Mietrecht
Undichte Decke kein Grund für Auszug des Mieters
Feuchtigkeit, Verfärbungen an der Decke und herabgefallene Putzteile in zwei Wohnzimmern rechtfertigen keinen vorübergehenden Auszug und keinen Schadenersatz für die Mieter.
Sachverhalt
Ein Mieterpaar aus Zürich bewohnt eine zweistöckige Wohnung. Es bemerkt, dass in der oberen Etage Wasser hereintropft. Der Schaden verschlimmert sich über die Monate. Die Mieter ziehen vorübergehend in eine Ersatzwohnung und machen eine Mietzinsreduktion und Schadenersatz in der Höhe von 21'602 Franken geltend. Sie argumentieren, die Wohnung sei wegen extremen Lärms und hoher Temperaturen von Trocknungsgeräten, wegen Schimmels sowie wegen unbenutzbarer Räume nicht mehr bewohnbar gewesen.
Der Vermieter anerkennt eine Mietzinsreduktion in der Höhe von 1060 Franken und 200 Franken an die Stromkosten. Es sei kein Schimmelbefall gewesen, es hätten bloss «leichte optische Einschränkungen» vorgelegen. Das Mietgericht Zürich weist die Klage der Mieter weitgehend ab und folgt der Argumentation des Vermieters.
Aus den Erwägungen
1.1 Eine Mietsache ist mangelhaft, wenn sie nicht oder nicht mehr zum vorausgesetzten Gebrauch taugt, ihr mithin eine vertragliche Eigenschaft fehlt, die den Gebrauchswert beeinträchtigt. Es kann sich um vertraglich zugesicherte oder mit Rücksicht auf den vertraglichen Gebrauchszweck erforderliche Eigenschaften handeln. Die erfolgreiche Geltendmachung der Mängelrechte setzt voraus, dass der Mieter den Mangel weder selbst zu verantworten noch auf eigene Kosten im Sinne von Art. 259 OR zu beseitigen hat.
Wird die Tauglichkeit der Sache zum vorausgesetzten Gebrauch beeinträchtigt oder vermindert, so kann der Mieter vom Vermieter verlangen, dass er den Mietzins vom Zeitpunkt, in dem er vom Mangel erfahren hat, bis zur Behebung des Mangels entsprechend herabsetzt (Art. 259d OR). Selbst Mängel, auf die der Vermieter keinen Einfluss nehmen kann, führen zu einer Mietzinsminderung (BGer 4C.377/2004 vom 2. Dezember 2014, E. 2.1). Es wird jedoch vorausgesetzt, dass der Vermieter für die Mängel im Sinne von Art. 259a OR einzustehen hat.
2.2 Die Kläger bringen vor, dass während dieser Zeit eine Mietzinsreduktion von 50 Prozent angebracht sei, da das ganze obere Geschoss und die Küche nicht benutzbar gewesen seien. Es müsse sich bereits zu diesem Zeitpunkt unter dem Putz an der Decke Schimmel gebildet haben. Sie begründen dies mit der Aussage des zuständigen Malers, wonach es erstaunlich sei, dass die Decke eine derart hohe Feuchtigkeit aufweise, obwohl das Problem erst seit vier Wochen bestehe. Ob dem so war, kann dahingestellt bleiben.
Nach den Richtlinien des BAG kann Schimmel zwar die Gesundheit gefährden und ist so rasch wie möglich zu bekämpfen. Konkrete Beeinträchtigungen sind jedoch nur bei Menschen mit erhöhter Empfindlichkeit in Form von Allergien oder ähnlichen Vorzuständen zu erwarten. Wie erwähnt gilt bezüglich der miet- und werkmängelrechtlichen Haftung aber ein objektiver Massstab, sodass eine erhöhte Empfindlichkeit der Bewohner für die Beurteilung des Mangels keine Rolle spielen kann.
Soweit Schimmel daher innert tunlicher Frist bekämpft wird, vermag dies unter Vorbehalt einer entsprechenden vertraglichen Zusicherung keinen Minderungsanspruch zu begründen.
Die angegebene Lautstärke der Trocknungsgeräte in der ersten Phase ist vergleichbar mit Flüstern, leiser Musik oder mit einer ruhigen Wohnstrasse in der Nacht. Zudem befand sich das Entfeuchtungsgerät im Flur. Durch das Schliessen der Zimmertüren reduzierte sich die Geräuschbelastung auf ein wohl nicht mehr wahrnehmbares Mass, weshalb keinesfalls von einer «übermässigen Lärmimmission» gesprochen werden kann, was immer die Kläger darunter verstehen mögen.
Entgegen den Ausführungen der Kläger war auch die Küche in der genannten Phase weiterhin benutzbar. Auch unter normalen Umständen sind regelmässige Reinigungsarbeiten in der Küche unerlässlich, wie die Beklagte korrekt und unbestrittenermassen vorbringt. Im Übrigen war nur ein minimer Teil der Küche betroffen. So bestätigten die Kläger, dass Putz durch die offene Treppe in die Küche gefallen sei. Auf dem Grundrissplan und den eingereichten Fotos ist jedoch zu erkennen, dass die offene Treppe sich in einer Ecke der Küche und gerade nicht im Kochbereich befindet. Somit waren praktisch alle wesentlichen Ablageflächen der Küche nicht in Mitleidenschaft gezogen.
Wie dargelegt wurde, war die Wohnung somit grösstenteils bewohnbar. Nichtsdestotrotz tropfte es unbestrittenermassen an mehreren Stellen von der Decke im Vorraum/Flur. Der gesamte Vorraum beläuft sich dabei auf eine Fläche von 10,26 Quadratmeter; bei insgesamt 81,6 Quadratmeter Wohnfläche beträgt dies ca. 12 Prozent der Wohnung. In Anbetracht der diversen Einschränkungen im Vorraum ist davon auszugehen, dass praktisch der ganze Vorraum nicht vertragsgemäss benutzbar war. Deshalb rechtfertigt sich eine Mietzinsminderung von 10 Prozent für die zweite Phase. Wird der monatliche Nettomietzins von 2120 Franken für die 18 Tage der zweiten Phase herabgesetzt, beträgt der Anspruch der Kläger in dieser Phase gerundet 125 Franken.
Die Kläger argumentieren weiter, dass die neu installieren Trocknungsgeräte übermässige Lärmimmissionen von 62 Dezibel sowie Trockenheit (von rund 20 Prozent) und hohe Temperaturen (über 30 Grad) verursacht hätten. Die Lautstärke von 62 Dezibel kann mit derjenigen eines Fernsehers in Zimmerlautstärke oder eines normalen Gesprächs verglichen werden. Da die Trocknungsgeräte bzw. Ventilatoren lediglich im Flur und im Schlafzimmer im Einsatz waren, war das Schlafen bei geschlossenen Türen in den nicht betroffenen Zimmern – namentlich im Arbeits- und Wohnzimmer – aber weiterhin möglich.
Die von den Klägern vorgebrachten Gründe führen nicht ansatzweise zu einem Ausschluss des vertragsgemässen Gebrauchs der Mietsache. Auch eine erhebliche Beeinträchtigung ist zu verneinen, sodass die Mietsache zum Grossteil benutzbar gewesen wäre. Vielmehr ist auch in der dritten Phase von einem mittelschweren Mangel auszugehen. Dabei haben sich die Mängel der zweiten Phase intensiviert und ausgebreitet. Insbesondere ist der Reinigungsaufwand durch das starke Tropfen erneut gestiegen. Auch hat sich der Mangel ins Schlafzimmer ausgebreitet.
Dieses konnte fortan durch die Trocknung und den damit verbundenen Lärm nicht mehr zum Schlafen, sondern lediglich als Aufbewahrungsort genutzt werden. Somit war eine Gesamtfläche von 23,79 Quadratmetern (10,26 Quadratmeter des Vorraums und 13,53 Quadratmeter des Schlafzimmers), d.h. rund 25 bis 30 Prozent der Gesamtfläche, durch den Wasserschaden beeinträchtigt. Grosszügig auf zwei Nettomietzinse gerundet, beträgt der Herabsetzungsanspruch der Kläger in dieser Phase somit 850 Franken.
2.3.1 Die Kläger machen diverse Schadenspositionen geltend, die ihnen im Zusammenhang mit dem Auszug aus der streitgegenständlichen Wohnung entstanden sein sollen. Der Mangel am Mietobjekt ist allerdings für die Kosten der Ersatzunterkunft sowie für die Transport- und Pendelkosten nicht kausal, denn die Beeinträchtigungen erreichten wie erwähnt keineswegs ein Ausmass, welches einen Auszug aus der Wohnung erforderlich gemacht hätte. Gleiches gilt folglich auch für die auswärtige Verpflegung, ganz abgesehen davon, dass höchstens die Mehrkosten zu einem Ersatzanspruch führen könnten, wie die Beklagte korrekt ausführt.
VI. Die Kläger unterliegen mit ihren Forderungen beinahe vollständig. Sie haben somit die gesamten Gerichtskosten zu tragen. Ausserdem sind sie zu verpflichten, der Beklagten eine volle Parteientschädigung zu bezahlen.
Mietgericht Zürich, Entscheid MJ 230080 vom 29.8.2024
Haftpflichtrecht
Schadenersatz auch für vorprozessuale Aufwendungen
Vorprozessuale Anwalts- und Gutachterkosten können Bestandteil des Schadens sein, wenn sie gerechtfertigt, notwendig und angemessen waren und der Durchsetzung der Schadenersatzforderung dienten.
Sachverhalt
Ein Grundeigentümer aus Brunnen SZ baute ein neues Haus. Dabei wurde das benachbarte Grundstück beschädigt. Eine tragende Metallsäule wurde ausgehebelt, es gab einen Riss, zudem bohrte der Bauherr ohne Einwilligung des Nachbarn Metallpfähle in das Nachbargrundstück. Das Bezirksgericht Schwyz verpflichtete den Bauherrn, seinem Nachbarn knapp 130'000 Franken Schadenersatz zu zahlen. Das Kantonsgericht Schwyz erhöhte die Forderung auf 259'460 Franken: Der Bauherr muss dem geschädigten Nachbarn neben den Reparatur- auch die Gutachterkosten zahlen.
Aus den Erwägungen
3. a) Unbestritten im Berufungsverfahren ist die von der Vorinstanz dargelegte Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Geltendmachung vorprozessualer Anwaltskosten und deren analoge Anwendung auf die Gutachterkosten. Danach können solche Kosten Bestandteil des Schadens bilden, wenn sie gerechtfertigt, notwendig und angemessen waren, der Durchsetzung der Schadenersatzforderung dienen, jedoch nur so weit, als sie nicht durch die Parteientschädigung gedeckt sind.
b) Das Bezirksgericht ging in der Sache davon aus, dass durch die widerrechtliche Unterfangung der Nordfassade des «J.» mit Mikropfählen und einem Anker direkt in dessen Fundation eingegriffen und die Klägerin in ihrem Besitz gestört wurde. Dadurch habe die Beklagte eine Mischfundation kreiert, wodurch sich das Gesamtsystem der Fundation des Hotels natürlich und adäquat kausal verschlechtert habe. Dieser Zusammenhang sei durch die konstitutionelle Prädisposition der schon vorher «ausgereizten» Fundation des «J.» nicht unterbrochen worden.
Zufolge des eventualvorsätzlichen Vorgehens der Beklagten sei eine Reduktion des Schadenersatzes unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens ausgeschlossen. Anhaltspunkte dafür, dass die vorbestehende ausgereizte Fundation im Zusammenspiel mit dem vorbestehenden teilweise kritisch überlasteten Tragsystem auch ohne Unterfangung der Nordfassade zu einem Schaden geführt hätte, seien nicht erkennbar. Der Obergutachter hält Aussagen des K.-Gutachtens zur Tragsicherheit für wichtig.
Seinem Gutachten ist zu entnehmen, dass das Ziel einer Unterfangung ist, die Lasten lokal direkt abzufangen und somit möglichst keine Veränderung im statischen System des gesamten Gebäudes zu erzeugen. Damit ist dargetan, dass sich der Eingriff der Beklagten in die Fundation auf die Statik respektive Tragstruktur des gesamten Gebäudes auswirkte.
Das Ausknicken der Säule im ersten Obergeschoss lasse eine Lastumlagerung infolge Bewegungen im Fundamentbereich annehmen, weil die Fundation schon vor der Einbringung der Mikropfähle «ausgereizt» war. Zutreffend macht die Klägerin mithin geltend, es sei festgehalten worden, dass sich der Eingriff der Beklagten auf das Tragwerk des «J.» auswirkte und dadurch verursachte, dass dessen Prädisposition, also «Ausreizung», zu akuten Problemen führte. Damit waren die Umstände genannt, die dafür sprachen, dass die geltend gemachten Aufwendungen haftpflichtrechtlich als Bestandteil des Schadens zu betrachten und mithin deren Rechtfertigung, Notwendigkeit und Angemessenheit behauptet waren (vgl. BGer 4A_501/2021 vom 22. Februar 2022, E. 9.1).
Diese von ihr selbst bejahte und durch die Prädisposition nicht als unterbrochen erachtete Ursächlichkeit berücksichtigt die Vorinstanz bei der Beurteilung der Gutachter- und Anwaltskosten indes nicht (mehr). Diese Nichtberücksichtigung lässt sich nicht aufgrund des klägerischen Hinweises rechtfertigen, gewisse Sanierungsmassnahmen an der oberflächlichen Tragstruktur seien nicht in die Schadenersatzforderung einbezogen worden. Die Notwendigkeit vorprozessualer baufachmännischer und juristischer Abklärungen kann mithin nicht mit fehlender Kausalität zwischen dem Eingriff in das Fundament und Schäden am Tragwerk begründet werden.
5. Die Berufung ist gutzuheissen und der Klägerin insgesamt Fr. 259'460.40 Schadenersatz nebst unbestritten gebliebenem Zins zuzusprechen.
Kantonsgericht Schwyz, Urteil ZK1 2023 8 vom 8.11.2023
Strafprozessrecht
Videotelefonate mit Familie im Ausland zulässig
Lebt die Familie im Ausland und sind regelmässige Besuche erschwert, ist das Bedürfnis nach visuellem Kontakt bei einjähriger Untersuchungshaft gerechtfertigt. Das Obergericht Bern erachtet ein 30-minütiges Videotelefonat alle zwei Monate für angemessen.
Sachverhalt
Die Berner Staatsanwaltschaft führt gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Geldwäscherei und setzte ihn in Untersuchungshaft. Seinen Antrag, Videotelefonate mit seiner Familie durchführen zu dürfen, lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Dagegen wehrt sich der Kläger erfolgreich. Das Obergericht des Kantons Bern gestattet ihm alle zwei Monate ein überwachtes Videogespräch mit seiner Familie im Ausland.
Aus den Erwägungen
3.1 Die strafprozessual inhaftierte beschuldigte Person darf in ihrer persönlichen Freiheit nicht stärker eingeschränkt werden, als es der Haftzweck sowie die Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt erfordern (Art. 235 Abs. 1 StPO). Kontakte zwischen der inhaftierten beschuldigten Person und anderen Personen bedürfen der Bewilligung der Verfahrensleitung; Besuche finden wenn nötig unter Aufsicht statt (Art. 235 Abs. 2 StPO). Nach der Praxis des Bundesgerichts besteht unter den Voraussetzungen von Art. 235 StPO grundsätzlich ein bundesrechtlicher Anspruch auf angemessene Haftbesuche.
Mangels entgegenstehender gewichtiger öffentlicher Interessen haben auch strafprozessuale Häftlinge namentlich das Recht auf angemessenen regelmässigen Kontakt zu ihrer Familie, darunter auch zu unverheirateten Lebenspartnern. Dies gilt besonders nach länger andauernder strafprozessualer Haft und Wegfall von Kollusionsgefahr.
Die Praxis des Bundesgerichts orientiert sich dabei auch an den «Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen», die folgende Empfehlung (Ziffern 24.1–2) des Europarates formulieren: «Den Gefangenen ist zu gestatten, mit ihren Familien, anderen Personen und Vertretern von aussenstehenden Organisationen so oft wie möglich brieflich, telefonisch oder in anderen Kommunikationsformen zu verkehren und Besuche von ihnen zu empfangen.
Besuche und sonstige Kontakte können eingeschränkt und überwacht werden, wenn dies für noch laufende strafrechtliche Ermittlungen, zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit, zur Verhütung von Straftaten und zum Schutz der Opfer von Straftaten erforderlich ist; solche Einschränkungen müssen jedoch ein annehmbares Mindestmass an Kontakten zulassen» (vgl. BGE 145 I 318, E. 2.2; BGE 143 I 241, E. 4.3).
Je höher im Einzelfall die Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr erscheint oder je stärker die Ordnung oder Sicherheit (namentlich des Gefängnispersonals oder der Mithäftlinge) in der Haftanstalt gefährdet ist, desto restriktiver kann in den Schranken der verfassungsmässigen Individualrechte das Regime der strafprozessualen Haft grundsätzlich ausfallen (BGE 143 I 241, E. 3.4; BGE 141 I 141, E. 6.3.4; je mit Hinweisen).
3.2 Der Beschwerdeführer leitet aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sowie dem Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern BK 23 440 vom 23. November 2023 einen Anspruch auf Videotelefonie ab, soweit die Haftgründe sowie die Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt einer solchen nicht entgegenstehen. Dieser Auffassung kann in dieser Absolutheit nicht gefolgt werden, und sie ergibt sich auch nicht aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder dem erwähnten Beschluss der Beschwerdekammer. Es besteht einzig ein Anspruch auf angemessenen regelmässigen Kontakt mit nahen Familienangehörigen. In welcher Form dieser zu erfolgen hat, legt das Bundesgericht nicht fest. Es ist den Umständen des konkreten Einzelfalles Rechnung zu tragen.
3.3 Das Alter der Kinder ergibt sich nicht aus den Akten und es wird auch nicht ausgeführt, ein regelmässiger visueller Kontakt sei erforderlich, um einer unnötigen Entfremdung vorzubeugen (wie das beispielsweise bei Kleinkindern der Fall sein kann). Der persönliche Kontakt wird durch die vierzehntäglichen Telefonate à 30 Minuten sowie die Möglichkeit von überwachten Besuchen à einer Stunde grundsätzlich gewährleistet. Vierzehntägliche Videotelefonanrufe zur Gewährung eines angemessenen persönlichen Kontakts erscheinen daher nicht erforderlich.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Familie des Beschwerdeführers in Albanien wohnt, was regelmässige Besuche schwierig macht (so fand bisher erst ein Besuch statt). Mit Blick darauf sowie auf die bisherige Dauer der Untersuchungshaft von einem Jahr ist dem berechtigten Bedürfnis auch nach visuellem Kontakt daher insofern Rechnung zu tragen, als dem Beschwerdeführer alle zwei Monate anstelle des normalen Telefongesprächs ein Videotelefongespräch à 30 Minuten zu bewilligen ist.
Darin ist auch kein übertriebener Aufwand für die zuständigen Behörden erkennbar, zumal der staatliche Mehraufwand, der allenfalls durch Videotelefonate entsteht, nicht geeignet ist, Videotelefonie per se und absolut auszuschliessen. Der staatliche Aufwand insbesondere im Bereich der Haft hat sich an den Grundrechten zu orientieren und nicht umgekehrt.
Obergericht Bern, Entscheid BK 2024 23 vom 26.2.2024
Strassenverkehrsrecht
Geringe Zweifel reichen nicht für Ausweisentzug
Ein vorsorglicher Entzug des Fahrausweises ist nur bei ernsthaften Zweifeln an der Fahreignung gerechtfertigt.
Sachverhalt
Der Fahrer fuhr in einer Kurve geradeaus. Vier Tage nach dem Unfall wurde ihm vorsorglich der Führerausweis in allen Kategorien entzogen und eine verkehrsmedizinische Untersuchung auf eigene Kosten am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich angeordnet. Der Fahrer wehrte sich erfolgreich dagegen. Er argumentierte, der Unfall sei auf seine damaligen Herzprobleme zurückzuführen. Er habe sich bereits Kontrollen und Eingriffen unterzogen und sei wieder fahrtauglich. Weitere medizinische Untersuchungen seien daher weder nötig noch verhältnismässig, und der Fahrausweis müsse ihm zurückgegeben werden.
Aus den Erwägungen
2.1 Nach Art. 14 Abs. 1 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) müssen Motorfahrzeugführer über Fahreignung und Fahrkompetenz verfügen. Über Fahreignung verfügt, wer u.a. die erforderliche körperliche und psychische Leistungsfähigkeit zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen hat (Art. 14 Abs. 2 lit. b SVG). Führerausweise werden entzogen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen (Art. 16 Abs. 1 SVG), unter anderem, wenn die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit einer Person nicht mehr ausreicht, um ein Motorfahrzeug sicher zu führen (Art. 14 Abs. 2 lit. b).
Bestehen Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen, ist eine verkehrsmedizinische Abklärung anzuordnen (Art. 15d Abs. 1 SVG, Art. 28a Abs. 1 VZV). Die Aufzählung der in Art. 15d Abs. 1 SVG genannten Verdachtsgründe ist nicht abschliessend.
Eine Fahreignungsuntersuchung ist auch dann zwingend anzuordnen, wenn aus anderen Gründen begründete, ernsthafte Zweifel an der Fahreignung vorliegen. Vorausgesetzt sind dabei aber konkrete Anhaltspunkte; abstrakte Zweifel genügen nicht (Jürg Bickel in: Niggli et al. [Hrsg.], Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, Basel 2014, Art. 15d SVG, N 35). Diesfalls ist der Führerausweis nach Art. 30 VZV in der Regel vorsorglich zu entziehen (BGE 127 II 122, E. 5; Bundesgerichtsurteil 1C_144/2017 vom 2. Juni 2017, E. 2.3; je mit Hinweisen).
Denn steht die Fahreignung des Betroffenen ernsthaft in Frage, ist es unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit grundsätzlich nicht zu verantworten, ihm den Führerausweis bis zum Vorliegen des Untersuchungsergebnisses zu belassen. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist für den vorsorglichen Führerausweisentzug nach Art. 30 VZV kein strikter Beweis erforderlich, hierfür genügen vielmehr bereits konkrete Anhaltspunkte, dass die Fahreignung zu verneinen ist (BGE 125 II 493, E. 2b, S. 495, vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 1C_232/2018 vom 13. August 2018, E. 3.1).
3.2 Es spricht zwar einiges dafür, dass das Blackout des Beschwerdeführers auf ein kardiologisches Problem zurückzuführen ist, jedoch ist es nicht ausgeschlossen, dass andere gesundheitliche Ursachen hierfür verantwortlich sind. Die Untersuchungen und Behandlungen im Nachgang zum Verkehrsunfall konnten seinen Zustand insofern verbessern, als aus rein kardiologischer Sicht die Fahreignung (wieder) gegeben ist, wie dies der behandelnde Arzt des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 28. August 2024 zuerst prospektiv und dann mit Schreiben vom 14. September 2024 auch definitiv bestätigt.
Neben dem schlechten kardiologischen Zustand des Beschwerdeführers zum Unfallzeitpunkt an sich ist die adäquate Schockabgabe am Unfalltag ein weiteres Indiz, dass der kardiologische Zustand des Beschwerdeführers das Auftreten des Blackouts bewirkt hat. Es ist wahrscheinlich, dass die adäquate Schockabgabe in Zusammenhang mit dem Blackout erfolgt ist. Zu diesem Zeitpunkt bestanden trotzdem noch immer ernsthafte Zweifel an der Fahreignung des Beschwerdeführers, da auch weitere Ursachen zu einem Blackout führen können, wie bspw. eine Blutzuckererkrankung oder Epilepsie.
Das Vorliegen dieser beiden Erkrankungen beim Beschwerdeführer wurde jedoch durch das Schreiben seines Hausarztes (er wird seit über sieben Jahren durch diese Praxis hausärztlich betreut) vom 7. Oktober 2024 glaubhaft verneint. Dies hat umso mehr zu gelten, als der Hausarzt bereits mit Schreiben vom 11. Juli 2024 und Telefonat vom 4. Juli 2024 an die Administrativbehörde dem Beschwerdeführer keine krankheitswerten Beeinträchtigungen attestierte.
3.3 Es bestehen somit noch immer Zweifel an seiner Fahrtauglichkeit, da die Ursache des Blackouts im Nachhinein nicht zweifellos eruiert werden kann und der Hausarzt des Beschwerdeführers gemäss Medtraffic.ch nicht berechtigt ist, Fahreignungsabklärungen vorzunehmen. Diese Zweifel sind jedoch gemäss den Ausführungen zuvor nicht mehr erheblich. Eine Aufrechterhaltung des vorsorglichen Führerausweisentzugs scheint in diesem Moment im Rahmen der Verhältnismässigkeit nicht mehr angezeigt, da keine ernsthaften Zweifel im Sinne der Rechtsprechung mehr vorhanden sind.
3.4 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass an der Fahreignung des Beschwerdeführers zwar noch immer gewisse Zweifel bestehen, welche abgeklärt werden müssen. Die Zweifel erweisen sich aber nicht als derart ernsthaft, dass sich deswegen ein vorsorglicher Entzug des Führerausweises weiterhin rechtfertigen würde.
Verwaltungsgericht Solothurn, Entscheid VWBES.2024.221 vom 18.10.2024
Migrationsrecht
Familiennachzug wegen gezielter Luftangriffe
Wegen der verschlechterten Sicherheitslage im Libanon muss das Migrationsamt den Antrag auf nachträglichen Familiennachzug erneut prüfen.
Sachverhalt
Ein Schweizer wollte seine Frau aus dem Libanon nachholen, doch das Migrationsamt lehnte das Familiennachzugsgesuch wegen verpasster Fristen ab. Die Entscheidung wurde rechtskräftig. Wochen später stellte die Anwältin einen erneuten Antrag, unter Berufung auf die schlechte Sicherheits- und Wirtschaftslage im Libanon sowie die finanziellen Schwierigkeiten der Familie, die eine Mutter-Kind-Beziehung erschwerten. Das Migrationsamt wies auch diesen Antrag ab. Das Gericht sah hingegen sehr wohl eine geänderte Sachlage, die eine erneute Prüfung des Gesuchs rechtfertigt.
Aus den Erwägungen
2.2 Die Wiedererwägung stellt einen blossen Rechtsbehelf dar. Unabhängig davon, ob dies terminologisch als Wiedererwägung oder als neues Gesuch bezeichnet wird, darf aber das Stellen eines neuen Gesuchs nicht dazu dienen, rechtskräftige Entscheide immer wieder in Frage zu stellen; die Verwaltungsbehörde ist von Verfassung wegen nur verpflichtet, auf ein neues Gesuch einzutreten, wenn die Umstände sich seit dem ersten Entscheid wesentlich geändert haben oder wenn der Gesuchsteller erhebliche Tatsachen und Beweismittel namhaft macht, die ihm im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu machen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder keine Veranlassung bestand (vgl. BGE 136 II 177, E. 2.1, S. 181).
So hält das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung fest: «Es besteht nicht bereits dann ein Anspruch auf eine Neubeurteilung, wenn ein Wiedererwägungsgrund nur behauptet wird. Die betroffene Person hat vielmehr glaubhaft zu machen und mit geeigneten Beweismitteln zu belegen, welche tatsächlichen Verhältnisse sich seit dem ersten Entscheid derart verändert haben, dass es sich rechtfertigt, die Situation erneut zu überprüfen» (vgl. Urteile des Bundesgerichts 2C_678/2021 vom 6. Dezember 2021, E. 4.2 mit weiteren Hinweisen; 2C_451/2022 vom 27. Oktober 2022, E. 4.2).
2.3 Vorliegend ist die fünfjährige Nachzugsfrist im Sinne von Art. 47 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 lit. a des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG, SR 142.20) unbestrittenermassen abgelaufen. Ein Nachzug der Ehefrau ist somit nur noch möglich, wenn wichtige familiäre Gründe für einen nachträglichen Familiennachzug im Sinne von Art. 47 Abs. 4 AIG bestehen. Dabei hat die zuständige Verwaltungsbehörde eine «Gesamtschau unter Berücksichtigung aller wesentlichen Elemente» vorzunehmen (Entscheid des Bundesgerichts 2C_451/2022 vom 27. Oktober 2022, E. 4.3 mit weiteren Hinweisen).
Im Vergleich zur im Zeitpunkt der ablehnenden Verfügung vom März 2022 bestehenden Ausgangslage müssen somit «dermassen erhebliche tatsächliche Änderungen eingetreten» sein, «dass ein anderes Ergebnis in Bezug auf den nachträglichen Familiennachzug ernstlich in Betracht fällt».
4.2 Die Inflation oder die Wirtschaftskrise im Libanon stellen entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine Gründe dar, um den Anspruch um Familiennachzug erneut zu überprüfen. So wird nicht vorgebracht, ob die Ehefrau einer Erwerbstätigkeit nachgeht, resp. wie sich die Veränderung der Verhältnisse konkret auf ihren Alltag auswirken. Hingegen besteht aktuell ein Konflikt im Libanon. Zwar ist nicht zweifelsfrei erstellt, dass sich die Ehefrau in einem akuten Krisengebiet aufhält, weil im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht bekanntgegeben wurde, wo sich die Ehefrau genau aufhält.
Allerdings macht der Beschwerdeführer in seiner Eingabe vom 25. September 2024 geltend, die Situation im Libanon verschärfe sich von Tag zu Tag. Auch gemäss Einschätzungen des EDA hat das Eskalationsrisiko weiter zugenommen. Die Entwicklung der Lage ist zwar ungewiss, eine markante Verschlechterung der Sicherheitslage im ganzen Land ist aber jederzeit möglich. Auch das SEM bringt mit dem Schreiben vom 4. Oktober 2024 eine veränderte Lage zum Ausdruck. Selbst wenn in casu der Beschwerdeführer nicht vorbringen konnte, dass für seine Ehefrau ein «real risk» besteht, ist durch den eskalierten Konflikt im Libanon eine neue erhebliche Tatsache gegeben, welche Auswirkungen auf die Ausübung des Familienlebens hat.
5. Zusammengefasst wird durch den Beschwerdeführer in casu ausreichend dargelegt, dass die für eine Wiedererwägung notwendige geänderte Sachlage vorhanden ist und ein anderes Ergebnis in Bezug auf den nachträglichen Familiennachzug in der hier vorliegenden Konstellation jedenfalls ernstlich in Betracht fällt. Es besteht entsprechend ein Anspruch auf eine inhaltliche Prüfung des Gesuchs. Die Verfügung der Vorinstanz ist deshalb aufzuheben und das Familiennachzugsgesuch von dieser unter Beachtung der aktuellen Empfehlung des SEM vom 4. Oktober 2024 umgehend materiell zu prüfen.
Verwaltungsgericht Solothurn, Entscheid VWBES.2024.277 vom 11.10.2024
Steuerrecht
Steuerwert darf nur alle zehn Jahre angepasst werden
Die Eintragung eines Kaufrechts im Grundbuch gibt der Verwaltung keine Rechtfertigung für eine Neubewertung des Grundstücks ausserhalb der vorgesehenen Frist von zehn Jahren.
Sachverhalt
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, das von der Steuerverwaltung unter dem vorherigen Eigentümer mit einen Steuerwert von 460'000 Franken und einen Eigenmietwert von 12'600 Franken eingeschätzt wurde. Nach der Übertragung an den Kläger blieben diese Werte bis Juni 2020 unverändert. Ende 2022 erfolgte eine neue Bewertung mit einem Steuerwert von 546'900 Franken und einem Eigenmietwert von 14'978 Franken. Sowohl die Einsprache des Klägers bei der Steuerverwaltung als auch sein Rekurs bei der Steuerrekurskommission blieben erfolglos. Erst das Verwaltungsgericht gab ihm recht und hob die neue Bewertung auf, wobei es auf die Schätzwerte von 2020 verwies.
Aus den Erwägungen
4. Zunächst ist zu klären, ob die Beschwerdegegnerin 1 überhaupt zu einer Neuschätzung der streitbetroffenen Liegenschaft im Jahr 2022 berechtigt war. Vor dem Hintergrund, dass der Regierungsrat für das Jahr 2022 keine allgemeine Neubewertung nach Art. 32 Abs. 1 GstBV angeordnet hat, konnte eine solche einzig gestützt auf Art. 31 Abs. 1 GstBV erfolgen, wobei hierbei lediglich der Tatbestand der ausserordentlichen Umstände in Betracht fällt, da unbestrittenermassen noch keine zehn Jahre seit der letzten Einschätzung im Jahr 2020 vergangen sind.
4.1 Die Beschwerdegegnerin 1 wies weder ausdrücklich auf die Gründe für die streitbetroffene Neubewertung hin noch führte sie aus, inwieweit ausserordentliche Umstände gemäss Art. 31 Abs. 1 GstBV vorliegen würden. Sie bezeichnet das Kaufrecht an der streitbetroffenen Parzelle einerseits als neue Tatsache, was sich als zutreffend erweist. Indessen ist eine neue Tatsache aber nicht ohne weiteres als ausserordentlicher Umstand zu qualifizieren.
Andererseits impliziert sie in ihren Stellungnahmen, dass falsche Einschätzungen offenbar jederzeit korrigiert werden könnten. Da sie jedoch eine Neubewertung und keine Revision nach Art. 169 ff. StG vornahm, ging sie entsprechend aber selbst nicht davon aus, dass die älteren Einschätzungen offensichtlich falsch gewesen wären. Eine Revision gemäss Art. 169 ff. StG fällt damit ausser Betracht, nicht zuletzt, weil eine solche lediglich zugunsten einer steuerpflichtigen Person möglich ist.
4.2.1 Art. 31 Abs. 1 GstBV definiert die ausserordentlichen Umstände nicht näher, weshalb diese auslegungsbedürftig sind. Nach den üblichen Regeln der Gesetzesauslegung ist eine Bestimmung in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich von Sinn und Zweck sowie der dem Text zugrundeliegenden Wertung.
4.2.2 Aus dem Wortlaut und der Systematik von Art. 31 GstBV folgt, dass Vermögenssteuer- und Eigenmietwerte periodisch alle zehn Jahre neu bewertet werden sollen. Unklar erscheint dabei jedoch, ob sich die ausserordentlichen Umstände nur auf Einzelfälle oder auf die Gesamtheit bzw. eine Mehrzahl von Grundstücken bezieht. Mit Blick auf Art. 32 Abs. 1 GstBV, wonach dem Regierungsrat die Kompetenz zur Anordnung einer allgemeinen Neubewertung zusteht, wird aber deutlich, dass Art. 31 Abs. 1 GstBV Konstellationen einer Neubewertung aufgrund spezifischer Tatsachen betrifft. Dies entspricht denn auch einer Regelung, wie sie in anderen Kantonen existiert (vgl. Gerhard Roesch / Goranco Pandurski, Abgaberechtliche Immobilienbewertung, in StR 78/2023, S. 668 ff., 677).
Daraus folgt, dass eine Überprüfung eines Einzelfalls aufgrund von Tatsachen, welche eine Vielzahl von Grundstücken betreffen bzw. von allgemeiner Relevanz sind, nicht unter diese Norm subsumiert werden kann. Eine angepasste bundesgerichtliche Rechtsprechung oder die Notwendigkeit einer allgemeinen Anpassung über die Dauer zu tief gewordener Werte lässt sich entsprechend nicht als ausserordentlicher Umstand im Sinne von Art. 31 Abs. 1 GstBV bezeichnen.
Folglich kann eine Neubewertung aufgrund des geltend gemachten allgemeinen Anpassungsbedarfs der Werte im Kanton nicht gestützt auf Art. 31 Abs. 1 GstBV durchgeführt werden. Damit ist nachfolgend zu prüfen, ob die Eintragung eines Kaufrechts im Grundbuch als ausserordentlicher Umstand gemäss Art. 31 Abs. 1 GstBV verstanden werden kann.
4.3.1 Art. 31 Abs. 1 GstBV ist offen formuliert. Aus dem Wortlaut wird aber zumindest deutlich, dass ein Abweichen vom zehnjährigen Prüfrhythmus eine Ausnahme darstellt. Die Eintragung eines Kaufrechts stellt dabei aber keine dermassen aussergewöhnliche und vor allem nicht direkt oder eindeutig mit dem Wert einer Liegenschaft verbundene Tatsache dar, wodurch eine Neubewertung angezeigt wäre. Dasselbe gilt für den von der Beschwerdegegnerin 1 vorgebrachten Grund von neuen Versicherungswerten.
Dies ist ebenfalls nicht als derart aussergewöhnlich anzusehen, als dass unbesehen vom zehnjährigen Rhythmus abgewichen werden müsste. Anders würde sich beispielsweise eine erhebliche bauliche Veränderung auf dem Grundstück präsentieren, welche einerseits aussergewöhnlich ist und andererseits selbst im Zweifelsfall den Wert des Grundstücks verändert.
4.3.2 Die Regelung der periodischen Neubewertung gemäss Art. 31 GstBV besteht damit bereits seit 1992, und das Erfordernis der ausserordentlichen Umstände wurde weder bei der Einführung noch im Jahr 2000 näher erörtert. Des Weiteren musste sich die kantonale Rechtsprechung bislang nicht mit dieser Frage befassen. Entsprechend lässt sich aus dem historischen Auslegungselement nichts Entscheidwesentliches ableiten. Einzig die Verlängerung der Frist auf zehn Jahre deutet darauf hin, dass vom Gesetzgeber grundsätzlich keine allzu häufige Überprüfung gewollt war. Dies wiederum verstärkt die Annahme, dass für eine ausserordentliche Neubewertung hohe Hürden bestehen.
4.3.5 Als Zwischenfazit ist damit festzuhalten, dass Art. 31 GstBV die Beschwerdegegnerin 1 nicht berechtigt, wegen der streitbetroffenen Eintragung des Kaufrechts eine Neubewertung vorzunehmen, andernfalls das Legalitätsprinzip missachtet würde.
5. Da die Beschwerdegegnerin 1 die streitbetroffene Neubewertung unter anderem damit rechtfertigen will, dass die früheren Bewertungen nicht mehr mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vereinbar seien, ist weiter zu prüfen, ob dies Anlass zur Neubewertung geben durfte. Dabei werden einmal korrekt ermittelte Steuerwerte mit der Zeit harmonisierungswidrig, wenn sie mehrere Jahre nicht angepasst worden sind und den aktuellen Werten nicht mehr annähernd entsprechen (Teuscher/Lobsiger, Art. 14, N 32). Dies erscheint beim streitbetroffenen Grundstück auf den ersten Blick nicht offensichtlich, zumal die letzte Bewertung lediglich zwei Jahre alt war.
Wenn die Werte allgemein nicht mehr aktuell sind, wie die Beschwerdegegnerin 1 geltend macht, erscheint es mit Blick auf die Rechtsgleichheit sodann nicht angebracht, dies in Einzelfällen als Anlass für Anpassungen zu nehmen. Es wäre diesfalls vielmehr geboten und wohl auch notwendig, den politischen Weg einer Verordnungsanpassung oder eines Regierungsratsbeschlusses (i.S.v. Art. 32 Abs. 1 GstBV) einzuschlagen, wodurch eine Anpassung aller Grundstücke gleichzeitig ermöglicht würde.
7. Zusammenfassend war die Beschwerdegegnerin 1 mangels genügender Rechtsgrundlage nicht dazu befugt, das Grundstück der Beschwerdeführerin im Jahr 2022 neu zu bewerten.
Verwaltungsgericht Glarus, Urteil VG.2024.00011 vom 27.6.2024