz hat oder wegen Krankheit, Alter oder anderen wichtigen Gründen verhindert ist. Weil die Parteien grundsätzlich persönlich zu erscheinen haben, haben sie auch das Recht auf Teilnahme bzw. darf ihnen gegen ihren Willen das Erscheinen nicht erlassen werden; dies würde ihren Anspruch auf rechtliches Gehör beeinträchtigen.
3.4 In diesem ärztlichen Zeugnis bestätigt der Arzt, dass sich die Mieterin seit dem 30. April 2020 bei ihm in Behandlung befinde und den Termin vom 4. Mai 2020 nicht wahrnehmen könne. Damit ist ein Verschiebungsgrund belegt (Krankheit einer Partei). Weiter ist dem Rechtsvertreter der Mieterin darin zuzustimmen, dass es sich bei der Pflicht zum persönlichen Erscheinen auch um ein Recht einer Partei handelt, das ihr nicht gegen ihren Willen genommen werden darf. Denn der Zweck des Schlichtungsverfahrens besteht darin, eine persönliche und vorbehaltlose Aussprache unter den Parteien zu ermöglichen und den Versuch zu unternehmen, die Parteien in formloser Verhandlung zu versöhnen. Die persönliche Anwesenheit der Parteien ist für die Durchführung einer wirksamen Schlichtung daher von Bedeutung (vgl. BGE 140 III 70 ff., E. 4.3 und 4.4). Auch ein allfälliges (legitimes) Interesse der Behörden am grosszügigeren Erlass des persönlichen Erscheinens unabkömmlicher Parteien zwecks Verhinderung eines «Verhandlungsstaus» infolge der Covid-19-Pandemie vermag das Recht zum persönlichen Erscheinen nicht aufzuwiegen.
Zudem darf der Mieterin nicht zum Nachteil gereichen, dass mittlerweile eine gewisse zeitliche Dringlichkeit besteht. Immerhin hatte die Vorinstanz den ursprünglich auf den 10. Februar 2020 angesetzten Schlichtungstermin – nach Gutheissung des ersten Verschiebungsgesuches zufolge Ferienabwesenheit des Rechtsvertreters der Mieterin – von sich aus um fast drei Monate auf den 4. Mai 2020 verschoben.
3.5 Nach dem Gesagten sind die Verfügung und der Beschluss der Vorinstanz vom 4. Mai 2020 aufzuheben, das Verschiebungsgesuch gutzuheissen und die Sache zur Neuansetzung einer Schlichtungsverhandlung und zur Fortsetzung des Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Obergericht ZH, Urteil RU200030 vom 23.7.2020
Verwaltungsrecht
Negativer PCR-Test verkürzt zehntägige Quarantäne
Die zehntägige Quarantäne wird bei einem negativen PCR-Test oder einem Antigen-Schnelltest ab dem siebten Tag der Quarantäne verkürzt.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin verspürte am 19. März Symptome und wurde am 20. März positiv auf das Coronavirus getestet. Auf entsprechende Aufforderung des Contact Tracing gab sie an, bis zum 17. März engen Kontakt mit ihrem Ehemann gehabt zu haben. Daraufhin schickte der Kantonsarzt den Mann für zehn Tage ebenfalls in Quarantäne. Auch wenn er einen negativen PCR-Test vorweisen könne, werde die Quarantänezeit nicht verkürzt. Der Ehemann wehrte sich dagegen erfolgreich vor Verwaltungsgericht.
Aus den Erwägungen:
2.1 Nach Art. 35 Abs. 1 lit. a des Epidemiengesetzes kann eine Person, die krankheitsverdächtig oder ansteckungsverdächtig ist, unter Quarantäne gestellt werden, wenn die medizinische Überwachung nicht genügt. Die Massnahme darf nur so lange dauern, wie es notwendig ist, um die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit zu verhindern.
2.2 Nach Art. 3d Abs. 1 der Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie stellt die zuständige kantonale Behörde Personen unter Kontaktquarantäne, die in den letzten 48 Stunden vor Auftreten der Symptome oder Entnahme der Probe und bis zehn Tage danach bzw. bis zur Absonderung engen Kontakt zu einer Person hatten, deren Ansteckung mit Sars-CoV-2 bestätigt ist.
Die Kontaktquarantäne dauert laut Art. 3e Abs. 1 der Covid-19-Verordnung besondere Lage zehn Tage ab dem Zeitpunkt des letzten engen Kontakts mit der Person nach Art. 3d Abs. 1. Personen in Kontaktquarantäne können diese vorzeitig beenden, wenn sie der zuständigen kantonalen Behörde das negative Resultat einer frühestens am 7. Tag der Quarantäne durchgeführten molekularbiologischen Analyse auf Sars-CoV-2 oder eines Sars-CoV-2-Schnelltests gemäss diagnostischem Standard vorweisen und die kantonale Behörde der vorzeitigen Beendigung der Quarantäne zustimmt.
2.3 Symptombeginn bei der Ehefrau war am 19. März 2021 und der letzte Kontakt mit dem Ehemann fand innerhalb von 48 Stunden davor statt. Damit ist die bis zum 27. März 2021 angeordnete Quarantäne gestützt auf Art. 3d Abs. 1 der Covid-19-Verordnung besondere Lage nicht zu beanstanden. Auch wenn verständlich ist, dass die Quarantäne für den Beschwerdeführer eine grosse berufliche Einschränkung bedeutet, kann doch eine Ansteckung nicht ausgeschlossen werden, weshalb die Quarantäne rechtmässig angeordnet wurde.
2.4 Nicht richtig ist hingegen die Ausführung in der Verfügung, wonach ein negativer Test die Quarantäne nicht verkürzt. Wie die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung ausführt, kann sich der Beschwerdeführer gemäss Art. 3e Abs. 2 der Covid-19-Verordnung besondere Lage ab dem 7. Tag, also ab dem 24. März 2021 testen lassen und bei einem negativen Testergebnis mit Zustimmung der Behörde die Quarantäne beenden.
3.1 Die Beschwerde erweist sich damit als teilweise begründet; sie ist teilweise gutzuheissen: Die Anordnung, wonach die Quarantänezeit bei einem negativen PCR-Testergebnis nicht verkürzt wird, ist aufzuheben und durch folgende Regelung zu ersetzen:
«Sie können diese Dauer verkürzen, indem Sie sich frühestens am 7. Tag der Quarantäne (also am 24. März 2021) testen lassen (PCR-Test oder Antigen-Schnelltest auf Sars-CoV-2). Bei einem negativen Ergebnis kann die Quarantäne nach Zustimmung der Behörde aufgehoben werden. Das negative Ergebnis muss den zuständigen kantonalen Behörden weitergeleitet werden (tracing@ddi.so.ch). Sie sind jedoch verpflichtet, bis zum effektiven Ablauf der Quarantäne, d.h. bis zum 10. Tag (am 27. März 2021), ausserhalb Ihrer Wohnstätte eine Maske zu tragen und einen Abstand von 1,5 Metern zu anderen Personen einzuhalten. Fällt der Test hingegen positiv aus, gelten die Anweisungen zur Isolation (siehe www.bag.admin.ch/isola tion-und-quarantaene).»
Verwaltungsgericht Solothurn, Entscheid VWBES.2021.111 vom 24.3.2021
Sozialversicherungsrecht
Covid-Erwerbsersatz: Definitive Abrechnung zählt
Die Ausgleichskasse darf sich bei der Berechnung, ob Anspruch auf Erwerbsersatz besteht, nicht allein auf Akontozahlungen stützen.
Sachverhalt:
Eine selbständige Therapeutin erhöhte 2019 ihr Pensum von 40 auf 100 Prozent. 2020 erlitt sie wegen den Coronamassnahmen Einkommenseinbussen. Doch die Ausgleichskasse Baselland verweigerte eine Erwerbsersatzentschädigung. Die Frau habe 2019 Akontobeiträge für ein Einkommen von weniger als 10 000 Franken bezahlt. Daher habe sie keinen Anspruch auf Leistungen. Die Therapeutin beschwerte sich beim Kantonsgericht Baselland erfolgreich. Laut dem Geschäftsabschluss vom April 2020 habe sie für das Vorjahr 22 447 Franken Gewinn erzielt. Damit habe sie Anspruch auf Erwerbsersatz. Die Ausgleichskasse dürfe sich bei der Berechnung nicht allein auf Akontozahlungen stützen.
Aus den Erwägungen:
2.1 Gemäss Art. 2 Abs. 3 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall in der bis zum 16. September 2020 gültigen Fassung sind Selbständigerwerbende im Sinne von Art. 12 ATSG anspruchsberechtigt, die aufgrund einer Massnahme nach Art. 6 Abs. 1 und 2 Covid-19-Verordnung 2 einen Erwerbsausfall erleiden und im Sinne des AHVG obligatorisch versichert sind (Art. 2 Abs. 1bis lit. c Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall). Selbständigerwerbende, die nicht unter Art. 2 Abs. 3 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall fallen, sind anspruchsberechtigt, wenn sie aufgrund der bundesrätlichen Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus einen Erwerbsausfall erleiden und ihr für die Bemessung der Beiträge der AHV massgebendes Einkommen für das Jahr 2019 zwischen 10 000 und 90 000 Franken liegt (Art. 2 Abs. 3bis Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall).
2.2 Für die Bemessung der Höhe der Entschädigung ist auf Art. 5 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall abzustellen. Demnach beträgt das Taggeld 80 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor Beginn des Anspruchs auf die Entschädigung erzielt worden war, wobei zur Ermittlung des Einkommens Art. 11 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Erwerbsersatz vom 25. September 1952 (EOG) sinngemäss anwendbar ist. Nach der Festlegung der Entschädigung kann eine Neuberechnung der Entschädigung nur vorgenommen werden, wenn eine aktuellere Steuerveranlagung bis zum 16. September 2020 der anspruchsberechtigten Person zugestellt wird und diese den Antrag zur Neuberechnung bis zu diesem Datum einreicht. Für die Bemessung der Entschädigung von anspruchsberechtigen, selbständig erwerbstätigen Personen gemäss Art. 2 Abs. 3ter Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall ist das AHV-pflichtige Erwerbseinkommen des Jahres 2019 massgeblich.
2.4 Im Zusammenhang mit der Corona-Erwerbsersatzentschädigung stellt die Frage nach dem massgebenden Einkommen der Selbständigerwerbenden eine Herausforderung dar, da das tatsächliche Einkommen, das aus dem steuerbaren Gewinn besteht, immer erst im Nachhinein bekannt ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Selbständigerwerbenden den zeitlichen Ablauf nach Einreichen der Steuererklärung nicht mehr beeinflussen können. Die Steuerverwaltung hat fünf Jahre Zeit, die definitive Veranlagung für ein Steuerjahr vorzunehmen. Danach können nochmals mehrere Monate vergehen, bis auch die definitive Beitragsverfügung der Ausgleichskasse vorliegt.
Aus diesem Grund sind Selbständigerwerbende aufgefordert, bis Ende Folgejahr eine von der provisorischen Einkommensbasis abweichende Summe an die Ausgleichskasse zu melden. Dies bedingt jedoch das Vorliegen des Jahresabschlusses des Einzelunternehmens. Das für die Corona-Erwerbsersatzentschädigung relevante Einkommen bemisst sich nach dem zuletzt gemeldeten Einkommen für das Jahr 2019, wobei Meldungen nach dem 17. März 2020 laut Rz. 1068 KS CE nicht mehr berücksichtigt werden. Da viele Einzelunternehmen Mitte März 2020 ihre Abschlüsse 2019 noch nicht final erstellt hatten – wozu sie auch nicht verpflichtet waren –, basiert die Einkommensbasis 2019 oftmals auf veralteten Daten.
4.1 Für die Bemessung des für die Corona-Erwerbsersatzentschädigung massgebenden Einkommens kann nun aber nicht allein auf die Angaben in der Erfolgsrechnung 2019 vom 14. April 2020 abgestellt werden. Hintergrund bildet die Tatsache, dass die Versicherte im Jahr 2019 nebst ihrer selbständigen Tätigkeit unbestrittenermassen zusätzlich im Umfang von 60 Prozent unselbständig tätig war und in dieser Eigenschaft bei ihrer letzten Arbeitgeberin bis Ende Oktober 2020 ein Salär von brutto 40 343 Franken erzielt hat. Diese unselbständige Erwerbstätigkeit hat sie Ende Oktober 2019 aufgegeben und sich ab November 2019 ganz selbständig gemacht. Der aus selbständiger Tätigkeit resultierende Geschäftsgewinn per 2019, wie er aus der Erfolgsrechnung vom 14. April 2020 hervorgeht, widerspiegelt demnach nicht das auf einem Vollzeitpensum beruhende Salär, sondern lediglich den Gewinn einer im Jahr 2019 auf einem Pensum von 40 Prozent beruhenden Selbständigkeit. Nachdem die Versicherte ihre Selbständigkeit per November 2019 auf ein Vollzeitpensum erhöht hat, gibt ihre Erfolgsrechnung 2019 die für einen Corona-Erwerbsersatz massgebenden aktuellen Einkommensverhältnisse per 2020 mithin nur unvollständig wieder.
4.2 Soweit die Beschwerdeführerin zwecks Bemessung des für eine Corona-Erwerbsersatzentschädigung massgebenden Verdienstes nun das im Jahr 2019 aus selbständiger sowie unselbständiger Tätigkeit erzielte Einkommen addieren will, kann ihr nicht gefolgt werden. Die zitierte Bestimmung setzt voraus, dass die versicherte Person im Zeitpunkt eines Anspruchs auf eine Corona-Erwerbsersatzentschädigung tatsächlich sowohl selbständig als auch unselbständig tätig gewesen ist. Diese Sachlage trifft im hier vorliegenden Fall gerade nicht zu, nachdem die Versicherte bereits Ende Oktober 2019 ihre unselbständige Erwerbstätigkeit aufgegeben hat. Anders als bei Mutterschaft oder Militärdienst, wo kraft Verweises in den KS CE auf die Wegleitung zur Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende, Mutter- und Vaterschaft, KS WEO das gesamte Einkommen noch vor Dienstantritt oder Mutterschaft heranzuziehen ist, ist kraft gesetzlicher Regelung bei einer Betroffenheit selbständig erwerbstätiger Personen gemäss Art. 2 Abs. 3bis Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall sachlogisch lediglich das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit relevant.
Eine Addition beider Tätigkeiten kommt mit anderen Worten nur im Falle einer Entschädigung zufolge Ausfalls der Fremdbetreuung oder im Falle einer angeordneten Quarantäne in Frage (Art. 2 Abs. 1bis lit. a Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall). Eine Addition der im Jahr 2019 aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit erzielten Saläre ist rechtlich unzulässig. Daran ändert auch der in Art. 5 Abs. 4 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall statuierte Grundsatz einer möglichst zeitnahen Bemessungsgrundlage auf der Basis des AHV-pflichtigen Erwerbseinkommen im Jahr 2019 nichts. Wie es sich damit im Detail verhält und wie das für eine Corona-Erwerbsersatzentschädigung massgebende Einkommen letztlich hochzurechnen ist, wird im Rahmen ergänzender Abklärungen Sache der Vorinstanz sein.
5. Zusammenfassend hat die Versicherte glaubhaft belegt, dass sie im Jahr 2019 mehr als 10 000 Franken aus selbständiger Erwerbstätigkeit erzielt hat. Der in ihrer Erfolgsrechnung ausgewiesene Wert entspricht allerdings dem Geschäftsgewinn, welchen sie bis Oktober 2019 noch in einem Teilzeitpensum von 40 Prozent erwirtschaftet hat. Mit Blick auf die vorliegend relevante Frage der massgebenden Einkommenshöhe resultiert somit, dass das für die Bemessung der Corona-Erwerbsersatzentschädigung per 2019 massgebende Einkommen anhand des Geschäftsabschlusses 2019 zu berechnen ist. Die Beschwerde ist im Ergebnis daher gutzuheissen, und die Angelegenheit ist zur ergänzenden Beurteilung und zur anschliessenden Neuverfügung im Sinne der Erwägungen an die Kasse zurückzuweisen.
Kantonsgericht Baselland, Urteil 750 20 321 vom 3.12.2020
Keine Einstelltage nach unerwarteter Kündigung
Die Arbeitslosigkeit ist nicht selbstverschuldet, wenn einem Chauffeur gekündigt wird, weil er nicht mit einem anderen Wagentyp fahren will als bisher. Deshalb dürfen ihm keine Taggelder abgezogen werden.
Sachverhalt:
Ein Chauffeur verlor seine Stelle, weil er sich geweigert hatte, mit einem neuen Lieferwagen zu fahren. Er beantragte Arbeitslosengeld, das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit aber kürzte die Taggelder wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit um 36 Tage. Gegen diese Einstelltage wehrte sich der Mann beim Verwaltungsgericht des Kantons Glarus erfolgreich.
Aus den Erwägungen:
2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei zu Unrecht in der Anspruchsberechtigung eingestellt worden. Der Beschwerdegegner sei in unzutreffender Weise davon ausgegangen, dass er, der Beschwerdeführer, das Arbeitsverhältnis gekündigt habe. Die Gründe, die zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin geführt hätten, seien allerdings vielmehr darauf zurückzuführen, dass diese ihn entgegen dem Anstellungsvertrag und ohne begründeten Anlass aufgefordert habe, künftige Warentransporte mit einem Lieferwagen mit Anhänger auszuführen, was er indes verweigert habe, da die Schutzbestimmungen der Verordnung über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer und -führerinnen vom 19. Juni 1995 aufgrund des Gesamtgewichts des Lieferwagens keine Anwendung finde. Darüber hinaus habe er infolge interner Weisungen mehrmals gegen gesetzliche Bestimmungen wie insbesondere das Überschreiten der gesetzlich erlaubten maximalen Lenkzeit gemäss ARV 1 verstossen müssen. Hierauf habe er das Gespräch mit seiner Arbeitgeberin gesucht, welche, anstelle ihn auf die Konsequenzen seines Handelns hinzuweisen, ihn umgehend unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist entlassen habe. Folglich könne ihm kein Selbstverschulden zur Last gelegt werden, weshalb auch kein Grund für die Einstellung in der Anspruchsberechtigung bestehe.
2.2 Der Beschwerdegegner führt in seinem Einspracheentscheid aus, dass der Beschwerdeführer die Arbeitgeberin durch sein Verhalten dazu bewogen habe, ihn zu entlassen. Von einem Angestellten mit der Führerausweiskategorie C könne aus betriebs-wirtschaftlichen Gründen erwiesenermassen erwartet werden, dass er das Frachtgut auch mit einem Lieferwagen spediert. Indessen trage die Arbeitgeberin aufgrund der Verletzung von arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen wohl eine gewisse Mitverantwortung an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dem sei durch die angemessene Reduktion der Einstelltage genügend Rechnung getragen worden. Damit sei die Einstellung in der Anspruchsberechtigung insgesamt rechtmässig erfolgt.
3.1 Die obligatorische Arbeitslosenversicherung will den versicherten Personen einen angemessenen Ersatz für Erwerbsausfälle wegen Arbeitslosigkeit garantieren. Gemäss der im gesamten Sozialversicherungsrecht geltenden Schadenminderungspflicht muss der Versicherte jedoch alles Zumutbare unternehmen, um den Eintritt oder das Fortdauern der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Ist er durch eigenes Verschulden arbeitslos geworden, ist er in der Anspruchsberechtigung einzustellen.
3.2 Die Arbeitslosigkeit gilt namentlich dann als selbstverschuldet, wenn der Versicherte durch sein Verhalten, insbesondere wegen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, dem Arbeitgeber Anlass zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben hat.
5.1 Die Arbeitgeberin führte in ihren Stellungnahmen vom 22. Januar 2020 sowie vom 6. Februar 2020 aus, aufgrund interner Umstrukturierungen sei der Beschwerdeführer angewiesen worden, künftige Transportaufträge nicht – wie vertraglich vereinbart – mit einem Lastwagen, sondern mit einem Lieferwagen beziehungsweise Lieferwagen mit Anhänger oder abwechslungsweise mit einem Lieferwagen und einem Lastwagen auszuführen. Dabei seien diese veränderten Bedingungen dem Beschwerdeführer nicht mitgeteilt worden. Die für den Beschwerdeführer unerwarteten veränderten Umstände hätten ihn frustriert, weshalb er seine Arbeitgeberin um ein Gespräch ersucht habe. Anstelle ihn allerdings über die vorgenommene interne Umstrukturierung zu instruieren und ihn auf das beanstandete Verhalten aufmerksam zu machen, habe sie umgehend die ordentliche Kündigung ausgesprochen. Zudem gab sie dem Beschwerdegegner an, dass der Beschwerdeführer weder arbeitsvertragliche Pflichten noch interne Weisungen verletzt habe.
5.2 Es lässt sich aus den Akten nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführer durch die Arbeitgeberin vor die Wahl gestellt wurde, entweder künftig mit dem Lieferwagen zu fahren oder aber die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Kauf zu nehmen. Vielmehr erfolgte die Kündigung bereits, als der Beschwerdeführer seine Arbeitgeberin um ein Gespräch über die veränderten Arbeitsbedingungen ersuchte. Auch wenn er am Gespräch zeigte, dass er mit der neuen Situation nicht einverstanden war, kam die ohne Androhung erfolgte Kündigung für ihn offenkundig unerwartet. Berücksichtigt man, dass die Umstrukturierung nicht kommuniziert wurde, der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2013 für die Arbeitgeberin tätig war und sein Verhalten nie Anlass zu Beanstandungen gab, musste er auch nicht damit rechnen, dass das Arbeitsverhältnis ohne Androhung gekündigt wird. Zu erwarten wäre vielmehr gewesen, dass ihm die Arbeitgeberin die Wahl zwischen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses und dem Fahren mit dem Lieferwagen lässt und ihm hierfür eine gewisse Bedenkzeit einräumt.
Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer seine Kündigung zumindest eventualvorsätzlich herbeigeführt hat. Damit ist nicht von einer selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG i.V.m. Art. 44 Abs. 1 AVIV auszugehen. Daraus folgt, dass die Einstellung des Beschwerdeführers in der Anspruchsberechtigung nicht rechtmässig war. Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde.
Verwaltungsgericht Glarus, Urteil VG.2020.00033 vom 11.6.2020