Familienrecht
Kinder sind ab sechs Jahren anzuhören
Kinder sind zur Frage des Besuchsrechts in der Regel ab sechs Jahren von Amtes wegen persönlich anzuhören. Auch haben die Gerichte jeweils zu prüfen, ob mehrere Jahre zurückliegende Anhörungen noch aktuell sind, hält das Bundesgericht fest.
Sachverhalt:
Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) Dorneck-Thierstein/Thal-Gäu SO verwehrte dem Vater jeglichen persönlichen Verkehr mit seinen beiden Kindern für die Dauer von mindestens zwölf Monaten und sah nur quartalsweise Erinnerungskontakte vor. Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn bestätigte den Entscheid. Vor Bundesgericht verlangte der Vater die Anhörung der Kinder durch eine unabhängige Fachperson und die Ausdehnung des Besuchsrechts auf alle zwei Wochen.
Aus den Erwägungen:
5.1 Nach Ansicht des Beschwerdeführers verstösst die Vorinstanz weiter gegen Art. 314a ZGB sowie Art. 12 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes, indem sie seinen Antrag auf Anhörung der Kinder durch eine unabhängige Fachperson abgewiesen hat.
Die Kindesanhörung wird für das Verfahren vor der Kindesschutzbehörde in Art. 314a ZGB geregelt. Diese Bestimmung konkretisiert die entsprechenden Ansprüche gemäss Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 12 KRK. Die Anhörung des Kindes ist zum einen Ausfluss seiner Persönlichkeit und dient zum anderen der Sachverhaltsfeststellung. Nach der Rechtsprechung ist die Anhörung im Sinn einer Richtlinie ab dem vollendeten sechsten Altersjahr möglich, wobei es nicht ausgeschlossen ist, je nach den konkreten Umständen auch ein etwas jüngeres Kind anzuhören, etwa wenn bei Geschwistern das jüngere Kind kurz vor dem genannten Schwellenalter steht (BGE 131 III 553, E. 1.2.3).
Während bei älteren Kindern der persönlichkeitsrechtliche Aspekt im Vordergrund steht und das Kind ein eigenes Mitwirkungsrecht hat, ist die Anhörung bei kleineren Kindern im Sinne eines Beweismittels zu verstehen, weshalb die Eltern die Anhörung des Kindes als solches beantragen können (BGE 131 III 553, E. 1.1). Die Anhörung findet jedoch grundsätzlich unabhängig von Anträgen, d.h. von Amtes wegen statt. Soweit entsprechende Anträge vorhanden sind, besteht unter Vorbehalt der vom Gesetz genannten wichtigen Gründe umso mehr eine Verpflichtung zur Durchführung der Anhörung (BGE 131 III 553, E. 1.2 und 1.4; zum Ganzen: Urteil 5A_809/2018 vom 18. Dezember 2019, E. 3.3 mit zahlreichen Hinweisen).
Eine mehrmalige Anhörung kann dort unterbleiben, wo sie einzig um der Anhörung willen stattfände, namentlich wenn sie für das Kind eine unnötige Belastung bedeuten würde, wie etwa bei akuten Loyalitätskonflikten, und überdies keine neuen Erkenntnisse zu erwarten wären. Um eine solche Anhörung um der Anhörung willen zu vermeiden, besteht die Pflicht, ein Kind anzuhören, in der Regel nur einmal im Verfahren, und zwar grundsätzlich nicht nur auf die einzelne Instanz gesehen, sondern einschliesslich Instanzenzug.
Ein Verzicht auf eine erneute Anhörung setzt allerdings voraus, dass das Kind zu den entscheidrelevanten Punkten befragt worden und das Ergebnis der Anhörung noch aktuell ist (zum Ganzen Urteile 5A_914/2018 vom 18. Dezember 2019, E. 3.3.1; 5A_721/2018 vom 6. Juni 2019, E. 2.4.1; je mit zahlreichen Hinweisen). Sind die Voraussetzungen für die Anhörung eines Kindes gegeben, so lässt diese sich nicht durch eine antizipierte Beweiswürdigung umgehen (Urteil 5A_70/2017 vom 11. September 2017, E. 4.2 mit Hinweisen).
5.2 Das Verwaltungsgericht hält fest, Kind C. sei (einzig) vor etwas mehr als vier Jahren im Rahmen einer Begutachtung und Kind D. gar nie durch die Behörden angehört worden. Dennoch habe die Sichtweise der Kinder zur konkreten Fragestellung des Besuchsrechts detailliert Eingang in das Verfahren gefunden. Es sei denn auch nicht strittig, dass die Kinder den Vater gern öfter und unbegleitet sehen würden. Damit würde eine Anhörung bloss um der Anhörung willen erfolgen, was gerade im vorliegenden Fall, wo der Loyalitätskonflikt der Kinder zentral sei, nicht zum Wohl der Kinder wäre. Eher gegen eine Anhörung spreche auch, dass die Fähigkeit zur autonomen Willensbildung bei Kindern erst etwa ab dem 12. Altersjahr vorhanden sei. Die Nichtanhörung verletze damit weder die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung noch das Mitwirkungsrecht der Kinder.
5.3 Wie der Beschwerdeführer richtig vorbringt, wendet das Verwaltungsgericht die massgebenden Grundsätze fehlerhaft an: Mit Blick auf das Alter der Kinder, die im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils rund sieben bzw. elf Jahre alt waren, war das Verwaltungsgericht grundsätzlich gehalten, diese von Amtes wegen anzuhören. Dazu hat umso mehr Anlass bestanden, als ein entsprechender Antrag vorliegt.
Entgegen der Vorinstanz liegt sodann kein Grund vor, um (ausnahmsweise) auf die Anhörung zu verzichten. Vorab darf diese nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, der Standpunkt der Kinder habe bereits Eingang in das Verfahren gefunden, worin eine antizipierte Beweiswürdigung liegt. Damit braucht auch nicht geprüft zu werden, ob die in diesem Zusammenhang getroffene Feststellung zutrifft, wonach die Kinder sich zur Frage des Besuchsrechts bereits in das Verfahren haben einbringen können. Unbestritten ist die Tochter im laufenden Verfahren sodann noch gar nicht und der Sohn nur einmal vor vier Jahren angehört worden. Mit Blick auf das Alter des Jungen (ca. elf Jahre im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids) kann keine Rede davon sein, dass seine Anhörung heute noch aktuell ist (vgl. BGE 133 III 553, E. 5; Urteil des Bundesgerichts 5A_266/2017 vom 29. November 2017, E. 6.3 [beide betreffend Gutachten]).
Eine (aktuelle) Anhörung der Kinder hat damit nicht stattgefunden. Die beantragte Anhörung lässt sich folglich auch nicht gestützt auf die Rechtsprechung ausschliessen, wonach zur Vermeidung unzumutbarer Belastungen Anhörungen um der Anhörung willen zu vermeiden sind. Nach dem Ausgeführten liegen heute andere Verhältnisse vor, als dies bei Ausfällung des Urteils 5A_457/2017 vom 4. Dezember 2017 der Fall war. Dort hielt das Bundesgericht noch fest, der Verzicht auf die Anhörung der Tochter sei nicht zu beanstanden, da diese noch nicht einmal fünf Jahre alt sei.
Die vom Sohn anlässlich seiner Anhörung getätigten Aussagen seien ebenfalls noch aktuell (E. 4.1.2). An dieser Beurteilung kann heute nicht mehr festgehalten werden, weshalb die Kindsmutter sich vergeblich auf dieses Urteil beruft. Sofern vorliegend überhaupt zu berücksichtigen (vgl. vorne E. 1.4), bleibt zuletzt auch der Hinweis auf eine offenbar ausserhalb des laufenden Verfahrens vorgenommene und nicht weiter dokumentierte Anhörung der Kinder durch die Beiständin unbehelflich (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_411/2014 vom 3. Februar 2014, E. 2.2; vgl. auch Urteil 5A_575/2017 vom 17. August 2017, E. 2.3).
5.4 Der Beschwerdeführer legt sodann nicht weiter dar, weshalb das Verwaltungsgericht die Anhörung nicht sollte durchführen können. Die Angelegenheit ist daher zur Anhörung der Kinder und zum erneuten Entscheid an dieses zurückzuweisen.
Bundesgericht, Urteil 5A_723/2019 vom 4.5.2020
Beiständin durfte sich auf beigezogene Anwältin verlassen
Schliesst eine Beiständin für die verbeiständete Person einen gerichtlichen Vergleich ab und ist sie im Gerichtsprozess durch eine Anwältin vertreten, kommt der Kesb eine eingeschränkte Prüfpflicht zu. Sie hat erst dann die Zustimmung zu verweigern, wenn die Vereinbarung offensichtlich gegen die Interessen der verbeiständeten Person verstossen würde.
Sachverhalt:
Eine Bauerntochter verklagte vor dem Regionalgericht ihre betagte Mutter auf 83 000 Franken. Im Prozess schliesst die Beiständin der Mutter einen Vergleich ab. Dann aber stellen sich die Geschwister quer und ziehen den Fall ans Obergericht. Ihr Einwand: Die Beiständin habe kein Recht gehabt, den Vergleich abzuschliessen.
Das Obergericht sieht es freilich anders: Weil die Beiständin im Gerichtsprozess eine Anwältin beigezogen hatte, kommt der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) eine eingeschränkte Prüfpflicht zu. Die Kesb als Fachverwaltungsbehörde darf sich auf die Einschätzung einer juristischen Fachperson verlassen, insbesondere da die Anwältin auftragsrechtlich und standesrechtlich zur Interessenwahrung ihrer Klientin verpflichtet ist und zusätzlich der Anwaltsaufsichtsbehörde untersteht. Sie hat erst dann die Zustimmung zu verweigern, wenn die Vereinbarung offensichtlich gegen die Interessen der verbeiständeten Person verstossen würde.
Aus den Erwägungen:
5.2 Die Mutter und die Tochter haben anlässlich der Verhandlung vor erster Instanz einen gerichtlichen Vergleich abgeschlossen. Darin hat sich die Mutter verpflichtet, «in Verrechnung mit einem anerkannten Lidlohnanspruch» ihre landwirtschaftlichen Grundstücke auf die Tochter zu übertragen. Die Mutter war jedoch von der persönlichen Teilnahme an der Verhandlung dispensiert und wurde vertreten durch ihre Beiständin sowie Rechtsanwältin L., welche von Fürsprecher und Notar K. substituiert worden war. In der vorliegenden Konstellation hat die Beiständin somit nicht alleine gehandelt, sondern wurde an der Verhandlung durch eine juristische Fachperson unterstützt und beraten. Die Anwältin ist zur Interessenwahrung ihrer Klientin verpflichtet, dies sowohl auftragsrechtlich wie auch standesrechtlich. Zudem untersteht sie der Anwaltsaufsichtsbehörde.
Unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei der Kesb um eine Fachverwaltungsbehörde in Angelegenheiten des Kindes- und Erwachsenenschutzes und nicht um ein Gericht handelt, durfte die Kesb der Einschätzung der Prozesschancen durch die Anwältin vertrauen, welche wie gesehen zur vollumfänglichen Interessenwahrung ihrer Klientin verpflichtet ist. Die Prüfungspflicht der Kesb geht in solchen Fällen weniger weit, als wenn die Beiständin alleine dem Vergleich zugestimmt hätte, namentlich führt sie nicht zu einer Verpflichtung der Kesb, in solchen Fällen Gerichtsakten detailliert zu studieren und gar eine eigene Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung vorzunehmen, um schliesslich die eigene Einschätzung der Prozesschancen an die Stelle der Anwältin zu setzen. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde hat in solchen Fällen somit eine eingeschränktere Prüfpflicht und hat erst dann die Zustimmung zu verweigern, wenn die Vereinbarung offensichtlich gegen die Interessen der verbeiständeten Person verstossen würde.
Beim Kindes- und Erwachsenenschutzgericht (KESGer) als Rechtsmittelinstanz handelt es sich zwar um ein Gericht, doch kann die Kognition in oberer Instanz nicht weiter gehen als jene der ersten Instanz, weshalb vorliegend auch das KESGer lediglich eine eingeschränkte Prüfpflicht hat.
5.3 In ihrem Bericht vom 11. November 2019 legt Rechtsanwältin L. dar, gestützt auf welche Überlegungen sie den Abschluss des Vergleichs unterstützen konnte. Sie weist darauf hin, dass die Zeugenaussagen der Geschwister unter Berücksichtigung des Familienkonflikts zu würdigen gewesen seien und daher den Aussagen der übrigen Zeugen (ein früherer Bewirtschafter und ein Nachbar) ein höherer Beweiswert zugekommen sei, was auch der Gerichtspräsident anlässlich der Vergleichsverhandlungen habe durchblicken lassen. Eine Mitarbeit der Beschwerdegegnerin im elterlichen Betrieb sei im Grundsatz erwiesen gewesen.
5.4 Diese Ausführungen sind für das KESGer nachvollziehbar. Was den Verkehrswert der Grundstücke anbelangt, bleiben sodann die Ausführungen der Beschwerdeführer unbestimmt. Für das KESGer ist daher nicht offensichtlich, dass durch einen Verkauf an Dritte respektive an die Vorkaufsberechtigten die Verbeiständete finanziell besser dastehen würde. Überdies liegt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer keine vollumfängliche Anerkennung der eingeklagten Lidlohnforderung von insgesamt 83 750 Franken vor. In der Vereinbarung wird an keiner Stelle die anerkannte Lidlohnforderung beziffert.
Im Kaufvertrag, mit welchem die Vereinbarung umgesetzt wurde, legten die Parteien den Kaufpreis der Grundstücke auf insgesamt 51 950 Franken fest. Unter den Zahlungsmodalitäten wird ausgeführt, dass die Kaufpreisforderung im Umfang von 10 000 Franken durch Übernahme der Hypothek getilgt wird und im Umfang von 41 950 Franken «der gesamte zwischen den Parteien bestehende Lidlohnanspruch der Käuferin per Saldo aller Ansprüche zur Verrechnung gebracht» wird (Ziff. III.2.b des Kaufvertrages). Die Parteien kamen somit überein, dass ein Lidlohn von 41 950 Franken – und damit rund die Hälfte der eingeklagten Forderung – geschuldet sei. Unter diesem Aspekt liegt ebenfalls keine offensichtliche Verletzung der Interessen der Betroffenen vor.
6. Mit dem abgeschlossenen Vergleich vom 17. Oktober 2018 und dem den Vergleich umsetzenden Kaufvertrag vom 17. April 2019 wurden somit die Interessen der Verbeiständeten gewahrt. Es ist folglich nicht zu beanstanden, dass die Kesb diese Geschäfte genehmigt hat. Entsprechend ist die Beschwerde abzuweisen.
Obergericht Bern, Urteil KES 2019 461 vom 24.1.2020
Arbeitsrecht
Fristlose Entlassung nach unzulässigem Privatbezug zulässig
Angestellte müssen belegen können, dass ihre mit der Kreditkarte des Arbeitgebers getätigten Auslagen geschäftlich bedingt sind. Sonst liegt ein wichtiger Grund für eine fristlose Entlassung im Sinne von Artikel 337 OR vor.
Sachverhalt:
Der Ex-Finanzchef eines Lifestylemagazins verfügte über eine Firmenkreditkarte. Er verwendete sie für Geschäftsausgaben, aber auch für Privatbezüge. Der Arbeitgeber entliess den Angestellten fristlos und forderte von ihm knapp 29 000 Franken zurück.
Aus den Erwägungen:
II/1.2.2 Der Kläger machte vor Vorinstanz geltend, die Beklagte habe ihm Ende Juli 2015 die Erlaubnis erteilt, die Firmenkreditkarte für einen privaten Flug nach Neapel und darüber hinaus auch in Zukunft für private Zwecke zu verwenden, falls er die bezogenen Beträge in der Buchhaltung ausweise und zeitnah zurückzahle. Die Beklagte hielt dem entgegen, der Kläger habe ihr im August 2015 mündlich mitgeteilt, dass er mit der Firmenkreditkarte einen Flug nach Neapel für 316 Franken gebucht habe und sich diesen Betrag vom Lohn abziehen werde; er habe ihm dann ausdrücklich mitgeteilt, dass dies nicht gewünscht sei. Er müsse diese Zahlung in der Buchhaltung aussondern und private Zahlungen mit der Kreditkarte unterlassen. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger einen Grossteil seiner privaten Auslagen in einschlägigen Etablissements tätigte, qualifizierte die Vorinstanz die Version des Klägers als Schutzbehauptung, die nicht rechtsgenügend substanziiert und überdies nicht mit Beweismitteln untermauert worden sei. Erschwerend komme hinzu, dass die Flugbuchung erst am 8. August 2015 getätigt worden sei, der Kläger die Kreditkarte bis zu diesem Datum aber bereits dreimal für Privatzwecke verwendet habe. Die Behauptung des Klägers, dass er willens und in der Lage gewesen sei, die Privatbezüge zurückzuzahlen, taxierte die Vorinstanz angesichts der Höhe der vorgenommenen Belastungen, der getätigten Lohnabzüge von insgesamt 1550 Franken und allfälligen Boni als haltlos. Die Behauptung des Klägers, sein Grossvater hätte ihm im Notfall einen Erbvorbezug gewährt, sei angesichts des Privatkonkurses vom 9. Juli 2015 weder glaubhaft noch substanziiert. Damit fehle ein ausdrückliches Einverständnis der Beklagten zur Verwendung der Geschäftskreditkarte für private Belange.
1.2.3 Die Vorinstanz untersuchte sodann, ob die privaten Bezüge des Klägers durch konkludentes Verhalten der Beklagten genehmigt wurden. Sie kam zum Schluss, dass weder dargetan sei, dass die Beklagte die Flugbuchung im Nachhinein genehmigt habe, noch davon ausgegangen werden könne, dass die Beklagte mit einer nachträglichen Genehmigung des Fluges auch den übrigen privaten Gebrauch der Kreditkarte erlaubt habe.
IV/4.5.1 Im Zusammenhang mit der behaupteten konkludenten Genehmigung rügt der Kläger mit der Berufung mit keinem Wort, die Vorinstanz habe prozesskonform beantragte Beweismittel übergangen. Den Begründungsanforderungen wird nicht Genüge getan, wenn der Kläger wie in einem erstinstanzlichen Verfahren nach seinen Ausführungen und Rügen einfach Beweisanträge stellt, ohne darauf einzugehen, wo er bereits vor Vorinstanz die nunmehr angerufenen Beweismittel zu welchen Tatsachenbehauptungen anrief. Es ist nicht Sache der Berufungsinstanz, durch ein eingehendes Aktenstudium anstelle des Klägers herauszufiltern, welchen Beweisanträgen die Vorinstanz allenfalls nicht entsprochen hat.
4.5.2 Damit ist die Vorinstanz zu Recht zum Ergebnis gelangt, es habe auch kein konkludentes Einverständnis der Beklagten für die Privatbezüge des Klägers mit der Geschäftskreditkarte vorgelegen.
4.7.2 Die Vorinstanz hat sich zur Beweislast nicht explizit geäussert, einen wichtigen Grund indes bejaht und somit den Kläger im Ergebnis die Folgen des (nicht bewiesenen) Einverständnisses der Beklagten tragen lassen. Daran ist nichts auszusetzen. Grundsätzlich trägt der Kündigende die Beweislast für die wichtigen Gründe, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen können.
Vorliegend hat der Kläger die Geschäftskreditkarte für private Zwecke verwendet und dadurch Zahlungen der Beklagten für geschäftsfremde Aufwendungen erwirkt, was von der Beklagten zu beweisen war. Eine Veruntreuung, wie die Vorinstanz feststellte, stellt eine widerrechtliche Handlung dar. Ein Ausschluss der Widerrechtlichkeit resp. Entlastungsgründe sind rechtshindernder Natur und müssen vom Schädiger und daher vom Gekündigten bewiesen werden. Der fehlende Nachweis der Einwilligung bzw. Genehmigung schlägt daher zulasten des Klägers aus. Mit der Vorinstanz ist ein wichtiger Grund im Sinne von Art. 337 OR zu bejahen.
9.4 Der Kläger dringt mit seiner Kritik nicht durch. Soweit die Widerklage gutgeheissen wurde, ist das vorinstanzliche Urteil zu bestätigen.
V/6. Die Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger die Ausgaben nur rudimentär umschrieb. Daran ändern auch die zum Beweis angerufenen «Buchhaltungsunterlagen betreffend Spesen im Zeitraum zwischen November 2015 und Februar 2016» nichts. Die angeblich gekauften Gegenstände wären allenfalls zusammen mit den Kaufquittungen ausreichend umschrieben. Seine in der Anschlussberufungsantwort aufgestellte Behauptung, er habe der Beklagten für sämtliche Ausgaben Belege unterbreitet und sämtliche Belege und Spesenabrechnungen würden sich bei der Beklagten befinden, ist indes neu, im Lichte von Art. 317 ZPO verspätet und damit unzulässig.
Die Beklagte hatte bereits in der Klageantwort/Widerklagebegründung bemängelt, dass seitens des Klägers nicht einmal behauptet werde, dass Belege existieren würden. Der Kläger widersprach dem in der Replik/Widerklageantwort und Widerklageduplik nicht. Dass die Vorinstanz in diesem Zusammenhang sein Recht auf Beweis verletzt habe, macht der Kläger nicht geltend.
7. Der Kläger vermag nach dem Gesagten nicht darzutun, dass die fünf Belastungen Arbeitsauslagen darstellen. Er hat diese Beträge von total Fr. 1190.60 der Beklagten zurückzuerstatten. Die Anschlussberufung ist demnach gutzuheissen und der Kläger zu verpflichten, der Beklagten Fr. 27 502.15 netto zuzüglich 5 Prozent Zins seit dem 14. März 2016 zu bezahlen.
Obergericht Zürich, Entscheid LA180021 vom 5.8.2019
Strafprozessrecht
Rechtsverweigerung durch Hinhalten mit Urteilsbegründung
Es verstösst gegen das Beschleunigungsgebot der Strafprozessordnung, wenn ein Gericht länger als 180 Tage zur Begründung eines Urteils benötigt. Überlastung und strukturelle Mängel vermögen den Vorwurf der Rechtsverzögerung und verweigerung nicht zu entkräften.
Sachverhalt:
Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland verurteilte den Beschwerdeführer am 26. August 2019 wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Weil ihm aber auch nach sechs Monaten immer noch keine schriftliche Begründung zugestellt wurde, gelangte er mit einer Rüge wegen Rechtsverzögerung ans Obergericht. Es handle sich um einen unkomplizierten Fall. Das Obergericht stimmte ihm zu und forderte die untere Instanz auf, die schriftliche Urteilsbegründung «unverzüglich fertigzustellen».
Aus den Erwägungen:
5.1 In ihrem Beschluss kam die Beschwerdekammer in Strafsachen zum Schluss, dass im Zeitpunkt der ersten Beschwerde des Beschwerdeführers vom 15. Dezember 2019 noch keine Verletzung des Beschleunigungsgebots vorgelegen habe.
Die vom Regionalgericht in Aussicht gestellte Frist für die Fertigstellung des Motivs bis Ende März 2020 erachtete die Beschwerdekammer indes als zu lang. Dies namentlich deshalb, weil das Dossier, wie vorliegend auch vom Beschwerdeführer vorgebracht, keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Natur bietet. Weiter führte die Beschwerdekammer aus, das Regionalgericht habe trotz seiner bekannten hohen Arbeitsbelastung prinzipiell sicherzustellen, dass Urteilsmotive allerspätestens nach der doppelten Zeit der Ordnungsfrist im Sinne von Art. 84 Abs. 4 StPO (also nach 180 Tagen) vorliegen würden. Ansonsten setze es sich dem Vorwurf der Rechtsverzögerung aus. Vor diesem Hintergrund kam die Beschwerdekammer zum Schluss, dass die Feststellung einer Rechtsverzögerung denkbar sei, sollte das Regionalgericht die fragliche Urteilsbegründung nicht bis Ende Februar 2020 versendet haben.
5.2 Zu den gesetzlichen Voraussetzungen hielt die Beschwerdekammer damals folgendes fest (E. 5.1): «Gemäss Art. 29 Abs. 1 der Schweizerischen Bundesverfassung (BV; SR 101) hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist (Beschleunigungsgebot/Verbot der Rechtsverzögerung). Derselbe Anspruch ergibt sich in zivilrechtlichen Streitigkeiten und Strafsachen aus Art. 6 Ziff. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; SR 0.101). Überdies konkretisiert Art. 5 StPO das Beschleunigungsgebot für das Strafrecht. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung nehmen die Strafbehörden die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und bringen sie ohne Verzögerung zum Abschluss.
Rechtsverzögerung liegt vor, wenn eine Behörde nicht innerhalb angemessener Zeit tätig wird. Die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer entzieht sich starren Regeln. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich die Dauer unter den konkreten Umständen als angemessen erweist. Der Streitgegenstand und die damit verbundene Interessenlage können raschere Entscheide erfordern oder längere Behandlungsperioden erlauben. Entscheidend sind weiter der Umfang und die Komplexität der aufgeworfenen Sachverhalts- und Rechtsfragen.
Kriterien für die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Rahmen von Strafverfahren bilden etwa die Schwere des Tatvorwurfs, die Komplexität des Sachverhalts, die dadurch gebotenen Untersuchungshandlungen, das Verhalten der beschuldigten Person und dasjenige der Behörden (z.B. unnötige Massnahmen oder Liegenlassen des Falls) sowie die Zumutbarkeit für die beschuldigte Person. Strafverfahren sind zügig voranzutreiben, um die beschuldigte Person nicht unnötig über die gegen sie erhobenen Vorwürfe im Ungewissen zu lassen.
Eine Rechtsverzögerung liegt insbesondere vor, wenn die Behörde im Verfahren über mehrere Monate hinweg untätig gewesen ist (Wolfgang Wohlers, in: Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2014, N. 9 zu Art. 5 StPO; Sarah Summers, in: Basler Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014, N. 14 zu Art. 5 StPO), mithin das Verfahren resp. der Verfahrensabschnitt innert wesentlich kürzerer Zeit hätte abgeschlossen werden können (vgl. Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern BK 19 460 vom 5. Dezember 2019, E. 5.1).
Ob die Verletzung des Beschleunigungsgebots einem Mitglied der Strafbehörden zum persönlichen Verschulden gereicht oder nicht, ist unerheblich. Überlastung und strukturelle Mängel vermögen nicht vor dem Vorwurf der Rechtsverzögerung und -verweigerung zu bewahren. Hingegen kann eine unvorhergesehene und vorübergehende Abwesenheit z.B. wegen Krankheit – im Gegensatz zu einem strukturellen Personalmangel – eine Verfahrensverzögerung entschuldigen (Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern BK 15 301 vom 21. Dezember 2015, E. 5.3; Wolfgang Wohlers, a.a.O., N. 10 zu Art. 5 StPO; Andreas Müller, Rechtlicher Rahmen für die Geschäftslastbewirtschaftung in der Schweizerischen Justiz, Diss. Bern 2015, Rz. 257). Eine hohe Geschäftslast mit prioritär zu behandelnden Haftfällen ist bei der Beurteilung angemessener Verfahrensdauer auch zu berücksichtigen (Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern BK 17 373 vom 26. Oktober 2017).»
5.1 Inzwischen ist die bis Ende Februar 2020 dauernde Frist für die Ausfertigung des Motivs erfolglos verstrichen. Eine Nachfrage beim Regionalgericht vom 9. März 2020 hat ergeben, dass die schriftliche Urteilsbegründung noch in Bearbeitung und daher noch nicht verschickt worden sei. Dies scheint unverständlich, hätte die Vorinstanz inzwischen doch genügend Zeit gehabt, um für die Fertigstellung des Motivs besorgt zu sein und sich entsprechend zu organisieren.
Eine allfällige Überlastung des zuständigen Gerichtsschreibers vermag sie nicht von solchen Vorkehrungen zu entbinden. Im Beschluss BK 20 89 vom 5. März 2020 wurde sie zudem aufgefordert, die schriftliche Urteilsbegründung unverzüglich fertigzustellen. Dieser Aufforderung ist sie bisher nicht nachgekommen. Demnach erweist sich der Vorwurf der Rechtsverzögerung als berechtigt.
5.2 Nach dem Gesagten ist die Rechtsverweigerungs- respektive Rechtsverzögerungsbeschwerde gutzuheissen.
Obergericht Bern, Urteil BK 2020 101 vom 12.3.2020
Ganzes Gericht befangen – neuer Gerichtsstand nötig
Ein Strafverfahren ist einem anderen erstinstanzlichen Gericht zuzuweisen, wenn es sich zur Wahrung der Verfahrensrechte einer Partei als notwendig erweist. Das gilt insbesondere zur Wahrung des Anspruchs auf einen unabhängigen Richter und ein faires Verfahren.
Sachverhalt:
Nach Anklageerhebung am Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland kam es zu Ausstandsgesuchen gegen zwei Richter und zwei Gerichtsschreiberinnen. Die Anklagekammer versetzte alle vier Personen in den Ausstand. Die übrige Gerichtsbesetzung, welche an der Hauptverhandlung und dem eröffneten erstinstanzlichen Entscheid beteiligt war, konnte ebenfalls – wegen Vorbefassung – nicht mehr an einer neuen Hauptverhandlung und einem neuen Entscheid mitwirken.
Aus den Erwägungen:
II.2.a) Die Beschwerdeinstanz kann zur Wahrung der Verfahrensrechte einer Partei auf deren Antrag oder von Amtes wegen nach Erhebung der Anklage die Beurteilung einer Strafsache in Abweichung der gesetzlichen Gerichtsstandsvorschriften einem anderen sachlich zuständigen erstinstanzlichen Gericht des Kantons zur Beurteilung überweisen (Art. 38 Abs. 2 StPO). Im Kanton St. Gallen ist die Anklagekammer Beschwerdeinstanz (Art. 17 EG-StPO) und sie ist demnach für die Bestimmung eines abweichenden Gerichtsstands nach Anklageerhebung zuständig.
c) Bereits aufgrund der (dargestellten aussergewöhnlichen) Häufung, aber auch aufgrund der jeweiligen Gründe bei den von Ausstandsgesuchen betroffenen Personen am Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland kann – zumal für die Parteien, namentlich für die Beschuldigten – durchaus der Eindruck entstehen, dass das örtlich eigentlich zuständige Kreisgericht in vorliegender Sache kein faires Verfahren vor einem unabhängigen Richter zu gewährleisten vermag. Dafür sind die festgestellten Ausstände und Verfahrensfehler zwischenzeitlich zu häufig und – zumal in ihrer Gesamtheit – zu gravierend.
d) Aufgrund dieser Gesamtumstände erscheint das gesamte Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland in dieser Sache als nicht (mehr) unbefangen. Der Anspruch der Parteien, insbesondere auch der Beschuldigten, auf ein faires Verfahren erscheint insgesamt jedenfalls gefährdet. Dementsprechend ist für den Fall ein anderer Gerichtsstand zu bestimmen.
4.a) Die Anklagekammer hat in ihrem Schreiben vom 16. September 2019 bereits angekündigt, dass – falls ein abweichender Gerichtsstand bestimmt wird – geplant sei, das gesamte Wirtschaftsstrafverfahren an das Kreisgericht St. Gallen zur Beurteilung zu überweisen.
b) Für das Kreisgericht St. Gallen sprechen im Wesentlichen seine räumliche Distanz zu den zu beurteilenden Sachverhalten, seine Grösse sowie insbesondere auch die (im Vergleich zu den übrigen Kreisgerichten tiefere) Gesamtbelastung. Ein grosses Gericht wie das Kreisgericht St. Gallen mit entsprechend insbesondere auch personellen Ressourcen kann einen Fall wie den vorliegenden fraglos besser auffangen bzw. die (übrige ordentliche) Geschäftslast besser auf die einzelnen Richter verteilen als ein kleines Gericht. Dazu kommt schliesslich auch eine gute Erreichbarkeit des Gerichtes für sämtliche Parteien (und, soweit vorhanden, für deren Anwälte).
c) Insgesamt ist das Verfahren somit vom Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland an das Kreisgericht St. Gallen zu überweisen. Auf die Erhebung von Kosten wird hinsichtlich der Bestimmung eines anderen Gerichtstandes praxisgemäss verzichtet.
Kantonsgericht St. Gallen, Urteil AK.2019.349 vom 13.11.2019
Verwaltungsrecht
Wahlvorschlag ist ein anfechtbarer Realakt
Nach der Auffassung des Bundesrats ist Völkerrecht dem öffentlichen Recht des Bundes zuzurechnen, soweit es nicht Normen des Zivil- oder Strafrechts enthält. Konkret stellt der Wahlvorschlag der Bundesverwaltung für Ausschüsse des Europarats einen anfechtbaren Realakt im Sinn von Artikel 25a VwVG dar.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin bewarb sich neben drei weiteren Kandidaten als Expertin für die Schweiz im beratenden Ausschuss für das Rahmenabkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten. Das EDA empfahl dem Europarat jedoch eine andere Person zur Wahl. Die Beschwerdeführerin klagte auf die Feststellung, dass das EDA mit seinem Wahlvorschlag widerrechtlich gehandelt habe.
Aus den Erwägungen:
II/1. Für die Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen der Departemente auf dem Gebiet der inneren und äusseren Sicherheit des Landes, der Neutralität, des diplomatischen Schutzes und der übrigen auswärtigen Angelegenheiten ist nach Art. 72 Bst. a und Art. 73 Bst. a VwVG der Bundesrat zuständig, soweit das Völkerrecht nicht einen Anspruch auf gerichtliche Beurteilung einräumt.
1.1 Das Bundesverwaltungsgericht erachtete in seinem Entscheid vom 25. Juni 2019 den Wahlvorschlag des EDA vom 22. Januar 2018 als «übrige auswärtige Angelegenheit» und verneinte einen völkerrechtlichen Anspruch der Beschwerdeführerin auf gerichtliche Beurteilung (E. 2.5 und 2.6). Gestützt auf Art. 32 Abs. 1 Bst. a VGG trat es deshalb nicht auf die Beschwerde ein. Die Beschwerdeführerin verzichtete darauf, gegen die Anwendung dieses Ausnahmetatbestands beim Bundesgericht Beschwerde zu erheben.
1.2 Der Bundesrat prüft seine Zuständigkeit von Amtes wegen (Art. 7 Abs. 1 VwVG). Wie das Bundesverwaltungsgericht in Erwägung 2.5.1 seines Entscheids vom 25. Juni 2019 ausführt, ist der Begriff der «übrigen auswärtigen Angelegenheiten» in Art. 83 Bst. a BGG, Art. 32 Abs. 1 Bst. a VGG und Art. 72 Bst. a VwVG vor dem Hintergrund der Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) restriktiv auszulegen. Die sachliche Zuständigkeit des Bundesrates und damit der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung setzen voraus, dass die angefochtene Verfügung nicht nur eine Materie nach Art. 72 Bst. a VwVG betrifft, sondern auch überwiegend auf politischen Erwägungen beruht. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass es sich bei der Bestimmung der Personen, die in den Wahlvorschlag vom 22. Januar 2018 aufgenommen worden sind, um eine auswärtige Angelegenheit mit überwiegend politischem Charakter handle. Dieser Entscheid ist unangefochten geblieben und rechtskräftig geworden. Unter diesen Umständen erachtet sich der Bundesrat als sachlich zuständig, die Beschwerde gegen die Verfügung des EDA vom 18. September 2018 zu beurteilen. Würde er seine Zuständigkeit ebenfalls verneinen, so würde der Beschwerdeführerin der verfassungsmässig garantierte Rechtsschutz verweigert (Art. 177 Abs. 3 BV).
4. Streitgegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob das EDA in der angefochtenen Verfügung auf das Gesuch der Beschwerdeführerin um Erlass einer Verfügung nach Art. 25a VwVG zu Recht nicht eingetreten ist.
4.1 Die Beschwerdeführerin stellte in ihrem Gesuch vom 6. April 2018 das Begehren, dass die Widerrechtlichkeit des Wahlvorschlags des EDA vom 22. Januar 2018 festzustellen sei. Als «Handlungen», die Anlass zu einem Begehren nach Art. 25a VwVG geben können, kommt das ganze Spektrum der verfügungsfreien Verwaltungs- oder Staatshandlungen in Betracht. Die rechtsschutzwürdigen Handlungen können nicht mit Hilfe einer Typologie herausgefiltert werden. Diese Aufgabe müssen andere Elemente im Tatbestand von Art. 25a VwVG übernehmen. Da der Wahlvorschlag des EDA vom 22. Januar 2018 an den Generalsekretär des Europarates nicht die Merkmale einer Verfügung aufweist, fällt er unter Art. 25a VwVG. Daran ändert entgegen den Ausführungen des EDA nichts, dass der Wahlvorschlag im Rahmen eines Wahl- und Ernennungsverfahrens nach RÜ erging. Ob ein Anspruch auf Erlass einer Verfügung besteht, ist aufgrund der weiteren Kriterien dieser Bestimmung zu prüfen.
4.2 Das EDA macht geltend, der Wahlvorschlag vom 22. Januar 2018 stütze sich ausschliesslich auf Völkerrecht. Damit fehle es an einer Handlung, die sich gemäss Art. 25a Abs. 1 VwVG auf öffentliches Recht des Bundes stützt. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Der Begriff «öffentliches Recht des Bundes» dient in Art. 25a VwVG – gleich wie in Art. 5 VwVG – der Abgrenzung der Zuständigkeit der Bundesverwaltungsbehörden von der Zivil- und Strafrechtspflege und der kantonalen Verwaltungsrechtspflege. Inwiefern sich der Wahlvorschlag des EDA auf Völkerrecht oder Landesrecht stützte, spielt daher für die Anwendung von Art. 25a VwVG keine Rolle.
4.3 Nach Art. 25a Abs. 1 VwVG muss die Handlung (Realakt) Rechte oder Pflichten berühren. Es sollen Konstellationen einer rechtlichen Überprüfung zugeführt werden, bei welchen behördliches Verhalten zwar nicht auf die Regelung von Rechten und Pflichten gerichtet ist, aber dennoch Rechte und Pflichten berührt. Dies setzt einen Eingriff in die persönliche Rechtssphäre der betroffenen Person voraus. Schützenswerte Rechtspositionen ergeben sich im Kontext von Art. 25a VwVG vor allem aus Grundrechten; einzubeziehen sind aber auch rechtlich geschützte Interessen aus anderen Rechtstiteln (BGE 144 II 233, E. 7.3.1). Geht es um einen potenziellen Eingriff in Grundrechtspositionen, ist es eine Frage des Geltungsbereichs des Grundrechts, ob die Eingriffswirkung ausreicht, eine Grundrechtsbetroffenheit anzunehmen (BGE 144 II 233, E. 7.3.2). Die Beschwerdeführerin rügt, mit dem Wahlvorschlag vom 22. Januar 2018, in welchem ihre Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, seien Grundrechtspositionen von ihr verletzt worden. Insbesondere macht sie substanziiert geltend, das EDA habe mit dem Wahlvorschlag die Rechtsgleichheit nach Art. 8 BV verletzt. Dass der Geltungsbereich des Grundrechts der Rechtsgleichheit im vorliegenden Fall berührt ist, kann kaum bezweifelt werden. Die Beschwerdeführerin vermag insgesamt plausibel darzulegen, dass vom Wahlvorschlag ausgehende Reflexe grundrechtsrelevant sein bzw. den Grad von Grundrechtseingriffen annehmen könnten (BGE 144 II 233, E. 7.3.2). Ohnehin dürfen die Anforderungen an das Berührtsein nicht zu hoch angesetzt werden. Ob ein Grundrecht tatsächlich betroffen oder verletzt ist, bleibt im Rahmen der materiellen Prüfung zu klären. Beim Wahlvorschlag des EDA vom 22. Januar 2018 handelt es sich somit um einen Realakt, der sich auf öffentliches Recht des Bundes stützt und Rechte oder Pflichten der Beschwerdeführerin berührt.
4.4 Art. 25a Abs. 1 VwVG verlangt ferner, dass die gesuchstellende Person ein schutzwürdiges Interesse an einer Verfügung über einen Realakt hat. Berührt der Realakt – wie vorliegend – Rechte oder Pflichten der gesuchstellenden Person, nicht bloss solche von Drittpersonen, so gründet das schutzwürdige Interesse der gesuchstellenden Person im Berührtsein in der Rechtsstellung. Es verhält sich nicht anders als beim materiellen Verfügungsadressaten, der ohne weiteres das zur Beschwerdeberechtigung notwendige schutzwürdige Interesse aufweist. Nachdem das Ministerkomitee des Europarats seinen Ernennungsentscheid am 7. März 2018 getroffen hatte, beschränkte sich die Beschwerdeführerin in ihrem Gesuch vom 6. April 2018 auf ein Feststellungsbegehren nach Art. 25a Abs. 1 Bst. c VwVG. Für ihr Ausscheiden aus dem Selektionsverfahren war das EDA verantwortlich. Deshalb bezieht sich das – nach dem Gesagten gegebene – schutzwürdige Interesse der Beschwerdeführerin auf die Prüfung bzw. Feststellung, ob das EDA rechtmässig gehandelt hat.
5. Unter dem Titel «Vorbemerkungen» führt das EDA in seiner Vernehmlassung vom 22. Oktober 2019 aus, die Nichtberücksichtigung der Beschwerdeführerin für den Wahlvorschlag weise Ähnlichkeiten mit einem Nichtanstellungsentscheid auf. Deshalb müsse in Anlehnung an Art. 34 Abs. 3 des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000 ein Rechtsschutz (auch ein Anspruch auf Erlass einer Verfügung nach Art. 25a VwVG) ausgeschlossen sein, um die vom Gesetzgeber gewollte Wahlfreiheit der Anstellungsbehörde gewährleisten zu können.
Diese Argumentation vermag den Entscheid der Vorinstanz nicht zu stützen. Die Funktion, für die sich die Beschwerdeführerin bewarb, liegt ausserhalb des Geltungsbereichs des BPG (Art. 2 BPG). Für eine Ausnahme vom Anspruch auf Erlass einer Verfügung nach 25a VwVG wäre eine Grundlage in einem (anwendbaren) formellen Gesetz notwendig. Abgesehen davon ist die Regelung in Art. 34 Abs. 3 BPG darauf zugeschnitten, dass das Arbeitsverhältnis durch Abschluss eines Vertrags zustande kommt. Diese Situation ist mit dem Wahlvorschlag zuhanden des Europarates nicht ohne weiteres vergleichbar.
6. Demnach erfüllt das von der Beschwerdeführerin in ihrem Gesuch vom 6. April 2018 gestellte Begehren alle Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Verfügung nach Art. 25a VwVG. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, die Nichteintretensverfügung des EDA ist aufzuheben, und die Sache ist zur materiellen Beurteilung an das EDA zurückzuweisen. Der Bundesrat setzt in Rückweisungsentscheiden normalerweise keine Frist für den Erlass der neuen Verfügung. Im vorliegenden Fall bestehen keine triftigen Gründe, von dieser Regel abzuweichen, zumal fraglich erscheint, ob der Rechtsstreit mit der neuen Verfügung beendet sein wird. Eine Edition der Akten des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht erübrigt sich bei diesem Verfahrensausgang.
Bundesrat, Entscheid 361/2019/00002 LM vom 8.5.2020
Anmerkungen:
Der vorliegende Entscheid ist im Sinne eines Leitentscheids für die künftige Praxis der Bundesverwaltung zum VwVG von Bedeutung. Dies bezüglich der subsidiären Beschwerdeführung an den Bundesrat und insbesondere für die Praxis zu Art. 25a VwVG.
Beim Wahlvorschlag für den Ausschuss für das RÜ handelt es sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesrats um eine «übrige auswärtige Angelegenheit» im Sinne von Art. 32 Abs. 1 Bst. a VGG und Art. 72 Bst. a VwVG. Die Regelungen von Art. 32 Abs. 1 Bst. a VGG und Art. 72 Bst. a VwVG sind vollständig kongruent. Nach Auffassung der Lehre ist in jenen Fällen, in welchen keine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht möglich ist, immer die Beschwerde an den Bundesrat möglich. Nach dem Bundesverwaltungsgericht (Entscheid B-6019/2018 vom 25.06.2019, E. 2.4 in fine, und E. 2.7) bestätigt nun auch der Bundesrat diese Auffassung.
Interessant ist, dass der Bundesrat seine Pflicht zur Behandlung von Beschwerden in diesen Fällen aus Art. 177 Abs. 3 BV herleitet. Dies zeigt, dass diese Verfassungsbestimmung – entgegen der Lehrmeinung (z.B. Biaggini, Kommentar BV, 2. Aufl., Art. 177, Rz. 20) – in Fällen, in denen gegen Verfügungen der Bundesverwaltung ein Rechtsmittel an ein Gericht ausgeschlossen ist, weiterhin eine eigenständige Bedeutung hat und subsidiär die Funktion einer Rechtsweggarantie übernimmt.
Wesentlich für die künftige Praxis zu Art. 25a VwVG ist die Präzisierung, die der Bundesrat – in Übereinstimmung mit der Rechtslehre – bezüglich des Begriffs «öffentliches Recht des Bundes» vornimmt. Der Bundesrat vertritt klar die Auffassung, dass der Begriff «öffentliches Recht des Bundes» in Art. 25a VwVG – gleich wie in Art. 5 VwVG – ausschliesslich der Abgrenzung der Zuständigkeit der Bundesverwaltungsbehörden von der Zivil- und Strafrechtspflege und der kantonalen Verwaltungsrechtspflege dient. Nach der Auffassung des Bundesrats ist Völkerrecht, soweit es nicht Normen des Zivil- oder Strafrechts enthält, dem öffentlichen Recht des Bundes zuzurechnen. Dies erweitert den Anwendungsbereich von Art. 25a VwVG. Konkret stellen insbesondere Wahlvorschläge der Bundesverwaltung für Ausschüsse des Europarats Realakte im Sinne von Art. 25a VwVG dar, die auf öffentlichem Recht des Bundes beruhen. Dasselbe dürfte auch für Wahlvorschläge in andere durch das Völkerrecht errichtete Gremien gelten. Der Entscheid des Bundesrats eröffnet die Möglichkeit, künftig bei solchen Wahlvorschlägen gegen die Diskriminierung von Geschlechtern und Minderheiten und gegen Willkür rechtlich vorzugehen. Noch zu prüfen wäre auch eine Anwendbarkeit bei Realakten im Bereich Schengen/Dublin (Informationsaustausch; Abweisung an der Grenze).
Daniel Kettiger, Anwalt der Beschwerdeführerin
Sozialversicherungsrecht
Nur behinderungsbedingte Baukosten zulasten der IV
Behinderte haben keinen Rechtsanspruch darauf, so selbständig wie eine gesunde Person zu leben.
Sachverhalt:
Eine Frau leidet seit einem Autounfall unter einer Querschnittlähmung. Sie erkundigte sich bei der IV-Stelle Glarus nach dem Vorgehen für die Kostenübernahme bei baulichen Änderungen, weil sie mit ihrem Lebenspartner in eine neue Eigentumswohnung ziehen wollte. Die IV stellte die Übernahme eines Kostenbeitrags von knapp 11 000 Franken in Aussicht. Die Frau erhob Beschwerde ans Verwaltungsgericht und verlangte knapp 66 000 Franken.
Aus den Erwägungen:
2. Die Beschwerdeführerin reichte mit der Beschwerde eine Schlussabrechnung Mehr-/ Minderkostenzusammenstellung von Fr. 66487.30 Franken ein. Verschiedene Positionen wie etwa die Mehrkosten aufgrund der Parkettauswahl oder der Auswahl der Waschmaschine und des Tumblers weisen offensichtlich keinen Zusammenhang mit der Behinderung der Beschwerdeführerin auf. Sie konzentrierte sich daher in ihrer Beschwerde auf die Positionen Kosmetikspiegel, elektrische Schiebetüre zum Sitzplatz, Anpassen des Türspions, Haupteingangstüre/elektrische Türöffner und behindertengerechter Parkplatz. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet die Übernahme der durch diese Positionen entstandenen Mehrkosten.
3.1 Gemäss Art. 21 Abs. 1 IVG hat der Versicherte im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren er für die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit im Aufgabenbereich, zur Erhaltung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit, für die Schulung, die Aus- und Weiterbildung oder zum Zwecke der funktionellen Angewöhnung bedarf. Der Versicherte, der infolge seiner Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontakts mit der Umwelt oder für die Selbstsorge kostspielige Geräte benötigt, hat nach Art. 21 Abs. 2 IVG im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit Anspruch auf solche Hilfsmittel. Die Versicherung gibt die Hilfsmittel zu Eigentum oder leihweise in einfacher und zweckmässiger Ausführung ab. Ersetzt ein Hilfsmittel Gegenstände, die der Versicherte auch ohne Invalidität anschaffen müsste, so hat er sich an den Kosten zu beteiligen (Art. 21 Abs. 3 IVG). Art. 14 Abs. 1 der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 17. Januar 1961 (IVV) überträgt die Aufstellung der Liste der Hilfsmittel, die von der Invalidenversicherung übernommen werden, dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI). Dieses hat die Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung vom 29. November 1976 (HVI) erlassen, deren Anhang die Liste der abzugebenden Hilfsmittel enthält.
4.2 Es ist daran zu erinnern, dass die Invalidenversicherung nur behinderungsbedingte Mehrkosten übernimmt. Was zu einer üblichen Ausstattung einer Wohnung gehört, fällt von vornherein nicht unter den Hilfsmittelanspruch.
Die Beschwerdeführerin legt nicht substanziiert dar, inwiefern sie auf einen Kosmetikspiegel im Betrag von Fr. 1029.60 angewiesen ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es die Schadenminderungspflicht gebietet, die in einer Wohnung üblichen Spiegel so zu platzieren, dass ihr die benötigte Hautkontrolle möglich ist (E. II/4.2).
5.2 Die Terrasse gehört zum regelmässig genutzten Wohnbereich. Eine allfällige Kostenübernahme ist daher entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht nach Ziff. 13 Anhang HVI, sondern nach Ziff. 14.04 Anhang HVI zu beurteilen. Die IV-Stelle (Beschwerdegegnerin) hat im Rahmen ihrer Untersuchungspflicht zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin auf die elektrische Schiebetüre angewiesen ist oder ob durch andere, günstigere bauliche Massnahmen der Zugang zur Terrasse möglich wäre. Im letzteren Fall müsste sie diejenigen Massnahmen nicht tragen, welche auch von einem nichtbehinderten Bauherrn gesetzlich verlangt werden, handelt es sich dabei doch nicht um behinderungsbedingte Mehrkosten.
6.2 Hingegen fällt die Haustür unter Ziff. 13 Anhang HVI. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann der automatische Türöffner nur dann von der Invalidenversicherung übernommen werden, wenn die Voraussetzungen von Art. 2 Abs. 2 HVI erfüllt sind, was vorliegend nicht der Fall ist.
7.2 Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, dass Behinderte so selbständig wie eine nichtbehinderte Person leben können, sondern nur die Berechtigung auf Abgabe oder Vergütung kostspieliger Geräte im Rahmen einer vom Bundesrat bzw. dem Departement aufzustellenden Liste, worunter das Tiefersetzen des Türspions nicht fällt.
Unter einem Hilfsmittel des IVG ist ein Gegenstand zu verstehen, dessen Gebrauch den Ausfall gewisser Teile oder Funktionen des menschlichen Körpers zu ersetzen vermag. Dies trifft auf einen Parkplatz nicht zu. Die Beschwerdeführerin obsiegt vorliegend insoweit, als die IV-Stelle den Anspruch auf eine elektrische Schiebetür zur Terrasse zu überprüfen und erneut darüber zu befinden hat. Hinsichtlich der übrigen Positionen unterliegt die Beschwerdeführerin.
Verwaltungsgericht Glarus, Urteil VG.2019.00130 vom 12.3.2020