Personenrecht
Häusliche Gewalt: Präventionskurs zumutbar
Die gerichtliche Verpflichtung des Mannes zu einem Gewaltpräventionskurs ist zweckmässig und zumutbar, nachdem bei einem Streit unter Geschiedenen beide Ex-Partner verletzt wurden. Sie stellt keine Gefahr für die Reputation des Betroffenen dar, auch wenn er Arzt ist.
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist seit September 2017 geschieden. Beide Ex-Gatten wohnten aber weiterhin in der gemeinsamen Wohnung. Im Mai 2018 kam es zwischen ihnen zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Beide wurden verletzt. In der Folge verfügte die Polizei gegen den Beschwerdeführer für die Dauer von zwölf Tagen eine Wegweisung und ein Betretungsverbot für die gemeinsame Wohnung. Die Staatsanwaltschaft verpflichtete den Beschwerdeführer zudem, unverzüglich einen Gewaltpräventionskurs im Umfang von sechs Stunden zu absolvieren. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Zwangsmassnahmengericht und in zweiter Instanz das Kantonsgericht ab.
Aus den Erwägungen:
3.5.1 § 13e des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (EGZGB) lautet: «Der zuständige Staatsanwalt oder die zuständige Staatsanwältin kann die weggewiesene Person mit Verfügung anweisen, eine bestimmte Anzahl Beratungsstunden über den Umgang mit Gewalt zu absolvieren. Die Polizei ist antragsberechtigt.» Basierend auf der rechtmässigen Wegweisung durch die Polizei war diese formelle Voraussetzung erfüllt und konnte die Staatsanwaltschaft gestützt auf § 13e EGZGB grundsätzlich auch eine Pflichtberatung anordnen.
Wie bereits die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, stellt die Verpflichtung zum Besuch einer Gewaltberatung einen Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen im Sinne von Art. 10 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) dar, wofür mit § 13e Abs. 1 EGZGB eine hinreichende gesetzliche Grundlage gegeben ist.
3.5.3 Gewalt gegen (Ehe-)Frauen wird heute nicht länger als privates Problem angesehen. Vielmehr hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass auch die Gesellschaft und damit der Staat Verantwortung in der Bekämpfung der Gewalt übernehmen muss. Diese Einsicht hat ihren Niederschlag in der Gesetzgebung gefunden. So wurden seit 2004 gesetzliche Änderungen vorgenommen, die gewaltbetroffene Personen schützen und die Tatpersonen zur Verantwortung ziehen (vgl. Informationsblätter des Fachbereichs Häusliche Gewalt des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann, Informationsblatt 15 von September 2017: Häusliche Gewalt gegen Frauen und Männer, Informationen und Unterstützungsangebote. S. 3).
Zudem gilt in der Schweiz seit dem 1. April 2018 das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention). Im Sinne dieses Übereinkommens wird der Begriff «Gewalt gegen Frauen» als eine Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung der Frau verstanden und bezeichnet alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, einschliesslich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder privaten Leben (Art. 3 Abs. a). Das Übereinkommen sendet ein klares Signal, dass Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt kein Privatproblem ist.
3.5.4 Wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat, dient die Gewaltberatung der Rückfallprävention und dem Opferschutz und ist ein wichtiger Bestandteil bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt. Damit hat sie durchaus zutreffend ein öffentliches Interesse bejaht. Folglich hat sie zutreffend weiter ausgeführt, die Gewaltberatung diene «auch» dem Schutz des mutmasslichen Opfers.
Auch wenn die Frau eine Desinteresseerklärung abgegeben und festgehalten hat, dass sie durch das Ermittlungsverfahren emotional sehr belastet sei und wünsche, dass ihre gesamte Familie nun zur Ruhe komme, widerspricht dies nicht einer Pflichtberatung. Eine Gewaltberatung hat gerade zum Inhalt, dass der Beschwerdeführer darin unterstützt wird, einen verbesserten Umgang mit Konfliktsituationen zu finden und das Risiko für erneute Eskalationen zu verringern. Es ist also durchaus sowohl im öffentlichen wie auch im Interesse des Opfers und der gemeinsamen Kinder – vor welchen die fragliche Auseinandersetzung stattgefunden hat –, wenn diese Beratungen stattfinden. Sie sind einer einvernehmlichen Lösung der Parteien keinesfalls abträglich, sondern sollten ihrem Sinn nach förderlich sein.
Vorliegend wurde der Beschwerdeführer lediglich zu sechs Beratungsstunden verpflichtet. Dies greift nur geringfügig in seine Freiheit ein, ist mindestens zweckmässig, wenn nicht gar erforderlich, und zumutbar und somit verhältnismässig. Wie die Vorinstanz zutreffend – und vor Kantonsgericht nicht bestritten – ausführt, stellt die Gewaltberatung auch keine Gefahr für die Reputation des Beschwerdeführers dar, der als Kinderarzt tätig ist.
Damit sind die Voraussetzungen erfüllt und ist die Beschwerde hinsichtlich der Anordnung der Pflichtberatung abzuweisen.
Kantonsgericht Luzern, Entscheid 1H 183 vom 7.9.2018
Familienrecht
Richter müssen in Kinderbelangen genügend abklären
Die Untersuchungsmaxime in familienrechtlichen Verfahren verlangt, dass das Gericht von sich aus weitere Abklärungen tätigt, wenn die Aussagen der Eltern in Kinderbelangen unklar sind. Das gilt auch bei Ungewissheit darüber, wer von den Parteien die Familienzulagen bezogen hat.
Sachverhalt:
Der Vater klagt auf das Nichtbestehen einer Schuld. Dabei handelt es sich um in Betreibung gesetzte Unterhaltsbeiträge für die noch minderjährige Tochter. Wesentlich ist im Verfahren, ob in einem bestimmten Zeitraum der Vater oder die Mutter die Familienzulagen bezogen hatte. Die Befragung der Beteiligten ergibt keine Klarheit. Das Gericht entscheidet trotzdem. Das Obergericht hebt das Urteil wieder auf.
Aus den Erwägungen:
5.1 (...) In Kinderbelangen gilt unabhängig von der Art des Verfahrens die (uneingeschränkte) Untersuchungsmaxime. Diese schreibt dem Gericht vor, den Sachverhalt von Amtes wegen zu erforschen. Die Untersuchungspflicht des Gerichtes reicht so weit und dauert so lange, bis über die Tatsachen, die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlich sind, hinreichende Klarheit besteht (vgl. Art. 296 Abs. 1 ZPO, BGer 5A_513/2014, E. 4.1; 5A_59/2016, E. 4.4). Dies gilt grundsätzlich auch zulasten des Kindes bzw. zugunsten eines Unterhaltsschuldners (vgl. BGE 128 III 411 ff., E. 3.2.1 = Pra 92 [2003] Nr. 5; BGer 5C.73/2004, E. 2.2, 5A_745/2014, E. 2.3 m.w.H.). Soweit es um die Beurteilung des Bestandes oder Nichtbestandes eines Anspruchs der Beschwerdegegnerin geht, gilt somit die uneingeschränkte Untersuchungsmaxime.
Im Rahmen der vorinstanzlichen Hauptverhandlung ergaben die Vorbringen und die Befragungen der Parteien keine Klarheit darüber, wann wer im noch streitigen Zeitraum Familienzulagen bezogen hatte.
Bei dieser Sachlage durfte sich die Vorinstanz nicht auf die erwähnte Befragung beschränken. Vielmehr war sie in Anwendung der Untersuchungsmaxime gehalten, Klarheit über den streitigen Bezug zu schaffen, sei es durch Einholung einer schriftlichen Auskunft bei der SVA, sei es durch eine ausgedehntere Befragung der Parteien bzw. den Hinweis auf die Möglichkeit der Einholung eines schriftlichen Berichtes durch die Parteien. Indem die Vorinstanz dies unterliess, verletzte sie die Untersuchungsmaxime.
Obergericht Zürich, Urteil PP180043-O/U vom 20.3.2019
Angedrohter Zwang ist anfechtbar
Ein Heim stellte einem Patienten im Rahmen der fürsorgerischen Unterbringung in Aussicht, man werde ihn in einer geschlossenen Einrichtung zwangsmedikamentös behandeln, wenn er nicht kooperiere. Eine solche Androhung ist anfechtbar.
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer fügte seinem Vater tödliche Verletzungen zu. Das Strafverfahren wurde wegen vollständiger Zurechnungsunfähigkeit eingestellt und eine stationäre Massnahme angeordnet. Aus dieser wurde er 1997 bedingt entlassen. Eine definitive Entlassung verweigerte das Bundesgericht. Der Betroffene befindet sich seit Jahren im Heim in Fürsorgerischer Freiheitsentziehung. Dort wird er permanent mit Depot-Injektionen des Neuroleptikums «Clopixol» behandelt, wogegen er sich beschwerte. Der Einzelrichter trat auf seine Beschwerde nicht ein, weil sie nicht unter Zwang erfolge. Das Obergericht hebt den Entscheid auf.
Erwägungen:
2.6 Als Zwangsbehandlung gilt in erster Linie der Fall, in dem einem Betroffenen gegen seinen Willen unter Anwendung physischer Gewalt Medikamente verabreicht werden. Von einer Zwangsbehandlung ist ferner auszugehen, wenn der Patient unter dem Druck bevorstehenden unmittelbaren Zwangs in die ärztliche Behandlung einwilligt (Urteil BGer 5P.366/2002, E. 4), so bspw. wenn dem Betroffenen andernfalls die Verlegung ins Isolierzimmer droht (vgl. BGE 143 III 337, E. 2.7), oder nach einer tatsächlich vorgenommenen zwangsweisen Verabreichung von Medikamenten diese im weiteren Verlauf des Aufenthalts «ohne Druck» bzw. «freiwillig» einnimmt (Urteil BGer 5A_353/2012, E. 3.4.1).
Von einer Zwangsbehandlung ist ferner auch dann auszugehen, wenn die medikamentöse Behandlung nach der Entlassung des Betroffenen aus der fürsorgerischen Unterbringung (Art. 426 ZGB) angeordnet und der Betroffene verpflichtet wurde, sich dieser Behandlung zu unterziehen, andernfalls ihm eine erneute Einweisung in eine Einrichtung droht (Urteil BGer 5A_666/2013, E. 3.2). Das trifft im Fall des Beschwerdeführers zu: Es wird ihm gesagt, dass er in die Klinik S. eingewiesen wird, wenn er das Medikament nicht freiwillig zu sich nimmt resp. seine Applikation duldet – und dort werde vom leitenden Arzt verfügt, dass ihm nach den Regeln der Zwangsbehandlung genau dieses Medikament verabreicht werde.
2.7 Das Heim T. kann selber keine Zwangsbehandlung im Sinn der unmittelbaren Gewalt anwenden. Die Medikamente müssen den Patienten gleichwohl von dazu befugten Ärztinnen verschrieben werden – seien diese von der Institution selber oder der ihr übergeordneten Gruppe, welche zahlreiche Einrichtungen im Alters- und Gesundheitsbereich betreibt, angestellt oder seien sie als Heimärzte regelmässig für die Patienten tätig. Offenbar wird auf förmliche Anordnungen der Medikamentenabgabe auch gegen den Willen der Patienten verzichtet, weil diese Ärztinnen das nicht direkt durchsetzen könnten. Das ist allerdings unbefriedigend, weil der faktische Zwang im Resultat nicht anders ist, als wenn das Heim T. eine Art Aussenstation der Klinik S. wäre und deren Ärzte die Medikation anordneten.
Eine Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 434 ZGB muss ärztlich angeordnet worden sein. Es kommt aber nicht in Frage, aus dem Fehlen der Anordnung zu schliessen, es könne kein Zwang vorliegen – das wäre ein Zwang als Realakt, welchen das Bundesgericht mit Grund verbietet (BGer 5A_834/2017, E. 4). Es ist auch nicht gerechtfertigt, den Beschwerdeführer darauf zu verweisen, er könne die Medikation verweigern, werde dann in die Klinik S. verlegt, und dort werde eine entsprechende ärztliche Anordnung getroffen werden, welche er anfechten könne. Der faktische Zwang setzt früher an, nämlich bei der Verschreibung des Medikamentes durch die Heimärztin und die Drohung mit Verlegung, Anordnung, Zwangsapplikation bei einer Verweigerung. So erachtete das Bundesgericht auch den Fall als Zwang, in welchem die betroffene Person in einem abgeschlossenen «Viertel» untergebracht wurde respektive mit einer Verlegung ins Isolierzimmer rechnen musste, wenn sie die verordneten Medikamente nicht freiwillig einnahm (vgl. BGE 143 III 337, E. 2.7). Eine ausufernde Auslegung des Begriffes der Zwangsmedikation ist darum nicht zu befürchten, weil diese ohnehin auf Personen in fürsorgerischer Unterbringung beschränkt ist, und der Beschwerdeführer befindet sich ja im Heim T. auch in einer solchen.
2.8 Der Beschwerdeführer bekundet in seinen Schreiben wiederholt und klar, dass er mit der Medikation nicht einverstanden sei. Er schildert ausführlich, was diese Medikamente bewirkten und wie fehlerhaft sich das Personal verhalte, welches Patienten mit solchen Medikamenten behandle. Er will die 14-täglichen Injektionen nicht.
2.9 Der Beschwerdeführer wird vom Gutachter und auch im vorinstanzlichen Entscheid als urteilsunfähig eingestuft, was seine Behandlungsbedürftigkeit angeht. Ebenfalls wisse man aus der Vergangenheit, dass der Beschwerdeführer ohne Medikation sehr schnell distanzärmer geworden sei und seine verbalen und körperlichen Übergriffe zugenommen hätten. Schliesslich sei eine mildere Massnahme als die Medikation nicht vorhanden. Es gebe keine andere Möglichkeit, als die Medikation zu belassen. Man könnte aber allenfalls prüfen, ob ein anderes Mittel in Betracht käme. Der Experte hat aber die vom Beschwerdeführer beklagten Nebenwirkungen anerkannt, und er hat ausdrücklich drei alternative Präparate genannt, welche nach seiner allerdings sehr kurzen Erläuterung jedenfalls zum Teil besser verträglich sein sollen.
2.10 Es ist daher der gesetzlich vorgeschriebene Behandlungsplan zu erstellen und eine förmliche Anordnung der Zwangsmedikation zu erlassen. Zuständig dafür ist in diesem Fall der Arzt oder die Ärztin, welche dem «Chefarzt oder der Chefärztin» im Sinne von Art. 434 ZGB am nächsten kommt. Das ist die Person, welche die dem Beschwerdeführer aktuell verabreichten Substanzen verschrieben hat – sei sie vom Heim T. oder einer übergeordneten Organisation angestellt oder auch in einem freien Auftragsverhältnis tätig.
Als Säumnisandrohung läge nahe, die weitere Behandlung des Beschwerdeführers mit Clopixol als unzulässig zu bezeichnen und zu untersagen. Das verbietet sich darum, weil der Beschwerdeführer nach den Ausführungen des Gutachters auf Psychopharmaka angewiesen ist.
Dem Beschwerdeführer stünde der Behelf der Rechtsverweigerungsbeschwerde offen, doch ist unsicher, ob er das ausreichend überblickt. Es ist daher anzuordnen, dass Behandlungsplan und Anordnung auch dem Einzelgericht zur Kenntnis zuzustellen sind; dieses wird davon auszugehen haben, dass der Beschwerdeführer es ablehnt (denn er wendet sich ja grundsätzlich gegen jede medikamentöse Behandlung), sodass es mindestens fürs Erste keiner weiteren förmlichen Anfechtung bedarf. In diesem Sinn ist das Verfahren an das Einzelgericht zurückzuweisen, welches Anordnung und Behandlungsplan zu überprüfen haben wird.
Obergericht Zürich, Urteil PA190002 vom 5.3.2019
Zivilprozess
Honorarkürzung: Konkrete Umstände massgebend
Bei der Festsetzung von Anwaltshonoraren haben die Gerichte grossen Ermessensspielraum. Jedoch darf das von einer unentgeltlichen Rechtsbeiständin substanziiert geltend gemachte Honorar nicht gekürzt werden, ohne die konkreten Umstände zu berücksichtigen.
Sachverhalt:
Streitig ist die Höhe der Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid des Zivilkreisgerichts Basel-Landschaft West gegen die Reduktion des von der Rechtsbeiständin geltend gemachten Honorars.
Erwägungen:
1. Der Entscheid über die angemessene Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist in Anwendung von Art. 110 ZPO mit Beschwerde anfechtbar. Mit der Beschwerde kann die unrichtige Rechtsanwendung sowie die offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts gerügt werden (Art. 320 ZPO).
2. Nach Art. 122 Abs. 1 lit. a ZPO wird im Falle des Unterliegens der unentgeltlich prozessführenden Partei der unentgeltliche Rechtsbeistand vom Kanton angemessen entschädigt. Dabei spricht das Gericht die Parteientschädigung nach den kantonalen Tarifen zu (Art. 105 Abs. 2 ZPO). Gemäss § 2 Abs. 1 der Tarifordnung für die Anwältinnen und Anwälte (TO; SGS 178.112) ist bei unentgeltlicher Verbeiständung die Entschädigung nach dem Zeitaufwand festzusetzen. In der Kostennote des unentgeltlichen Rechtsbeistands müssen sowohl der genaue Zeitaufwand als auch die Auslagen aufgeführt werden (§ 18 Abs. 2 TO; Emmel, a.a.O., N 6 zu Art. 122 ZPO). Hat eine Partei eine detaillierte Kostennote eingereicht, so muss das Gericht eine allfällige Kürzung aufgrund des Anspruchs auf rechtliches Gehör zumindest summarisch erläutern, indem es kurz, aber bestimmt ausweist, welche Aufwandpositionen inwiefern ungerechtfertigt sind und daher ausser Betracht bleiben müssen (BGer 5D_62/2016, E. 4.2; BGer 8C_832/2012, E. 3.1 und 4.1; BGer 8C_54/2013, E. 4.1).
3. Als Begründung für die Reduktion des geltend gemachten Anwaltshonorars der Beschwerdeführerin führte die Vorinstanz im Entscheid vom 29. August 2018 aus, bei Fällen der unentgeltlichen Verbeiständung gelte das Gebot der wirtschaftlichen Behandlung des Falles, weshalb ein unverhältnismässiger Aufwand nicht zu entschädigen sei. Der geltend gemachte Aufwand von knapp 43 Stunden sei bereits für ein komplettes Scheidungsverfahren an der oberen Grenze und in Anbetracht der Tatsache, dass die Abänderung lediglich den Kindsunterhalt betroffen habe, überhöht und daher auf einen angemessenen Betrag zu reduzieren. Die Vorinstanz sprach der Beschwerdeführerin sodann einen Aufwand von 20,5 Stunden zu – analog dem Aufwand, welchen die Rechtsvertreterin des Klägers geltend machte –, zuzüglich der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Auslagen.
6.1 Die Vorinstanz sprach der Beschwerdeführerin den gleichen Aufwand wie der Gegenanwältin zu. Den gleichen Aufwand zuzusprechen rechtfertigt sich nur, wenn der Aufwand für beide Rechtsvertreterinnen auch in etwa gleich gross gewesen sein dürfte, was die Vorinstanz jedoch nicht prüfte. Die Beschwerdeführerin macht zu Recht geltend, dass sie im Gegensatz zur Gegenanwältin im Scheidungsverfahren nicht dabei gewesen sei und dass sie im vorinstanzlichen Verfahren aufgrund der sich wechselnden Einkommensverhältnisse des Klägers einen höheren Aufwand gehabt habe als dessen Rechtsvertreterin.
Da die Beschwerdeführerin im Unterschied zur gegnerischen Anwältin erst im Abänderungsverfahren die Vertretung übernahm, musste sie bereits für das Aktenstudium mehr Aufwand betreiben. Aus den vorinstanzlichen Akten geht sodann hervor, dass die Beschwerdeführerin mehr Eingaben machte als die Gegenanwältin (die Parteien prozessierten zuerst ohne Anwältinnen) und ihre Eingaben umfangmässig auch länger waren. Aufgrund der sich mehrmals ändernden Einkommensverhältnisse des Klägers musste sie auch mehrere Unterhaltsberechnungen anstellen. Dies alles verbietet es, den Aufwand der Beschwerdeführerin gleichzusetzen mit dem Aufwand der Gegenanwältin.
6.2 Das Argument der Vorinstanz, es handle sich nur um den Kindsunterhalt, weshalb die Bemühungen nicht gleich sein könnten wie in einem Scheidungsverfahren, überzeugt nicht, nachdem die Vorinstanz den zu Beginn des Abänderungsverfahrens noch unvertretenen Parteien empfahl, je einen Anwalt zu nehmen. Dies mit dem Hinweis, es gelte seit 1. Januar 2017 ein neues Kindesunterhaltsrecht und auf Seiten des Klägers sei ein neues Kind geboren worden, weshalb die Angelegenheit sehr kompliziert werde.
6.3 Soweit die Vorinstanz in der Beschwerdevernehmlassung vorbringt, die Deservitenkarte weise 84 Positionen aus und die Rechnungsstellung sei unsubstanziiert erfolgt, ist ihr nicht zu folgen. In der Deservitenkarte der Beschwerdeführerin sind alle ausgeführten Arbeiten chronologisch aufgelistet. Es finden sich darin Spalten je für die Beschreibung der jeweiligen Tätigkeit, den Zeitaufwand, die Telefonkosten, die Portokosten, die Anzahl Kopien inkl. diesbezüglicher Kosten und für diverse Auslagen (z.B. Fahrspesen). Am Ende jeder Spalte befindet sich sodann das Total für die einzelnen Auslagen und deren Gesamttotal und es wird der zeitliche Gesamtaufwand von 42:55 Stunden ausgewiesen. In der vorinstanzlichen Honorarnote vom 28. August 2018 führte die Beschwerdeführerin sodann das Honorar von 42:55 Std. à 200 Franken bzw. das Total von Fr. 8583.35 und die Auslagen von gesamthaft Fr. 494.05 auf. Der mit der Honorarnote geltend gemachte Aufwand ist somit hinreichend substanziiert und kann mit der Deservitenkarte genau geprüft werden.
6.4 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Reduktion des Anwaltshonorars von der Vorinstanz mit pauschalen, nicht zutreffenden Argumenten begründet wurde und die Vorinstanz bei der Festlegung des Honorars der Beschwerdeführerin weder auf deren konkret geltend gemachten Aufwand noch auf die Umstände des Einzelfalles einging. Somit stellt die vorinstanzliche Begründung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
7. Bei der Festsetzung von anwaltlichen Honoraren kommt den Gerichten in allen Instanzen ein grosser Ermessensspielraum zu. Im vorliegenden Fall war der Aufwand der Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren bedeutend höher als 20,5 Stunden und beträgt maximal die geltend gemachten 42:55 Stunden. Die Vorinstanz, welche das Verfahren führte, ist mit den tatsächlichen Verhältnissen besser vertraut und vermag daher besser zu beurteilen, welcher Aufwand innerhalb dieser Spannweite angemessen ist bzw. welcher konkrete Aufwand allenfalls nicht notwendig oder überhöht war.
Die Sache ist daher zur Neubeurteilung des angemessenen Honorars der Beschwerdeführerin an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Entscheid 410 18 293 vom 22.1.2019
Strafprozessrecht
Verteidiger sind verpflichtet, Kosten zu sparen
Amtliche Verteidiger müssen vor einer langen Anreise zu einem Besuch des Klienten im Gefängnis günstigere Alternativen prüfen. Dazu gehören nicht nur Telefonate und Videokonferenzen mit dem Beschuldigten, sondern auch allenfalls ein Auftrag an die Polizei, den Inhaftierten per Bahn anzuliefern. Ist eine längere Bahnreise für den Anwalt unumgänglich, hat er die Reisezeit auch für andere Arbeiten zu nutzen.
Sachverhalt:
Ein amtlicher Verteidiger aus dem Baselbiet besuchte per Bahn einen Klienten im Tessiner Gefängnis La Stampa, um die Frage der Berufung beziehungsweise des Rückzugs der Berufung gegen ein Strafurteil zu besprechen. Das Kantonsgericht ersuchte im Rahmen der Überprüfung der Kostennote des Anwalts die Polizei, die Höhe der hypothetischen Kosten für einen Gefangenentransport vom Gefängnis La Stampa in Lugano in den Kanton Basel-Landschaft und zurück mitzuteilen. Sodann wurde der Advokat aufgefordert, dem Gericht darzulegen, weshalb er vor dem Besuch seines Klienten im Tessin nicht mit der Verfahrensleitung Kontakt aufgenommen hat, um einen Gefangenentransport des Beschuldigten zwecks Kostenminderung nach Basel zu veranlassen.
Aus den Erwägungen:
5.1 Vorliegend ist nun die Frage zu beantworten, ob von einer amtlichen Verteidigung erwartet werden kann, dass sie sich vor Generierung beachtlicher Kosten, die vorliegend auf einen Gefangenenbesuch im Kanton Tessin zurückzuführen sind, mit Fragen möglicher Kostenminimierung auseinandersetzen muss. Vorliegend geht es um Anwaltskosten in der Höhe von 2200 Franken (11 Stunden zu einem Stundenansatz von 200 Franken) für die «Konsultation in Lugano inklusive Fahrt» sowie Auslagen von 300 Franken (Reisespesen) – Kosten, welche im Rahmen einer Wahlverteidigung kaum ohne Rücksprache mit dem Klienten so hätten generiert werden können.
Konkret ist also zu prüfen, ob sich die amtliche Verteidigung vor längeren Reisen unter anderem im Hinblick auf eine mögliche Kostenminimierung u.a. mit der Möglichkeit einer Video- oder Telefonkonferenz sowie derjenigen eines Gefangenentransports des Beschuldigten mittels des Transportsystems Jail-Transport-System (JTS) auseinandersetzen muss.
5.2 Gemäss Mitteilung der Polizei Basel-Landschaft vom 13. Juni 2018 wären für einen hypothetischen Transport vom Tessin in den Kanton Basel-Landschaft keine (zusätzlichen) Kosten entstanden, sofern der Transport durch die Mitarbeitenden der Securitas AG durchgeführt worden wäre. Der Kanton Basel-Landschaft entrichte der Securitas AG quartalsweise einen Pauschalbeitrag für die Transportausführung.
5.3 In seiner Stellungnahme führt Advokat B. zusammengefasst aus, ihm sei bis anhin nicht bekannt gewesen, dass für Anwaltsbesprechungen Gefangenentransporte durchgeführt würden. Eine solche Besprechung vorher mit der Verfahrensleitung absprechen zu müssen, sei ihm neu.
5.7 Ein Gefangenentransport vom Tessin in den Kanton Basel-Landschaft und zurück dauert gemäss Fahrplanauskunft JTS 6,5 bzw. 6 Stunden und wird in regelmässigen Intervallen mehrmals in der Woche organisiert, womit ausser am Montag eine Ankunft jeweils am selben Tag um die Mittagszeit garantiert ist. Für den Inhaftierten bzw. dessen Rechtsvertreter entsteht somit kein organisatorischer Mehraufwand.
5.8 Die amtliche Verteidigung erfüllt eine staatliche Aufgabe, welche durch das kantonale öffentliche Recht geregelt wird. Mit der Einsetzung des Anwalts als amtlicher Verteidiger entsteht zwischen ihm und dem Staat ein besonderes Rechts- bzw. Sonderstatusverhältnis (BGE 131 I 217, E. 2.4; 122 I 1, E. 3a). Aus diesem besonderen Verhältnis zwischen der amtlichen Verteidigung und dem Staat resultiert (auch) eine Kostenminderungspflicht.
5.10 Schliesslich ist festzustellen, dass Advokat B. über eine langjährige Berufserfahrung verfügt und im Rahmen anderer Fälle und der dortigen Akteneinsicht ohne Weiteres ersehen konnte, dass für Gefangenentransporte zumindest im Prinzip das JTS zur Verfügung steht. Das Wissenmüssen um Telefonate und Videokonferenzen im Rahmen des vorzeitigen Strafvollzugs (unbeschränkt, nicht mitgehört und nicht aufgezeichnet mit der Verteidigung) muss ihm aus demselben Grund angerechnet werden.
5.11 Wäre im Übrigen ein Gefangenenbesuch im Rahmen der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit angezeigt, ist die Reise jeweils nach Massgabe dessen zu entschädigen, inwieweit die amtliche Verteidigung ihre Reisezeit anderweitig produktiv nutzen könnte. Entsprechend der jeweils zurückgelegten Distanz muss für die Entschädigung der Reisezeit innerhalb der Nordwestschweiz ein anderer Ansatz gelten als für Reisen ausserhalb der Nordwestschweiz oder ins Ausland. Da ein Gefangenenbesuch innerhalb der Nordwestschweiz der amtlichen Verteidigung in der Regel kaum genügend Zeit einräumt, ihre Reisezeit beispielsweise im Zug in Ausübung des Mandats sinnvoll zu nutzen, erscheint es gerechtfertigt, der amtlichen Verteidigung die Reisezeit für notwendige Gefangenenbesuche innerhalb der Nordwestschweiz in der Regel voll zu entschädigen. Bei Gefangenenbesuchen ausserhalb des Gebiets der Nordwestschweiz rechtfertigt sich hingegen die Entschädigung zu einem reduzierten Ansatz mit dem Hinweis auf die als produktive Arbeitszeit anderweitig nutzbare Reisezeit. Andererseits gilt zu bedenken, dass die Arbeitsmöglichkeiten für eine Anwältin oder einen Anwalt beispielsweise im Zug wegen der fehlenden Büroinfrastruktur beschränkt sind und die erforderliche Diskretion ein effizientes Arbeiten behindert (vgl. BGer 6B_136/2009 vom 12. Mai 2009, E. 4.4).
5.12 Da Advokat B. versichert, sich bislang nie mit Fragen wie den hier diskutierten auseinandergesetzt haben zu müssen, rechtfertigt es sich, das Honorar des amtlichen Verteidigers ausnahmsweise lediglich im Umfang einer Wegstrecke, d.h. im Umfang von 3,5 Stunden zu kürzen, und die effektiv angefallenen Reisespesen in der Höhe von 300 Franken vollumfänglich zu ersetzen. Im Rahmen dieser Kürzung ist auch die nicht zu entschädigende Reisezeit mitenthalten, die Advokat B. auf der langen Hin- und Rückfahrt im Zug produktiv hätte nutzen können. Im Übrigen ist die Honorarnote nicht zu beanstanden.
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Entscheid 460 2018 131 vom 9.11.2018
Amtlicher Verteidiger wegen Unfähigkeit ersetzt
Angeklagte haben einen Anspruch auf eine fachkundige und wirksame Verteidigung. Wenn ein Anwalt seine Pflichten als amtlicher Verteidiger vernachlässigt, muss das Gericht einschreiten und ihn entlassen.
Sachverhalt:
Das Kantonsgericht St. Gallen hatte in einem Verfahren unter anderem wegen Raubs aufgrund des Verhaltens des amtlichen Verteidigers an der Verhandlung Zweifel, ob der Beschuldigte wirksam verteidigt worden war. Es räumte deshalb dem Anwalt und der Staatsanwaltschaft eine Frist zur Stellungnahme ein, ob der Verteidiger ersetzt werden soll und die Verhandlung wiederholt werden muss. Beide waren sich einig.
Aus den Erwägungen:
1.a) Mit Verfügung des Präsidenten der Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen vom 3. August 2018 wurde dem Beschuldigten gestützt auf Art. 130 lit. b StPO die amtliche Verteidigung für das Berufungsverfahren in der Strafsache betreffend qualifizierten Raub etc. bewilligt. Gleichzeitig wurde die amtliche Verteidigung Rechtsanwalt X. übertragen.
b) Nach der Praxis des Bundesgerichts zu Art. 29 Abs. 3 und Art. 32 Abs. 2 BV hat der amtlich verteidigte Beschuldigte einen grundrechtlichen Anspruch auf sachkundige, engagierte und effektive Wahrnehmung seiner Parteiinteressen. Wird von den Behörden untätig geduldet, dass der amtliche Verteidiger seine anwaltlichen Berufs- und Standespflichten zum Nachteil des Beschuldigten in schwerwiegender Weise vernachlässigt, kann darin eine Verletzung der von Verfassung und EMRK gewährleisteten Verteidigungsrechte liegen (BGE 138 IV 161, E. 2.4 mit Hinweis auf BGE 126 I 194, E. 3d). Entsprechend ist die amtliche Verteidigung gemäss Art. 134 Abs. 2 StPO einer anderen Person zu übertragen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen der beschuldigten Person und ihrer amtlichen Verteidigung erheblich gestört «oder eine wirksame Verteidigung aus anderen Gründen nicht mehr gewährleistet ist».
c) Anlässlich der Berufungsverhandlung fiel der amtliche Verteidiger bereits beim Betreten des Gerichtssaals durch seine Orientierungslosigkeit auf. Der Vorsitzende sah sich deshalb bereits vor der Verhandlung zur Nachfrage veranlasst, ob alles in Ordnung sei. Trotz Erläuterung der gesetzlichen Verhandlungsordnung (Art. 405 i.V.m. Art. 339 ff. StPO) und mehrfacher Hinweise seitens des Vorsitzenden am Ende der Einvernahme des Beschuldigten war der amtlichen Verteidigung scheinbar unklar, in welchem Zeitpunkt sie von ihrem Recht, Ergänzungsfragen an den Beschuldigten zu stellen (vgl. Art. 405 i.V.m. Art. 341 Abs. 2 StPO), Gebrauch machen muss. Im Rahmen des eigentlichen Parteivortrags fiel die amtliche Verteidigung dadurch auf, dass sie sich bereits zu Beginn in Nebensächlichkeiten wie etwa der Frage verlor, wie das Gericht zu begrüssen und ob der Vorsitzende oder Beisitzer Kantonsgerichtspräsident sei.
Der Parteivortrag selbst war von wiederholtem Zögern sowie mehrfachen und auffälligen Denkpausen geprägt, die den Eindruck einer unvorbereiteten Rede ohne klare Argumentationslinie hinterliessen. Hinsichtlich der Gegenstand des Berufungsverfahrens bildenden Landesverweisung las die amtliche Verteidigung zwar im Verlaufe der Ausführungen den Gesetzeswortlaut ab. Ausführungen zu Materialien, Lehre und Rechtsprechung betreffend Art. 66a StGB fehlten indes gänzlich. Ebenso mangelte es an einer ansatzweise strukturierten Auseinandersetzung mit den massgebenden Kriterien zur Bestimmung des schweren persönlichen Härtefalls sowie zur Abwägung der öffentlichen Interessen an der Landesverweisung mit den privaten Interessen des Beschuldigten am Verbleib in der Schweiz, zu welchen sich die Staatsanwaltschaft in ihrem Parteivortrag ausführlich geäussert hatte.
Die amtliche Verteidigung beschränkte sich vielmehr darauf, sich weitestgehend zusammenhangslos über den Beschuldigten sowie dessen persönlichen Verhältnisse auszulassen. Dabei erfolgten mitunter auch Ausführungen, die den Interessen des Beschuldigten zuwiderliefen. Darüber hinaus offenbarten sich im Parteivortrag eklatante juristische Schwächen. So vertrat die amtliche Verteidigung trotz Fehlens einer entsprechenden (Anschluss-)Berufung ihrerseits und ohne Bezugnahme auf die Voraussetzungen von Art. 404 Abs. 2 StPO die Auffassung, die «Oberinstanz» könne «noch den qualifizierten Raub in einen einfachen umqualifizieren». So habe sie [die amtliche Verteidigung] es gelernt. Ebenso ging die amtliche Verteidigung im Rahmen ihres Parteivortrags davon aus, bei der Risikoabklärung des Amtes für Justizvollzug des Kantons Zürich vom 9. Januar 2018 sowie dem Bericht über den Behandlungsverlauf vom 23. November 2018 handle es sich um «Gutachten». In Bezug auf den Vollzugsbericht führte die amtliche Verteidigung wörtlich aus: «Ich sehe das Gutachten des Bitzi. Es macht mir etwas Freude.»
d) Aufgrund des Eindrucks an Schranken äusserte das Gericht mit Schreiben vom 5. Dezember 2018 Zweifel, ob der Beschuldigte wirksam verteidigt worden und die amtliche Verteidigung nicht einer anderen Person zu übertragen und die Verhandlung gegebenenfalls zu wiederholen ist. Es räumte deshalb der amtlichen Verteidigung und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit ein, sich hierzu innert der Frist von 10 Tagen zu äussern.
Die amtliche Verteidigung führte in ihrer Stellungnahme vom 6. Dezember 2018 aus, an einer Grippe erkrankt bzw. stark erkältet gewesen zu sein. Deshalb sei sie an der Berufungsverhandlung in ihrer Leistung eingeschränkt gewesen. Sie erklärte sich deshalb «einverstanden mit einer neuen Verhandlung und allenfalls mit einem Anwaltswechsel». Ebenso erklärte die Staatsanwaltschaft mit Eingabe vom 14. Dezember 2018, sie könne die geäusserten Zweifel an einer wirksamen Verteidigung des Beschuldigten nachvollziehen und, soweit aus ihrer Perspektive möglich, bestätigen. Entsprechend erachtete die Staatsanwaltschaft eine Wiederholung der Verhandlung als angemessen und ergänzte, dass dabei konsequenterweise dem vorgängigen Auswechseln der amtlichen Verteidigung der Vorzug zu geben wäre. Diese Eingabe wurde der amtlichen Verteidigung am 17. Dezember 2018 in Kopie zugestellt. Eine weitere Stellungnahme hierzu ging nicht mehr ein.
e) Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen und insbesondere der in E. 1c erwähnten Gründe sowie mit Blick auf die Stellungnahmen der Parteien gelangt das Gericht zur Auffassung, dass der Beschuldigte anlässlich der Berufungsverhandlung nicht wirksam verteidigt worden und Rechtsanwalt X. aus seinem Mandat als amtlicher Verteidiger zu entlassen ist.
Kantonsgericht St. Gallen, Entscheid ST.2018.85 / AMV.2018.12 vom 7.1.2019
Sozialversicherungsrecht
Konkubinat auch ohne gemeinsamen Wohnsitz
Eine Pensionskasse darf die Leistungen an Konkubinatspartner davon abhängig machen, dass sie mindestens fünf Jahre in einem gemeinsamen Haushalt zusammenwohnten. Das ledige Paar muss aber keinen gemeinsamen Wohnsitz haben.
Sachverhalt:
Ein Angestellter meldete der Pensionskasse seine Partnerin als Begünstigte, falls er vor der Pensionierung stirbt. Die Kasse akzeptierte das nicht. Leistungen an Lebenspartner seien laut Reglement nur bei gemeinsamem Wohnsitz seit fünf Jahren möglich. Der Versicherte argumentierte, er lebe mit der Freundin zusammen. Die beiden würden wegen des Arbeitsorts gemeinsam abwechselnd in zwei Wohnungen leben. Die Pensionskasse akzeptierte das nicht.
Erwägungen:
2.1 Ein Rechtsschutzinteresse kann bei einem Feststellungsbegehren nur bejaht werden, wenn die klagende Partei ein schutzwürdiges Interesse rechtlicher oder tatsächlicher Natur an der verlangten Feststellung von Rechten oder Pflichten hat. Nur wenn ein unmittelbares und aktuelles Interesse gegeben ist, sind Feststellungsbegehren im Verfahren nach Art. 73 Abs. 1 BVG zulässig (BGE 120 V 301, E. 2a, BGE 117 V 320, E. 1b, BGE 115 V 373, E. 3, je mit Hinw., SZS 1999, S. 156).
2.2 Ein Rechtsschutzinteresse ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Der Kläger muss wissen, welche Vorkehrungen er treffen muss, damit er seine Lebenspartnerin für den Fall seines vorzeitigen Ablebens finanziell absichern kann.
3. Zu prüfen ist, ob die in Art. 35a Abs. 1 lit. b des Vorsorgereglements der Beklagten formulierte Bedingung für den Anspruch auf eine Partnerpension, nämlich eine Lebensgemeinschaft mit gemeinsamem Haushalt, welche im Zeitpunkt des Todes nachweisbar mindestens fünf Jahre ununterbrochen bestanden hat, einen gemeinsamen Wohnsitz voraussetzt.
5.1 Gemäss Art. 35a Abs. 1 lit. b des Vorsorgereglements der Beklagten setzt der Anspruch auf eine Partnerpension voraus, dass die Lebensgemeinschaft mit gemeinsamem Haushalt im Zeitpunkt des Todes nachweisbar mindestens fünf Jahre ununterbrochen bestanden hat. Dass die Lebenspartner auch einen gemeinsamen Wohnsitz gehabt haben müssen, ist gemäss dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht erforderlich.
5.3 Partnerrenten werden von der beklagten Vorsorgeeinrichtung nur dann ausgerichtet, wenn die in Art. 35a des Reglements genannten zusätzlichen Bedingungen erfüllt sind; insbesondere wird ein gemeinsamer Haushalt, welcher im Zeitpunkt des Todes mindestens fünf Jahre ununterbrochen bestanden hat, für das Vorliegen einer anspruchsbegründenden Lebensgemeinschaft verlangt. Die Beklagte hält nun dafür, dass ohne gemeinsamen Wohnsitz von vornherein kein gemeinsamer Haushalt bestehe, und verneint folgerichtig, dass die Voraussetzungen für eine Partnerpension gemäss Art. 35a ihres Vorsorgereglements im Fall des Klägers und seiner Lebenspartnerin zum jetzigen Zeitpunkt erfüllt seien.
Mit dem Erfordernis eines unmittelbar vor dem Tod während mindestens fünf Jahren ununterbrochen geführten gemeinsamen Haushalts stellt Art. 35a des Reglements der Beklagten eine grundsätzlich zulässige zusätzliche Voraussetzung für den Anspruch auf eine Partnerrente auf (vgl. oben E. 4.2). Eine ständige, ungeteilte Wohngemeinschaft an einem festen Wohnort kann nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung indes nicht verlangt werden; ein solches Verständnis trüge den gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen und wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht Rechnung. Oft können Lebenspartner aus beruflichen, gesundheitlichen oder anderen schützenswerten Gründen nicht die ganze Zeit, sondern beispielsweise nur während eines Teils der Woche, zusammenwohnen. Massgebend muss sein, dass die Lebenspartner den manifesten Willen haben, ihre Lebensgemeinschaft, soweit es die Umstände ermöglichen, als ungeteilte Wohngemeinschaft im selben Haushalt zu leben (BGE 137 V 383, E. 3.3). Allerdings muss es sich um eine eng zu verstehende Wohngemeinschaft handeln, mithin um eine klassische Zweierbeziehung. Es müssen daher Umstände gegeben sein, die einen gemeinsamen Wohnsitz erschweren oder verunmöglichen (BGE 138 V 86, E. 5).
5.4 Der Wortlaut des vorliegend zu beurteilenden Reglements setzt keinen gemeinsamen Wohnsitz für das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts voraus. Es mag zwar sein, dass mit dem gemeinsamen Wohnsitz ein gemeinsamer Haushalt nachgewiesen werden kann; der Umkehrschluss ist allerdings nicht zulässig. Wenn sachliche und nicht nur praktische Gründe vorliegen, welche einen gemeinsamen Wohnsitz erschweren oder verunmöglichen, darf das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts trotz fehlenden gemeinsamen Wohnsitzes nicht von vornherein verneint werden.
Die Lebenspartnerin des Klägers teilt sich die elterliche Obhut über die noch minderjährigen Kinder mit ihrem früheren Ehegatten. Damit sich die Kinder vereinbarungsgemäss einen Teil der Woche bei ihr und an den anderen Wochentagen bei ihrem Vater aufhalten können, ist sie auf eine Wohnung in der Nähe des Wohnortes ihres Ex-Ehegatten angewiesen. Der Kläger seinerseits übt ein öffentliches Amt in der Stadt B. aus. Im Gegensatz zu früher besteht zwar keine gesetzliche Pflicht zur Wohnsitznahme mehr; indes wird freilich nach wie vor von den Wählern erwartet, dass Amtsinhaber Wohnsitz auf dem Gebiet des Gemeinwesens nehmen, für welches sie tätig sind. Im vorliegenden Fall bestehen daher sachliche Gründe, welche einen gemeinsamen Wohnsitz des Klägers und seiner Lebenspartnerin verhindern. Wie sie in ihrer präzisierenden Erklärung vorgebracht haben, halten sie sich allerdings in den beiden Wohnobjekten soweit möglich jeweils gemeinsam auf (Urk. 7/4); der Wille, ihre Lebensgemeinschaft als ungeteilte Wohngemeinschaft im selben Haushalt zu leben, manifestiert sich sodann im Umstand, dass nicht nur die Lebenspartnerin, sondern auch der Kläger als solidarisch haftender Mieter des Hausteils in der Gemeinde Wohlen auftritt (Urk. 2/2). Wenn sich der Kläger und seine Lebenspartnerin, wie sie es gegenüber der Beklagten erklärt haben, mehrheitlich gemeinsam alternierend in den beiden Wohnobjekten aufhalten, kann die Voraussetzung einer Lebensgemeinschaft mit gemeinsamem Haushalt nicht mangels gemeinsamen (formalen) Wohnsitzes verneint werden.
6. Die Klage ist daher in dem Sinne gutzuheissen, als festzustellen ist, dass die in Art. 35a Abs. 1 lit. b des Vorsorgereglements der Beklagten formulierte Bedingung für den Anspruch auf eine Partnerpension, nämlich eine Lebensgemeinschaft mit gemeinsamem Haushalt, welche im Zeitpunkt des Todes nachweisbar mindestens 5 Jahre ununterbrochen bestanden hat, keinen gemeinsamen Wohnsitz voraussetzt, wenn sich die Partner mehrheitlich jeweils gemeinsam am selben Ort aufgehalten haben.
Sozialversicherungsgericht Kanton Zürich, Urteil BV.2018.00024 vom 7.9.2018