Zivilprozessrecht
Entschädigung nur bei redlicher Prozessführung
Ein zwanzigjähriges Arbeitsverhältnis bietet keine Garantie, dass eine Klage wegen missbräuchlicher Kündigung gutgeheissen wird. Unterliegt der Kläger, muss er auch bei weniger als 30 000 Franken Streitwert der Gegenpartei eine Prozessentschädigung zahlen.
Sachverhalt:
Die Arbeitgeberin A. kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Lagermitarbeiter B. nach über zwanzig Jahren unter Einhaltung der Kündigungsfrist. Dessen Klage wegen missbräuchlicher Kündigung wies der Präsident des Bezirksgerichts Liestal ab. Gerichtskosten wurden keine erhoben; jede Partei hatte ihre Parteikosten selber zu tragen.
Die Arbeitgeberin A. beantragte daraufhin beim Kantonsgericht Basel-Landschaft eine angemessene Parteientschädigung für das erstinstanzliche Verfahren, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten ihres ehemaligen Mitarbeiters in diesem zweitinstanzlichen Verfahren. Sie argumentierte, die unterliegende Gegenpartei habe nach den Grundsätzen der Kostenverteilung gemäss Art. 106 ZPO ihre Parteikosten zu bezahlen. Es liege nämlich keine Ausnahme im Sinne von Art. 107 ZPO vor, nach der das Gericht die Prozesskosten nach Ermessen verteilen könnte.
Erwägungen:
1. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen den Kostenentscheid vom 21. Juni 2012 im Verfahren Nr. 150 12 30 des Bezirksgerichtspräsidenten Liestal betreffend eine Streitigkeit aus einem Arbeitsverhältnis. In materiell-rechtlicher Hinsicht blieb der Entscheid unangefochten.
3.1 Mit Entscheid vom 21. Juni 2012 wies der Bezirksgerichtspräsident Liestal die Klage des vormaligen Arbeitnehmers auf Ausrichtung einer Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung ab. In Anbetracht des Streitwertes von weniger als 30 000 Franken wurden keine Gerichtskosten erhoben. Ferner wurde festgehalten, dass jede Partei ihre eigenen Parteikosten zu tragen habe.
Im Zusammenhang mit dem Kostenentscheid wurde in der Begründung festgehalten, dass aus subjektiver Sicht des Klägers Anhaltspunkte für das Vorliegen einer missbräuchlichen Kündigung bestanden hätten. Jedoch hätten sich diese Anhaltspunkte im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht erhärtet und hätten anlässlich der Verhandlung vom 12. Juni 2012 nicht bewiesen werden können. Dennoch habe der Kläger in guten Treuen den Prozess führen dürfen, was die sogenannte «Wettschlagung der ausserordentlichen Kosten» des Verfahrens zu rechtfertigen vermöge.
Die Beschwerdeführerin moniert eine unrichtige Rechtsanwendung von Art. 106 f. ZPO; insbesondere dass die Vorinstanz bei der Kostenverlegung nicht ausschliesslich Art. 106 Abs. 1 ZPO, sondern Art. 107 Abs. 1 lit. b ZPO zur Anwendung gebracht habe. Der Kläger und heutige Beschwerdegegner hält dagegen, die Voraussetzungen von Art. 107 Abs. 1 lit. b ZPO seien erfüllt.
3.2 Gemäss Art. 106 Abs. 1 ZPO werden die Prozesskosten der unterliegenden Partei auferlegt. Bei Nichteintreten und bei Klagerückzug gilt die klagende Partei, bei Anerkennung der Klage die beklagte Partei, als unterliegend. Hat keine Partei vollständig obsiegt, so werden die Prozesskosten nach dem Ausgang des Verfahrens verteilt (Art. 106 Abs. 2 ZPO).
Die Anwendung der in Art. 106 ZPO verankerten zivilprozessualen Grundsätze wird allerdings durch die in Art. 107 ZPO festgelegten Ausnahmen eingeschränkt. Art. 107 ZPO räumt dem Gericht – im Gegensatz zur starren Kostenverteilung nach dem Prozessausgang – einen Spielraum ein, um bei besonderen Umständen die Prozesskosten nach Billigkeitserwägungen zu verlegen. Im Interesse einer einzelfallweisen Gerechtigkeit kann so die Belastung mit Prozesskosten zugunsten der unterlegenen und zulasten der obsiegenden Partei verschoben werden.
Die besonderen Umstände für eine Kostenverteilung nach Ermessen sind in Art. 107 Abs. 1 lit. a–e ZPO in beispielhafter Weise aufgeführt (Rüegg, Basler Kommentar ZPO, Art. 107, N 1 ff.). Die Prozessführung in guten Treuen als Anwendungsfall für eine Verteilung der Prozesskosten nach Ermessen lässt sich Art. 107 Abs. 1 lit. b ZPO entnehmen. Dieser Bestimmung zufolge kann das Gericht von den Verteilungsgrundsätzen abweichen und die Prozesskosten nach Ermessen verteilen, wenn eine Partei in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst war.
Es geht dabei um Fälle, in denen der Kläger entweder zu Unrecht, aber in Unkenntnis eines Rechtsmangels einen Prozess einleitete, ohne damit seine Sorgfaltspflichten gemäss Art. 3 Abs. 2 ZGB zu verletzen, oder um Fälle, in denen sich die massgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nach Einleitung des Prozesses zuungunsten des Klägers veränderten. Im Weiteren ist dies auch dann der Fall, wenn der Prozess imVertrauen auf eine Gerichtspraxis geführt wird, die ausgerechnet im vorliegenden Fall geändert wird, oder wenn eine Partei durch ihr früheres Verhalten einen personen- oder familienrechtlichen Prozess veranlasst hat. Nicht erforderlich ist, dass der Gegenpartei ein Verhalten wider Treu und Glauben vorgeworfen werden kann (vgl. BSK-Rüegg, a.a.O. Art. 107, N 5; Jenny, in: Sutter-Somm / Hasenböhler / Leuenberger, ZPO Komm., 2. Aufl., Art. 107 N 7; Fischer, Stämpfli Handkommentar, ZPO, Art. 107 N 5; KUKO ZPO-Schmid, Art. 107 N 3; Urwyler, Dike-Komm-ZPO, Art. 107 N 3, jeweils mit weiteren Nachweisen).
3.3 Im Zusammenhang mit der Überprüfung der Angemessenheit der Verteilung der Prozesskosten auferlegt sich das Kantonsgericht, Abteilung Zivilrecht, regelmässig eine gewisse Zurückhaltung. Es darf sein Ermessen gegebenenfalls zwar an die Stelle desjenigen der Vorinstanz setzen, die freie Überprüfungsbefugnis hindert es aber nicht daran, in Ermessensfragen einen Entscheidungsspielraum der Vorinstanz zu respektieren.
Der Vorinstanz kann somit die Wahl unter mehreren angemessenen Lösungen überlassen werden. Einzugreifen ist erst bei einer unangemessenen Entscheidung. Dabei ist Unangemessenheit dann gegeben, wenn ein gerichtlicher Entscheid – der innerhalb des gerichtlichen Ermessensspielraums liegt und zudem in Ausübung des dem Gericht zukommenden Ermessensspielraums getroffen wurde – auf sachlichen Kriterien beruht, unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des konkreten Falles aber dennoch als unzweckmässig erscheint (Reetz / Theiler, in: Sutter-Somm / Hasenböhler / Leuenberger, ZPO Komm., 2. Aufl., Art. 310 N 36).
Die erwähnte Zurückhaltung bei der Überprüfung der Angemessenheit darf jedenfalls nicht so weit gehen, dass erst bei Ermessensüberschreitungen eingegriffen würde, also dann, wenn die Bandbreite zulässiger Ermessensentscheide nach oben oder nach unten verlassen wird.
In Anbetracht der angeführten Lehre zur Prozessführung in guten Treuen erweist sich die Rüge der Beschwerdeführerin vorliegend als begründet. Vor dem Hintergrund des Ergebnisses in der Hauptsache, wonach der Kläger die angebliche Missbräuchlichkeit der Kündigung nicht zu beweisen vermochte und die Klage daher vollumfänglich abzuweisen war, erweist sich der fragliche Kostenentscheid als klar unangemessen. Insbesondere die Begründung der Vorinstanz, aus subjektiver Sicht des Klägers hätten Anhaltspunkte für das Vorliegen einer missbräuchlichen Kündigung bestanden, was eine Wettschlagung der Parteikosten rechtfertige, überzeugt nicht. Wie die Beschwerdeführerin dazu zutreffend ausführt, müsste ein Kläger nur noch behaupten, er habe sich zum Voraus subjektiv gewisse Prozesschancen ausgemalt, damit er – trotz Unterliegens – die Gegenpartei für deren Kosten nicht zu entschädigen habe. Dem Beklagten dürfte der Gegenbeweis, wonach der Kläger subjektiv einen positiven Verfahrensausgang nicht in Erwägung gezogen habe, kaum je gelingen, da über innere Tatsachen kein Beweis geführt werden kann.
Selbst wenn die in der Beschwerdeantwort angeführten Umstände, vor allem Dauer des Arbeitsverhältnisses und Alter des Klägers, als objektive Gründe berücksichtigt werden, lassen diese keine Verteilung nach Ermessen gestützt auf Art. 107 Abs 1 lit. b ZPO zu. Die Verneinung einer Missbräuchlichkeit der Kündigung eines langjährigen Arbeitsverhältnisses lässt sich offensichtlich nicht unter eines der zahlreichen Beispiele, welche die Lehre für eine gutgläubige Prozessführung vorgibt, subsumieren. Nach dem Gesagten zeigt sich, dass die Beschwerde im Grundsatz gutzuheissen ist und das Urteil vom 21. Juni 2012 bezüglich der Parteientschädigung (Dispositiv Ziff. 2 Abs. 2) aufzuheben ist.
5. Abschliessend ist noch über die Verteilung der Prozesskosten zu befinden. Gemäss Art. 114 lit. c ZPO dürfen bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis bis 30 000 Franken den Parteien weder Gebühren noch Auslagen des Gerichts auferlegt werden. Das vorliegende Verfahren beschlägt zwar einen Kostenentscheid, zumal in der Hauptsache eine Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis zu beurteilen war, werden auch für das Beschwerdeverfahren keine Gerichtskosten gesprochen.
Was die Parteientschädigung als weiteren Teil der Prozesskosten betrifft, gelten die Verteilungsgrundsätze nach Art. 106 ZPO. Gemäss Art. 106 ZPO sind diese der unterliegenden Partei aufzuerlegen. Hat keine Partei vollständig obsiegt, so werden die Prozesskosten nach dem Ausgang des Verfahrens verteilt. Dieser Verteilungsgrundsatz nach dem Erfolgsprinzip entspricht dem im Zivilprozess geltenden Hauptgrundsatz für die Kostenverteilung und gilt sinngemäss auch für die Rechtsmittelinstanz (Botschaft ZPO, S. 7296).
Vorliegend ist die Beschwerdeführerin mit ihrem Hauptantrag um Aufhebung von Ziff. 2 Abs. 2 des angefochtenen Dispositivs und Verurteilung des Beschwerdegegners, ihr eine Parteientschädigung für das Verfahren vor dem Bezirksgericht zu bezahlen, grundsätzlich durchgedrungen. Eine vollumfängliche Kostenüberbindung auf den Beschwerdegegner rechtfertigt sich jedoch nicht. Die vorgelegte Honorarnote vom 8. August 2012, die einen Betrag von Fr. 6167.80 fakturiert, erwies sich nach dem Vorstehenden nämlich als nicht tarifkonform und das massgebliche Honorar mitsamt Auslagen und Mehrwertsteuer wurde auf Fr. 3294.00 herabgesetzt. Vor diesem Hintergrund erscheint es gerechtfertigt, in Anwendung von Art. 106 Abs. 2 ZPO eine Verteilung der massgeblichen Parteientschädigung im Verhältnis ? zu ? zwischen der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner vorzunehmen.
Die Parteien haben mit den Rechtsschriften keine Honorarrechnungen eingereicht, sodass das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivilrecht, die Parteientschädigung von Amtes wegen nach Ermessen festzusetzen hat. Für die recht kurz gefasste Beschwerde erscheint ein Aufwand von rund vier Stunden als der Schwierigkeit und Bedeutung der Streitsache angemessen.
Nicht anders verhält es sich bezüglich der Beschwerdeantwort. Somit ergibt sich bei einem Stundenansatz von 250 Franken zuzüglich geschätzten Auslagen von 30 Franken und 8 Prozent Mehrwertsteuer ein Betrag in der Höhe von Fr. 1112.40. In Berücksichtigung vorstehender Erwägungen und bei einer Aufteilung der Kosten im Verhältnis ? zu ? zu Lasten des Beschwerdegegners hat dieser demzufolge der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr. 370.80 auszurichten.
Entscheid 410 12 358 des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivilrecht vom 12.2.2013
Zivilrecht
Recht auf Vaterschaftstest verjährt nicht
Die Erforschung der Elternschaft ist Teil des Persönlichkeitsrechts. Die im Zivilgesetzbuch vorgesehene Frist zur Anfechtung der Vaterschaft tangiert dieses Recht nicht. Es wiegt auch schwerer als der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte anderer durch einen Gentest.
Sachverhalt:
Martin und Frieda heirateten 1979. Während der Ehe wurde Tina geboren. 1993 liessen sich Martin und Frieda scheiden. Martin begann zu zweifeln, ob er tatsächlich der Vater von Tina ist. Er gelangte − nachdem das Bezirksgericht seine Anfechtungsklage abgewiesen hatte − ans Obergericht und beantragte, das Kindesverhältnis zwischen ihm und Tina (Beklagte 1) sei rückwirkend ab Geburt aufzuheben, seine biologische Vaterschaft zu Tina sei mittels DNA-Tests festzustellen und Tina sei aufzufordern, am Vaterschaftstest mitzuwirken. In Fünferbesetzung fällte das Obergericht Luzern nun einen richtungsweisenden Entscheid.
Aus den Erwägungen:
2.1 Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater (Art. 255 Abs. 1 ZGB). Der Ehemann kann die Vermutung der Vaterschaft beim Gericht anfechten (Art. 256 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Nach Art. 256c Abs. 1 ZGB hat er die Klage binnen Jahresfrist einzureichen, seitdem er die Geburt und die Tatsache erfahren hat, dass er nicht der Vater ist oder dass ein Dritter der Mutter um die Zeit der Empfängnis beigewohnt hat, in jedem Fall mit Ablauf von fünf Jahren seit der Geburt. Nach Ablauf der Frist wird eine Anfechtung zugelassen, wenn die Verspätung mit wichtigen Gründen entschuldigt wird (Art. 256c Abs. 3 ZGB).
Es ist unbestritten, dass der Kläger im Zeitpunkt der Zeugung der Beklagten 1 mit deren Mutter, der Beklagten 2, verheiratet war und die Klage erst nach Ablauf der Frist von fünf Jahren seit der Geburt eingereicht worden ist. Zu prüfen ist daher einzig, ob wichtige Gründe im Sinne von Art. 256c Abs. 3 ZGB gegeben sind. Denn nach Ablauf der Fristen gemäss Art. 256c Abs. 1 ZGB wird eine Anfechtung nur zugelassen, wenn die Verspätung mit wichtigen Gründen entschuldigt wird (Art. 256c Abs. 3 ZGB; dies sehen im Übrigen auch Art. 260c Abs. 3 und Art. 263 Abs. 3 ZGB vor).
2.2 Wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 256c Abs. 3 ZGB ergibt, verlangt Art. 256c Abs. 3 ZGB wichtige Gründe für die Verspätung, nicht für die Zweifel an der Vaterschaft. Die Argumentation der Vorinstanz, der Kläger lege nicht rechtsgenügend dar, welches Verhalten der Beklagten Zweifel an seiner Vaterschaft hervorgerufen habe (BG-Entscheid S. 4 f. E. 2.4 f.), geht daher an der Sache vorbei. Bei der Frage, ob wichtige Gründe für die Verspätung vorliegen, ist gemäss Gesetzeswortlaut auch keine Interessenabwägung vorzunehmen.
2.3 Der wichtige Grund für die verspätete Klageeinreichung kann sowohl objektiver wie auch subjektiver Natur sein. Als objektive Hindernisse könnten etwa in Frage kommen: schwere Krankheit (Urteil 5A_47/2011 vom 19.4.2011 E. 5.3), Freiheitsentziehung, vorübergehende Urteilsunfähigkeit oder Unterbruch der Kommunikationsmittel wie Postverbindungen. Als subjektive Hindernisse könnten etwa in Betracht fallen: die Hoffnung auf den Fortbestand der Ehe, die falsche Rechtsauskunft einer sachkundigen Stelle oder psychologische Hindernisse bei der Bildung des Klageentschlusses (Urteil des Bundesgerichts 5A_240/2011 vom 6.7.2011 E. 6.2.1 mit zahlreichen Hinweisen). Insbesondere liegen gemäss BGE 132 III 1 ff. wichtige Gründe zur nachträglichen Zulassung der Anfechtung der Vaterschaft vor, wenn der Ehemann bisher keinerlei Veranlassung hatte, an seiner Vaterschaft zu zweifeln.
Vorliegend ergibt sich, dass der Kläger offenbar lange Zeit nicht wusste, dass er möglicherweise nicht der leibliche Vater der Beklagten 1 ist. Ein diesbezüglicher (erster) Hinweis gelangte ihm – nach eigener Darstellung – erst nach seiner Wiederheirat zur Kenntnis. Gemäss den obigen Ausführungen kann ein solches subjektives Hindernis grundsätzlich Grund für die Wiederherstellung der Klagefrist im Sinne von Art. 256c Abs. 3 ZGB sein.
2.5 Im Ergebnis hat die Vorinstanz das Vorliegen wichtiger Gründe im Sinne von Art. 256c Abs. 3 ZGB zu Recht verneint, was zur Abweisung der Klage führt, soweit unter dem Aspekt der nur unvollständig wahrgenommenen Rügepflicht des Klägers auf die Berufung in diesem Punkt überhaupt eingetreten werden kann, was beim vorliegenden Ergebnis offengelassen werden kann.
3. Damit bleibt der Kläger der rechtliche Vater der Beklagten 1. Es stellt sich die Frage, ob er einen Anspruch auf Feststellung der genetischen Vaterschaft unabhängig von der Ehelichkeitsanfechtungsklage hat.
3.1 Zu prüfen ist, auf welche privatrechtliche Grundlage sich der Anspruch auf Kenntnis der Vaterschaft stützen kann, wenn er unter Privaten geltend gemacht wird und wenn beteiligte Personen – wie die Beklagte 1 – sich weigern, für Abklärungen zur Verfügung zu stehen. Denn ohne Zustimmung der betroffenen Person sind genetische Untersuchungen nur gestützt auf eine besondere gesetzliche Grundlage auf Anordnung des Gerichts zulässig (Art. 5 Abs. 1 und 32 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 8.10.2004 über genetische Untersuchungen beim Menschen [GMUG; SR 810.12]).
3.1.1 In der schweizerischen Lehre ist anerkannt, dass das Wissen über die genetische Abstammung für den Einzelnen auch unabhängig von einer rechtlichen Zuordnung der Vaterschaft von Bedeutung sein kann. Der Anspruch auf Erforschung der eigenen Herkunft gehört nach allgemeiner Auffassung zum von Art. 28 ZGB gewährleisteten Schutz der Identität. Sodann entspringt aus der zwischen Eltern und Kindern geltenden Beistandspflicht gemäss Art. 272 ZGB die Pflicht zur gegenseitigen Information, soweit diese zur Wahrung schutzwürdiger Interessen nötig ist (BGE 134 III 241 E. 5.2.2, S. 243 und E. 5.3.1, S. 245).
Soweit ersichtlich, wurde bislang in der schweizerischen Rechtsprechung nicht geklärt, ob das Gleiche für die Erforschung der eigenen Elternschaft gilt. Auf jeden Fall trifft sowohl das Vorenthalten des Wissens um ein leibliches Kind wie das «Unterschieben» eines durch einen Dritten gezeugten Kindes den Vater beziehungsweise Nicht-Vater in seiner affektiven Persönlichkeit (Regina E. Aebi-Müller, «Persönlichkeitsschutz und Genetik», in: ZBJV 2008, S. 100).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (EGMR) hat verschiedentlich festgestellt, es sei mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK nicht vereinbar, wenn die biologische Wirklichkeit gegenüber einer gesetzlichen Vaterschaftsvermutung nicht durchgesetzt werden könne (Mizzi c. Malte N° 26111/02 vom 12.1.2006 E. 113; Paulik c. Slowakei N° 10699/05, Tavli c. Türkei N° 11449/02). Allerdings betraf dies jeweils Fälle, in denen die biologische Vaterschaft bekannt war und somit die Interessen der Kläger und Kinder deckungsgleich waren (vgl. auch Iyilik c. Türkei N° 2899/05 vom 6.3.2012 E. 31 ff.).
3.1.2 Für die Mitwirkungspflicht, aber auch für die Aktiv- und Passivlegitimation im Rahmen der Durchsetzung des Anspruchs ausserhalb einer im Gesetz vorgesehenen Statusklage, ist die verfahrensrechtliche Grundlage zu klären. Die Feststellung der Vaterschaft bildet Gegenstand einer Vorfrage in der Statusklage, welche das Kindesverhältnis und damit ebenfalls die persönlichen Verhältnisse im Sinne von Art. 28 Abs. 1 ZGB regelt (BGE 134 III 241 E. 5.3.2, S. 245). Vorliegend wird die Vaterschaftsanfechtungsklage zusätzlich mit dem Antrag auf blosse Feststellung der eigenen biologischen Vaterschaft beziehungsweise Nicht-Vaterschaft verbunden. Die materiellen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Statusklage sind nicht gegeben.
Da Gegenstand der Statusklage ebenfalls die Aufklärung der Vaterschaft ist, erscheint es aufgrund des Sachzusammenhangs in verfahrensrechtlicher Hinsicht naheliegend, für die Durchsetzung des Anspruchs auf Kenntnis der Vaterschaft die Mitwirkungspflicht für Statusklagen in analoger Weise anzuwenden, ohne dass die Rechtswirkungen der Statusklage eintreten (BGE 134 III 241 E. 5.3.2, S. 245 f., mit Hinweisen).
Die analoge Anwendung der Bestimmungen für die Anfechtung der Ehelichkeitsvermutung bedeutet, dass der Kläger den Auskunftsanspruch zu Recht an die beiden Beklagten richtet (Art. 256 Abs. 2 ZGB) und die Parteien und Dritte an Untersuchungen mitzuwirken haben, die nötig und ohne Gefahr für die Gesundheit sind (Art. 296 Abs. 2 ZPO; vgl. BGE 112 Ia 248 E. 3, S. 249; Urteil des Bundesgerichts 5P.466/2001 vom 20.2.2002 E. 5c).
3.2 Eine DNA-Untersuchung stellt einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte derjenigen Person dar, deren genetische Substanz untersucht wird (Aebi-Müller, a.a.O., S. 85). Es sind daher nachfolgend – anders als bei den Statusprozessen bezüglich Vaterschaft – die Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen, wenn es darum geht, unabhängig von einem Ehelichkeitsanfechtungsverfahren nach Art. 256 ff. ZGB Kenntnis über die eigene Vaterschaft beziehungsweise Nicht-Vaterschaft zu erlangen.
3.2.1 Im schweizerischen Recht stützen sich die Entstehungsgründe für die rechtliche Vaterschaft an sich auf die genetische Abstammung (Art. 252 Abs. 2 ZGB). So beruht Art. 255 ZGB auf der Vermutung, dass der Ehemann der Mutter beigewohnt hat. Dasselbe wird durch Art. 260 ZGB vermutet, nämlich, dass der Anerkennende der Mutter beigewohnt hat.
Diese Vermutung bietet jedoch keine Sicherheit dafür, dass der Ehemann beziehungsweise der Anerkennende der tatsächliche Erzeuger des Kindes ist. Durch die Vermutungen wird in Kauf genommen, dass die rechtliche Vaterschaft nicht immer mit der genetischen übereinstimmt.
In der Literatur wird diskutiert, ob die genetische beziehungsweise die biologische oder die soziale Wahrheit Anknüpfungspunkt für die rechtliche Bestimmung der Elternschaft bilden soll. Dabei ist unverkennbar, dass in der Schweiz – wie in ganz Europa – die genetische Wahrheit an Bedeutung gewinnt, nicht zuletzt wegen des grundrechtlich verankerten Rechts des Kindes, diese zu kennen. Allerdings können auch gegenläufige Tendenzen beobachtet werden (Andrea Büchler, «Das Abstammungsrecht in rechtsvergleichender Sicht», in: FamPra 2005, S. 469; dieselbe, «Sag mir, wer die Eltern sind …», in: AJP 2004, S. 1177; Regina Aebi-Müller, «EGMR-Entscheid Jäggi c. Schweiz: Ein Meilenstein zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung?», in: jusletter vom 2.10.2006 Rz. 11).
Im Lichte von Art. 8 EMRK hat die biologische Realität grundsätzlich Vorrang vor einer gesetzlichen Vermutung (Meier / Häberli, «Übersicht zur Rechtsprechung im Kindes- und Vormundschaftsrecht» [November 2011 bis Februar 2012], in: ZKE 2012, S. 129, mit Hinweis auf Entscheide des EGMR i.S. Mizzi c. Malte N°26111/02 vom 12.1.2006; Paulik c. Slowakei N° 10699/05 vom 10.10.2006; Shofman c. Russland N° 74826/01 vom 24.11.2005).
Unter Berücksichtigung der Tendenz, dass die biologische Realität beziehungsweise genetische Wahrheit zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist das Interesse des Klägers hoch zu werten. Im hängigen Verfahren konnte er einen konkreten Verdacht für den Zweifel an seiner biologischen Vaterschaft glaubhaft machen. Die Ungewissheit über seine eigene Vaterschaft der Beklagten 1 gegenüber trifft den Kläger in seiner affektiven Persönlichkeit.
3.2.2 Dazu ist festzustellen, dass die Ehe der Eltern der Beklagten geschieden wurde, als die Beklagte 1 acht Jahre alt war. Seither besteht die Familiengemeinschaft mit dem Kläger nicht mehr. Die Beklagte ist mittlerweile 27 Jahre alt und bedarf nicht mehr im gleichen Ausmass eines Vaters, wie dies bei Minderjährigen der Fall ist. Selbst wenn der Kläger nach der Scheidung noch eine Weile die Rolle des sozialen Vaters wahrgenommen haben sollte, so ist dies offensichtlich seit längerer Zeit nicht mehr der Fall.
Das Verhältnis zwischen der Beklagten 1 und dem Kläger ist offenbar schon lange getrübt. Seit einiger Zeit haben sie gar keinen Kontakt mehr zueinander (OG amtl. Beleg 1, S. 4; OG amtl. Beleg 5, S. 4 f., Ziff. 1.4). Wenn die Beklagte 1 geltend macht, die rechtliche Vaterschaft des Klägers sei für sie wichtig, da sie nun über 26 Jahre lang von dieser ausgegangen sei und somit an diese geglaubt habe, ist dies bei den gegebenen Verhältnissen nicht nachvollziehbar. Daran ändert nichts, dass die Familiengemeinschaft mit beiden Eltern während ihrer ersten acht Lebensjahre auch tatsächlich gelebt worden ist. Die Beklagte 1 macht weiter geltend, sie sei der Überzeugung, dass sie die gleichen biologischen Wurzeln wie ihre Geschwister habe. Es bestehe deshalb ein festes familiäres Identifikationsgefüge, welches ihr wichtig sei. Auch dieser Einwand ist nicht nachvollziehbar.
Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die Beklagte 1 nicht den gleichen Vater haben sollte wie ihre Geschwister, sind sie nach wie vor (Halb-)Geschwister, mit einer bald dreissigjährigen gemeinsamen Vergangenheit. Diese gemeinsame Vergangenheit und die gemeinsamen Wurzeln zur Mutter lassen das Familiengefüge auch bei einer fehlenden biologischen Vaterschaft nicht einfach zerbrechen. Es fällt daher schwer zu glauben, dass die Beklagte 1 bei einem allfälligen negativen Vaterschaftstest in eine Identitätskrise gestürzt würde (OG amtl. Beleg 5, S. 7, E. 2.4). Dagegen spricht einerseits ihr Alter, dem bereits eine gewisse Reife innewohnt, andererseits aber auch die fehlende Behauptung, psychisch im Hinblick auf die derzeit streitige Vaterschaftsfrage gefährdet oder zumindest labil zu sein.
An der Beziehung zum Kläger, zu welchem sie keinen Kontakt mehr pflegt, würde sich nichts ändern und das übrige, offenbar intakte, Familiengefüge würde – wie bereits erwähnt – nicht wesentlich tangiert. Die Beklagte 1 macht geltend, sie leide bereits genügend unter der familiären Situation. Sie will sich daher mit ihrer Abstammung nicht auseinandersetzen (OG amtl. Beleg 5, S. 7, E. 2.4: «dass die Berufungsbeklagte 1 ausdrücklich keine Überprüfung der biologischen Vaterschaft des Berufungsklägers zu ihr wünscht»). Dieses Interesse ist nicht hoch zu gewichten, da die getrübte beziehungsweise nicht mehr bestehende Beziehung zum Kläger offensichtlich keinen Zusammenhang mit der Vaterschaftsfrage hat.
Tatsache ist, dass gewisse Zweifel über die Vaterschaft bestehen. Das Obergericht geht davon aus, dass diese Zweifel die Beklagte 1 belasten, dies jedoch – aus welchen Gründen auch immer – von ihr im Gerichtsverfahren nicht offengelegt wird. Es muss als gerichtsnotorisch betrachtet werden, dass die Kenntnis der eigenen genetischen Abstammung von grosser Bedeutung für die Beantwortung zentraler Lebensfragen ist (Wer bin ich? Von woher komme ich?). Diese berechtigten Fragen stellen sich aber nicht nur für die Beklagte 1 persönlich; sollte sie selber einmal Kinder haben, liegt es auch in deren Interesse, Kenntnis über ihre Abstammungsreihe zu haben. Unter Berücksichtigung der oben erwähnten Wichtigkeit der Kenntnis über die eigene genetische Abstammung ist davon auszugehen, dass es letztlich selbst für die Beklagte 1 von erheblichem Interesse ist, selber Gewissheit über ihre Abstammung zu erlangen.
3.2.5 Eine Abwägung der Interessen der Parteien ergibt zusammenfassend, dass dasjenige des Klägers höher zu gewichten ist. Den Kläger trifft die Ungewissheit über die Tatsache, ob die Beklagte 1 seine biologische Tochter ist, in seiner affektiven Persönlichkeit erheblich. Dagegen ist das Interesse der Beklagten 1, die Frage der biologischen Vaterschaft nicht zu prüfen, als geringer einzustufen, da der von ihr erwartete Zusammenbruch ihres Identifikationsgefüges nicht zu befürchten ist. Vielmehr wird sie selber – so oder anders – Gewissheit über eine in ihr Leben eingetretene zentrale offene Frage, nämlich diejenige ihrer Herkunft, erlangen.
Die Tatsache, dass der EGMR in einem vergleichbaren Fall, in welchem das nationale Gericht dem Vater die Feststellungsklage verweigerte, unter Abwägung der Interessen der Parteien keine Verletzung von Art. 8 EMRK erblickte, spricht nicht gegen die hier vorgenommene Interessenabwägung (Iyilik c. Türkei N° 2899/05 vom 6.3.2012 E. 31 f.). Einerseits wird die Begründung des erwähnten EGMR-Entscheids in der Literatur kritisiert, da sie mit der bisherigen Rechtsprechung zu brechen scheint, wonach die biologische Realität grundsätzlich Vorrang vor einer gesetzlichen Vermutung hat. Diesbezüglich überzeugt die abweichende Meinung der Richter Pinto de Albuquerque und Keller (Philippe Meier, «Übersicht zur Rechtsprechung im Kindes- und Vormundschaftsrecht», in: ZKE 2012, S. 129). Andererseits hatte der EGMR lediglich zu prüfen, ob die Verweigerung der Feststellungsklage im konkreten Fall mit Art. 8 EMRK vereinbar war.
3.3 Zusammenfassend ist somit die Berufung insofern gutzuheissen, als festgestellt wird, der Kläger habe – unabhängig von der Statusklage – einen Anspruch auf Klärung der Frage, ob er der biologische Vater der Beklagten 1 sei. Mit der Rechtskraft dieses Urteils wird es gleichzeitig vollstreckbar. Sollte die Beklagte 1 nicht freiwillig Hand zu einem DNA-Gutachten bieten, erhält der Kläger die rechtliche Möglichkeit, das vorliegende Urteil gerichtlich vollstrecken und damit ein DNA-Gutachten anordnen zu lassen.
Urteil 3B 12 33 der 3. Abteilung des Obergerichts des Kantons Luzern vom 18.9.2012
Strafrecht
Bedingte Strafe plus Massnahme geht nicht
Eine bedingte Strafe kann ausgesprochen werden, wenn keine Rückfallgefahr besteht. Bei drohender Rückfallgefahr wird eine Massnahme angeordnet. Eine Kombination von beidem ist nicht möglich.
Sachverhalt:
Ein Einzelrichter in Strafsachen sprach einen Beschuldigten schuldig wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand, Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, Verletzung der Verkehrsregeln sowie pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall – allesamt mit Vorsatz verübt. Bestraft wurde er mit einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe sowie einer Busse von 400 Franken. Es wurde eine ambulante Massnahme angeordnet und der Vollzug des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe im Umfang von sechs Monaten für die Dauer der Massnahme aufgeschoben. Die Probezeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Die Busse hatte der Beschuldigte zu bezahlen, andernfalls müsste er eine Ersatzfreiheitsstrafe von vier Tagen verbüssen. Die Verfahrenskosten hatte er zu bezahlen.
Gegen diesen erstinstanzlichen Entscheid erhob die Staatsanwaltschaft Berufung, namentlich gegen den teilbedingten Vollzug der Freiheitsstrafe und den Aufschub des unbedingten Teils der Strafe zugunsten der ambulanten Massnahme. Anschliessend stellte die Staatsanwaltschaft den Antrag, der Vollzug der Freiheitsstrafe von zwölf Monaten sei zugunsten der ambulanten Massnahme vollständig aufzuschieben. Damit beschränkte sie die Berufung auf den von der Vorinstanz gewährten teilbedingten Strafvollzug. Der Beschuldigte erhob keine Anschlussberufung.
Das Urteil der Vorinstanz blieb rechtskräftig. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist einzig die Frage, ob die Gewährung des teilbedingten Vollzuges der Freiheitsstrafe durch die Vorinstanz zulässig war. Der Aufschub des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe zugunsten der ambulanten Massnahme ist nicht mehr angefochten, da Staatsanwaltschaft und Verteidigung übereinstimmend beantragten, die Freiheitstrafe von zwölf Monaten sei vollumfänglich zugunsten der ambulanten Massnahme aufzuschieben. Da die Frage des bedingten Vollzuges jedoch eng mit der Frage des Aufschubes zugunsten der Massnahme zusammenhängt, befand das Zürcher Obergericht über beide Fragen neu.
Erwägungen:
1. Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe, von gemeinnütziger Arbeit oder einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten (Art. 42 Abs. 1 StGB). Unter den gleichen Bedingungen kann eine Freiheitsstrafe nur teilweise aufgeschoben werden, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen (Art. 43 Abs. 1 StGB).
Die objektiven Voraussetzungen für die Gewährung des bedingten oder teilbedingten Strafvollzuges im Sinne von Art. 42 und 43 StGB sind beim Beschuldigten ohne Weiteres erfüllt, wurde er von der Vorinstanz doch zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt.
In subjektiver Hinsicht verlangt eine Verurteilung zu einer bedingten Strafe nach Art. 42 StGB sowie einer teilbedingten Strafe nach Art. 43 StGB das Fehlen einer ungünstigen Prognose. Bei Art. 43 StGB ergibt sich dies zwar nicht aus dem Wortlaut, aber aus Sinn und Zweck der Bestimmung. Wenn und soweit die Legalprognose nicht schlecht ausfällt, muss der Vollzug zumindest eines Teils der Strafe bedingt aufgeschoben werden. Andererseits ist bei einer schlechten Prognose auch ein bloss teilweiser Aufschub der Strafe ausgeschlossen. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände (BGE 134 IV 1 E. 4.2.1 und E. 5.3.1; Urteil des Bundesgerichtes 6B_342/2010 vom 9.7.2010).
2. Die Vorinstanz hat zunächst eine ambulante Massnahme nach Art. 63 StGB angeordnet (Urk. 33, S. 16 ff.) und sich hernach ausführlich mit der subjektiven Voraussetzung für die Gewährung des bedingten Strafvollzugs befasst. Dabei berücksichtigte sie nebst der strafrechtlichen Vorbelastung des Beschuldigten auch dessen Alkoholabhängigkeit, seine freiwilligen Bestrebungen, seine Sucht zu behandeln, sowie seine berufliche und soziale Situation. Insbesondere erkannte sie, dass die Prognose des Beschuldigten aufgrund der zwei einschlägigen Vorstrafen, der sich dadurch abzeichnenden Regelmässigkeit (Zweijahresrhythmus) und Steigerung der Delinquenz(Alkoholblutwerte) und nicht zuletzt aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit schwer belastet ist.
Im Sinne einer Gesamtwürdigung kam sie zum Schluss, dass sich aufgrund der stabilen Verhältnisse, der gefestigten Verhaltensänderung des Beschuldigten bezüglich seines Alkoholkonsums und der freiwilligen Therapie mit erfolgreicher Alkoholabstinenz keine eigentliche Schlechtprognose begründen lasse. Wichtiges Element dieser Prognose seien weiterhin regelmässige Therapiebesuche des Beschuldigten, weshalb - wie bereits erläutert - eine ambulante Massnahme anzuordnen sei (Urk. 33, S. 22).
3. Wenn die Vorinstanz die von ihr angeordnete ambulante Massnahme bei der Beurteilung des bedingten Vollzuges als günstiges Prognosekriterium wertet, verkennt sie, dass die Anordnung einer Massnahme gemäss Art. 56 Abs. 1 lit. a StGB die «Gefahr weiterer Straftaten» voraussetzt. Mithin bedeutet die Anordnung einer Massnahme zugleich zwingend eine günstige Prognose, sodass eine gleichzeitig ausgefällte Strafe nicht bedingt gemäss Art. 42 StGB oder teilbedingt gemäss Art. 43 StGB aufgeschoben werden kann. Vielmehr ist die von der Vorinstanz ausgefällte Freiheitsstrafe von 12 Monaten unbedingt auszusprechen, wobei die Möglichkeit besteht, diese zugunsten der Massnahme aufzuschieben. Die Voraussetzungen für den Aufschub der Strafe richten sich dabei nach Art. 63 Abs. 2 StGB (Schwarzenegger / Hug / Jositsch, Strafrecht II, Strafen und Massnahmen, 8. A., Zürich 2007, S. 132; Urteile des Bundesgerichts 6B_342/2010 vom 9. Juli 2010, 6B_141/2009 vom 24. September 2009, 6B_724/2008 vom 19. März 2009, 6B_268/2008 vom 2. März 2009 E. 6).
In der Lehre wird - unter Hinweis auf Trechsel, Kommentar, N 22 zu Art. 41 aStGB - die Auffassung vertreten, der bedingte Strafvollzug lasse sich mit einer ambulanten Massnahme im Sinne von Art. 63 StGB kombinieren (Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. A., Basel 2007, N 78 zu Art. 42 StGB). Näher begründet wird diese Lehrmeinung dort allerdings nicht. Auch bei Trechsel findet sich an der angeführten Stelle nur eine apodiktische Behauptung. Dies wird dort zudem mit Verweis auf N 11 zu Art. 41 aStGB relativiert. Dort wird zwar ausgeführt, beim Entscheid über den Vollzug einer aufgeschobenen Strafe nach einer Massnahme im Sinne von Art. 43/44 aStGB sei auch die Frage des bedingten Strafvollzugs zu prüfen und dabei sei «auch die Kombination mit ambulanter Behandlung (...) denkbar».
Es wird aber sogleich angefügt, dass Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 a StGB für diesen Fall die Möglichkeit des Strafaufschubes vorsehe, «weshalb die Praxis eine Kombination mit bedingtem Strafvollzug nicht zulässt» (Trechsel, Schweiz. Strafgesetzbuch, 2. A., Zürich 1997, N 11 zu Art. 41 (a) StGB mit Verweisen). Trechsel schliesst, der Praxis sei zuzustimmen, «denn die ambulante Behandlung soll beim bedingten Strafvollzug durch eine Weisung angeordnet werden» (a.a.O.). Somit ist an der bewährten Praxis festzuhalten, wonach kein bedingter oder teilbedingter Strafvollzug zu gewähren ist, wenn sich gleichzeitig die Anordnung einer Massnahme aufdrängt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wird zugunsten der ambulanten Massnahme aufgeschoben. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden auf die Gerichtskasse genommen; dem Beschuldigten wird keine Prozessentschädigung zugesprochen.
4. Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung stellen übereinstimmend den Antrag, die Strafe sei zugunsten der ambulanten Massnahme aufzuschieben.
4.1 Das Gericht kann den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen Freiheitsstrafe zugunsten der ambulanten Behandlung aufschieben (Art. 63 Abs. 2 StGB), wenn der Täter nicht gefährlich ist (Basler Kommentar, a.a.O., N 39 ff. zu Art. 63 StGB). Der Strafaufschub soll jedoch nur ausnahmsweise gewährt werden, wenn die Art der ambulanten Behandlung es erfordert (Basler Kommentar, a.a.O., N 39 zu Art. 63 StGB, BGE 129 IV 161 m.w.H.). Dies ist dann der Fall, wenn die Massnahme vordringlich und mit dem Strafvollzug nicht vereinbar ist.
Die Therapie hat dann den Vorrang, wenn bei einem Strafaufschub gute Aussichten auf einen Behandlungserfolg bestehen, welchen der Strafvollzug verhindern oder erheblich gefährden würde. Die ambulante Massnahme darf nicht dazu missbraucht werden, den Strafvollzug zu umgehen, wo die Voraussetzungen für den bedingten Vollzug nicht mehr gegeben sind (Basler Kommentar, a.a.O., N 47 ff. und N 57 zu Art. 63 StGB). Bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren, die noch bedingt vollziehbar sein könnten, muss aber schon die ernstzunehmende Möglichkeit der Bewährung genügen, um das Strafbedürfnis (vorerst) zurücktreten zu lassen (Basler Kommentar, a.a.O., N 59 zu Art. 63 StGB). Hat sich der Täter noch vor der Verurteilung in eine freiwillige ambulante Behandlung begeben und verläuft diese bis zur Urteilsfällung erfolgversprechend, ist ein Strafaufschub angezeigt (Schwarzenegger / Hug / Jositsch, a.a.O., S. 184; Basler Kommentar, a.a.O., N 53 zu Art. 63 StGB).
4.2 Dr. C. hielt in seinem Massnahmegutachten vom 11. August 2011 fest, dass der Alkoholabhängigkeit des Beschuldigten bei der Beurteilung der Legalprognose die zentrale Bedeutung zukomme. Abgesehen davon hätten beim Beschuldigten keine weiteren deliktsfördernden Persönlichkeitsmerkmale festgestellt werden können. Dies zeige sich unter anderem auch am ansonsten ungetrübten Leumund. Positiv zu werten sei überdies die gute wirtschaftliche und soziale Integration des Beschuldigten, welche sich unterstützend und deliktspräventiv auswirke. Ein weiterer, die Legalprognose günstig beeinflussender Faktor sei die Tatsache, dass der Beschuldigte bereits freiwillig eine Fachtherapie aufgenommen habe und diese nachgewiesenermassen zu einer erfolgreichen Alkoholtotalabstinenz geführt habe.
Unterstützt werde dies auch durch die vom Beschuldigten erlebten und feststellbaren positiven Auswirkungen auf seine Gemütslage und es sei somit anzunehmen, dass die eingeleitete Verhaltensänderung mit Alkoholtotalabstinenz langfristig emotional gefestigt sei. Diese legalprognostischen Einschätzungen hätten auch mittels des Prognoseinstruments Fotres abgebildet werden können. Dabei habe sich gezeigt, dass eine langfristige Rückfallsfreiheit wahrscheinlicher sei als eine Rückfälligkeit, bei gleichzeitig guten Erfolgsaussichten in der Therapie.
Insgesamt beurteilte der Gutachter die Rückfallgefahr des Beschuldigten als moderat, wenn auch im Bereich des Strassenverkehrsgesetzes im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich erhöht.
4.3 Gestützt auf dieses Gutachten ging die Vorinstanz zu Recht von der Ungefährlichkeit des Täters aus (Urk. 33 S. 24), fordert der Ausschluss des Strafaufschubes doch eine besondere Rückfallgefahr, für welche sich vorliegend keine Anhaltspunkte finden (Basler Kommentar, a.a.O., N 44 zu Art. 63 StGB).
Darüber hinaus bejahte die Vorinstanz entgegen dem Gutachten auch das Erfordernis der Vordringlichkeit der Behandlung und schob den unbedingten Teil der Freiheitsstrafe zugunsten der ambulanten Behandlung auf. Zur Begründung führte sie an, dass der Beschuldigte seit Monaten alkoholabstinent lebe und sich dabei den Lebenssituationen, in welchen er bis zum Tatzeitpunkt regelmässig Alkohol konsumiert habe, stelle und diese meistere. Darauf gelte es aufzubauen. Im Strafvollzug könne diesem Punkt zufolge der Isolation von alltäglichen Situationen nur beschränkt Rechnung getragen werden. Zu beachten sei des Weiteren, dass der Beschuldigte bereits vor Fällung des vorinstanzlichen Entscheides aus eigenem Antrieb eine Therapie aufgenommen habe, was sich ebenfalls zugunsten des Strafaufschubes auswirke.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände habe der Beschuldigte nicht nur gute Resozialisierungschancen, sondern bereits erhebliche, erfolgreiche Resozialisierungsarbeit geleistet. Diese Resozialisierungschancen würden bei Durchführung des Strafvollzuges nicht nur verhindert oder vermindert, sondern es würden bereits erzielte Resozialisierungserfolge vereitelt, weshalb der Strafaufschub dringend angezeigt sei.
4.4 Diesen Erwägungen der Vorinstanz kann gefolgt werden, zumal die gegenteilige Einschätzung des Gutachters nicht begründet wurde (vgl. Urk. 9/9, S. 29). Darüber hinaus lässt sich dem aktuellen psychiatrischen Bericht der Privatklinik B. vom 12. August 2012, der verkehrspsychologischen Abklärung der Fahreignung des Instituts für Rechtsmedizin vom 29. Oktober 2012 sowie der verkehrsmedizinischen Begutachtung des Instituts für Rechtsmedizin vom 6. November 2012 entnehmen, dass der Resozialisierungserfolg noch immer anhält.
Der Beschuldigte befindet sich nach wie vor in einer regelmässigen ambulanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung, lebt nachweislich abstinent (Haaranalyse) und in einem stabilen sozialen Umfeld, das seinen Änderungsprozess unterstützt.
Dem Beschuldigten wurde denn auch eine gute Prognose gestellt und seine charakterliche Fahreignung wurde aus verkehrsmedizinischer und -psychologischer Sicht wieder befürwortet. Damit hat der Beschuldigte die Voraussetzungen geschaffen, um von einer ernstzunehmenden Möglichkeit der Bewährung auszugehen, welche das Strafbedürfnis in Bezug auf die 12-monatige Freiheitsstrafe zurücktreten lässt.
4.5 Vor diesem Hintergrund ist der Vollzug der Freiheitsstrafe zugunsten der ambulanten Massnahme aufzuschieben.
Urteil SB120378 des Obergerichts des Kantons Zürich vom 19.12.2012
Verjährung: Gesamtstrafe massgebend
Im Zusammenhang mit der Vollstreckungsverjährung hat der Gesetzgeber keine Ungleichheit zwischen den Vollzugsarten von Freiheitsstrafen beabsichtigt. Das Gesamtstrafmass ist für die Gewährung einer teilbedingten Strafe ebenso massgebend wie für den unbedingten Anteil daran.
Sachverhalt:
Das Bezirksgericht C sprach die Angeklagte A. am 23. Januar 2007 der falschen Anschuldigung, des mehrfachen teilweise gewerbsmässigen Betrugs sowie der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig und bestrafte sie dafür und wegen zwei widerrufenen Vorstrafen mit einer Gesamtstrafe von 22,5 Monaten Freiheitsstrafe. Der Vollzug von 16,5 Monaten wurde unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschoben. Die übrigen sechs Monate Freiheitsstrafe (abzüglich fünf Tage Untersuchungshaft) wurden unbedingt ausgesprochen.
Nach mehreren nicht eingehaltenen Terminen für den Antritt der Halbgefangenenschaft und Rekursen setzte das Amt für Justizvollzug den Strafantrittstermin auf den 4. März 2013 fest. A. liess am 31. Januar 2013 Beschwerde am Verwaltungsgericht erheben mit den Anträgen, die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde, auf die nicht eingetreten worden war, sei wiederherzustellen und die Verfügungen der Justizdirektion und des Amts für Justizvollzug seien aufzuheben. Eventualiter sei zudem explizit festzustellen, dass die Vollstreckungsverjährung hinsichtlich des im 2007 als vollziehbar erklärten Strafteils von sechs Monaten eingetreten sei und ein Strafvollzug nicht mehr erfolgen könne. Die Justizdirektion beantragte die Abweisung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und die Abweisung der Beschwerde in der Sache. Dieselben Anträge stellte das Amt für Justizvollzug in seiner Beschwerdeantwort.
Erwägungen:
5.1 In Art. 99 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 (StGB) werden die Fristen der Vollstreckungsverjährung festgehalten. Nach Abs. 1 lit. d und e dieser Bestimmung verjähren die Strafen in 15 Jahren, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als einem und weniger als fünf Jahren ausgesprochen wurde, bzw. in fünf Jahren, wenn eine andere Strafe ausgesprochen wurde. Die Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem das Urteil rechtlich vollstreckbar wird. Bei der bedingten Strafe oder beim vorausgehenden Vollzug einer Massnahme beginnt sie mit dem Tag, an dem der Vollzug der Strafe angeordnet wird (Art. 100 StGB).
5.2 Die Verjährungsfrist für bedingte oder teilbedingte Strafen ist die gleiche wie wenn die entsprechenden Strafen unbedingt ausgefällt werden. Bei einer teilbedingten Strafe ist sowohl für den unbedingten wie den bedingten Teil von der Gesamtstrafe auszugehen (Peter Müller in: Marcel Alexander Niggli / Hans Wiprächtiger, Basler Kommentar Strafrecht I, 2. A., 2007, Art. 99 N. 6 und Art. 100 N. 5b).
6.2 Diese Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen. Art. 99 StGB stellt ausschliesslich auf die Dauer der ausgesprochenen Freiheitsstrafe ab und enthält keine Differenzierungen hinsichtlich des Vollzugs in unbedingter, bedingter oder teilbedingter Form. In Bezug auf die hier einzig relevante Frage der Vollstreckungsverjährung kann damit nicht davon gesprochen werden, der Gesetzgeber habe «ganz offensichtlich gewollt» Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Vollzugsarten von Freiheitsstrafen geschaffen. Aufgrund des klaren Wortlauts der massgeblichen Gesetzesbestimmung ist davon auszugehen, dass eine ungleiche Behandlung in Bezug auf die Vollstreckungsverjährung nicht beabsichtigt war. Darauf lassen im Übrigen gerade auch die an anderen Stellen des Gesetzes tatsächlich getroffenen Unterscheidungen zwischen unbedingten und bedingten Strafen schliessen (vgl. zum Beispiel Art. 100 StGB bezüglich des Beginns der Verjährung).
Dafür spricht auch die Regelung der teilbedingten Strafe. Ein teilbedingter Vollzug kommt nur für Freiheitsstrafen im Ausmass von ein bis drei Jahren infrage. Dabei ist das Verhältnis der Strafteile so festzusetzen, dass darin die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung des Täters einerseits und dessen Einzeltatschuld andererseits hinreichend zum Ausdruck kommen. Je günstiger die Prognose und je kleiner die Vorwerfbarkeit der Tat sind, desto grösser muss der auf Bewährung ausgesetzte Strafteil sein. Der unbedingt vollziehbare Strafteil darf dabei das unter Verschuldensgesichtspunkten (Art. 47 StGB) gebotene Mass nicht unterschreiten (BGE 134 IV 1 E. 5.6, BGE 134 IV 241 E. 3.1.4). Eine solche Aufteilung ist dementsprechend nur dann der Einzeltatschuld angepasst, wenn sie in Relation zur Gesamtdauer der ausgesprochenen Freiheitsstrafe gesetzt wird. Bildet somit das Gesamtstrafmass nicht nur Voraussetzung für die Rechtswohltat der Gewährung einer teilbedingten Strafe, sondern auch für die Festlegung der bedingt und unbedingt zu vollziehenden Strafteile, muss es dies auch bleiben, wo es um Vollzugsfragen und insbesondere die Vollstreckungsverjährung des nur unbedingt zu vollziehenden Strafanteils als Teil der gesamten Strafe geht.
6.3 Demzufolge ist die Beschwerde abzuweisen. Es ist der Beschwerdeführerin weiterhin möglich, ihre bereits im Jahr 2007 ausgesprochene Strafe an dem vom Beschwerdegegner festgelegten Termin vom 4. März 2013, 9 Uhr, anzutreten. Die Beschwerdeführerin musste spätestens seit dem 29. Oktober 2012 mit der Verbüssung der Freiheitsstrafe rechnen und hatte inzwischen genügend Zeit, ihre Angelegenheiten im Hinblick auf den Strafvollzug zu regeln und sich darauf vorzubereiten.
Urteil VB.2013.00075 der 3. Abteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 21.2.2013
Steuerrecht
Kein neuer Steuerwohnsitz bei kurzem Wegzug
Zieht ein von der Ehefrau getrennter Angestellter nur vorübergehend weg, so begründet er keinen neuen Steuerwohnsitz. Massgebend ist, wo er dauerhaft bleiben will.
Sachverhalt:
Eine Luzerner Gemeinde (Y.) erklärte einen Mann für das Jahr 2011 als im Kanton Luzern steuerpflichtig, weil er am 31. Dezember dort wohnte. Der Mann erklärte jedoch, dass er sich bloss vorübergehend im Kanton Luzern aufgehalten und deshalb als Wochenaufenthalter angemeldet habe. Im Februar 2012, nach rund vier Monaten, zog er zurück in den Kanton Zug (Z.). Nachdem das Steueramt der Luzerner Gemeinde seine Einsprache abgewiesen hat, zog der Mann den Fall ans Verwaltungsgericht.
Erwägungen:
1.b) Der Mittelpunkt der Lebensinteressen bestimmt sich nach der Gesamtheit der objektiven, äusseren Umstände, aus denen sich diese Interessen erkennen lassen. Dem polizeilichen Domizil, wo die Schriften hinterlegt sind oder wo die politischen Rechte ausgeübt werden, kommt dagegen keine entscheidende Bedeutung zu; dies sind bloss äussere Merkmale, die ein Indiz für den steuerrechtlichen Wohnsitz bilden können, wenn auch das übrige Verhalten der Person dafür spricht (statt vieler: BGE 132 I 35 f. E. 4.1; vgl. Arnold, «Der steuerrechtliche Wohnsitz natürlicher Personen im interkantonalen Verhältnis nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung», in: ASA, 68. Band, 1999/2000, S. 452 f.).
c) Wenn sich eine Person abwechslungsweise an zwei oder mehr Orten aufhält, ist für die Bestimmung des steuerrechtlichen Wohnsitzes darauf abzustellen, zu welchem Ort sie die stärkeren Beziehungen unterhält. Bei unselbständig erwerbenden Steuerpflichtigen ist das gewöhnlich der Ort, wo sie für längere oder unbestimmte Zeit Aufenthalt nehmen, um von dort aus der täglichen Arbeit nachzugehen, ist doch der Zweck des Lebensunterhalts dauernder Natur (BGE 132 I 36 E. 4.1; BG-Urteil 2C_26/2012 vom 8.5.2012, E. 3.1).
Ehegatten haben grundsätzlich ein einziges und gemeinsames Steuerdomizil. Hat eine verheiratete Person Beziehungen zu mehreren Orten, werden die persönlichen und familiären Beziehungen zum Ort, wo sich ihre Familie (Ehegatten und Kinder) aufhält (Familienort), als stärker erachtet als diejenigen, die auf der beruflichen Tätigkeit beruhen, wenn sie in nicht-leitender Stellung unselbständig erwerbstätig ist und täglich oder an den Wochenenden an den Familienort zurückkehrt.
Kehrt ein Ehegatte, der während der Woche am Arbeitsort wohnt, nicht regelmässig an den Ort der Familie zurück, ist eine Teilung der Steuerhoheit anzunehmen. Diese Regelung gilt für den Fall, dass der Steuerpflichtige, ohne dass die ehelichen Bande aufgelöst sind, dauernd von der Familie getrennt lebt und seinen zivilrechtlichen Wohnsitz am Arbeitsort begründet (vgl. BGE 121 I 17 E. 4b; BG-Urteil 2A.433/2000 vom 12.7.2001, E. 2b).
Erforderlich ist eine genügende Festigkeit und Dauer der Trennung, ansonsten keine selbständige Familienniederlassung angenommen werden kann, sondern von einem einheitlichen gemeinsamen Steuerwohnsitz an einem der beteiligten Orte auszugehen ist. Insofern stellt selbst eine Scheidung der beiden Ehegatten lediglich ein - wenn auch starkes - Indiz für die Aufgabe des gemeinsamen Wohnsitzes und somit von getrennten Steuerdomizilen dar (vgl. Richner, «Die unbeschränkte Steuerpflicht natürlicher Personen», in: ZStP, 3/1998, S. 170; vgl. zum Ganzen Arnold, a.a.O., S. 479 f.).
d) Eine vorübergehende Unterbrechung des tatsächlichen Aufenthalts am Wohnsitz bleibt in der Regel ohne steuerliche Auswirkung und zwar auch dann, wenn eine Abmeldung in den entsprechenden Einwohner- und Steuerregistern erfolgt (Richner, a.a.O., S. 166; Richner / Frei / Kaufmann / Meuter, Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz, 2. Aufl., Zürich 2006,
N 13 zu § 3). Eine bloss vorübergehende Unterbrechung liegt in der Regel vor, wenn die Abwesenheit vom steuerrechtlichen Wohnsitz weniger als ein Jahr beträgt. Entscheidend ist aber immer, ob bei der Aufgabe des bisherigen und Begründung eines neuen steuerrechtlichen Wohnsitzes die Absicht bestand, an einem neuen Ort auf unbestimmte Zeit zu verbleiben (Richner / Frei / Kaufmann / Meuter, a.a.O., N 13 zu § 3). Insbesondere wird der Wohnsitz beibehalten, wenn persönliche oder wirtschaftliche Beziehungen zum bisherigen Wohnsitz (wei-
ter-)bestehen (Richner, a.a.O., S. 167; vgl. auch Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil, N 11 und 13 zu Art. 3 mit weiteren Hinweisen). Somit begründet keinen Wohnsitz, wer sich vorübergehend an einem bestimmten Ort aufhält, das heisst die Aufenthaltsdauer von vornherein zeitlich beschränkt ist (vgl. Richner, a.a.O., S. 168; vgl. auch BGE 125 I 59 E. 3b).
Der blosse Aufenthalt wird jedoch zum Wohnsitz, sobald zwischen der verweilenden Person und dem Ort eine festere, engere Verknüpfung entsteht. Diese Verknüpfung gründet auf der Absicht eines länger dauernden Verbleibens (Richner, a.a.O., S. 168). Selbst wenn der Aufenthalt auf längere Zeit unterbrochen wird, kann der Wohnsitz an einem Ort fortdauern, sofern der Wille, diesen Ort als Mittelpunkt der Lebensverhältnisse aufrechtzuerhalten, durch gewisse Beziehungen zu ihm in Erscheinung tritt (Locher, a.a.O., N 13 zu § 13). Für eine Wohnsitzverlegung genügt demnach nicht, dass die Verbindungen zum bisherigen Wohnsitz gelöst wurden; entscheidend ist vielmehr, dass nach den gesamten Umständen ein neuer Wohnsitz begründet worden ist (Locher, a.a.O., N 18 zu § 3).
2.a) Gleichwohl unterhielt der Beschwerdeführer in dieser Zeit eine enge Verbundenheit zu Z. Dort leben seine Kinder und befindet sich sein Arbeitsplatz. Anzeichen dafür, dass er während seines kurzen Aufenthaltes eine festere Verbundenheit zu Y. aufgebaut hätte, sind nicht ersichtlich. Dies umso weniger, als der Beschwerdeführer und B. die Wohnung in Y. bereits am 14. Dezember 2011 auf den 31. März 2012 kündigten.
Auch dies steht einer Absicht des Beschwerdeführers entgegen, in Y. dauernd verbleiben zu wollen. Zudem vermag die Dienststelle Steuern nicht aufzuzeigen, inwiefern die Beziehung des Beschwerdeführers zu B. die Intensität eines gefestigten Konkubinatsverhältnisses erreicht hatte, welches geeignet wäre, ein Steuerdomizil zu begründen. Der blosse Umstand, dass der Beschwerdeführer während ungefähr vier Monaten mit B. zusammenwohnte, reicht hie-
für nicht. Gemäss unwidersprochen gebliebenen Angaben des Beschwerdeführers ist diese Beziehung inzwischen beendet. Laut Auskunft der Einwohnerkontrolle verliess auch B. die Gemeinde Y. und liess sich in einer Gemeinde im Kanton Schwyz nieder.
b) Allein der tatsächliche Aufenthalt per 31. Dezember 2011 in Y. genügt nicht, um die Darstellung des Beschwerdeführers zu widerlegen, es habe sich bloss um einen vorübergehenden Aufenthalt gehandelt. Ein Aufenthalt von vier Monaten in einer Wohnung, die am massgeblichen Zeitpunkt (31.12.2011) bereits gekündigt war, vermag die Absicht des dauernden Verleibens in Y. und somit die subjektive Seite des Lebensmittelpunkts mit Blick auf die Bestreitungen und die aktenkundigen Fakten nicht zu belegen. Dies führt in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids.
Urteil A 12 66 der abgaberechtlichen Abteilung des Verwaltungsgerichts Luzern vom 1.10.2012
Gerichte des Bundes aktuell
Leistungskürzung wegen Stinkefinger
Weil er zwei Männern den Stinkefinger gezeigt hat, muss sich ein Autolenker die Halbierung der Unfallversicherungsleistungen gefallen lassen. Die beiden Täter hatten den Mann in einem Zürcher Parkhaus mit Gesten provoziert und beschimpft. Der Autolenker liess die Scheibe seines Wagens herunter und zeigte ihnen den Mittelfinger. Die Männer verprügelten ihn daraufhin brutal bis zur Bewusstlosigkeit. Das Bundesgericht hat der Unfallversicherung des Verletzten recht gegeben und bestätigt, dass die Taggelder um die Hälfte gekürzt werden dürfen. Für eine Leistungskürzung wegen Beteiligung an einer Schlägerei gemäss Art. 49 UVV komme es nicht darauf an, ob der Versicherte selber tätlich geworden ist. Entscheidend sei einzig, ob das Opfer die Gefahr einer tätlichen Auseinandersetzung hätte erkennen müssen. In der heutigen Zeit sei bei Vorkommnissen wie im konkreten Fall mit einer Eskalation ohne weiteres zu rechnen. Mit dem Zeigen des Stinkefingers habe der Autolenker das folgende Unheil geradezu heraufbeschworen.
8C_932/2012 vom 22.3.2013
Umstrittene Einbürgerung ausserehelicher Kinder
Zwei aussereheliche Töchter in der Heimat eines eingebürgerten Türken haben laut Bundesverwaltungsgericht ebenfalls Anspruch auf den Schweizer Pass. Der Mann war gestützt auf seine Ehe mit einer Schweizerin erleichtert eingebürgert worden. Während der Ehe zeugte er mit einer Landsfrau in seiner Heimat eine Tochter, weitere Kinder folgten nach der Scheidung von der Schweizer Gattin. 2002 anerkannte er seine Nachkommen offiziell und übersiedelte in die Türkei. Das Bundesamt für Migration hiess die Gesuche um erleichterte Einbürgerung der Kinder 2010 gegen den Widerstand des Kantons Solothurn gut. Der Kanton gelangte dagegen ans Bundesverwaltungsgericht und machte geltend, dass der Vater mit seinem Vorgehen «hochgradig rechtsmissbräuchlich» gehandelt habe. Auf Beschwerde des Kantons hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass zwei der drei Mädchen die Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen. Obwohl sie noch nie in der Schweiz waren, können sie laut Bundesverwaltungsgericht «sinngemäss» als integriert gemäss Art. 26 BüG gelten. Der Kanton Solothurn hat die Sache mittlerweile ans Bundesgericht weitergezogen.
C-3479/2010 vom 14.2.2013
Kein Dispens für Kindergarten-Yoga
Ein christliches Elternpaar kann seinen Sohn nicht von den Yogalektionen im Kindergarten dispensieren lassen. Angeboten wird eine säkular geprägte Form von Yoga. Die Kinder machen zunächst ein Bewegungs- und Rhythmusspiel, sprechen dann über ein Thema wie die Jahreszeiten und spielen Geschichten mit Figuren wie der Sonne, dem Mond oder einem Tier. Die Eltern fühlen sich durch die nach ihrer Ansicht hinduistisch-religiöse Praxis des Yoga in ihren religiösen Gefühlen als gläubige Christen verletzt. Laut Bundesgericht liegt kein unzulässiger Eingriff in ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV) vor. Beim praktizierten Kindergarten-Yoga gehe es nicht um Kultushandlungen oder einen Akt des Bekenntnisses. Weder sei eine Bekehrung beabsichtigt, noch würden die Lektionen eine Form religiösen Unterrichts darstellen. Die Übungen seien vielmehr eine im Rahmen der pädagogischen Gestaltungsfreiheit der Lehrperson zulässige Methode zur Auflockerung des Unterrichts. Es bestehe ein öffentliches Interesse daran, dass das Kind mit seiner Teilnahme sozial integriert werde.
2C_897/2012 vom 14.2.2013
Militärpolizei darf auch Zivillenker anhalten
Die Militärpolizei darf gegen zivile Lenker aktiv werden, falls von ihnen eine Gefahr für den Verkehr ausgeht. Betroffen ist ein Automobilist, der von Militärpolizisten bei einer Kontrolle des Armeeverkehrs mit 75 anstatt der erlaubten 50 Kilometer pro Stunde ertappt wurde. Er wurde der Zivilpolizei gemeldet und anschliessend verurteilt. Vor Bundesgericht argumentierte der Mann, das Messergebnis sei nicht verwertbar. Laut Gericht ist die Militärpolizei durch Art. 76 VMSV zwar nicht grundsätzlich befugt, auch beim zivilen Strassenverkehr Kontrollen durchzuführen. Sie darf aber einschreiten, wenn zivile Lenker eine