Vertragsrecht
Fristlose Kündigung ist sofort auszusprechen
Ein Arbeitgeber hat für eine fristlose Entlassung maximal drei Arbeitstage Bedenkzeit. Eine Kündigung am vierten Tag ist verspätet.
Sachverhalt:
Ein Ladendetektiv hielt einen Kunden fest und warf ihm vor, er habe bei einer Hose versucht, die Diebstahlsicherung abzureissen. Videoaufnahmen zeigten jedoch, dass der Detektiv mit der Hose in einer Umkleidekabine verschwand, bevor er sie dem Kunden vorlegte. Der Arbeitgeber entliess den Detektiv deshalb fristlos. Das Arbeitsgericht Zürich beurteilte die fristlose Kündigung als verspätet und damit ungerechtfertigt. Das bildete das Hauptthema der Berufung. Die Vorinstanz sprach dem Kläger zufolge der ungerechtfertigten fristlosen Kündigung den Lohn bis zur ordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu.
Aus den Erwägungen:
1. Dem Vorbringen der Beklagten, wonach nicht klar sei, womit die Vorinstanz die Überschreitung der Abklärungsfrist begründe, da die Vorinstanz ihr lediglich pauschal vorwerfe, sie habe die ihr zumutbaren Massnahmen nicht beförderlich ergriffen, ist nicht zu folgen. Entgegen der von der Beklagten in ihrer Berufung vertretenen Auffassung hat die Vorinstanz eingehend erläutert, dass die Beklagte zwischen dem besagten Vorfall am 5. November 2016 und dem Aussprechen der fristlosen Kündigung am 18. November 2016 insgesamt dreizehn Tage habe verstreichen lassen und die ihr zumutbaren Massnahmen nicht beförderlich ergriffen habe, um die notwendige Klarheit bezüglich des Sachverhalts zu gewinnen.
Die Beklagte sei eine GmbH mit einer zeichnungsberechtigten Person. Das Vorbringen der Beklagten, dass das weitere Vorgehen zwischen den Entscheidungsträgern E und H habe diskutiert werden müssen, bestätige die relativ einfachen Entscheidungswege bei der Beklagten. Andererseits könne daraus gerade nicht abgeleitet werden, dass die Beklagte ihre Entscheide den Umständen entsprechend zeitnah getätigt habe. Vielmehr habe sie sich den Vorwurf gefallen zu lassen, dass sie – mit Blick auf die einfachen organisatorischen Umstände – mit ihrem Entscheid zu lange zugewartet habe. Auch dass H Tage vor dem Aussprechen der fristlosen Kündigung im Ausland geweilt habe, möge daran nichts zu ändern. Einerseits sei die Aussage der Beklagten diesbezüglich ungenau gewesen. Andererseits hätte die fristlose Kündigung ohne Weiteres auch durch E ausgesprochen werden können, der – auch gemäss der Ansicht der Beklagten – Entscheidungsträger und überdies Personalverantwortlicher bei der Beklagten sei. Wieso das gesamte Videomaterial nicht bereits am 5. November 2016, sondern verteilt über einen Zeitraum von acht Tagen gesichtet worden sei, habe die Beklagte nicht plausibel darzutun vermocht.
Die fristlose Kündigung wäre jedoch, so die Vorinstanz weiter, selbst wenn man – wiederum mit der Beklagten – davon ausginge, dass die Sichtung des gesamten Videomaterials erst am 13. November 2016 erfolgt sei und die Beklagte erst zu jenem Zeitpunkt gesicherte Kenntnis vom Vorfall gehabt habe, verspätet erfolgt. Die Beklagte geht in ihrer Berufungsschrift nicht auf diese vorinstanzlichen Erwägungen ein.
2.2 Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgehen würde, dass die Beklagte erst am 14. November 2016 infolge von neuen Videoaufnahmen genügend sichere Kenntnis vom Verhalten des Klägers am 5. November 2016 erlangt hat, wäre die dem Kündigenden von Literatur und Rechtsprechung zugestandene Bedenkzeit von zwei bis drei Arbeitstagen (Streiff / von Kaenel / Rudolph, a.a.O., Art. 337c N 17; Brühwiler, Einzelarbeitsvertrag, Kommentar zu den Art. 319–343 OR, 3. Aufl., Art. 337 N 10; BGE 130 III 28, E. 4.4; BGer 8C_294/2011 vom 29. Dezember 2011, E. 6.3.2) am 17. November 2016 verstrichen und die von der Beklagten erst am 18. November 2016 ausgesprochene fristlose Kündigung somit verspätet.
4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz zutreffenderweise zum Schluss kam, die fristlose Kündigung durch die Beklagte sei verspätet und damit ungerechtfertigt, weshalb sich Ausführungen zum Vorliegen eines wichtigen Grundes erübrigten.
Obergericht Zürich, Urteil LA180026 vom 22.5.2019
Mietrecht: Keine Sperrfrist wegen Bagatelle
Ein Schlichtungsverfahren im Mietrecht löst nicht immer eine dreijährige Sperrfrist für eine Kündigung aus. Es gibt Ausnahmen – etwa bei Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs. Oder wenn kein rechtlich relevanter Streit zwischen Vermieter und MIeter vorlag.
Sachverhalt:
Ende 2018 erhielten zwei Mieter ein Schreiben, wonach ihnen ein anderes Kellerabteil zugeteilt werde und sie hierfür Entschädigung von 300 Franken erhalten. Diese gelangten deshalb vor die Schlichtungsbehörde, wo sie sich mit der Vermieterin über ein anderes Kellerabteil und eine Entschädigung von 500 Franken einigen konnten. 2019 erhielten die Mieter die Kündigung. Sie fochten die Kündigung mit der Begründung an, die Vermieterin könne laut Gesetz während drei Jahren nach Abschluss des Schlichtungsverfahrens nicht kündigen. Das Mietgericht Zürich sah es anders.
Aus den Erwägungen:
1.1.1 Eine Kündigung durch den Vermieter ist anfechtbar, wenn sie vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens ausgesprochen wird, in dem der Vermieter mit dem Mieter einen Vergleich geschlossen oder sich sonst wie geeinigt hat.
In BGE 141 III 101 entschied das Bundesgericht, dass der zeitliche Kündigungsschutz nach Art. 271a Abs. 1 lit. d OR von der Klageanhebung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens unabhängig davon greift, ob der Vermieter über das Verfahren orientiert wurde oder davon nach Treu und Glauben wissen konnte (BGE 141 III 101, E. 2). Das Bundesgericht betont den weiten Anwendungsbereich der Sperrfrist. Auch wenn ihr Zweck darin liegt, im Anschluss an einen Konflikt die Beendigung eines missliebigen Verfahrens mittels Kündigung durch den Vermieter zu verhindern sowie dem Mieter die Durchsetzung seiner mietrechtlichen Ansprüche zu ermöglichen, ohne eine Kündigung des Vermieters befürchten zu müssen, kann der Vermieter die Sperrfrist nicht durch den Nachweis beseitigen, dass seiner Kündigung ein legitimes Motiv zugrunde gelegen hat.
1.1.2 Die dreijährige Sperrfrist entfällt allerdings ungeachtet der Durchbrechungsgründe von Art. 271a Abs. 3 OR unter besonderen Umständen. Lehre und Rechtsprechung haben dazu einen Katalog entwickelt, der gleichermassen für alle Sperrfristen von Art. 271a Abs. 1 lit. d und e sowie Abs. 2 gilt. Ausgangspunkt ist die Bestätigung des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots in Art. 271a Abs. 1 lit. d OR, wonach die Sperrfrist während eines Verfahrens nicht gilt, wenn der Mieter dieses missbräuchlich eingeleitet hat. Weitere Fälle sind Verfahren über Bagatellen sowie gerichtliche oder aussergerichtliche Einigungen nach Bagatellstreitigkeiten und erst recht Fälle, in denen es gar nicht erst zu einem relevanten Streit gekommen ist, weil der Vermieter einem Ansinnen des Mieters sofort nachgegeben hat. Auch wenn Lehre und Rechtsprechung in diesen Fällen von echten Ausnahmen der Sperrfrist ausgehen, lassen sich sämtliche Fallkategorien auch als Ausfluss des Rechtsmissbrauchsverbots nach Art. 2 Abs. 2 ZGB verstehen: Zwar hat die Sperrfrist auch gegenüber an sich legitimen Kündigungsgründen Bestand.
Anders verhält es sich, wenn sie angerufen wird, obwohl die vorausgegangenen Ereignisse von vornherein nicht die Qualität haben, eine Kündigung des Vermieters zu provozieren. In solchen Fällen wird entweder das Institut zweckwidrig verwendet oder seine Anrufung bewirkt ein krasses Interessenmissverhältnis.
1.2.4 Trotz Einleitung eines Schlichtungsverfahrens kann hier von einem relevanten Streit der Parteien nicht ausgegangen werden. Schon in der Änderungsmitteilung vom 9. Oktober 2018 hatte die Klägerin eine Besichtigung sowie eine Entschädigung offeriert und die Verlegung der Seewasserleitung als Grund für die Massnahme angegeben. Ein Befehlston lässt sich dem Schreiben entgegen der Wahrnehmung der Beklagten nicht entnehmen. Aufgrund des Schreibens war für die Beklagten auch der Zusammenhang mit dem Bauprojekt klar, über welches sie von der Klägerin seit 2016 regelmässig auf dem Laufenden gehalten worden waren, gepaart mit einem entsprechenden Unterstützungsangebot für die Wohnungssuche vom 12. Juli 2018. Auch sonst bemühte sich die Klägerin stets, die Mieterinnen und Mieter zufriedenzustellen, wie etwa die auch den Beklagten ausbezahlte Entschädigung gemäss Vereinbarung vom 4. September 2018 für Störungen durch ein im Bereich der Mietliegenschaft durch Dritte am 10. Juni 2018 veranstaltetes Rennen mit Elektromobilen zeigt. All dies liess für die Beklagten von allem Anfang an die aller Wahrscheinlichkeit nach vorhandene Bereitschaft der Klägerin erkennen, ihnen auch in der Sache des Kellerabteils so weit wie möglich entgegenzukommen, um die Umsetzung des Bauprojektes nicht durch mietrechtliche Auseinandersetzungen zu gefährden.
1.2.5 Zusammenfassend sind der Austausch und die Einigung zwischen den Parteien betreffend Kellerabteil nicht als Ausdruck eines rechtlich relevanten Streites einzustufen. Selbst die Beklagten räumen im Ergebnis ein, dass die Diskussionen in bestem Einvernehmen geführt wurden. Wollte man entgegen den vorstehenden Ausführungen von einer Meinungsverschiedenheit ausgehen, wäre sie als Bagatelle einzustufen, denn nachdem die Klägerin durch die Verfahrensanzeige der Schlichtungsbehörde Kenntnis über die ablehnende Haltung der Beklagten hatte, ging sie ohne Weiteres auf die Beklagten zu, liess mit sich über den Wunsch nach einer höheren Entschädigung sowie die Bedürfnisse der Beklagten betr. Grösse, Anzahl und Lage der Ersatzobjekte mit sich reden und kam diesen Anliegen nach.
1.2.6 Überdies haftet der Berufung der Beklagten auf die Kündigungssperrfrist jedenfalls aus heutiger Sicht ein offensichtlicher Rechtsmissbrauch an. Dass der vorliegende Kündigungsentschluss nicht auf Rachemotiven gründete und die Kündigung nur während der Sperrfrist erfolgte, weil eine frühere Kündigung als Kündigung auf Vorrat qualifiziert worden wäre, ist zwar unerheblich, wie schon dargelegt wurde. Doch auch wenn legitime Kündigungsmotive alleine nicht genügen, um eine Sperrfrist auszuschliessen bzw. zu beseitigen, liegt hier ein offensichtliches Missverhältnis der Interessen vor: Die Beklagten geben aufgrund ihrer modifizierten Anträge im Eventualpunkt zu, dass sie keinen Erstreckungsanspruch haben, weil die Klägerin ihnen ein zumutbares Ersatzobjekt angeboten hat, das sie ohne nachvollziehbaren Grund ablehnten.
1.2.8 Andere Argumente gegen die Gültigkeit der Kündigung bringen die Beklagten nicht vor. Diese ist daher für gültig zu erklären.
Mietgericht Zürich, Urteil MB190012 vom 12.12.2019
Entgangener Gewinn muss nachgewiesen werden
Dem Gericht muss sich der Schluss, dass ein Schaden in der behaupteten Grössenordnung eingetreten ist, mit einer gewissen Überzeugung aufdrängen. Dass ein Gewinn möglicherweise entgangen ist, reicht nicht aus. Er muss ziffernmässig nachgewiesen oder mindestens geschätzt werden können.
Sachverhalt:
Die Parteien schlossen am 26. März 2009 einen Zusammenarbeitsvertrag im Hinblick auf den Bau eines Geschäfts- und Wohnhauses mit öffentlichem Parkhaus auf dem Grundstück Nr. Z, Grundbuch (GB) Luzern, ab. Mit öffentlich beurkundetem Kaufvertrag vom 31. März 2009 verkaufte die Klägerin das erwähnte Grundstück an die Beklagte. Im Dezember 2013 verkaufte die Beklagte das besagte Grundstück an Dritte weiter, ohne dass es zu einer Zusammenarbeit mit der Klägerin gekommen war. Vor Gericht machte die Klägerin gegenüber der Beklagten entgangenen Gewinn wegen Nichteinhaltung der Unternehmerklausel geltend.
Aus den Erwägungen:
4.7.2 Die Klägerin stützt ihre Schadenersatzforderung auf Art. 97 OR. Gemäss dieser Bestimmung und auch nach der werkvertraglichen Regelung von Art. 377 OR ist sie so zu stellen, wie wenn die Unternehmerklausel von der Beklagten erfüllt worden wäre (positives Vertragsinteresse).
4.7.3 Bei Nichteinhaltung einer Architekten- oder Unternehmerklausel geht es um eine ähnliche Problematik wie bei UWG-Widerhandlungen, weshalb es sich rechtfertigt, bezüglich des Schadens auf die Literatur zum UWG Bezug zu nehmen. Bei UWG-Widerhandlungen hat der Geschädigte darzulegen, welchen Nettogewinn er aus den ihm entgangenen Geschäften erzielt hätte. Die für seine eigenen Leistungen normalerweise anfallenden, aber mangels Abschluss der Geschäfte nicht getätigten Aufwendungen sind dabei vom hypothetischen Umsatz als hypothetische Aufwendungen in Abzug zu bringen.
Der Verletzte hat für die Zusprechung von Schadenersatz aus entgangenem Gewinn darzutun, dass er in der Lage gewesen wäre, den eingeklagten Gewinn tatsächlich zu erzielen, wenn die unlautere Handlung nicht stattgefunden hätte. Misslingt dieser Nachweis, fehlt es am (natürlichen) Kausalzusammenhang (Rüetschi / Roth, a.a.O., Art. 9 UWG N 86–88). Auch beim entgangenen Gewinn ist der Schaden vom Geschädigten grundsätzlich ziffernmässig nachzuweisen. So hat der Geschädigte darzulegen, welche Umsätze und welchen Gewinn er ohne die unlautere Handlung erzielt hätte. Da diverse weitere Faktoren den Umsatz und den Gewinn beeinflussen, beruht die Schadensschätzung auf einer Reihe von Annahmen, die vom Kläger vorzubringen und vom Gericht auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen sind (Rüetschi / Roth, a.a.O., Art. 9 UWG N 89).
4.8.1 In casu begründete die Klägerin ihre Forderung primär mit der Wirtschaftlichkeitsberechnung vom 25. November 2008, worin sie, ausgehend von einer Gewinnmarge von 2,5 Prozent, einen Gewinn von 990 053 Franken errechnete. Die Klägerin macht zu Recht geltend, dass die Beklagte diese in der Klage enthaltene Gewinnberechnung nicht substanziiert bestritten hat. Damit ist die Berechnung der eingeklagten Summe inklusive der eingesetzten Gewinnmarge erstellt. Diesbezügliche Beweismassnahmen erübrigen sich.
4.8.2 Allerdings unterlässt es die Klägerin vorzutragen, sie hätte mit der Beklagten auf der Basis der Wirtschaftlichkeitsberechnung vom 25. November 2008, in Umsetzung der Unternehmerklausel, einen entsprechenden Werkvertrag abgeschlossen. Da eine entsprechende Lückenfüllung nach Art. 2 Abs. 2 OR durch den Richter nicht ex officio erfolgt (Zellweger-Gutknecht / Bucher, Basler Komm., 6. Aufl. 2015, Art. 2 OR N 8), scheitert die Argumentation der Klägerin bereits im Ansatz. Auch wendet die Beklagte zu Recht ein, die Wirtschaftlichkeitsberechnung sei nicht massgebend, da sie sich auf ein Projekt stütze, das gar nicht habe realisiert werden können.
Bei dem der konkreten Gewinnberechnung zugrunde liegenden Projekt handelt es sich unbestritten um jenes, das vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern scheiterte. Dieses Projekt wurde in der Folge von der Beklagten fallen gelassen.
4.9.1 Als zweiten Ansatz für die Schadenssubstanziierung bzw. die Schadensschätzung wählt die Klägerin Vergleichswerte mit eigenen Projekten. Vorab bezieht sie sich auf die drei von ihr ausgeführten GU-/TU-Bauvorhaben X, W und V. Dazu legte sie eine entsprechende Urkunde auf, welche sie zudem in die Replik integrierte. Soweit sie geltend macht, diese drei Objekte seien mit dem geplanten Projekt Y-Platz Luzern grössenmässig vergleichbar (Umsatz zwischen 38 und 78 Millionen Franken), ist ihr Standpunkt entgegen der Ansicht der Beklagten durchaus nachvollziehbar. Die Klägerin behauptete für die drei Vergleichsobjekte einen TU-/GU-Gewinn von 2,8 bis 10,8 Prozent des Umsatzes. Dabei macht sie an sich zu Recht geltend, dass die Beklagte diese Gewinnzahlen nicht substanziiert bestritten hat, weshalb sie als anerkannt zu gelten haben.
4.9.2 Hingegen unterlässt es die Klägerin auch in diesem Zusammenhang, schlüssig vorzutragen, sie hätte mit der Beklagten auf der Basis der erwähnten Vergleichsobjekte resp. auf der Basis ihrer Gewinnmargen, in Umsetzung der Unternehmerklausel, mit der Beklagten einen entsprechenden Werkvertrag abgeschlossen. Eine Lückenfüllung nach Art. 2 Abs. 2 OR durch den Richter kann auch in diesem Punkt nicht erfolgen. Die Klägerin hätte zumindest schlüssig vortragen – und, falls bestritten, beweisen – müssen, auf welche Vergütung bzw. auf welche Vergütungsmodalitäten (zum Beispiel nach SIA-Tarif oder nach einem bestimmten Prozentsatz der massgebenden Bausumme) sich die Parteien im zu schliessenden Werkvertrag geeinigt hätten, wenn die Unternehmerklausel zum Tragen gekommen wäre.
4.10 Damit steht fest, dass der eingeklagte Schaden weder ziffernmässig nachgewiesen ist, noch nach Art. 42 Abs. 2 OR geschätzt werden kann. Für die Abnahme der von der Klägerin beantragten Beweise fehlen die nötigen Behauptungen namentlich bezüglich Preisgestaltung des abzuschliessenden GU-Werkvertrags. Ihre Beweisanträge sind daher ohne Weiteres abzuweisen.
4.12 Die Forderung ist mit der Vorinstanz abzuweisen. Insoweit bleibt der Berufung der Erfolg versagt. Dem Gericht muss sich der Schluss, dass ein Schaden in der behaupteten Grössenordnung eingetreten ist, mit einer gewissen Überzeugung aufdrängen. Das ist vorliegend nicht der Fall. Möglicherweise ist der Klägerin Gewinn entgangen. Dies allein reicht aber nicht aus, um die Klage in diesem Punkt ganz oder teilweise gutzuheissen.
Kantonsgericht Luzern, Urteil 1B 18 51 vom 27.6.2019
Zivilprozessrecht
Ein Gericht muss nachfragen, wenn ein Dokument fehlt
Eine Partei muss Gelegenheit erhalten, ein Dokument nachzureichen, wenn es in einem von der Rechtspflege im Internet zur Verfügung gestellten Formular nicht genannt ist.
Sachverhalt:
Der Gesuchsteller verlangte den vorläufigen Eintrag eines Handwerkerpfandrechts. Der Einzelrichter wies das Gesuch ab, weil kein Grundbuchauszug beilag. Ergänzungen von Eingaben seien nur im Rahmen von Art. 132 ZPO (Unterschrift, Vollmacht) möglich. Das Obergericht widerspricht. Weil das Pfandrecht mittlerweile – auf ein neues Gesuch hin – eingetragen wurde, ist die Frage nur noch für die Kosten relevant.
Aus den Erwägungen:
Der Einzelrichter wies das Gesuch ab, weil diesem kein Grundbuchauszug beilag, welcher das Eigentum der Gesuchsgegnerin an dem zu belastenden Grundstück belegte. Er führte zur Begründung aus, eine Frist zum Nachbessern sehe das Gesetz bei materieller Unvollständigkeit nicht vor. Das ist richtig, wenn man nur Art. 132 ZPO betrachtet; dieser nennt einzig die fehlende Unterschrift oder die fehlende Vollmacht – also formelle Mängel – ausdrücklich und soll nach mehrheitlicher Auffassung nicht dazu dienen, die Begründung zu verbessern oder neue Beweismittel einzureichen (BK ZPO-Frei, Art. 132 N. 16 mit zahlreichen Hinweisen).
Allgemeiner und nach unstreitiger Auffassung gerade auf die Begründung und die Beweismittel zugeschnitten ist demgegenüber die Bestimmung von Art. 56 ZPO: Bleibt das Vorbringen einer Partei unklar oder offensichtlich unvollständig, gibt ihr das Gericht durch entsprechende Fragen Gelegenheit zur Klarstellung und zur Ergänzung. Das steht in einer offenkundigen Spannung sowohl zum Grundsatz, dass die Parteien in eigener Verantwortung Behauptungen aufstellen und Beweismittel nennen müssen (Art. 55 ZPO) als auch zur strikten Neutralität des Gerichts (Art. 47 ZPO). Die Letztere verlangt, dass auch im Rahmen der gerichtlichen Fragepflicht keine eigentlichen Ratschläge erteilt werden. Und auch der sogenannte «Verhandlungsgrundsatz» von Art. 55 ZPO darf durch die gerichtliche Fragepflicht nicht ausgehöhlt werden. Solche Spannungen kennt das Recht allerdings noch und noch, und die Praxis der Gerichte, namentlich des Bundesgerichts, sucht und findet in aller Regel gangbare Wege, um den verschiedenen Anliegen des Gesetzes gerecht zu werden.
So weist das Bundesgericht immer wieder mahnend darauf hin, die Fragepflicht diene nicht dazu, die Folgen unsorgfältigen Prozessierens auszugleichen (nur beispielhaft BGer 5A_115/2012 vom 20. April 2012, E. 4.5.2, BGer 4A_56/2013 vom 4. Juni 2013, E. 4.4, BGer 5A_705/2013 vom 29. Juli 2014). Das ist gewiss zu beherzigen. Allerdings gibt das Gesetz nicht nur den Parteien, sondern auch den Gerichten auf, nach Treu und Glauben zu handeln (Art. 52 ZPO). Dieser Grundsatz muss dazu führen, dass offenkundige Versehen korrigiert werden können: nicht nur, wenn etwa eine beklagte Partei irrtümlich um Gutheissung statt um Abweisung der Klage ersucht, sondern auch in ähnlichen Fällen. Und nicht ganz überflüssig ist der Hinweis, dass das Verfahrensrecht im Rahmen des Möglichen der Verwirklichung des materiellen Rechts dient, und jedenfalls nicht der Bequemlichkeit der Gerichte.
Im vorliegenden Fall hatte der Gesuchsteller für sein Gesuch ein Formular verwendet. Offenbar ist es eine alte Version des aktuell im Internet von den Gerichten zur Verfügung gestellten Formulars für das Begehren auf vorläufigen Eintrag eines Bauhandwerkerpfandrechts. Dieses Formular leitete ihn an, das mit einem Pfandrecht zu belastende Grundstück mit der Katasternummer zu nennen, führte bei den einzureichenden Beilagen aber keinen Grundbuchauszug auf. In dieser Situation hätten es Treu und Glauben, aber auch die gerichtliche Fragepflicht geboten, den Gesuchsteller darauf hinzuweisen, der Grundbuchauszug werde als notwendig erachtet. Dass der Einzelrichter das nicht tat, war ein Fehler. Das Abweisen des Gesuches war damit nicht korrekt, und entsprechend können dem Gesuchsteller keine Kosten auferlegt werden.
Soweit es um die Anwendung von Art. 56 ZPO geht, wird freilich auch die Ansicht vertreten, die Fragepflicht könne nicht (mehr) greifen, sobald die sogenannte Novenschranke gefallen ist, eine Partei also von sich aus keine neuen Behauptungen und Beweismittel mehr einbringen darf. Dem ist nicht zu folgen. Gegen die restriktive Auslegung spricht die allgemeine Absicht, das Verfahren wenig formalistisch und damit laienfreundlich zu gestalten (Bot. ZPO S. 7245 und passim).
Im sozusagen prototypischen Fall der gerichtlichen Fragen werden diese zwar in einer Instruktionsverhandlung nach dem ersten Schriftenwechsel gestellt, und dann sind tatsächlich Replik und Duplik mit freiem Vortrag noch offen. Selbst im ordentlichen Verfahren würde damit aber die Möglichkeit einer Ergänzung für die Vorbringen der Parteien im zweiten Schriftenwechsel gänzlich abgeschnitten – und in diesem Stadium können und dürfen ja eben auch völlig neue Punkte eingeführt werden. In einem summarischen Verfahren wie im vorliegenden, wo den Parteien nur ein freier Vortrag zur Verfügung steht, hätte die Fragepflicht überhaupt keinen Anwendungsbereich. Das ist offenbar die Auffassung des Einzelrichters, aber sie kann nach dem Ausgeführten nicht zutreffend sein. Vielmehr soll und muss das Gericht auch in einem solchen Fall mit dem nötigen Augenmass seine Fragepflicht wahrnehmen.
Obergericht Zürich, Urteil PF190060 vom 6.1.2020
Strafprozessrecht
Haftentscheid fehlt: In oberer Instanz heilbar
Wenn ein Strafgericht zu Unrecht neben dem Beschluss auf Anordnung der Verwahrung keinen separaten Haftentscheid fällt und zudem auf ein Haftentlassungsgesuch nicht eintritt, können diese Verfahrensmängel im Rechtsmittelverfahren geheilt werden.
Sachverhalt:
Nach dem Vollzug einer stationären Massnahme wurde der Beschwerdeführer bedingt entlassen. Später beantragte die Sicherheitsdirektion die nachträgliche Verwahrung im selbständigen gerichtlichen Nachverfahren. Der Beschwerdeführer wurde erneut verhaftet. Das Strafgericht sprach am 22. Mai 2019 die Verwahrung aus. Der Inhaftierte focht diesen Beschluss an. Am 19. Juni 2019 stellte er beim Strafgerichtspräsidium zudem ein Haftentlassungsgesuch. Das Gericht trat nicht auf das Haftentlassungsgesuch ein, worauf der Inhaftierte Beschwerde vor dem Appellationsgericht Basel-Landschaft erhob.
Aus den Erwägungen:
2.1 Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerde vom 15. Juli 2019 zunächst geltend, das Vorgehen der Vorinstanz, welche mit Hinweis auf die fehlende aufschiebende Wirkung der Beschwerde auf einen separaten Haftentscheid verzichtet habe, widerspreche zum einen der bekannten eigenen Gerichtspraxis in vergleichbaren Konstellationen, in welchen im Rahmen des gerichtlichen Nachverfahrens ein separater Haftentscheid, der Art. 231 StPO angeglichen sei, erfolge und dementsprechend mit einem ordentlichen Haftverfahren bzw. einer Anhörung zu den Haftgründen einhergehe.
Zum anderen ergäben sich angesichts des Vorgehens der Vorinstanz offensichtliche verfahrensmässige Nachteile für den Beschwerdeführer. Denn nicht nur gehe er eines ordentlichen Haftverfahrens bzw. einer Anhörung zu den Haftgründen verlustig; auch könne er sich gegen den Freiheitsentzug, soweit kein separater, begründeter Haftentscheid vorliege, während Wochen oder Monaten in keiner Weise adäquat zur Wehr setzen. Daher hätte die Vorinstanz zusammen mit ihrem Hauptsachenentscheid einen separaten Haftentscheid fällen müssen, spätestens jedoch im Rahmen des Haftentlassungsgesuchs auf dieses eintreten und materiell darüber befinden müssen.
In einem weiteren Punkt rügt der Beschwerdeführer unter Hinweis auf Art. 5 Ziff. 4 EMRK, Art. 13 EMRK sowie Art. 31 BV die Verletzung bundes- und völkerrechtlicher Vorgaben zur Haftprüfung sowie damit einhergehend den Anspruch auf ein wirksames Beschwerdeverfahren. Auch sieht der Beschwerdeführer im Vorgehen des Strafgerichts eine gravierende Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art.29 Abs. 2 BV (vgl. Ziff. 25 f. der Beschwerde). Schliesslich erachtet der Beschwerdeführer in seinem Eventualstandpunkt die besonderen Haftgründe der Wiederholungs- wie auch der Fluchtgefahr als in casu nicht erfüllt.
3.1 In verfahrensrechtlicher Hinsicht erscheint zunächst im Einklang mit der Rüge des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar, warum die Vorinstanz – entgegen ihrer etablierten Praxis – in casu keinen separaten Haftentscheid neben dem Beschluss vom 22. Mai 2019 betreffend Anordnung der Verwahrung gefällt hat.
Es trifft zu, dass die Art. 363–365 StPO keine spezielle Regelung für die Anordnung und Fortsetzung von Sicherheitshaft in den gerichtlichen Nachverfahren enthalten. Gemäss der konstanten Praxis des Bundesgerichts, auf welche der Beschwerdeführer zutreffend hinweist, basiert die Anordnung und Fortsetzung von strafprozessualer Sicherheitshaft nach Einleitung des Nachverfahrens bis zur Rechtskraft des neuen Massnahmenurteils aber auf den (analog anwendbaren) Bestimmungen von Art. 229–233 i.V.m. Art. 221 und Art. 220 Abs.2 bzw. Art. 226–228 StPO.
Das Bundesgericht hat in mehreren Entscheiden angeregt, dass de lege ferenda detailliertere einschlägige Regeln zur vollzugsrechtlichen Sicherheitshaft aus Gründen der Rechtssicherheit zu wünschen sind
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist absoluter Natur und kann nur ausnahmsweise geheilt werden, sofern die Kognition der Rechtsmittelinstanz nicht eingeschränkt ist, dem Beschwerdeführer kein Nachteil erwächst und seine Parteirechte nicht in besonders schwerwiegender Weise verletzt wurden (BGE 135 I 279, E. 2.6.1; 134 I 140, E.5.5; 126 I 68, E. 2). Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer immerhin anlässlich der ganztätigen Parteiverhandlung vor dem Strafgericht am 21. Mai 2018 in Anwesenheit seines Verteidigers eingehend persönlich befragt werden konnte. Die Befragung erfolgte zwar nicht haftspezifisch, aber dennoch umfassend zur gesamten Thematik der Verwahrung, wobei insbesondere auch der besondere Haftgrund der Rückfallgefahr beleuchtet wurde. Aus den genannten Gründen können die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Heilung der Verletzung des rechtlichen Gehörs als erfüllt betrachtet werden, was eine weitere mündliche Verhandlung, sei dies vor Strafgericht oder vor der Beschwerdeinstanz, entbehrlich macht.
Die in casu seitens des Beschwerdeführers zusätzlich angerufenen Art. 5 EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) und Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) sind somit ebenso wenig als verletzt zu betrachten.
Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass im vorliegenden Fall die Vorinstanz in analoger Anwendung von Art. 231 StPO einen separaten Haftentscheid hätte fällen müssen, dieser Mangel jedoch im Rechtsmittelverfahren ausnahmsweise geheilt werden konnte. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als teilweise begründet und ist daher teilweise gutzuheissen.
3.2 In formeller Hinsicht stellt das Kantonsgericht des Weiteren fest, dass die Vorinstanz zu Unrecht nicht auf das Haftentlassungsgesuch vom 19. Juni 2019 eingetreten ist. Wie ein Blick auf die Chronologie der Abläufe zeigt, wurde dieses Gesuch zu einem Zeitpunkt eingereicht, als dem Beschwerdeführer der Beschluss betreffend die Anordnung der Verwahrung vom 22. Mai 2019 noch gar nicht eröffnet worden war. Dies geschah erst am 20. Juni 2019, weshalb zum Zeitpunkt der Gesuchseinreichung die Verfahrensleitung gemäss Art. 61 StPO klarerweise beim Strafgericht lag und dieses somit – entgegen seiner Auffassung – zur Prüfung des Haftentlassungsgesuchs zuständig war. Das seitens der Vorinstanz aufgestellte formelle «Konstrukt», wonach das materielle Eintreten auf ein Haftentlassungsgesuch im hiesigen Verfahren mit der Gewährung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde in einem anderen Verfahren gleichzusetzen sei, erscheint in dreierlei Hinsicht als untauglich: Nicht nur würde dies zu einer unzulässigen Durchmischung von Verfahren führen, welche – selbst bei gleicher oder vergleichbarer Thematik – rechtlich getrennt voneinander zu behandeln sind.
Vielmehr hätte die Vorinstanz in analoger Anwendung von Art. 228 Abs. 4 StPO den Beschwerdeführer persönlich anhören und danach über das Haftentlassungsgesuch entscheiden müssen. Der Beschwerdeführer hatte auch hierzu weder vor dem Strafgericht noch vor der Beschwerdeinstanz die Gelegenheit. Das Kantonsgericht erachtet daher die entsprechenden Argumente des Beschwerdeführers allesamt als zutreffend.
Es ist demnach festzuhalten, dass die hierfür örtlich, sachlich und insbesondere funktionell zuständige Vorinstanz, wenn schon nicht mit separatem Haftentscheid neben dem Beschluss vom 22. Mai 2019, spätestens auf das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom 19. Juni 2019 hin hätte materiell über die Haft entscheiden müssen. Die Beschwerde erweist sich in dieser Hinsicht als begründet, weshalb sie bezüglich dieser Frage gutzuheissen ist.
3.4 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das Strafgericht zu Unrecht neben dem Beschluss vom 22. Mai 2019 betreffend Anordnung der Verwahrung keinen separaten Haftentscheid gefällt hat und zudem auf das Haftentlassungsgesuch vom 19. Juni 2019 nicht eingetreten ist. Diese Verfahrensmängel können jedoch im vorliegenden Rechtsmittelverfahren geheilt werden.
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Entscheid 470 19 178 vom 13.8.2019
Verwaltungsrecht
Grenzen der Stimmrechtsbeschwerde
Mit der speziellen Stimmrechtsbeschwerde kann nur die unmittelbare Verletzung des Stimm- und Wahlrechts gerügt werden. Dass ein Beschluss des Regierungsrats nicht dem Referendum unterstellt wird, betrifft das Stimmrecht nur indirekt.
Sachverhalt:
Im Amtsblatt vom 3. April 2018 veröffentlichte die Staatskanzlei das Kreisschreiben betreffend kantonale Volksabstimmung vom 10. Juni 2018 über eine Volksinitiative, zwei Kreditbeschlüsse und einen weiteren Beschluss. Mitte Mai 2018 wurde das Abstimmungsmagazin zur Volksabstimmung vom 10. Juni 2018 veröffentlicht. Am 22. Mai 2018 erhob A beim Regierungsrat Abstimmungsbeschwerde bezüglich der Volksabstimmung vom 10. Juni 2018. Er beantragte unter anderem, bei den zuständigen Bundesbehörden abzuklären, ob eine nachträgliche Unterstellung der «Vernehmlassung Tiefenlager» unter das obligatorische Referendum zeitlich noch möglich wäre, und gegebenenfalls die entsprechende Volksabstimmung anzusetzen sowie festzustellen, dass die Nicht-Unterstellung unter das obligatorische Referendum die Abstimmungsfreiheit verletze. Der Regierungsrat überwies die Beschwerde bezüglich dieser Anträge zuständigkeitshalber ans Obergericht. Dieses trat auf die Beschwerde nicht ein.
Aus den Erwägungen:
1.2 Der Beschwerdeführer bezeichnet den Beschluss des Regierungsrats vom 20. März 2018 als Anfechtungsobjekt. Er beanstandet, dass der Regierungsrat die damals verabschiedete Stellungnahme zu Etappe 2 des Sachplans geologische Tiefenlager nicht der Volksabstimmung unterstellt habe. Der Beschwerdeführer habe mit Empfang der Abstimmungsunterlagen am 16. Mai 2018 festgestellt, dass die Volksabstimmung nicht wie erwartet am nächstmöglichen Abstimmungstermin vom 10. Juni 2018 traktandiert worden sei. Hierauf habe er die Abstimmungsbeschwerde fristgemäss erhoben.
Der Regierungsrat macht geltend, er habe am 20. März 2018 sinngemäss angeordnet, dass die Stellungnahme nicht der Volksabstimmung unterstellt werde. Der Beschluss sei im Amtsblatt vom 23. März 2018 öffentlich kommuniziert worden. Seit diesem Datum sei dem Beschwerdeführer bekannt, dass die Stellungnahme nicht der Volksabstimmung unterstellt werde. Mit der Beschwerdeerhebung am 22. Mai 2018 habe er somit die Frist zur Einreichung einer Abstimmungsbeschwerde verpasst.
1.3 Der Regierungsrat hat bei der Überweisung der Sache ans Obergericht auf die Bestimmung zur allgemeinen Verwaltungsgerichtsbeschwerde verwiesen (Art. 44 Abs. 1 lit. a JG). Der Beschwerdeführer ist jedoch der Auffassung, er habe eine Abstimmungsbeschwerde im Sinn von Art. 82 WahlG erhoben, und der Rückgriff auf Art. 44 Abs. 1 lit. a JG sei unnötig; die Beschwerde sei daher nach der praktisch unbegründeten Abweisung durch den Regierungsrat gestützt auf Art 82ter WahlG durch das Obergericht weiterzubehandeln.
Mit der speziellen Stimmrechtsbeschwerde kann grundsätzlich nur die unmittelbare Verletzung des Stimm- und Wahlrechts gerügt werden (vgl. Gerold Steinmann, Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl., Basel 2018, Art. 82 N. 82, S. 1141, m.Hinw.; Bosshart / Bertschi, in: Alain Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, §19 N. 64, S. 494). Die Rüge, ein Beschluss sei zu Unrecht nicht dem Referendum unterstellt worden, betrifft zwar die politischen Rechte. Gleichzeitig geht es auch um eine allfällige Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips und damit eines allgemeinen verfassungsmässigen Grundsatzes. Diese ist aber mit allgemeinen verfassungs- bzw. verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfen zu beurteilen (vgl. BGer 1P.91/2002 vom 26. August 2002, E. 1.3 [in BGE 128 I 327 nicht veröffentlicht]). Dementsprechend sind im Kanton Schaffhausen letztinstanzliche Entscheide kantonaler Verwaltungsbehörden über die Unterstellung unter das Referendum grundsätzlich mit der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar (Arnold Marti, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Schaffhausen, Diss., Zürich 1986, S. 133; vgl. auch OGE 60/1999/46 vom 25. Februar 2000 i.S. M. E. 2b, Amtsbericht 2000, S. 100 ff. [bezüglich Umgehung des Finanzreferendums]). Der Regierungsrat hat daher die Sache zu Recht unter Verweis auf Art. 44 Abs. 1 lit. a JG ans Obergericht überwiesen.
1.4 Der Beschluss des Regierungsrats vom 20. März 2018 war keine formelle Verfügung, d.h. ein individueller, an den Einzelnen gerichteter Hoheitsakt, womit eine konkrete verwaltungsrechtliche Rechtsbeziehung in verbindlicher und erzwingbarer Weise geregelt worden wäre. Die grundsätzliche Anfechtbarkeit ergibt sich vielmehr daraus, dass der Beschwerdeführer gemäss seiner Rüge indirekt in seiner Rechtsstellung, nämlich im Stimmrecht, betroffen war und dazu nicht noch ein förmlicher Entscheid erging bzw. ergehen sollte.
Mangels formeller Eröffnung des Beschlusses begann die Beschwerdefrist zu laufen, als der Betroffene hinreichend sichere Kenntnis vom Beschluss bzw. von dessen Nichtunterstellung unter das Referendum erhalten hatte. Auch wenn aufgrund der Natur des behördlichen Akts keine Rechtsmittelbelehrung angebracht war, musste von einem Stimmbürger, der den Beschluss wegen Stimmrechtsverletzung anfechten wollte, im Interesse der Rechtssicherheit verlangt werden, dass er dies nach Kenntnisnahme unverzüglich, jedenfalls innerhalb der üblichen Rechtsmittelfrist tue Der Beschwerdeführer hat am 22. Mai 2018, d.h. rund zwei Monate nach der Amtsblattpublikation zur fraglichen Stellungnahme und damit erst einige Zeit nach Ablauf der zur Verfügung stehenden Rechtsmittelfrist, Beschwerde wegen Verletzung des Stimmrechts erhoben. Die Eintretensvoraussetzung der Wahrung der Beschwerdefrist muss aber auch dann erfüllt sein, wenn für den Sachentscheid ausnahmsweise kein aktuelles Rechtsschutzinteresse erforderlich sein sollte. Ob hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt, kann somit offenbleiben.
Auf die Beschwerde ist daher mangels fristgerechter Einreichung nicht einzutreten.
Obergericht Schaffhausen, Urteil 60/2018/18 vom 4.1.2019