Zivilrecht
Willensvollstrecker: Verwaltungstätigkeit beschränkt
Der Willensvollstrecker ist zur Gleichbehandlung aller Erben und zur Einhaltung der Neutralität bei Interessengegensätzen verpflichtet. Ihm steht die Verwaltungsbefugnis über die Erbschaft zu. Die Verwaltungstätigkeit beschränkt sich in der Regel auf erbschaftserhaltende Massnahmen.
Sachverhalt:
A. und B. sind die Kinder und einzigen Erben der verstorbenen C. und D. Als Willensvollstrecker wurde von beiden Erblassern der Treuhänder W. eingesetzt. A. bewohnt mit seiner Familie seit vielen Jahren eine Attikawohnung in einer der drei elterlichen Liegenschaften. 1996 übernahm A. die Verwaltung der Liegenschaften, wofür er von seinen Eltern monatlich 4500 Franken erhielt.
Nach dem Tod der Eltern wurden die bisher gelebten Verhältnisse vom Willensvollstrecker unverändert weitergeführt. B. erachtet ein Honorar von etwa 12 000 Franken jährlich für die Liegenschaftsverwaltung als angemessen. Sie forderte A. auf, seine Lohnbezüge von monatlich 4500 Franken einzustellen sowie den von ihm praktizierten Bargeldverkehr zugunsten von nachprüfbaren Überweisungen aufzugeben. A. hielt an seiner Zahlungspraxis und dem Lohnanspruch fest, worauf B. den eingesetzten Willensvollstrecker aufforderte, eine professionelle Liegenschaftsverwaltung zu marktüblichen Preisen zu installieren. Der Willensvollstrecker bezeichnete das Honorar von A. als angemessen und versicherte B., die Erbschaftsverwaltung sei sichergestellt.
Dem Antrag von B. entsprechend, erteilte die Vorinstanz dem Willensvollstrecker die Weisung, das bestehende Vertragsverhältnis mit A. auf den nächstmöglichen Kündigungstermin aufzulösen, die Verwaltung der Liegenschaft einem unabhängigen, professionellen Immobilientreuhänder anzuvertrauen und ihn insbesondere zu beauftragen, von A. für die von ihm bewohnten Räumlichkeiten einen marktgerechten Mietzins zu verlangen.
Aus den Erwägungen:
III./4.5 Der Willensvollstrecker ist zur Gleichbehandlung aller Erben und zur Einhaltung der Neutralität bei Interessengegensätzen verpflichtet (vgl. Karrer / Vogt /Leu, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, 5. Auflage, Basel 2015 [nachfolgend zitiert: BSK ZGB II – Autor], N 16 zu Art. 518 ZGB). Ihm steht die Vertretung der Erbengemeinschaft und die Verwaltungsbefugnis über die Erbschaft von Amtes wegen zu (vgl. BSK ZGB II – Schaufelberger / Lüscher, N 23 zu Art. 602 ZGB). Zur laufenden Vermögensverwaltung gehört auch die Einziehung fälliger Guthaben und die Wahrnehmung der Rechte des Nachlasses. Bei der Liegenschaftsverwaltung kommt dem Willensvollstrecker die Stellung des Vermieters zu und zwar auch gegenüber Erben (BSK ZGB II – Karrer / Vogt / Leu, N 29 und 30 zu Art. 518 ZGB). Auf die zutreffenden rechtlichen Erwägungen der Vorinstanz zu, den Rechten und Pflichten des Willensvollstreckers kann verwiesen werden (E. 2.15 des angefochtenen Entscheids, S. 94 f.).
Zwar trifft es zu, dass die Verwaltungstätigkeit nicht die Hauptaufgabe des Willensvollstreckers bildet, sondern nur eine zeitlich beschränkte Nebenaufgabe, die sich inhaltlich in der Regel auf erbschaftserhaltende Massnahmen beschränkt (vgl. BSK ZGB II – Karrer / Vogt / Leu, N 27 zu Art. 518 ZGB; Künzle, in: Berner Kommentar, Art. 517 – 518 ZGB, Bern 2011, N 2 der Vorbemerkungen zu Art. 517 – 518 ZGB).
Der vom Beschwerdeführer zitierte Entscheid des Bundesgerichts, wonach einmal vom Erblasser geschaffene Verhältnisse durch den Erbschaftsverwalter nicht ohne Not modifiziert werden dürften (BGer 5A_717/2009 vom 2. Februar 2010, E. 4), lässt sich jedoch nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Gegenstand des Entscheids war die Ausweisung einer Adoptivtochter aus einer zum Nachlass gehörenden Wohnung, wobei der Erbschaftsverwalter im vorinstanzlichen Verfahren keine Gefährdung des Nachlasses durch Entwertung oder Verlust behauptet hatte. Unter diesen Umständen erachtete das Bundesgericht den Entscheid des Obergerichts, die Ausweisung aufzuheben, als vertretbar und nicht willkürlich.
Vorliegend macht die Beschwerdegegnerin jedoch ausdrücklich eine Gefährdung des Nachlasses geltend. Es geht darum, das Erbschaftssubstrat zu erhalten, indem überhöhte Lohnbezüge sowie fehlende Mietzinseinnahmen zu Lasten des Nachlasses vermieden werden. Der Willensvollstrecker hat dazu kraft seiner Kompetenzen die nötigen Vorkehren zu treffen.
4.6 Die von der Vorinstanz verfügten Weisungen an den Willensvollstrecker sind daher zu bestätigen. Der Schenkungsanteil fiel bereits mit dem Tod der Erblasserin zeitverzugslos dahin (Art. 252 OR). Der Verwaltungsauftrag ist jederzeit kündbar (Art. 404 OR).
4.6 Die von der Vorinstanz angeordnete Kündigung des bestehenden Vertragsverhältnisses auf den nächstmöglichen Kündigungstermin ist damit rechtlich zulässig. Dem Willensvollstrecker kommt in seiner Stellung als Vermieter auch das Recht zu, einen unabhängigen Liegenschaftsverwalter mit der Einforderung eines marktgerechten Mietzinses vom Beschwerdeführer zu beauftragen. Damit ist nicht gesagt, dass der Beschwerdeführer aus seiner Wohnung ausziehen muss, nur hat er keinen Anspruch mehr auf eine Bevorteilung zulasten der Beschwerdegegnerin.
Entscheid ZK 15 415 der 1. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 10.12.2015
Haftpflichtrecht
Haushaltschaden: So wird er abstrakt berechnet
Das Handelsgericht Zürich hat für die Berechnung des Haushaltschadens in einem Haftpflichtprozess die abstrakte Methode gemäss Sake angewandt. Das erspart ein umfangreiches Beweisverfahren zu den konkreten individuellen Einschränkungen im Haushalt.
Sachverhalt:
Die 31-jährige Klägerin N.K. wurde auf einem Fussgängerstreifen angefahren und dabei schwer am Kopf verletzt. Gestützt auf ein im Auftrag der UVG-Versicherung erstelltes Gutachten, welches unfallkausale Hirnfunktionsstörungen, Nackenschmerzen und chronische posttraumatische Kopfschmerzen, zeitweise schwere Schmerzattacken, den Verlust des Geruchssinns und Schwindelanfälle und daraus folgend im angestammten und weiter ausgeübten Beruf als Krankenpflegerin eine 50 Prozent Arbeitsunfähigkeit bestätigte, erhielt sie infolge eines Invaliditätsgrads von 50 Prozent sowohl von der Unfallversicherung wie auch der Invalidenversicherung eine Rente.
Nach einer längeren Rehabilitationszeit nahm die Klägerin ihre Arbeit als Krankenpflegerin wieder zu 50 Prozent auf. Sie heiratete und wurde Mutter von Zwillingen, was zur vorübergehenden Reduktion ihres Arbeitspensums und praxisgemäss zum Verlust der Invalidenrente führte.
Die Zurich Versicherung, als Vertreterin des Nationalen Garantiefonds Schweiz (NGF), bestritt bereits aussergerichtlich jeden Anspruch der Geschädigten auf Vergütung des Haushaltschadens. Die Unfallkausalität der Beschwerden wurde bestritten und das Vorliegen einer nicht entschädigungspflichtigen somatoformen Schmerzstörung behauptet. Des Weiteren wurde geltend gemacht, der Geschädigten stünden wegen Reduktion des Arbeitspensums von früher 100 Prozent auf nach dem Unfall 50 Prozent frei gewordene Ressourcen zur Verfügung, die sie im Haushalt einsetzen müsse, weshalb kein entschädigungspflichtiger Haushaltschaden mehr vorliege.
Aus den Erwägungen:
4.1 Der Schaden aus eingeschränkter oder entfallener Arbeitsfähigkeit zur Führung des Haushalts (Art. 46 Abs. 1 OR) wird nicht bloss ersetzt, wenn konkret Kosten für Haushaltshilfen erwachsen, die wegen des Ausfalls der haushaltführenden Person beigezogen werden; auszugleichen ist vielmehr der wirtschaftliche Wertverlust, der durch die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit im Haushalt entstanden ist, und zwar unabhängig davon, ob dieser Wertverlust zur Anstellung einer Ersatzkraft, zu vermehrtem Aufwand der Teilinvaliden, zu zusätzlicher Beanspruchung der Angehörigen oder zur Hinnahme von Qualitätsverlusten führt.
Der «normativ», d.h. von Gesetzes wegen ohne Nachweis der daraus konkret entstandenen Vermögenseinbusse zu ersetzende Schaden ist am Aufwand zu messen, den eine entgeltlich eingesetzte Ersatzkraft verursachen würde (BGE 132 III 321 E. 3.1 m.w.H.). Für die Berechnung des Haushaltschadens sind drei Parameter massgebend: Der Zeitaufwand an Haushaltsarbeit, den die geschädigte Person ohne den Unfall und die daraus resultierende Gesundheitsschädigung betrieben hätte, die Auswirkung der medizinisch-theoretischen Invalidität auf die Fähigkeit, diese so bestimmten Haushaltsarbeiten auszuführen, und der Wert der Haushaltsarbeit, welche nicht mehr ausgeführt werden kann (Jan Herrmann, «Haftpflichtrechtliche Überlegungen zur Beeinträchtigung in der Haushaltsführung», in: Have 2013, S. 134). Für das Vorliegen eines Haushaltschadens und somit für das Vorliegen aller schadensbegründenden Umstände trägt die Geschädigte die Beweislast.
4.3.4.1 Der hypothetische, d.h. ohne den Unfall erwartungsgemäss angefallene Aufwand im Haushalt kann entweder konkret oder abstrakt berechnet werden. Das Bundesgericht hielt in einem Grundsatzentscheid fest, dass in Ermangelung genauer Angaben über den Einzelfall, welche oft nur schwer gemacht und billigerweise nicht gefordert werden könnten, soweit als möglich auf die durch die vorhandenen Untersuchungen und Statistiken abgestützte Lebenserfahrung abgestellt werden könne (BGE 108 II 434 E. 3.a = Pra 1983 Nr. 54).
Seither hat das Bundesgericht in mehreren Entscheiden bestätigt, dass sich das Gericht zur Ermittlung der Arbeitsstunden im Haushalt auf statistische Werte stützen kann (BGE 129 III 135 E. 4.2.1 = Pra 92 [2003] Nr. 69; Urteil des Bundesgerichts 4C.222/2004 vom 14. September 2004, E. 5.1 und 5.2.; Urteil des Bundesgerichts 4C.166/2006 vom 25. August 2006, E. 5.1 und 5.2 = Pra 96 [2007] Nr. 43; BGE 132 III 321 E. 3.6).
Im Urteil 4A_98/2008 bestätigte das Bundesgericht sodann ausdrücklich die Wahlfreiheit des Richters zwischen den beiden gleichwertigen Methoden der abstrakten und konkreten Berechnung (Herrmann, a.a.O., S. 136; Urteil des Bundesgerichts 4A_98/2008 vom 8. Mai 2008, E. 3.2). In BGE 129 III 135 E. 4.2.2.1 = Pra 69 (2003) hat das Bundesgericht sodann klargestellt, dass die Sake eine geeignete Grundlage zur Bestimmung des durchschnittlichen tatsächlichen Aufwands der schweizerischen Bevölkerung für den Haushalt und zur Festsetzung der im individuellen Fall dem Haushalt gewidmeten Zeit biete.
Aufgrund dieser klaren Praxis steht fest, dass es grundsätzlich zulässig ist, zur Berechnung des hypothetischen Haushaltsaufwandes auf die statistischen Werte der Sake abzustellen. Ein Vorgehen nach der abstrakten Methode ist auch im Sinne der Verfahrensökonomie, denn die konkrete Berechnung würde zu einem umfangreichen Beweisverfahren führen, ohne dass an dessen Ende präzisere Resultate in Aussicht stünden als beim Vorgehen nach der abstrakten Methode.
Da der Haushaltsaufwand für den hypothetischen Fall, in dem der Unfall weggedacht wird, zu errechnen ist und hypothetische Begebenheiten naturgemäss nicht wie tatsächlich eingetretene Umstände bewiesen werden können, ist man auch bei der Anwendung der konkreten Methode gezwungen, auf Erfahrungswerte abzustellen. Es ist daher vorliegend der abstrakten Methode zu folgen.
4.3.4.3 Die Sake-Tabellen basieren auf Erhebungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und enthalten demnach auch unterschiedliche Zahlen. Nachdem sich die Zahlen der Sake-Tabellen durchaus verändern können, beispielsweise wegen gesellschaftlichen Veränderungen, und die Klägerin selber ausführt, dass die Sake-Tabellen 2004, 2007 und 2010 unterschiedliche Werte enthalten, ist dem Beklagten zuzustimmen, dass nicht für die gesamte Zeitspanne des verlangten Haushaltschadens vereinfachend auf die Sake-Tabelle 2007 abgestellt werden kann. Vielmehr sind die Zahlen der jeweils aktuellen Erhebung zu verwenden. Dies gilt umso mehr, als sich die Klägerin in ihrer Replik für den Fall, dass sich der Beklagte der Vereinfachung widersetzen sollte, selber auf die jeweils aktuelle Sake-Tabelle stützt.
4.3.4.4 Entgegen den Ausführungen der Klägerin ist zur Berechnung des hypothetischen Haushaltsaufwandes nicht auf das tatsächliche Arbeitspensum nach dem Unfall, sondern auf das hypothetische Arbeitspensum abzustellen, dem die Klägerin nachgegangen wäre, wenn sich der Unfall nicht ereignet hätte.
Diese Frage ist hypothetischer Natur und kann nur anhand der Begleitumstände und der allgemeinen Erfahrung beantwortet werden. Nachdem die Klägerin vor dem Unfall mit einem Pensum von 100 Prozent gearbeitet hatte und die Akten keine Anzeichen einer Absicht zur Reduktion dieses Pensums enthalten und solche auch nicht geltend gemacht werden, ist davon auszugehen, dass die Klägerin ohne den Unfall bis zur Geburt ihrer Kinder weiterhin mit einem Arbeitspensum von 100 Prozent gearbeitet hätte.
Bezüglich der Zeit nach der Geburt der Zwillinge ist zu beachten, dass sich die Klägerin im Rahmen ihrer Begutachtung vom 23. Januar 2008 dahingehend äusserte, dass sie ihre Arbeit gerne auch mit Kindern behalten wolle, da die Erwerbstätigkeit ihr Unabhängigkeit verschaffe und gleichzeitig eine zu starke Fokussierung auf die Kinder verhindern würde. Dieser Wille hat sich darin manifestiert, dass sie ihre Arbeitstätigkeit nach der Geburt der Zwillinge (und trotz ihrer gesundheitlichen Beschwerden) nicht gänzlich aufgegeben, sondern auf 20 Prozent reduziert hat. Aus diesen Umständen kann geschlossen werden, dass die Klägerin auch ohne den Unfall nach der Geburt der Zwillinge weiterhin erwerbstätig geblieben wäre.
Es wäre jedoch nicht gerechtfertigt, davon auszugehen, sie hätte ihr Arbeitspensum ohne den Unfall ebenfalls nur um 30 Prozent reduziert. Da die Klägerin nach dem Unfall nur einem Arbeitspensum von 50 Prozent nachging, konnte sie – auch wenn unfallbedingte Einschränkungen zu berücksichtigen sind – die Zeit in welcher sie nicht arbeitete, massgeblich für die Kinderbetreuung aufwenden.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung rechtfertigt sich die hypothetische Annahme, dass die Klägerin ihr Arbeitspensum ohne den Unfall nach der Geburt der Zwillinge um mehr als 50 Prozent reduziert hätte. Davon auszugehen, eine Mutter von Zwillingen könnte in den ersten zwei Jahren nach deren Geburt mehr als 49 Prozent arbeiten, würde der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechen.
Dies deckt sich auch mit den statistischen Erhebungen, wonach Mütter in Paarhaushalten zwar mehrheitlich teilzeitlich erwerbstätig sind, oft jedoch mit tiefem Arbeitspensum. So arbeiten 31,1 Prozent unter 50 Prozent und nur 25,9 Prozent von 50 bis 89 Prozent. Einer Vollzeitarbeit gehen 14 Prozent der Mütter in Paarhaushalten nach (vgl. Bundesamt für Statistik, Familien in der Schweiz Statistischer Bericht 2008, S. 66).
Eine genauere Bestimmung des hypothetischen Arbeitspensums ist nicht nötig, da die Sake-Tabellen ohnehin nur zwischen vier Kategorien von Erwerbssituationen (0 Prozent, 1 bis 49 Prozent, 50 bis 89 Prozent und 90 bis 100 Prozent) unterscheiden und die Erwerbssituation der Klägerin nach dem Ausgeführten der zweiten Kategorie (1 bis 49 Prozent) zugeordnet werden kann.
4.3.4.6 Der Beklagte bestreitet die Angaben der Klägerin bezüglich Geschlecht, Alter und Anzahl der Haushaltsmitglieder nicht, weshalb diese tatsächlichen Umstände erstellt sind (vgl. Erw. 4.2.). Ebenso hat der Beklagte ausdrücklich anerkannt, dass die Klägerin stets einen Haushalt geführt hat. Die hypothetische Erwerbssituation kann anhand der Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung festgelegt werden (vgl. Erw. 4.3.4.4.). Damit sind alle zur Berechnung des hypothetischen Haushaltsaufwandes erforderlichen Parameter erstellt, sodass dieser ohne Abnahme weiterer Beweismittel ermittelt werden kann.
Vom 22. Juli 2004 bis zum 30. Juni 2005 führte die Klägerin einen Einpersonenhaushalt. Wie ausgeführt, ist davon auszugehen, dass die Klägerin ohne den Unfall in diesem Zeitraum noch immer mit einem Arbeitspensum von 100 Prozent gearbeitet hätte. Anhand dieser Angaben kann der Haushalt der Klägerin in diesem Zeitraum dem Haushaltstyp 1 der einschlägigen Sake-Tabelle T3.6.2.3, 2004 zugeordnet werden. In einem solchen Haushalt werden im Durchschnitt 14,8 Stunden pro Woche für Haushaltsarbeiten aufgewendet. Es ist daher davon auszugehen, dass die Klägerin ohne den Unfall in dieser Periode 14,8 Stunden pro Woche für Haushaltsarbeiten aufgewendet hätte.
Vom 1. Juli 2005 bis zum 31. August 2008 führte die Klägerin einen Paarhaushalt. Auch für diesen Zeitraum ist aus den genannten Gründen davon auszugehen, dass die Klägerin ohne den Unfall mit einem Arbeitspensum von 100 Prozent gearbeitet hätte. Ihr Haushalt ist für diese Periode demnach dem Haushaltstyp 2 zuzuordnen. Für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2006 ist auf die Sake-Tabelle T3.6.2.5, 2004 abzustellen, welche für diese Art von Haushalt einen durchschnittlichen Aufwand für Haushaltsarbeiten von 17,7 Stunden pro Woche ausweist. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 31. August 2008 ist auf die Sake-Tabelle T3.6.2.5, 2007 abzustellen. Diese weist einen durchschnittlichen Aufwand für Haushaltsarbeiten von 18,2 Stunden pro Woche aus. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin ohne den Unfall für diese Perioden die jeweils genannte Stundenzahl für Haushaltsarbeiten aufgewendet hätte.
Vom 1. September 2008 bis zum 31. Dezember 2010 führte die Klägerin einen Paarhaushalt mit zwei Kindern im Alter von null bis zwei Jahren. Der klägerische Haushalt ist somit für diese Periode dem Haushaltstyp 4 zuzuordnen. Nach dem Ausgeführten ist nach der Geburt der Zwillinge von einem Arbeitspensum der Klägerin von 1 bis 49 Prozent auszugehen. Für den Zeitraum vom 1. September 2008 bis zum 31. Dezember 2009 ist auf die Sake-Tabelle T3.6.2.8, 2007 abzustellen, welche für diese Art von Haushalt einen durchschnittlichen Aufwand für Haushaltsarbeiten von 61,2 Stunden pro Woche ausweist. Für die Periode von 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2010 ist auf die Sake-Tabelle T3.6.2.8, 2010 abzustellen. Diese Tabelle weist einen durchschnittlichen Aufwand für Haushaltsarbeiten von 53,9 Stunden pro Woche aus. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin ohne den Unfall diese Stundenzahl für Haushaltsarbeiten aufgewendet hätte.
4.4.4 Zur Feststellung des Ausmasses der Beeinträchtigung in der Haushaltsführung hat der Richter vom medizinischen (oder theoretischen) Invaliditätsgrad auszugehen und dessen Auswirkungen auf die Fähigkeit des Geschädigten, Haushaltsarbeiten auszuführen, zu prüfen.
Es ist grundsätzlich möglich, dass die Behinderung des Geschädigten eine Haushaltsarbeit nicht ausschliesst oder dass sie lediglich gewisse Einschränkungen zur Folge hat. Umgekehrt ist es möglich, dass ein gewisses Leiden auf den Haushaltschaden Auswirkungen hat, die mit dem betreffenden medizinischen Invaliditätsgrad nicht vergleichbar sind (BGE 129 III 135 E. 4.2.1 = Pra 92 [2003] 69). Erwerbs- und Hausarbeitsunfähigkeit beziehen sich auf unterschiedliche Arbeitsbereiche und sind deshalb klar voneinander zu unterscheiden (Landolt, a.a.O., N 970). Das eine aus dem anderen abzuleiten, ist daher nicht möglich.
Ob und inwieweit eine Beeinträchtigung der Hausarbeitsfähigkeit vorliegt, ist eine vom Geschädigten zu substanziierende und zu beweisende Tatfrage (Landolt, in: Zürcher Kommentar zu Art. 46 OR, Zürich 2007, N 949). Dabei ist nicht erforderlich, dass eine Liste mit allen vom Geschädigten ausgeführten Haushaltsarbeiten mit dem exakten Mass der jeweiligen Beeinträchtigung erstellt wird. Eine solche Vorgehensweise wurde vom Bundesgericht als kaum praktikabel und nicht vereinbar mit der Festlegung des Stundenaufwandes nach statistischen Werten in der abstrakten Methode beurteilt (Urteil des Bundesgerichts 4A.98/2008 vom 8. Mai 2008, E. 3.2.3).
Bei der Ermittlung, welche Tätigkeiten im Haushalt aufgrund der Verletzungsfolgen nicht mehr oder nur noch beschränkt möglich sind, handelt es sich um eine Frage medizinischer Natur, die nicht vom Sachrichter und Rechtsanwender zu beurteilen ist. Vielmehr bedarf es hierzu des Beizugs von medizinischen Sachverständigen (Landolt, in: Zürcher Kommentar zu Art. 46 OR, Zürich 2007, N 951; Kyburz, in: Have 2013, S. 181; Herrmann, in: Have 2013, S. 150).
4.4.6 Es ist für die einzelnen Perioden von folgenden – aufgrund verschiedener Einschränkungen – rechnerisch ermittelten prozentualen Einschränkungen in der Haushaltsführung auszugehen:
- 22. Juli 2004 bis 31. Januar 2005: 23,78 Prozent
- 1. Februar 2005 bis 30. Juni 2005: 15,74 Prozent
- 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2006: 16,08 Prozent
- 1. Januar 2007 bis 31. August 2008: 15,16 Prozent
- 1. September 2008 bis 31. Dezember 2009: 10,23 Prozent
- 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2010: 11,35 Prozent
4.6 Zur Ermittlung des Haushaltschadens ist vom hypothetischen, anhand der Sake-Tabellen eruierten Zeitaufwand für Haushaltsarbeiten in den jeweiligen Zeitabschnitten auszugehen. Unter Verwendung dieses Wertes ist die gutachterlich festgestellte prozentuale Einschränkung in der Haushaltsführung in Stunden pro Tag umzurechnen.
Diese Stundenzahl pro Tag ist sodann auf die Stundenanzahl pro Periode umzurechnen und das Ergebnis multipliziert mit dem ermittelten Stundenansatz ergibt den Haushaltschaden der Klägerin.
4.7 Die Klägerin hat in der Periode vom 25. Juni 2004 bis 31. Dezember 2010 einen Haushaltschaden von Fr. 36 404.20 erlitten.
Urteil HG120057 des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 26.1.2016
Kommentar:
Die Klägerin machte den Haushaltschaden insbesondere unter Hinweis auf den französischsprachigen Bundesgerichtsentscheid vom 8.5.2008 (4A_98/2008) geltend, in welchem bezüglich der Bestimmung des Zeitaufwands des hypothetischen Validenhaushalts das Abstellen auf die Sake-Statistiken als zulässig erklärt wurde. Die Zulässigkeit dieser sogenannten abstrakten Methode wurde von der Zurich ganz generell bestritten und sie verlangte, dass die Klägerin sowohl den hypothetischen Validenhaushalt wie auch die ihr dort nicht mehr möglichen Tätigkeiten detailliert nach der sogenannten konkreten Methode nachweise.
Das Handelsgericht folgte der klägerischen Argumentation und holte bei Professor Hans H. Jung, Neurologe des USZ, ein medizinisches Gutachten ein zur Frage, in welchem prozentualen Umfang bei der Klägerin eine unfallkausale Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit im gemäss Sake definierten hypothetischen Haushalt bestehe. Gestützt auf diese medizinische Beurteilung wurde dann vom Handelsgericht die Stundenzahl berechnet, welche der Klägerin mit einem Stundenansatz von 30 Franken zu entschädigen war.
Damit wurde vom Handelsgericht Zürich wohl erstmals in einem rechtskräftigen Urteil die abstrakte Methode gemäss Sake für die Berechnung des Haushaltschadens zur Anwendung gebracht. Die Zurich Versicherung hat auf eine Berufung ans Bundesgericht verzichtet und damit die neue Praxis des Handelsgerichtes bezüglich Berechnung des Haushaltschadens akzeptiert. Dass die Klägerin im Übrigen nur in einem relativ geringen Umfang von rund einen Fünftel mit ihrer Klage obsiegte, hat seinen Grund vor allem darin, dass das medizinische Gerichtsgutachten sich hinsichtlich der der Klägerin attestierten Leistungseinschränkungen im Haushalt sehr zurückhaltend äusserte.
Hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist das Handelsgericht dann aber trotzdem von einem umfänglichen Obsiegen der Klägerin im Grundsatz, das heisst in der Haftungsfrage, ausgegangen. In der Folge wurde die Gerichtsgebühr der Klägerin nur zu einem Viertel und der Beklagten zu drei Vierteln auferlegt und Letztere zudem verpflichtet, der Klägerin eine analog reduzierte Parteientschädigung zu bezahlen.
Felix Rüegg
Vertreter der Klägerin
Zivilprozessrecht
Armenrecht:
Anwälte müssen substanziieren
Der Notbedarf einer Partei muss beim Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht ganz genau belegt werden. Aber eine anwaltlich vertretene Partei muss ein Minimum an Substanziierung erfüllen.
Sachverhalt:
Der Bezirksrat wies das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege ab. Sie ficht das beim Obergericht an.
Aus den Erwägungen:
2. Der Bezirksrat erwägt, er habe die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin zweimal aufgefordert, ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mit den nötigen Unterlagen zu ergänzen. In der Folge seien nur ungenügende Angaben gemacht worden. Der Bezirksrat geht von der belegten IV-Rente des Jahres 2014 und den aktuellen Ergänzungsleistungen aus. Davon zieht er die belegten Kosten für die Krankenkasse und die Miete ab, ferner den Grundbetrag für eine allein lebende Person und kommt so auf einen Überschuss von monatlich 1280 Franken. Auch wenn man die Kinderrente, welche nach Angaben von S. nur «mehrheitlich» für die Kosten der Platzierung verwendet werde, abziehe, bleibe ein Überschuss von 605 Franken. Mit diesem seien die zu erwartenden Kosten des Beschwerdeverfahrens von rund 1000 Franken und die Kosten für die anwaltliche Vertretung zu decken.
Die Beschwerde wendet dagegen ein, das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege sei mit der aktenkundig belegten Mittellosigkeit begründet worden. Man habe dem Bezirksrat geschrieben, die Beschwerdeführerin beziehe seit Jahren IV und Ergänzungsleistungen, was «ca. 3000 Franken pro Monat ausmache». Es sei darauf hingewiesen worden, dass die Kesb die unentgeltliche Prozessführung gewährte. Es seien dann noch Belege zur Höhe der IV-Rente und über die ausgerichteten Ergänzungsleistungen eingereicht und der Bezirksrat «höflich gebeten worden, sich zu melden», wenn er weitere Fragen habe.
Die Beschwerde führt aus, die Wohnung koste 1520 Franken («Mietvertrag zurzeit nicht erhältlich»), und der Bezirksrat lasse wider besseres Wissen «Steuern, Heizkosten, Hausratversicherung, minime Unterstützungskosten, Fahrkosten und Verpflegung an den Wochenenden für das Kind, Telefonkosten, Umzugskosten etc.» ausser Acht. Unter dem Aspekt der Gleichbehandlung müsse beachtet werden, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) einen Steuerausweis aus dem Jahr 2013 genügen liess. Man habe weder beziffern noch belegen können, wie hoch die Ausgaben waren, aber «nach den tatsächlichen oder auch nur mutmasslichen Annahmen existiert kein Überschuss». Nicht nachvollziehbar sei, weshalb die «notwendige Rechtsvertretung» nicht geprüft worden sei.
3. Der Beschwerdeführerin ist darin zuzustimmen, dass der Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung und von Ergänzungsleistungen eine finanziell enge Situation indiziert. Es ist auch richtig, dass sich nicht alle Bedarfspositionen restlos belegen lassen. So kann man selbst aus allen Quittungen des Lebensmittelladens nicht schlüssig ausscheiden und ausrechnen, was der Mutter für (Mehr-)Kosten entstehen, wenn sie ihr Kind für einen Tag oder für ein Wochenende bei sich hat, und doch ist gewiss, dass sie damit Kosten hat, welche in der Rechnung für ihre Leistungsfähigkeit hinsichtlich Prozesskosten selbstredend einzubeziehen sind.
Ein gewisses Augenmass ist also sicher gefragt. Der Bezirksrat weist darauf hin, dass die Ergänzungsleistungen ein monatliches Taschengeld von 42 Franken umfassten. Das mag richtig sein, sollte aber angesichts des äusserst bescheidenen Betrages nicht entscheidend gewertet werden dafür, ob eine Partei ihren Prozess selbst finanzieren kann.
Richtig ist auch, dass die Gerichte trotz der Mitwirkungsobliegenheit der Partei Umstände berücksichtigen müssen, die ihnen bekannt sind (die sogenannte Verhandlungsmaxime im Sinne von Art. 55 Abs. 1 ZPO gilt hier nicht); darum war es richtig, dass der Bezirksrat von sich aus das sehr bescheidene Vermögen berücksichtigt hat, das auf keinen Fall den «Notgroschen» übersteigt. Gleichfalls hat die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin die erforderliche Mitwirkung vermissen lassen, und sie argumentierte und argumentiert rechtlich verfehlt. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass seit dem 1. Januar 2011 im Rechtsmittelverfahren ein neues Regime gilt: Wirkte unter kantonalem Recht eine einmal gewährte unentgeltliche Prozessführung auch für das Rechtsmittel weiter (§ 90 Abs. 2 ZPO/ZH), bedarf es nun für jede Instanz eines eigenen Gesuches (Art. 119 Abs. 5 ZPO).
Es ist unmassgeblich, ob die Kesb für ihr Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährt hat. Die Anwältin von S. erklärt sodann selber, dass sie die Bedarfspositionen nicht vollständig belegt, ja nicht einmal behauptet hat. Wie hoch die Steuern sind, hängt unter anderem von den konkreten Abzügen ab, das könnte der Bezirksrat nicht ausrechnen, wenn er es auch wollte. Heizkosten dürften anfallen, sind aber der Höhe nach nicht seriös zu schätzen. Ob S. eine Hausratversicherung abgeschlossen hat, ist nicht bekannt.
Was mit «minimen Unterstützungskosten» gemeint sein soll, bleibt schleierhaft. Fahrkosten für Besuche von oder bei dem Kind könnten belegt werden. Die Verpflegung an den Wochenenden für das Kind müsste mindestens mit einem Schätzbetrag und näheren Angaben spezifiziert werden. Telefonkosten sind im liberalisierten Markt nicht mehr einfach bekannt.
Dass Umzugskosten angefallen sein sollen, konnte der Bezirksrat nicht wissen, erst recht nicht deren Höhe. Und dass eine neue Wohnung mehr kosten soll, wird soweit erkennbar dem Obergericht zum ersten Mal vorgetragen. Ob eine neue Wohnung nötig war und ob/wie sich das auf die Berechnung der Ergänzungsleistungen auswirken wird, muss überlegt werden. Die Vertreterin hat dem Bezirksrat geschrieben, S. verwende die Kinderrente des Kindes «mehrheitlich» für Kosten der Fremdplatzierung, ohne den Anteil konkret zu benennen. Endlich hat eine Anwältin die nötigen Angaben zu liefern, umso mehr, wenn sie dazu extra aufgefordert wird, und das kann sie nicht von sich schieben mit der Floskel, der Bezirksrat «möge sich melden, wenn er weitere Fragen habe». So geht es offenkundig nicht.
Immerhin kann ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege jederzeit neu gestellt werden, wenn auch nur für die Zukunft. Das wird umgehend zu tun sein, durch die jetzige oder eine andere Vertretung.
Nicht recht verständlich ist der Hinweis der Anwältin, über die «notwendige Rechtsvertretung» sei «noch nicht entschieden worden». Vielleicht spielt sie damit auf Art. 69 ZPO an. Danach sorgen die Gerichte dafür, dass unbeholfene Parteien eine Vertretung erhalten. S. hat eine Anwältin, und von daher war gar nichts anzuordnen. Sollte das Mandat enden, würde sich die Frage tatsächlich stellen.
Die Fremdplatzierung ihres Kindes ist für eine Mutter etwas vom denkbar Einschneidensten, das ihr widerfahren kann, und sie muss sich dabei Gehör verschaffen können. Das verlangt grosse Zurückhaltung bei der Annahme einer «Aussichtslosigkeit» im Sinne von Art. 117 lit. b ZPO (Entscheid PQ15 0070 des Obergerichts des Kantons Zürich vom 1. Dezember 2015). Angesichts der sehr grossen Tragweite der Sache dürfte auch eine rechtliche Vertretung angezeigt sein.
Urteil PQ160006 des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9.2.2016
Sicherstellung bei mangelndem Zahlungswillen
Die Parteientschädigung kann auf Antrag sichergestellt werden. «Andere Gründe» für die erhebliche Gefährdung der Parteientschädigung können fehlender Zahlungswille und Versuche zum Verschleiern von Vermögenswerten sein. Es müssen auch Eingaben, die eine Novenbeschränkung missachten, zu den Akten genommen werden. Ein «Aus-dem-Recht-Weisen» gibt es nicht.
Sachverhalt:
Die Beklagte verlangte, der Kläger sei zur Sicherstellung der Parteientschädigung zu verpflichten, und das Bezirksgericht ordnet das an. Der Kläger führt Beschwerde.
Aus den Erwägungen:
2.1 Im Beschwerdeverfahren sind neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel ausgeschlossen (Art. 326 Abs. 1 ZPO). Die Vorinstanz hat dem Kläger mit Verfügung vom 12. Oktober 2015 Gelegenheit gegeben, sich zum Antrag der Beklagten auf Verpflichtung zur Sicherheitsleistung zu äussern, doch der Kläger nahm diese Gelegenheit trotz wiederholter Fristerstreckung nicht wahr. Was der Kläger in der Beschwerde vom 21. Dezember 2015 in tatsächlicher Hinsicht neu vorbringt, ist daher nicht zu hören. Auch die neu eingereichten Beweismittel sind unbeachtlich. Neue rechtliche Argumente sind dagegen unbeschränkt zulässig, da die Beschwerdeinstanz das Recht im Rahmen der erhobenen Rügen ohnehin von Amtes wegen anwendet (Art. 57 ZPO).
Die Zivilprozessordnung bietet keine Handhabe, um unzulässige neue Tatsachenvorbringen und Beweismittel aus dem Recht zu weisen. Die neuen Vorbringen und Beilagen sind daher zu den Akten zu nehmen, und der Gegenpartei war Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, unabhängig davon, ob die neuen Vorbringen zulässig sind oder nicht. Der Entscheid darüber wird mit dem Endentscheid getroffen (vgl. zur analogen Situation im erstinstanzlichen Hauptverfahren BSK ZPO-Willisegger, 2. Auflage 2013, Art. 229 ZPO N 53 – 55). Dem prozessualen Antrag der Beklagten [Anm.: die Eingabe «aus dem Recht zu weisen»] kann aus diesem Grund nicht gefolgt werden.
4.3 Die Vorinstanz bejahte den Anspruch auf Sicherheitsleistung für die Parteientschädigung gestützt auf den Auffangtatbestand von Art. 99 Abs. 1 lit. d ZPO. Danach kann eine Partei verpflichtet werden, Sicherheit für die (allfällige) Parteientschädigung der Gegenpartei zu leisten, wenn «andere Gründe für eine erhebliche Gefährdung der Parteientschädigung bestehen». Solche Gründe erkannte die Vorinstanz in den Vorkehren des Klägers zur Verschleierung seines Vermögens.
4.3.1 Im Einzelnen geht es dabei um Folgendes: Die Beklagte verwies vor Vorinstanz (unbestritten) auf ein Strafverfahren, das die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich für Wirtschaftsdelikte gegen den Kläger und gegen weitere Personen wegen Verdachts auf Pfändungsbetrug führe. Der Kläger wurde am 29. Oktober 2015 als beschuldigte Person einvernommen. Er gab dabei zu, dass er nach Anhebung der Betreibung zusammen mit einem Geschäftspartner besprochen habe, wie sein Vermögen gesichert bzw. der provisorischen Pfändung entzogen werden könnte. Darauf habe er Aktienkaufverträge abgeschlossen und Schuldbriefe errichtet, mit dem einzigen Zweck, eine Pfändung seiner Liegenschaft zu verhindern. Die Schuldbriefe seien effektiv nie belastet worden. Weiter habe er zur Sicherung von Aktienbeteiligungen Zessionsverträge abgeschlossen, um sicherzustellen, dass auf die Vermögenswerte nicht zugegriffen werden könne.
4.3.2 Der Kläger bestreitet beschwerdeweise nicht, dass er diese Vorkehren traf. Er erklärt lediglich, bei seinen diesbezüglichen Aussagen handle es sich um einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt, welcher mit der aktuellen Situation nichts zu tun habe. Angesichts seiner aktenkundigen finanziellen Verhältnisse sei klar ersichtlich, dass die geltend gemachten Forderungen der Beklagten inkl. Parteientschädigung die bestehenden Aktiven des Klägers bei weitem nicht überwiegen würden. Daher gebe es keine Veranlassung für eine Anwendung des zurückhaltend zu bejahenden Auffangtatbestands von Art. 99 Abs. 1 lit. d ZPO.
4.3.3 Dem Kläger ist insofern beizupflichten, als der Auffangtatbestand nach der genannten Bestimmung zurückhaltend anzuwenden ist. Er ist vom normalen Prozessrisiko abzugrenzen, das grundsätzlich jeder Beklagte tragen muss, der unfreiwillig in einen Prozess verwickelt wird (ZK ZPO-Suter / Von Holzen, 2. Auflage 2013, Art. 99 ZPO N 34). Der Kläger irrt indes, wenn er der Auffassung ist, eine erhebliche Gefährdung der Parteientschädigung im Sinne des Auffangtatbestands könne nur dann vorliegen, wenn tatsächlich zu wenig Vermögen für die Deckung eines solchen Anspruchs vorhanden sei. Der Auffangtatbestand von Art. 99 Abs. 1 lit. d ZPO setzt (lediglich) voraus, dass aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse von einer erheblichen Gefährdung der Parteientschädigung auszugehen ist. Das hat das Gericht ermessensweise zu prüfen. Anwendungsfälle sind insbesondere Zahlungsflucht, betrügerische Handlungen zum Nachteil der Gläubiger oder Verheimlichung von Vermögenswerten (vgl. ZK ZPO-Suter / Von Holzen, 2. Auflage 2013, Art. 99 ZPO N 35). Dabei geht es nicht nur um die Frage der Zahlungsfähigkeit, sondern auch um den Zahlungswillen.
Hat eine Partei bereits zuvor Vermögen verheimlicht, so kann der Auffangtatbestand bejaht werden, ohne dass das tatsächlich vorhandene Vermögen mit der allfälligen Parteientschädigung in Relation gesetzt werden müsste, bzw. ohne dass die Höhe des tatsächlichen Vermögens überhaupt bekannt sein muss. Mit Blick auf das dabei auszuübende Ermessen betont das Bundesgericht, dass es sich bei der Prüfung solcher Entscheide zurückhalte (BGer 5A_221/2014 vom 10. September 2014, E. 3). Auch innerkantonal rechtfertigt es sich, der ersten Instanz in diesem Kontext einen gewissen Ermessensspielraum zu belassen.
Die erkennende Kammer publizierte im Jahr 2013 einen Entscheid (vom 11. Februar 2013), in welchem sie eine erhebliche Gefährdung der Parteientschädigung für das Rechtsmittelverfahren verneinte, obwohl die beklagte Partei im erstinstanzlichen Beweisverfahren offenbar Buchhaltungsunterlagen manipuliert und in der polizeilichen Befragung als Motiv angegeben hatte, sie habe kein Geld für die Bezahlung der Prozesskosten und der Parteientschädigung. Sie habe, so die dortige beklagte Partei weiter, aus Panik gehandelt, um die ungerechtfertigte Schadenersatzklage abzuwehren. Dieses Verhalten genügte im genannten Entscheid nicht für eine Anwendung des Auffangtatbestands von Art. 99 Abs. 1 lit. d ZPO. Daher wies die Kammer den Antrag auf Sicherstellung der allfälligen Parteientschädigung für das Rechtsmittelverfahren ab (vgl. ZR 111/2012 Nr. 119 = OGer ZH LB120103/Z05 vom 11. Februar 2013).
Der Kläger manipulierte im vorliegenden Fall allerdings nicht bloss Buchhaltungsunterlagen, sondern das Grundbuch, dem öffentlicher Glaube zukommt (Art. 973 Abs. 1 ZGB). Die Vorkehrungen des Klägers zur Verschleierung seines Vermögens (Abschluss fiktiver Verträge, Eintragung von wissentlich nie belasteten Schuldbriefen im Grundbuch zwecks Vortäuschung einer höheren grundpfandrechtlichen Belastung) zogen in diesem Sinn weitere Kreise. Sie waren von grösserem Gewicht als diejenigen im soeben erwähnten Präjudiz.
4.3.4 Der Kläger weist weiter darauf hin, sein tatsächliches Vermögen sei teils durch Pfändung oder (so die neue und an sich nicht zu hörende Darstellung des Klägers) strafrechtliche Beschlagnahme gesichert. Er kann indes auch daraus nichts für sich ableiten. Das Schicksal des Strafverfahrens ist von demjenigen des Aberkennungsprozesses zu unterscheiden. Es ist durchaus denkbar, dass im Strafverfahren beschlagnahmte Vermögenswerte wieder freigegeben werden, bevor der Forderungsprozess rechtskräftig erledigt wird. Was die gepfändete Liegenschaft angeht, ist diese damit zwar einstweilen dem Zugriff des Klägers entzogen, aber das ändert nichts daran, dass aufgrund der früheren Verschleierung von Vermögen auch inskünftig ein erhebliches Risiko vergleichbarer Vorkehren besteht.
4.3.5 Dass die Vorinstanz vor diesen Hintergründen in Ausübung ihres Ermessens eine erhebliche Gefährdung der Parteientschädigung bejahte, ist insgesamt nicht zu beanstanden. Von einem Missbrauch des erwähnten Auffangtatbestands, um den Kläger zu einem Klagerückzug zu motivieren (so der Kläger), kann nicht die Rede sein.
Urteil RB150044 des Obergerichts des Kantons Zürich vom 10.2.2016
Schuldbetreibung
Privatkonkurs:
Nur fälliger Lohn betrofffen
Wird während einer Pfändung des Einkommens über einen Schuldner der Konkurs eröffnet, fallen Lohn und 13. Monatslohn nur dann in die Konkursmasse, wenn sie zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits zur Auszahlung fällig waren.
Sachverhalt:
Während einer laufenden Lohnpfändung wurde am 14. Dezember 2015 über den Beschwerdeführer A. aus Oensingen SO der Privatkonkurs eröffnet. Am 15. Dezember überwies seine Arbeitgeberin dem Betreibungsamt Thal-Gäu den Anteil des über dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum von 2500 Franken liegenden Dezemberlohns und den ganzen 13. Monatslohn. Darüber beschwerte sich A. bei der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn.
Das Betreibungsamt beantragte die Abweisung der Beschwerde mit der Begründung, dass dem Konkursbeschlag nur dasjenige Entgelt nicht unterliege, das dem Schuldner aufgrund einer nach der Konkurseröffnung entfalteten Tätigkeit entrichtet werde. Vermögen, das der Schuldner schon vorher erarbeitet habe, falle in die Konkursmasse.
Aus den Erwägungen:
2.1 Über seinen Arbeitserwerb kann der Schuldner von der Konkurseröffnung an frei verfügen, und zwar selbst dann, wenn er zuvor gepfändet worden wäre (Amonn / Walther, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Bern 2013, S. 366). Im vorliegenden Fall dürfte, nachdem die Lohnzahlung dem Betreibungsamt nach der Konkurseröffnung zugegangen ist, klar sein, dass die Summe nicht den Pfändungsgläubigern zusteht. Dies ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut «abgelieferte» Beträge (Art. 199 Abs. 2 SchKG in der Fassung vom 1. Januar 1997).
Es stellt sich aber die Frage, ob das Geld nun dem Konkursamt oder dem Beschwerdeführer zu überweisen sei. Die Anwartschaft auf Lohn für den Monat Dezember hat der Beschwerdeführer etwa zur Hälfte, den 13. Monatslohn zu ca. 95,8 Prozent vor der Konkurseröffnung erarbeitet.
2.2 Die Revision (in Kraft getreten 1997) erweiterte den Gesetzeswortlaut von Art. 199 Abs.2 SchKG im Sinne der alten Bundesgerichtspraxis. Sie wollte bloss klarstellen, inwiefern Geld eines in Konkurs geratenen Schuldners, das bereits beim Betreibungsamt liegt, noch unter die Pfändungsgläubiger verteilt werden darf (Botschaft über die Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs vom 8. Mai 1991, S. 121). Zur Frage, die sich hier stellt, äussert sich die Revision nicht. Immerhin wird demzufolge noch auf die ältere Lehre und Rechtsprechung verwiesen werden dürfen.
Jolanta Kren Kostkiewicz (in: Daniel Hunkeler [Hrsg.], SchKG, Kurzkommentar, Basel 2014, N 11 zu Art. 197 SchKG) schreibt, nur Einkünfte des Schuldners aus nach der Konkurseröffnung geleisteter Arbeit würden nicht in die Konkursmasse fallen. Auch für Georges Vonder Mühll gehört Vermögen, das der Schuldner schon vor der Konkurseröffnung verdient hat, das ihm aber erst nachher ausgerichtet wird, zur Masse (BISchK 2005, S. 162 f.).
Auf den ersten Blick scheinen Lukas Handschin und Daniel Hunkeler dem zu widersprechen: Beträge seien dann «abgeliefert», wenn das Geld beim Betreibungsamt eintreffe (Staehelin / Bauer / Staehelin [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs II, Basel 2010 N 6 zu Art. 199 SchKG). N 84 f. zu Art. 197 SchKG lässt sich indessen entnehmen, der Schuldner hafte bloss mit seinem Vermögen, nicht mit seiner Arbeitskraft. Vom Konkursbeschlag ausgenommen sei nur das Arbeitsentgelt, das dem Schuldner für eine nach der Konkurseröffnung ausgeübte Tätigkeit entrichtet werde. Vermögen, das der Schuldner schon vorher erarbeitet habe, falle in die Masse, auch wenn es erst nach der Konkurseröffnung ausgerichtet werde.
2.3 Nach der kantonalen Rechtsprechung darf die Konkursverwaltung das dem Konkursiten während des Konkursverfahrens «zufallende» Erwerbseinkommen nicht beschlagnahmen (BISchK 1966, S. 21). Der vom Kridar nach der Konkurseröffnung «verdiente» Lohn fällt nicht in die Masse (BJM 1968, S. 58).
2.4 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Admassierung des Lohns, den der Schuldner während der Dauer des Verfahrens «bezieht», in den konkursrechtlichen Bestimmungen nirgends vorgesehen (BGE 25 I 373). Einschlägig ist BGE 72 III 85: Was der Schuldner während der Dauer des Konkursverfahrens durch seine persönliche Tätigkeit «erwerbe», falle nach dem Wortlaut von Art. 197 SchKG nicht in die Masse. Dagegen gehöre dazu alles (Netto-)Vermögen, das während dieser Zeit auf anderem Wege, z. B. durch Erbgang, Schenkung oder Lotterietreffer in seinen Besitz gelange. Für diese Auslegung sprächen auch die Gesetzesmaterialien.
Der Heusler’sche Entwurf vom Juli 1869 habe in § 110 ausdrücklich bestimmt: «Was der Gemeinschuldner von der Konkurseröffnung an durch seine Arbeit erwirbt, fällt nicht in die Konkursmasse, wohl aber, was ihm während der Liquidation durch Erbschaft, Vermächtnis oder Schenkung zufällt.» Der bundesrätliche Entwurf vom 23. Februar 1886 habe demgegenüber an der entsprechenden Stelle (Art. 207 Abs. 2) nur noch gesagt: Vermögen, das dem Gemeinschuldner erbrechtlich vor der Beendigung des Konkursverfahrens anfällt, gehört zur Konkursmasse (BBI 1886 II 139). Diese Auffassung hat das Bundesgericht bestätigt (Urteil 5P.426/2002).
3.1 Angesichts der unklaren Terminologie, die verwendet wird («verdienen», «zufallen», «beziehen», «erwerben»), rechtfertigt es sich, auf das klare Kriterium der Fälligkeit abzustellen. Die Fälligkeit bedeutet, dass der Gläubiger zu diesem Zeitpunkt die Leistung verlangen darf. Davon zu unterscheiden ist die Erfüllbarkeit. Oft darf der Schuldner die Leistung auch schon vorher erbringen (Honsell / Vogt / Wiegand [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Basel 2011, N 4 zu Art. 75 OR). Bevor sein Lohn fällig ist, hat der Arbeitnehmer, der Schuldner, nichts erworben oder verdient. Der gesamte Lohn (Dezemberlohn und 13. Monatslohn 2015) wurde erst Ende Dezember fällig und erst nach der Konkurseröffnung an das Betreibungsamt ausgezahlt. Die Pfändungsgläubiger erhalten davon nichts (Art. 199 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 206 SchKG). Der Lohn fällt auch nicht in die Masse, denn er wurde erst nach der Konkurseröffnung fällig und bezahlt. Der Schuldner hat den Lohn erst nach Konkurseröffnung «erworben» bzw. «verdient».
3.2 Das vorliegende Problem hat sich offenbar jahrzehntelang nie gestellt. Die Frage wurde bloss aufgeworfen, weil Konkurseröffnung und Auszahlung zeitlich sehr nahe beieinanderliegen. Wäre die Konkurseröffnung Ende März statt Mitte Dezember erfolgt, würde wohl niemand drei Zwölftel eines allfälligen 13. Monatslohns, der erst in neun Monaten ausbezahlt wird, admassieren wollen. Ähnliche Probleme könnten sich mit Provisionen und Leistungsboni stellen.
Eine Aufteilung wäre mit grossem Aufwand und Verfahrensverzögerungen beim Konkursamt verbunden, obschon für die Konkursgläubiger nur ein geringer Ertrag zu erwarten wäre. Entscheidend ist, dass der Pfändungsbeschlag dahingefallen ist. Das Betreibungsamt hat keine Rechtsgrundlage mehr, um dem Schuldner das Geld vorzuenthalten. Hätte die Arbeitgeberin bei der Auszahlung schon von der Konkurseröffnung gewusst, hätte sie den Lohn ohne weiteres dem Beschwerdeführer und nicht dem Betreibungsamt überwiesen. Der Entscheid, was zu admassieren sei, steht überdies nicht dem Betreibungsamt, sondern dem Konkursamt zu.
4. Die Beschwerde ist gutzuheissen. Das Betreibungsamt hat dem Beschwerdeführer A. die mit Beschlag belegte pfändbare Quote des Lohns für den Monat Dezember 2015 und den 13. Monatslohn auszuzahlen.
Urteil SCBES.2016.1 der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn vom 4.2.2016
Kommentar:
Die Fälligkeit ist das einzige vernünftige Abgrenzungskriterium für die Beurteilung, ab wann der gepfändete Lohn eines Schuldners, über den während einer laufenden Pfändung der Konkurs eröffnet wird, in die Konkursmasse fällt. Der Entscheid, der von der herrschenden Lehre abweicht, ist zu begrüssen und zur Nachahmung empfohlen. Das Bezirksgericht Zürich hatte 2011 anders entschieden. Es hatte einem Schuldner nur die Anteile am Lohn und am 13. Monatslohn zugestanden, die sich auf die Zeit nach der Konkurseröffnung bezogen (publiziert in ZR 110 (2011) Nr. 63, S. 195 f.).
Michael Krampf
Strafprozessrecht
DNA-Profil auf Vorrat nur bei schweren Straftaten legal
Die Erstellung eines DNA-Profils zur Aufklärung vergangener und zukünftiger Straftaten ist grundsätzlich möglich. Allerdings müssten bereits begangenen Straftaten eine gewisse Schwere aufweisen, sonst ist dieser Eingriff in die Grundrechte nicht zu rechtfertigen.
Sachverhalt:
Die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland führt gegen A. eine Strafuntersuchung wegen Hinderung einer Amtshandlung, Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung sowie Landfriedensbruchs. Ihm wird vorgeworfen, am 27. März 2015 anlässlich einer Demonstration vor dem Regionalgefängnis Bern drei Dienstfahrzeuge der Polizei kurzzeitig an der Weiterfahrt gehindert zu haben; der Anweisung der Polizei, sich zu entfernen, habe er keine Folge geleistet. Am 25. April 2015 habe er an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen, in deren Verlauf es zu mehreren Sachbeschädigungen gekommen sei. Sodann soll er sich am 10. Juni 2015 Polizisten in den Weg gestellt und sich gegen diese gestemmt haben, um zu verhindern, dass diese den Innenhof der Reitschule in Bern betreten konnten.
Nachdem A. den von der Kantonspolizei Bern angesetzten Termin zur erkennungsdienstlichen Behandlung nicht wahrgenommen hatte, erliess die Staatsanwaltschaft am 22. Juni 2015 eine Verfügung zur erkennungsdienstlichen Erfassung sowie zur Erstellung eines DNA-Profils mittels Wangenschleimhautabstrichs. Gegen die angeordnete DNA-Profilerstellung erhob A. Beschwerde bei der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Bern. Das Obergericht hiess die Beschwerde am 9. Oktober 2015 gut. Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern führt Beschwerde in Strafsachen.
Aus den Erwägungen:
2.3 Erkennungsdienstliche Massnahmen und die Aufbewahrung der Daten können das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV und Art. 8 EMRK; BGE 136 I 87 E. 5.1, S. 101; 128 II 259 E. 3.2, S. 268; je mit Hinweisen) tangieren. Dabei ist von einem leichten Grundrechtseingriff auszugehen (BGE 134 III 241 E. 5.4.3 S. 247; 128 II 259 E. 3.3 S. 269 f.; Urteil 2C_257/2011 vom 25. Oktober 2011 E. 6.7.3). Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV). Dies konkretisiert Art. 197 Abs. 1 StPO. Danach können Zwangsmassnahmen nur ergriffen werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (lit. b), die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können (lit. c) und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (lit. d).
Nach der Rechtsprechung ist die Erstellung eines DNA-Profils, das nicht der Aufklärung der Straftaten eines laufenden Strafverfahrens dient, nur dann verhältnismässig, wenn erhebliche und konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte in andere – auch künftige – Delikte verwickelt sein könnte (BGE 141 IV 87 E. 1.3.1 und 1.4.1). Dabei muss es sich —allerdings um Delikte einer gewissen Schwere handeln (Urteile 1B_111/2015 vom 20. August 2015 E. 3.2 und 1B_685/2011 vom 23. Februar 2012 E. 3.3, in: SJ 2012 I 440).
3.1 Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, der Beschwerdegegner sei bereits in der Vergangenheit strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er habe schon wiederholt an unbewilligten Demonstrationen teilgenommen und sei wegen Verstössen gegen das Kundgebungsreglement mit Strafbefehlen vom 27. Mai 2014 und 4. Juni 2015 verurteilt worden. Während es sich bei diesen Delikten noch um Übertretungen gehandelt habe, seien nun drei Strafverfahren (Vorfälle vom 27. März 2015, 25. April 2015 und 10. Juni 2015) gegen den Beschwerdegegner eröffnet worden, in denen Vergehen (Hinderung einer Amtshandlung und Landfriedensbruch) zu beurteilen seien.
3.5 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sind auch die übrigen Ausführungen der Vorinstanz nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall dient die DNA-Profilerstellung unbestrittenermassen nicht der Aufklärung der Anlasstaten. Sie wurde mit der Begründung angeordnet, es bestünde beim Beschwerdeführer die Wahrscheinlichkeit weiterer Delikte. Den Akten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdegegner nicht vorbestraft ist.
Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, lassen sich keine konkreten Hinweise ableiten, wonach er in der Vergangenheit in Delikte von einer gewissen Schwere involviert gewesen ist oder es in der Zukunft sein könnte. Die Tatsache, dass in den aktuell gegen ihn eröffneten Strafuntersuchungen Vergehen zu beurteilen sind, vermag die Wahrscheinlichkeit für Delikte gewisser Schwere nicht zu begründen. In Zusammenhang mit den aktuell ihm vorgeworfenen Taten steht er unter dem Schutz der Unschuldsvermutung (Urteil 1B_111/2015 vom 20. August 2015 E. 3.3). Danach gilt jede Person bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig (Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 10 Abs. 1 StPO, Art. 6 Ziff. 2 EMRK). Es ist deshalb davon auszugehen, dass er bisher keine massgebliche Straftat begangen hat.
3.6 Im Ergebnis ist es bundesrechtlich haltbar, wenn die Vorinstanz ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdegegner in andere Delikte von gewisser Schwere verwickelt sein könnte, verneint und die Erstellung eines DNA-Profils deshalb untersagt hat.
Urteil 1B_381/2015 des Bundesgerichts vom 23.2.2016