Mietrecht
Zuerst empfangene Kündigung ist massgebend
Kündigt eine Partei per Einschreiben und zugleich per A-Post Plus, ist für die Berechnung der Frist die zuerst zugestellte Sendung massgebend. Die Anfechtungsfrist läuft ab dem darauffolgenden Tag.
Sachverhalt:
Die Beklagte war Mieterin von Gewerberäumlichkeiten, welche sie zu den Konditionen des Hauptmietverhältnisses an den Kläger untervermietete. Danach kam es zwischen den Parteien des Untermietverhältnisses zum Streit über Abmachungen betreffend Mietzinserhöhung. Dieser gipfelte darin, dass der Kläger nur noch den früheren tieferen Mietzins bezahlte, worauf die Klägerin das Mietverhältnis nach erfolgloser Zahlungsaufforderung mit Kündigungsandrohung ausserordentlich kündigte. Die Kündigung erfolgte mit Einschreiben und A-Post Plus. Die uneingeschriebene Sendung erreichte den Mieter zuerst. Er verpasste die 30-tägige Anfechtungsfrist, weil er auf das Datum des Einschreibens abstellte. Das Gericht wies die Anfechtung ab.
Aus den Erwägungen:
3e/aa) Will eine Partei die Kündigung als missbräuchlich anfechten, so muss sie das Begehren gemäss Art. 273 Abs. 1 OR innert 30 Tagen nach Empfang der Kündigung der Schlichtungsbehörde einreichen. Wie die Vorinstanz richtig erkannte, kommt nach der konstanten Rechtsprechung des Bundesgerichts in Bezug auf die Mitteilung der Kündigung des Mietverhältnisses und den Beginn der 30-tägigen Anfechtungsfrist die sogenannte absolute oder uneingeschränkte Empfangstheorie zur Anwendung.
Dies bedeutet, dass der Beginn des Fristenlaufs («Empfang der Kündigung») sich nach jenem Zeitpunkt bestimmt, in welchem die Kündigung in den Machtbereich des Empfängers oder seines Vertreters gelangt ist, sodass der Adressat bei normaler Organisation seines Geschäftsverkehrs in der Lage ist, davon Kenntnis zu nehmen; ob der Adressat tatsächlich davon Kenntnis nimmt, ist nicht entscheidend.
Weiter ist für die Zustellung der Kündigung keine bestimmte Form vorgeschrieben. Auch die Anwendung der absoluten Empfangstheorie setzt keinen Versand per Einschreiben voraus. Vielmehr gilt eine uneingeschriebene Postsendung (A-, B-Post oder wie hier A-Post Plus) dem Empfänger als zugestellt, wenn sie zu einer Zeit, in der mit der Leerung gerechnet werden darf, in seinen Briefkasten oder in sein Postfach gelegt wird.
bb) In der Literatur wird Rechtsmissbrauch bei der Zustellung einer Kündigung des Mietverhältnisses etwa bejaht, wenn der Vermieter im Wissen um die Abwesenheit der Mieterin die Kündigung während eben dieser Abwesenheit zustellen lässt, um die Kenntnisnahme der Mieterin und deren Anfechtungsrecht zu vereiteln. Bärtschi/Ackermann schlagen vor, dass in einem solchen Fall die Kündigung aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 ZGB) und des Rechtsmissbrauchsverbots (Art. 2 Abs. 2 ZGB) als nicht zugegangen zu betrachten sei. Vorliegend ist kein offensichtlicher Rechtsmissbrauch ersichtlich.
cc) Es ist weder behauptet noch zum Beweis verstellt oder gar bewiesen, dass die Beklagte die Kündigung gerade deshalb doppelt versandte, weil sie sich damit erhoffte, der Kläger könnte die Anfechtungsfrist verpassen. Vielmehr führte die Beklagte für ihr Vorgehen sachliche Gründe an, nämlich, dass sie eine Kündigung per A-Post Plus versandt habe, um trotz des bevorstehenden Wochenendes und der anschliessenden Weihnachtsfeiertage eine Zustellung vor Ende 2019 sicherzustellen, und eine zweite per Einschreiben vorsorglich aus Beweisgründen für den Fall eines Sendungsverlusts. Eine doppelte Zustellung einmal mit gewöhnlicher Postsendung und einmal per Einschreiben erscheint auch nicht per se unredlich.
dd) Darüber hinaus ist es vorliegend aber auch nicht auf die zweifache Zustellung der Kündigung durch die Beklagte, sondern vielmehr auf Mängel in der Organisation des Klägers zurückzuführen, dass dieser mit der Einleitung des Schlichtungsverfahrens (erst) am 23. Januar 2020 Dispositionen traf, welche sich im Nachhinein als nachteilig erwiesen.
Wie bereits angemerkt, machte der Kläger vor Vorinstanz geltend, er habe der uneingeschriebenen Kündigung deshalb keine besondere Bedeutung zugemessen, weil er die später zugestellte, eingeschriebene Kündigung vorher zur Kenntnis genommen habe. Dafür war er nun aber selber verantwortlich. Hätte er die Post am Montag, 23. Dezember 2019, geöffnet, was bei normaler Organisation des Geschäftsverkehrs durchaus erwartet werden darf, hätte er die per A-Post Plus versandte Kündigung zuerst zu Gesicht bekommen. Zudem wäre dann auch von vornherein klar gewesen, dass diese Sendung spätestens am 23. Dezember 2019 in den Briefkasten gelegt worden sein musste. Besonderer Abklärungen hätte es hierfür nicht bedurft.
Weiter behauptete der Kläger nicht (oder jedenfalls erst in der Berufung und damit verspätet), dass er die uneingeschrieben versandte Kündigung im Hinblick auf den Fristenlauf auch dann vernachlässigt hätte, wenn er sie vor der eingeschriebenen Kündigung zur Kenntnis genommen hätte. Auf die Ausführungen des Klägers dazu, dass durch die qualifizierte Zustellart des Einschreibens im Geschäftsverkehr eine erhöhte Wichtigkeit ausgedrückt werde, braucht daher mangels Tatsachengrundlage nicht eingegangen zu werden. Es bleibt somit dabei, dass der Kläger die Verwirkungsfrist von Art. 273 Abs. 1 OR verpasste und sein Begehren um Anfechtung der Kündigung vom 20. Dezember 2020 wegen Missbräuchlichkeit daher abzuweisen war.
Kantonsgericht St. Gallen, Entscheid BO.2021.5 vom 16.9.2021
Arbeitsrecht
Falsches Verfahren führt zu Nichteintreten
Werden Ansprüche von über 30 000 Franken geltend gemacht und fallen diese nur in geringem Umfang unter das Gleichstellungsgesetz, finden die Vorschriften über das ordentliche arbeitsrechtliche Verfahren Anwendung. Wählt eine Partei bewusst das einfache statt das ordentliche Verfahren, tritt das Gericht auf die Klage nicht ein.
Aus dem Sachverhalt:
Eine Angestellte kündigte wenige Monate nach ihrem Mutterschaftsurlaub ihre Stelle. Daraufhin forderte sie vom ehemaligen Arbeitgeber über 100 000 Franken. Sie stützte ihre Forderungen auf eine schwangerschafts- und mutterschaftsbezogene Diskriminierung durch verminderte Lohnzahlungen. Die vorliegende Klage basiere daher auf dem Gleichstellungsgesetz. Das Gericht wies die Klage in der Folge ab.
Aus den Erwägungen:
2.2 Häufig werden Forderungen gestützt auf das Gleichstellungsgesetz in Verbindung mit anderen arbeitsrechtlichen Ansprüchen geltend gemacht. Stützt die klagende Partei ihr Begehren auf verschiedene Anspruchsgrundlagen und fallen diese nur teilweise unter Art. 243 Abs. 2 lit. a ZPO, so stellt sich die Frage, ob in Streitigkeiten, in denen der Streitwert 30 000 Franken übersteigt und die Forderungen nach dem Gleichstellungsgesetz mit den übrigen arbeitsrechtlichen Forderungen kumuliert werden, das ordentliche oder das vereinfachte Verfahren zur Anwendung gelangt. Die Lehre ist sich in dieser Frage uneinig.
3. Die Klägerin stützt ihre arbeitsvertraglichen Forderungen in Anspruchskonkurrenz einerseits auf das Obligationenrecht (OR) und andererseits gesamthaft auch auf das Gleichstellungsgesetz (GlG) – wegen schwangerschafts- und mutterschaftsbezogener Diskriminierung durch verminderte Lohnzahlungen – und leitet daraus die Anwendung des Gleichstellungsgesetzes ab. Es ist zu prüfen, ob die klägerischen Ansprüche als Ansprüche nach dem Gleichstellungsgesetz zu qualifizieren sind.
3.1 Zunächst stellt sich die Frage, auf welcher Behauptungsgrundlage das anwendbare Verfahren zu bestimmen ist. Die Klägerin macht geltend, bei der Prüfung des anwendbaren Verfahrens handle es sich um eine doppelrelevante Tatsache, weshalb das angerufene Gericht für die Bestimmung der Zuständigkeit und damit auch des Verfahrens auf die Behauptungen der Klägerin abzustellen habe.
Nach einem allgemeinen prozessualen Grundsatz ist bei der Beurteilung der Zuständigkeit im Falle von sogenannt doppelrelevanten Tatsachen primär auf den eingeklagten Anspruch und dessen Begründung abzustellen. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts hängt von der gestellten Frage ab und nicht von deren Beantwortung, die im Rahmen der materiellen Prüfung zu erfolgen hat.
3.2 Gemäss dem im GlG vorgesehenen Diskriminierungsverbot dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund ihres Geschlechts weder direkt noch indirekt benachteiligt werden, namentlich nicht unter Berufung auf den Zivilstand, auf die familiäre Situation oder, bei Arbeitnehmerinnen, auf eine Schwangerschaft (Art. 3 Abs. 1 GlG). Das Verbot gilt insbesondere für die Anstellung, Aufgabenzuteilung, Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Entlöhnung, Aus- und Weiterbildung, Beförderung und Entlassung (Art. 3 Abs. 2 GlG). Eine Diskriminierung gilt als direkt, wenn sie sich ausdrücklich auf die Geschlechtszugehörigkeit oder auf ein Kriterium stützt, das nur von einem der beiden Geschlechter erfüllt werden kann.
3.3 Die Klägerin macht eine Forderung aus Arbeitsvertrag im Betrag von 19 000 Franken geltend, welche sie zugleich aus Art. 3 GlG ableitet (ausstehender Bonus 2018). Sie begründet dies damit, dass die Beklagte die vollständige Zahlung des vereinbarten Bonus unter Hinweis auf die schwanger- und mutterschaftsbedingte Abwesenheit der Klägerin im Jahr 2018 verweigert habe. Damit habe sie die Klägerin diskriminiert. Die Beklagte bestreitet den Anspruch der Klägerin auf den Bonus 2018, räumt aber ein, dass für die Beurteilung der effektiv erbrachten Leistungen der Klägerin u.a. auch die Absenzen der Klägerin im Jahr 2018 berücksichtigt worden seien. Damit ist ein Zusammenhang zwischen der Höhe des Jahresbonus 2018 und der Schwangerschaft/Mutterschaft der Klägerin glaubhaft gemacht, und eine Berufung auf das GlG für diese Bonusforderung erscheint zumindest nicht als fadenscheinig.
3.4.2 Mit Bezug auf die vorliegend relevante Frage, ob es sich bei dieser Bonus-Forderung um eine Forderung nach dem Gleichstellungsgesetz handelt, ist festzuhalten, dass die Klägerin nicht glaubhaft machen konnte, dass die Vorenthaltung dieses (nicht vereinbarten) Bonus etwas mit ihrer Mutterschaft zu tun hatte. Wenn kein Anspruch besteht, kann es auch keine diskriminierende Kürzung oder Vorenthaltung geben.
3.5 Die Klägerin verlangt zudem die Zahlung einer Lohnerhöhung rückwirkend ab 1. April 2018, was eine Forderung von 14 787 Franken ergibt. Zur Begründung führt sie aus, dass die Lohnerhöhung ursprünglich per 1. April 2018 vorgesehen gewesen und dann einzig mit dem Argument aufgeschoben worden sei, die Klägerin sei schwanger und infolgedessen eine längere Zeit von der Arbeit abwesend. Die Beklagte habe ihren Entscheid, die Lohnerhöhung aufzuschieben, somit einzig mit dem Umstand der schwanger- und mutterschaftsbedingten Abwesenheit der Klägerin begründet, was eine Diskriminierung darstelle.
3.5.2 Auch bei dieser Forderung um rückwirkende Lohnerhöhung handelt es sich nicht um eine Forderung nach dem Gleichstellungsgesetz. Der Umstand der Schwangerschaft/Mutterschaft der Klägerin ist für die Beurteilung dieses Anspruchs von keiner Relevanz. Bei der Beurteilung stellt sich nicht die Frage der Geschlechterdiskriminierung, sondern bloss die rein vertrags-/arbeitsrechtliche Frage, ob eine rückwirkende Lohnerhöhung vereinbart wurde oder nicht.
4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich von den klägerischen Forderungen in der Höhe von insgesamt 134 537 Franken bloss die eine Forderung von 19 000 Franken nach Treu und Glauben auf das Gleichstellungsgesetz stützen lässt. Im Ergebnis handelt es sich bei den klägerischen Begehren um eine Klagenhäufung, mit welcher rein arbeitsvertragliche Ansprüche mit einem Streitwert von insgesamt über 30 000 Franken zusammen mit einem Anspruch nach dem Gleichstellungsgesetz (Rechtsbegehren 1) geltend gemacht wird. Damit bezieht sich die Klage nicht in grundlegender Weise auf eine nach dem Gleichstellungsgesetz verbotene Diskriminierung, und die Forderung, welche in den Anwendungsbereich des Gleichstellungsgesetzes fällt, macht bloss 14 Prozent der gesamten Streitsumme aus. Bei den übrigen Begehren schob die Klägerin zu Unrecht das Gleichstellungsgesetz als Anspruchsgrundlage vor. Mithin rechtfertigt sich nicht, dass die Klägerin gestützt auf Art. 243 Abs. 2 lit. a ZPO im Umfang des ganzen Betrags von 134 537 Franken im vereinfachten Verfahren prozessieren kann, ohne dass Gerichtskosten anfallen. Vielmehr ist auf die vorliegende Streitigkeit insgesamt das ordentliche Verfahren anzuwenden.
Die Prozessvoraussetzungen für ein vereinfachtes Verfahren vor dem Einzelrichter liegen somit nicht vor, weil sich die Rechtsauffassung der Klägerin nicht durchsetzt, ihre Klage stütze sich auf das Gleichstellungsgesetz. Eine Überweisung an den zuständigen Spruchkörper ist nicht angebracht, da die Klägerin bewusst das vereinfachte Verfahren gewählt hat (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_332/2015 vom 10. Februar 2016, E. 4.2). Hinzu kommt, dass die Klägerin für das ordentliche Verfahren das Schlichtungsverfahren zu durchlaufen hätte. Mithin ist auf die Klage insgesamt nicht einzutreten.
Kantonsgericht Zug, Entscheid EV 2020 15 vom 15. März 2021
Anwaltsrecht
Optimierung von Suchmaschinen für Anwälte zulässig
Anwälte dürfen im Internet für ihre Dienstleistungen werben. Eine Bezahlung für möglichst vorteilhafte Suchmaschinenergebnisse verstösst nicht gegen das Standesrecht.
Sachverhalt:
Eine Anwältin reichte bei der St. Galler Anwaltskammer eine Anzeige gegen einen Berufskollegen ein. Sie warf ihm vor, er bezahle Google dafür, dass seine Werbung bei den Suchresultaten stets vor Einträgen anderer Anwälte erscheine. Zudem verwende er die Namen von konkurrierenden Anwälten, um die Suchresultate zu beeinflussen. Dies sei eine aggressive Werbung, die gegen die anwaltlichen Pflichten verstosse. Das Kantonsgericht St. Gallen stellte das Disziplinarverfahren ein.
Aus den Erwägungen:
b) Da die Anwaltswerbung grundsätzlich durch die Wirtschaftsfreiheit nach Art. 27 BV geschützt ist, bedarf ihre Einschränkung der Rechtfertigung. Die Wirtschaftsfreiheit der Anwältinnen und Anwälte ist gegen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Anwaltschaft abzuwägen. Auch vor Inkrafttreten des BGFA hat das Bundesgericht ein striktes Werbeverbot für Rechtsanwälte stets abgelehnt, es aber als zulässig erachtet, deren Werbetätigkeit besonderen Schranken zu unterwerfen, insbesondere aufdringliche und irreführende Werbung zu untersagen. Demgemäss wurde festgehalten, dass anwaltliche Werbung, auch wenn sie einem Informationsbedürfnis des Publikums entgegenkommt, zurückhaltend zu sein hat.
c) Ausserdem ist der Wortlaut von Art. 12 lit. d BGFA zu beachten. Die Bestimmung erklärt Anwaltswerbung für zulässig, «solange sie objektiv bleibt und solange sie dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit entspricht». Aus der Wortwahl kann abgeleitet werden, dass die zulässige Werbung (auch) eine Frage des Masses ist. Dies gilt insbesondere für das Element «Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit». Dabei handelt es sich nicht um ein beliebiges, abstrakt zu denkendes (und damit möglichst grosses) Informationsbedürfnis. Vielmehr ist das durch die jeweilige Situation bestimmte Informationsbedürfnis des dort anwesenden Publikums gemeint, welches nicht überschritten werden soll.
Die offen gehaltene Regelung kann die Grenzziehung im Einzelfall schwierig machen, entspricht aber der Absicht des Gesetzgebers, der Vielgestaltigkeit der Werbung gerecht zu werden. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung beinhaltet das Kriterium der Objektivität weitergehende Einschränkungen als die lauterkeitsrechtliche Regelung des UWG. Der Grundsatz der Objektivität erfordert eine gewisse Zurückhaltung in dem Sinn, dass auf reisserische, aufdringliche oder marktschreierische Methoden zu verzichten ist. Die gebotene Zurückhaltung bezieht sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Anwaltswerbung.
Das Kriterium des Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit betrifft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts im Wesentlichen die Existenz der betreffenden Kanzlei und deren Tätigkeitsgebiete, die Kontaktangaben sowie zusätzliche Angaben wie etwa «beratend und prozessierend». Je nach Ort, an dem die Werbung wirken soll, kann das Informationsbedürfnis der (dortigen) Öffentlichkeit höher oder niedriger sein. Nach der Lehre ist die Werbung zudem daran zu messen, ob sie Markttransparenz schafft und so eine sachgerechte Nachfrage auslöst. Eine übermässige, missbräuchliche oder unzweckmässige Nachfrage nach Dienstleistungen des Rechtsanwalts soll verhindert werden, damit eine sachgerechte Inanspruchnahme des Rechtsstaats gewährleistet bleibt.
4. a) Die Google-Anzeigen von Rechtsanwalt B. stellen unbestrittenermassen eine Werbung im Sinne von Art. 12 lit. d BGFA dar. Primäres Werbemittel ist dabei die Website der Kanzlei von Rechtsanwalt B. Mit einer prominenten Stellung in der Google-Suche soll erreicht werden, dass die Website möglichst häufig besucht wird.
b) Es gilt heute als selbstverständlich, dass auch Anwälte sich der internettypischen Werbemöglichkeiten bedienen, um sich dem Publikum zu präsentieren und über ihre Dienstleistungen zu informieren.
c/aa) Es liegt auf der Hand, dass die Website einer Unternehmung vor allem auch der Kundenakquisition dient. Damit potenzielle Kunden auf die Website aufmerksam werden, ist eine Suchmaschinenoptimierung üblich. Dies erfolgt durch sog. Metatags, d.h. Begriffe, die im HTML-Code der Website enthalten sind. Metatags sind für den normalen Betrachter nicht erkennbar, sondern werden von Suchmaschinen ausgewertet und steuern Internetnutzer über Trefferlisten nach Sucheingaben auf die fragliche Seite. Mittels geeigneter Metatags können potenzielle Kunden gezielt auf eine Website gelenkt werden. Anwaltskanzleien wählen als Metatags häufig Rechtsgebiete, in denen sie tätig sind (z.B. «Familienrecht», «Erbrecht»), um auf ihre Webpräsenz aufmerksam zu machen.
Ein ähnliches Mittel für die Suchmaschinenoptimierung ist das Keyword Advertising. Am bekanntesten ist der Service Adwords von Google. Werbetreibende können dort Anzeigen schalten. Um zu bestimmen, in welchem Kontext die Anzeige jeweils erscheinen soll, müssen für jede Werbeeinblendung Stichwörter (sog. «Keywords») definiert werden. Diese vom Werbetreibenden festgelegten Stichwörter entscheiden, bei welchen Suchanfragen die Anzeige eingeblendet wird. Keywords beeinflussen nicht nur das Suchergebnis an sich, d.h. die Trefferhäufigkeit. Sie verschaffen dem Werbetreibenden auch die Möglichkeit, bei bestimmten Suchanfragen an prominenter Stelle, wenn auch optisch getrennt von den bestplatzierten «natürlichen» Suchergebnissen, einen als Werbung gekennzeichneten Link auf die eigene Webseite platzieren zu können.
bb) Dass auch Anwaltskanzleien auf ihren Websites Metatags für die Suchmaschinenoptimierung einsetzen dürfen, wird kaum umstritten sein. Eine Website dient ja gerade auch der Akquisition von Kunden, welche die Kanzlei bisher noch gar nicht kannten. Es ist allgemein bekannt, dass Suchmaschinen regelmässig eine grössere Zahl von Ergebnissen liefern. Auch wird ein Nutzer, der nach einer bestimmten Anwaltskanzlei gesucht hat, beim Öffnen der Website schnell erkennen, ob er diese gefunden hat oder bei einer anderen Kanzlei gelandet ist.
Die Verwendung von Metatags für die Suchmaschinenoptimierung erscheint damit als ein nach Massgabe von Art. 12 lit. d BGFA ohne weiteres zulässiges Werbemittel. Es entspricht dem Informationsbedürfnis des Publikums, dass sie bei der Benutzung einer Suchmaschine Hinweise auf Anwaltskanzleien erhalten, denen sie möglicherweise ihr Anliegen anvertrauen können. Dass eine Kanzlei durch Suchmaschinenoptimierung anstrebt, möglichst oft und möglichst weit vorne auf der Trefferliste zu erscheinen, kann auch nicht als reisserisch, aufdringlich oder marktschreierisch bezeichnet werden, sondern entspricht dem wettbewerblichen Verhalten in wahrscheinlich allen Wirtschaftsbranchen.
cc) Aber auch der Einsatz von Keyword Advertising erscheint mit Blick auf Art. 12 lit. d BGFA als grundsätzlich zulässig. In der Erscheinungsform bzw. in der Wirkung ist Keyword Advertising sehr ähnlich wie die Suchmaschinenoptimierung mittels Metatags. Während Letztere zu einem besseren Ergebnis in der «normalen» Trefferliste führt, wird bei Keyword Advertising eine Werbeeinblendung oberhalb der Trefferliste (teilweise auch unterhalb oder daneben) angezeigt. Diese Anzeige ist bei Google als solche gekennzeichnet. Es ist auch allgemein bekannt, dass die Werbeeinblendungen nicht unbedingt dem gesuchten Ergebnis entsprechen. Hinsichtlich der Verwechslungsgefahr gilt das Gleiche wie bei der Suchmaschinenoptimierung mittels Metatags. Wer nach einer bestimmten Anwaltskanzlei sucht, muss damit rechnen, dass ihm in den Werbeeinblendungen eine Konkurrenzkanzlei angezeigt wird. Auch dies kann aber als allgemein bekannt vorausgesetzt werden.
Es ist ein unternehmerischer Entscheid, welche finanziellen Mittel eine Anwaltskanzlei für Marketingmassnahmen wie etwa Google Adwords aufwenden will. Aufsichtsrechtliche Limitierungen sind in dieser Hinsicht nicht angezeigt. Auch wenn eine Anwaltskanzlei erhebliche Mittel für das Marketing mit Google Adwords aufwendet, kann daraus nicht auf eine reisserische oder aufdringliche Werbung geschlossen werden.
ee) Für die Vermutung der Anzeigerin, Rechtsanwalt B. verwende für seine Werbeanzeigen bei Google die Namen von Anwaltskonkurrenten als Keywords, fehlt jeder Anhaltspunkt. Dass bei der Suche nach einem bestimmten St. Galler Anwalt die Anzeige für die Kanzlei von Rechtsanwalt B. in den Suchergebnissen erscheint, hängt offenkundig mit der analytischen Auswertung und Indexierung der Websites durch Google zusammen. Eine Rolle spielen dabei auch die verwendeten Metatags. Es liegt deshalb auf der Hand, dass bei der Suche nach einem bestimmten Anwalt bereits in den «normalen» Suchergebnissen auch die Websites von Konkurrenten angezeigt werden. Analog verhält es sich beim Einsatz von Google Adwords und bei der Verwendung entsprechender Keywords. Dies dürfte auch erklären, dass bei einer Google-Suche mit der Telefonnummer der Kanzlei der Anzeigerin in den Suchergebnissen nicht nur deren Website, sondern auch diejenige von Rechtsanwalt B. in Form einer Anzeige erscheint.
Der Umstand, dass diese Anzeige zwar bei einer Suche nach Rechtsanwältin A. erscheint, nicht aber bei einer Suche nach ihrem in derselben Kanzlei tätigen Ehemann C., ist zwar merkwürdig, kann jedoch nicht belegen, dass Rechtsanwalt B. den Namen der Anzeigerin als Keyword verwendet. Rechtsanwalt B. hat jedenfalls eine schriftliche Bestätigung von Google Switzerland & Austria vorgelegt, dass er für seine Google-Ads-Kampagne weder das Keyword «A.» noch irgendwelche Variationen davon gebucht hat. Es fehlt am Nachweis, dass er Namen von Konkurrenten als Keywords benutzt. Damit kann die Frage offenbleiben, ob die Verwendung des Namens einer anderen Kanzlei als Keyword zulässig ist oder nicht. Immerhin sei der Hinweis erlaubt, dass in der wettbewerbsrechtlichen Literatur auch die Auffassung vertreten wird, die Verwendung eines fremden Kennzeichens sei unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Abs. 1 lit. d UWG zulässig, wenn der Suchmaschinennutzer hierdurch nicht zu einem Irrtum über die betriebliche Herkunft oder die Identität des Unternehmens veranlasst werde.
Rechtsanwalt B. hat nach dem Gesagten nicht gegen die Berufsregel von Art. 12 lit. d BGFA verstossen. Das Disziplinarverfahren ist deshalb einzustellen
Kantonsgericht St. Gallen, Anwaltskammer, Entscheid AW.2020.11 vom 7.12.2021
Strafprozessrecht
Beschwerde gegen Haftentlassung ist sofort anzukündigen
Will die Staatsanwaltschaft gegen eine Haftentlassung Beschwerde einreichen, muss sie dies dem Gericht unmittelbar nach Kenntnis des Entscheids ankündigen. Unterlässt sie die Anzeige, darf das Gericht nicht auf die Beschwerde eintreten.
Sachverhalt:
An der Haftverhandlung im Kanton St. Gallen erschien einzig die Beschuldigte und ihr Verteidiger. Von der Staatsanwaltschaft nahm niemand teil. Das Zwangsmassnahmengericht verzichtete auf eine Untersuchungshaft und schloss die Verhandlung. Darauf schickte das Gericht den Entscheid im Dispositiv per E-Mail an die Verteidigung und an die fallführende Staatsanwältin. Am nächsten Tag erhob die Staatsanwaltschaft beim Kantonsgericht St. Gallen Beschwerde. Dabei hielt sie ausdrücklich fest, dass die fallführende Staatsanwältin gleichentags um 7.45 Uhr Kenntnis vom Entscheid genommen habe. Die Beschwerde ging um 10.28 Uhr per E-Mail bei der Vorinstanz ein. Die Staatsanwaltschaft verlangt superprovisorisch eine Haftanordnung. Das Kantonsgericht weist das Gesuch ab.
Aus den Erwägungen:
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat die Staatsanwaltschaft, wenn sie gegen einen Haftentlassungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts vorgehen will, die Beschwerde unmittelbar nach Kenntnis anzukündigen und hernach schriftlich einzureichen. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Beschwerde unmittelbar nach Kenntnis des Haftentlassungsentscheides beim Zwangsmassnahmenrichter anzukündigen.
Hat die Staatsanwaltschaft nicht an der Verhandlung teilgenommen, kann ihr das Zwangsmassnahmengericht einen negativen Entscheid telefonisch mitteilen. Ein Rechtsanspruch darauf besteht allerdings nicht. Will die Staatsanwaltschaft verhindern, dass die beschuldigte Person freigelassen wird, muss sie an der Verhandlung teilnehmen oder in anderer Weise sicherstellen, dass sie rechtzeitig ihre Beschwerde ankündigen und einreichen kann.
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung vermag die Einreichung einer Beschwerde innerhalb von drei Stunden nach Kenntnis des Haftentlassungsentscheides eine unterlassene vorgängige sofortige Ankündigung der Beschwerde durch die Staatsanwaltschaft nicht zu heilen. Vielmehr ist im Fall einer unterlassenen vorgängigen sofortigen Ankündigung der Beschwerde durch die Staatsanwaltschaft auf die Beschwerde anschliessend nicht einzutreten (6B_576/2019, E. 2.2 m.w.H.). Nach Eingang der Beschwerde ist das Zwangsmassnahmengericht gehalten, den Beschuldigten bis zum Entscheid der Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz im Sinne von Art. 388 StPO in Haft zu belassen und die Beschwerde mit dem Dossier und seiner allfälligen Stellungnahme verzugslos der Beschwerdeinstanz zu übermitteln.
3. Vorliegend fand die Haftverhandlung am 30. September 2021, ab 16.18 Uhr, statt. Anwesend waren – neben dem Haftrichter und der (a.o.) Gerichtsschreiberin – die Gesuchsgegnerin und ihr Verteidiger. Auf Seiten des Gesuchstellers (Staatsanwaltschaft) nahm niemand teil. Nach Entscheideröffnung an die Anwesenden wurde die Verhandlung um 17.13 Uhr geschlossen. Um 18.38 Uhr übermittelte der regionale Zwangsmassnahmenrichter seinen Entscheid im Dispositiv per E-Mail an die Verteidigung der Gesuchsgegnerin sowie an die fallführende Staatsanwältin. Am 1. Oktober 2021 reichte der Gesuchsteller Beschwerde ein.
Dabei wurde ausdrücklich festgehalten, dass die fallführende Staatsanwältin am 1. Oktober 2021 um 07.45 Uhr. Kenntnis vom Entscheid genommen habe. Die Beschwerde ging um 10.28 per E-Mail bei der Vorinstanz ein. Eine vorgängige und sofortige Ankündigung der Beschwerde durch den Gesuchsteller erfolgte weder am Abend des 30. Septembers 2021 noch am Morgen des 1. Oktobers 2021. Wie dargelegt, hat eine solche sofortige Ankündigung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes aber zwingend zu erfolgen, andernfalls auf die Beschwerde anschliessend nicht eingetreten werden kann. Damit kann offenbleiben, ob die dreistündige Beschwerdefrist vorliegend eingehalten wurde.
4. Es erscheint zwar durchaus fraglich, ob die Vorinstanz bei einer Eröffnung des Haftentscheids an die fallführende (nicht pikettleistende) Staatsanwältin einzig per E-Mail um 18.38 Uhr und im Wissen darum, dass die Staatsanwaltschaft gegebenenfalls und bei Gefahr des Verlustes ihrer Rechtsmittelmöglichkeit sofort reagieren (können) muss, den Grundsätzen an ein faires Verfahren zu genügen vermag. Dies vermag aber nichts daran zu ändern, dass vorliegend keine vorgängige und sofortige Ankündigung seitens der Staatsanwaltschaft erfolgt ist.
5. Damit muss davon ausgegangen werden, dass die Anklagekammer auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht eintreten können wird. Entsprechend aber ist das Gesuch der Staatsanwaltschaft um Erlass vorsorglicher Massnahmen abzuweisen. Wird die superprovisorische Haftanordnung verweigert, ist ein Entlassungsbefehl zu erlassen. Entsprechend ist die Gesuchsgegnerin nach Massgabe des Entscheides der Vorinstanz, d.h. sobald die Gesuchsgegnerin eine andere Unterkunft als die eheliche Wohnung beziehen kann, spätestens bis heute 16.00 Uhr aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
6. Schliesslich bleibt darauf hinzuweisen, dass die Vorinstanz die Beschwerdeschrift, welche sie am 1. Oktober 2021 um 10.28 Uhr erhalten hat, zusammen mit den Akten erst am 4. Oktober 2021, 10.25 Uhr, der Anklagekammer übermittelte. Dies geschah somit nicht – wie von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gefordert – verzugslos.
Kantonsgericht St. Gallen, Entscheid AK.2021.470-AP vom 4.10.2021
Arbeitslosenversicherung
Entschädigung für Kurzarbeit auch für Prokuristen
Angestellte in einer arbeitgeberähnlichen Stellung haben keinen Anspruch auf eine Entschädigung für Kurzarbeit. Entscheidend ist nicht allein der Eintrag im Handelsregister. Nur wer wie ein Arbeitgeber entscheidbefugt ist, geht leer aus.
Sachverhalt:
Ein Baselbieter Kleinunternehmen beantragte wegen der Coronapandemie bei der kantonalen Ausgleichskasse die Bewilligung zum Bezug von Kurzarbeitsentschädigung (KAE) für die Monate März bis April 2020 für zwei ihrer Mitarbeiter. Das Amt willigte jedoch nur für einen Mitarbeiter ein. Dem zweiten Angestellten verweigerte es die Entschädigung. Begründung: Er sei im Handelsregister mit Einzelunterschriftsberechtigung eingetragen. Daher habe er eine arbeitgeberähnliche Stellung, die eine Entschädigung ausschliesse. Der Betroffene erhob Beschwerde vor dem Kantonsgericht Basel-Landschaft. Es heisst sie gut.
Aus den Erwägungen:
3.3 Die arbeitgeberähnliche Stellung kann auf drei Gründen beruhen: Auf der Eigenschaft als Gesellschafter, auf einer finanziellen Beteiligung am Betrieb oder auf der Teilhabe an der Betriebsleitung. Was insbesondere die Teilhabe an der Betriebsleitung betrifft, fallen nicht nur die formellen Organe eines Arbeitgebers unter den Begriff des Mitglieds eines obersten betrieblichen Gremiums. Es ist vielmehr von einem materiellen Organbegriff auszugehen, wonach jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, welche Entscheidungsbefugnisse dem Betroffenen aufgrund der betrieblichen Struktur tatsächlich zukommen.
Massgebend ist mithin stets die faktische Einflussmöglichkeit im konkreten Betrieb. Die Grenze zwischen einem obersten betrieblichen Entscheidungsgremium und einer unteren Führungsebene lässt sich dabei nicht alleine anhand formaler Kriterien beurteilen. Insbesondere kann etwa aus einer Prokura allein noch nichts Zwingendes hinsichtlich der Stellung in ihrer Einflussmöglichkeit innerhalb des fraglichen Betriebs abgeleitet werden, weil damit nur die Verantwortlichkeit im Aussenbereich betroffen wird. So ist beispielsweise ein Vizedirektor, der in organisatorischer Hinsicht als Fachspezialist oder als Ressortchef fungiert, trotz seiner hierarchischen Stellung anspruchsberechtigt, da ihm im internen Verhältnis eine nur beschränkte Entscheidungsbefugnis zukommt.
Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das Beispiel eines einzelzeichnungsberechtigten Direktors eines Geldinstituts, dem die Anspruchsberechtigung ebenfalls zuerkannt worden war, weil ihm hinsichtlich der eigentlichen Geschäftsführung keine Kompetenzen zugestanden worden waren und er im Kern lediglich für den Aufbau einer internen Vermögensverwaltung zuständig gewesen war. Ohne Bezugnahme auf die intern vorherrschenden Verhältnisse kann eine massgebliche Beeinflussung der Willensbildung im Betrieb somit nicht abgeleitet werden.
3.4 Umgekehrt bleibt zu beachten, dass bei kleineren Betrieben mit wenig ausgeprägten Organisationsstrukturen unter Umständen ein massgebender Einfluss auf die Entscheidungen eines Unternehmens auch ohne formelle Zeichnungsberechtigung und gar ohne Handelsregistereintrag möglich ist. In jenen Einzelfällen muss eine tatsächliche und insbesondere immer auch massgebende Einflussnahme allerdings konkret nachgewiesen werden können. Die Frage, ob eine amgestellte Person einem obersten betrieblichen Entscheidungsgremium angehört und ob sie in dieser Eigenschaft auch einen massgeblichen Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen besitzt, ist mithin gerade auch in diesen Fällen stets aufgrund der internen betrieblichen Struktur zu beantworten. Keine Prüfung des Einzelfalles ist dann erforderlich, wenn sich die massgebliche Entscheidungsbefugnis bereits aus dem Gesetz selbst (zwingend) ergibt.
4. Im Rahmen der Bekämpfungsmassnahmen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie hat der Bundesrat den Anwendungsbereich der Kurzarbeit in mehreren Etappen ausgeweitet.
5. Das Kantonsgericht besitzt in Sozialversicherungssachen die vollständige Überprüfungsbefugnis und ist in der Beweiswürdigung frei. Die Verwaltung als verfügende Instanz und – im Beschwerdefall – das Gericht dürfen eine Tatsache ausserdem nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind. Im Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes vorsieht, schliesslich nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht. Das Gericht hat vielmehr jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die es von allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigt.
6.1 Strittig ist, ob die Kasse die Anspruchsberechtigung der Beschwerdeführerin auf KAE für ihren Mitarbeiter B. ab Juni 2020 zu Recht abgelehnt hat. Den Akten ist in diesem Zusammenhang zu entnehmen, dass B. mit Einzelzeichnungsberechtigung, jedoch ohne Funktion im Handelsregister eingetragen ist. Eine allfällige finanzielle Beteiligung von B. an der GmbH liegt keine vor. Das Stammkapital wird vollständig durch den ebenfalls einzelzeichnungsberechtigten Gesellschafter und Geschäftsführer C. gehalten, der seinerseits Wohnsitz in X. hat.
Aus der Gründungsurkunde der GmbH vom 21. Dezember 2016 geht sodann hervor, dass ursprünglich neben C. als Geschäftsführer mit Zeichnungsberechtigung der GmbH D. eingesetzt worden war, ohne dass dieser allfällige Stammanteile übernommen hätte. D. schied Ende Dezember 2017 aus der GmbH aus; gleichzeitig erfolgte die Eintragung und die arbeitsrechtliche Anstellung von B. Gemäss Arbeitsvertrag vom 4. September 2017 wurde mit B. per 1. Oktober 2017 ein unbefristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen. Daraus ergibt sich, dass B. als Servicetechniker angestellt ist. Als Vorgesetzter wurde der Geschäftsführer und Einzelgesellschafter C. bestimmt; vereinbart wurde eine Probezeit von drei Monaten. Die GmbH verfügt damit lediglich über zwei Angestellte.
6.2 Zwischen den Parteien ist zu Recht unbestritten geblieben, dass B. keine formelle Organeigenschaft bei der GmbH innehat. Während die Kasse die Auffassung vertritt, dass an seiner arbeitgeberähnlichen Stellung trotzdem nicht zu zweifeln sei, vertritt die Beschwerdeführerin den Standpunkt, dass ihm trotz seiner Zeichnungsberechtigung keinerlei Entscheidungskompetenz zukomme.
Hinsichtlich der Betriebsverhältnisse ist zweifelsohne davon auszugehen, dass es sich bei der GmbH um einen Kleinbetrieb handelt, der nebst dem Geschäftsführer C. einzig B. beschäftigt. Es ist deshalb von einer Gesellschaft mit wenig ausgeprägten Organisationsstrukturen und einer nur flachen Hierarchie auszugehen. Mit Blick auf die aktenkundige Stellung des Versicherten als Servicetechniker genügt dies alleine aber nicht, um eine arbeitgeberähnliche Stellung des Versicherten abzuleiten.
Eine tatsächliche und insbesondere massgebende Einflussnahme muss vielmehr konkret nachgewiesen sein, und es ist nicht zulässig, Angestellte allein deshalb vom Anspruch auf KAE auszuschliessen, weil sie für einen Betrieb zeichnungsberechtigt und im Handelsregister eingetragen sind (Urteil des EVG vom 15. Juni 2005, C 102/04, E. 3).
Eine solche massgebende Einflussnahme ist im hier vorliegenden Fall in Bezug auf B. nicht ausgewiesen. Seine im Arbeitsvertrag umschriebenen Befugnisse umfassen keine Bereiche, wie sie für eine Teilhabe an der Betriebsleitung notorisch notwendig und üblich sind. Sie beschränken sich im Gegenteil auf die Rechte und Pflichten eines untergeordneten Arbeitnehmers. Hierfür spricht nebst der explizit geregelten Vorgesetztenfunktion in der Person des Geschäftsführers und einzigen Gesellschafters C. auch die Tatsache, dass anlässlich der Anstellung von B. eine Probezeit von drei Monaten vereinbart worden war. Die Vereinbarung einer Probezeit wäre für Personen mit einer arbeitgeberähnlichen Stellung eher unüblich. Wäre die Anstellung von B. in der Absicht erfolgt, ihm einen Einfluss auf die Geschäftsentscheide seiner Arbeitgeberin einzuräumen, wäre auf die Vereinbarung einer Probezeit deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verzichtet worden.
Allfällige Anhaltspunkte, wonach der Aufgabenbereich von B. über die Erbringung technischer Arbeiten hinausgehen würde, sind in den Akten jedenfalls keine vorhanden. So liegen keinerlei Unterlagen vor, aus denen sich ergeben würde, dass B. beispielsweise Kündigungen ausgesprochen oder anderweitig durch konkretes Verhalten je die Entscheidungen seiner Arbeitgeberin in relevanter Weise bestimmt oder beeinflusst hätte. Ebenso wenig sind Anhaltspunkte vorhanden, wonach er im Aussenverhältnis allfällige Verträge unterzeichnet hätte oder anderweitige Verbindlichkeiten für die GmbH eingegangen wäre.
Entgegen der beispielsweise im Urteil des EVG vom 27. August 2003, C 273/01, vorgelegenen Sachlage sind im hier vorliegenden Fall mithin keinerlei Geschäftsurkunden aktenkundig, wonach der betroffene Arbeitnehmer in Vertretung seiner Arbeitgeberin irgendwelche Verbindlichkeiten eingegangen wäre. Es ist in Erinnerung zu rufen, dass gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG stets eine massgebliche Mitwirkung erforderlich ist. Ein derart aktives und bestimmendes Handeln von B., welches dessen arbeitgeberähnliche Stellung dokumentieren würde, liegt hier nicht vor.
6.3 Daran vermag nichts zu ändern, dass B. einzelzeichnungsberechtigt im Handelsregister eingetragen ist. Dessen Eintragung erfolgte ohne Funktion; allfällige geschäftsleitende Kompetenzen ergeben sich aus dem Handelsregistereintrag daher ebenfalls keine. Seine Eintragung im Handelsregister ist offenbar einzig auf den Umstand zurückzuführen, dass gemäss Art. 814 Abs. 3 OR eine vertretungsberechtigte Person mit Wohnsitz in der Schweiz im Handelsregister eingetragen sein muss.
Über die gesetzlichen Vorgaben hinaus, wonach der Zeichnungsberechtigte Zugang zum Anteilsbuch sowie zum Verzeichnis über die wirtschaftlich berechtigten Personen haben muss, sind dem Gesetz jedoch keine Hinweise zu entnehmen, dass mit der Eintragung im Handelsregister eine leitende Stellung des Betroffenen oder sonstige Kompetenzen verknüpft wären, welche ein auch nur abstraktes Missbrauchspotenzial hinsichtlich einer eigenen Anstellung mit sich bringen würden.
Dass eine allfällige Einbindung einer zeichnungsberechtigten Person mit Wohnsitz in der Schweiz in die Entscheidungsfindung einer GmbH verbunden wäre, lässt sich aus Art. 814 Abs. 3 OR jedenfalls nicht ableiten. Dies gilt auch im vorliegenden Fall, in welchem der Einzel-Gesellschafter C. Wohnsitz in X. hat und für seine Kleinfirma demnach zwingend auf eine die GmbH vertretende Person mit Wohnsitz in der Schweiz angewiesen ist.
Der alleinige Umstand, dass seine Wahl hierbei auf B. als einzigen Arbeitnehmer der GmbH gefallen ist, ist naheliegend und kann nunmehr nicht dazu führen, dass der strittige Anspruch auf KAE abzulehnen wäre. Dies gilt umso mehr, weil als Vorgänger von B. in der Person von D. in der Vergangenheit bereits eine inländische Vertretungsperson der GmbH fungiert hatte, welcher dazumal noch jene geschäftsführenden Kompetenzen zugestanden worden waren, wie sie nunmehr zeitgleich mit der handelsregisterrechtlichen Eintragung von B. aber auf den Einzelgesellschafter C. übertragen worden sind. Zumal auch die Statuten der GmbH keine Kompetenzen für Personen einräumen, welche weder Gesellschafter noch Geschäftsführer sind, ist eine faktische Einflussnahme auf die Entscheide der GmbH durch B. nicht auszumachen.
Daran ändert schliesslich auch nichts, dass B. und der Geschäftsführer C. die einzigen Lohnbezüger der GmbH sind (Urteil des Sozialversicherungsgerichts Zürich vom 22. März 2010, AL 2008.00295).
6.4 Zusammenfassend lässt sich kein massgebender Einfluss von B. auf die Geschicke seiner Arbeitgeberin ableiten. Es kommt ihm keine arbeitgeberähnliche Stellung zu. Die Angelegenheit ist vielmehr zur Prüfung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die Zeit ab Juni 2020 an die Kasse zurückzuweisen.
Damit erweist sich auch die von der Kasse gegenüber der GmbH verfügte Rückforderung betreffend die in der Kontrollperiode Juni 2020 für B. ausgerichtete KAE als unzulässig. Zugleich folgt daraus, dass auch die von der Kasse in Ziffer 5 des angefochtenen Einspracheentscheids vom 28. Oktober 2020 statuierte Anweisung, die Abrechnungen für die Kontrollperiode März, April und Mai 2020 auf der Basis eines AHV-pflichtigen Lohnes von 4150 Franken zu korrigieren, ersatzlos aufzuheben ist.
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Entscheid 715 20 453/237 vom 2.9.2021.
Ausländerrecht
Behörde ist zur Aufklärung von Laien verpflichtet
Gesuche um eine Familienzusammenführung sind beschleunigt zu behandeln. Erwartet das Migrationsamt Informationen, hat es sie beim Gesuchsteller mittels Verfügung anzufordern. Die Verfahrensleitung hat bei Rechtsunkundigen gewisse Aufklärungs- und Fürsorgepflichten.
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer B. verfügt über eine Aufenthaltsbewilligung Daraufhin stellte er beim Migrationsamt Glarus ein Gesuch um Nachzug seiner Ehefrau, seines Sohns und seiner Tochter. Das Amt lehnte das Gesuch nach mehreren Jahren ab. Der Gesuchsteller habe die erforderlichen Unterlagen nicht rechtzeitig eingereicht. Das kantonale Justiz- und Sicherheitsdepartement hiess die Beschwerde teilweise gut und erteilte der Ehefrau und der gemeinsamen Tochter eine Aufenthaltsbewilligung. Das Familiennachzugsgesuchs für den gemeinsamen Sohn wies das Departement ab. Der Mann brachte den Fall vor das Verwaltungsgericht Glarus. Es heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
5.1.2 Am 31. Juli 2013 stellte der Beschwerdeführer als vorläufig aufgenommene Person bei der Beschwerdegegnerin 1 ein Gesuch um Familiennachzug für seine Ehefrau und die beiden gemeinsamen Kinder, wobei er nicht das dafür vorgesehene kantonale Formular «Gesuch Familiennachzug» verwendete. Es ist unbestritten, dass es sich bei dieser Eingabe um ein Gesuch um Familiennachzug handelte, welches nach Ablauf der in Art. 85 Abs. 7 AuG vorgesehenen dreijährigen Karenzfrist und unter Einhaltung der fünfjährigen Frist nach Art. 74 Abs. 3 VZAE erfolgte.
5.2 Die Beschwerdegegnerin 1 führt aus, der Beschwerdeführer sei ihrer Aufforderung nicht nachgekommen, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Ebenfalls seien weitere Handlungen des Beschwerdeführers für die kommenden Jahre ausgeblieben. Dass der Beschwerdeführer nach dem Schreiben vom 23. September 2013 keinen Gesprächstermin mit der Beschwerdegegnerin 1 vereinbart und ihr die zur Prüfung des Gesuchs erforderlichen Unterlagen nicht vor dem Jahr 2017 eingereicht hat, wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Der Beschwerdeführer hat somit weder im Zeitpunkt der Gesuchstellung am 31. Juli 2013 noch nach der Gesprächseinladung vom 23. September 2013 die zur Prüfung des Gesuchs erforderlichen Unterlagen zeitnah eingereicht. Da der Beschwerdeführer die notwendigen Unterlagen für die Beurteilung seines Gesuchs nicht innert angemessener Frist einreichte, ist er seiner Mitwirkungspflicht im Sinne von Art. 90 lit. b AuG nur unzureichend nachgekommen.
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass gerade in ausländerrechtlichen Verfahren häufig Personen involviert sind, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Daher hat die verfahrensleitende Behörde ihren Aufklärungs- und Fürsorgepflichten in besonderem Mass nachzukommen. Die behördliche Aufklärungspflicht ist mit der Mitwirkungspflicht der Partei eng verbunden. Die Behörde hat darüber aufzuklären, worin die Mitwirkungspflicht besteht, welche Tragweite ihr zukommt und insbesondere welche Beweismittel beizubringen sind. Sie hat eine rechtsunkundige, anwaltlich nicht vertretene Partei, die einen Verfahrensfehler begeht oder im Begriff ist, dies zu tun, von Amtes wegen darauf aufmerksam zu machen.
5.3.1 Die Behörden sind gemäss Art. 29 BV zur beförderlichen Behandlung von Gesuchen verpflichtet. Besonders beschleunigt zu behandeln sind namentlich Gesuche, die die Familienzusammenführung und damit die Verwirklichung des Rechts auf Familienleben betreffen. Auch bei Nachzugsgesuchen, die Kinderbelange berühren, wird der Wille des Gesetzgebers durch eine verzögerte Behandlung vereitelt: Die integrationspolitisch motivierten Nachzugsfristen machen keinen Sinn, wenn die zuständigen Behörden entsprechende Gesuche nicht vorrangig behandeln. Selbstverständlich sind solche Gesuche aus den dargelegten Gründen auch im Rechtsmittelverfahren prioritär zu behandeln.
5.3.2 Der Beschwerdegegner 2 führt aus, es sei zu keiner förmlichen Erledigung des Gesuchs gekommen. Dem kann gefolgt werden, da das Verfahren weder mit einem Nichteintretensentscheid noch mit einer materiellen Erledigung zum Abschluss gebracht wurde. Der Beschwerdeführer wendet daher zu Recht ein, das vor der Beschwerdegegnerin 1 eingeleitete Verfahren sei noch nicht abgeschlossen. Sodann macht der Beschwerdegegner 2 weiter geltend, der Beschwerdeführer sei als vorläufig aufgenommene Person nicht anspruchsberechtigt gewesen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (vgl. Art. 85 Abs. 6 AuG). Eine Erwerbstätigkeit sei allerdings entscheidend, damit die Voraussetzungen für den Familiennachzug, wie die bedarfsgerechte Wohnung und der fehlende Sozialhilfebezug, geschaffen würden. Der Beschwerdeführer habe daher im Ergebnis ein erfolgloses Gesuch gestellt.
Obwohl der Beschwerdegegner 2 damit zu erkennen gibt, dass das Familiennachzugsgesuch mangels finanzieller Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht gutgeheissen worden wäre und die zur Prüfung des Gesuchs erforderlichen Unterlagen fehlten, erliess die Beschwerdegegnerin 1 dennoch weder eine anfechtbare Verfügung, noch setzte sie dem Beschwerdeführer eine Frist, um die benötigten Unterlagen einzureichen. Vor dem Hintergrund, dass Gesuche um Familienzusammenführung beschleunigt zu behandeln sind, wäre die Beschwerdegegnerin 1 gehalten gewesen, das vom Beschwerdeführer rechtzeitig eingereichte Gesuch möglichst rasch zu behandeln. Die Beschwerdegegnerin 1 konnte sich entgegen den Ausführungen des Beschwerdegegners 2 zumindest nicht damit begnügen, aufgrund der mangelnden Bemühungen des Beschwerdeführers ein fehlendes Interesse an der Weiterverfolgung des Gesuchs anzunehmen und das Gesuch unbehandelt zu lassen. Daraus folgt, dass mangels eines rechtsgenüglichen Verfahrensabschlusses durch die Beschwerdegegnerin 1 das Gesuch im Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer sein zweites Familiennachzugsgesuch stellte, immer noch anhängig war.
6.3 Gemäss Auskunft der Sozialen Dienste bezog der Beschwerdeführer bislang keine Sozialhilfe. Er konnte mit seinen seit seiner Einreise in die Schweiz angetretenen Stellen ein existenzsicherndes Einkommen erwirtschaften. Der Beschwerdeführer ist als Küchenhilfe in […] tätig.
6.4 Somit resultiert unter Einrechnung der Ferien- und Feiertagsentschädigungen ein Bruttoeinkommen von Fr. 1198.80. Das Nettoeinkommen ergibt sich sodann unter Abzug der Lohnbeiträge, jedoch ohne den Quellensteuerabzug, weshalb dem Beschwerdeführer aus dieser Nebenerwerbstätigkeit ein monatliches Nettoeinkommen von gerundet 1103 Franken anzurechnen ist.
6.5.1 Bei der Prüfung der erforderlichen finanziellen Mittel einer Familie mit vier Personen sind sodann die Richtlinien des VOF heranzuziehen. Die Berechnung des Beschwerdegegners 2 ist mit Ausnahme des Nebenerwerbs und der Bedarfsberechnung, welche die Kosten einer dreiköpfigen Familie ermittelte, nicht zu beanstanden. Demnach ist von einem verfügbaren monatlichen Netto-Haupterwerbseinkommen des Beschwerdeführers von 3815 Franken auszugehen. Daneben ist sein Nebenerwerb in der Höhe von 1103 Franken sowie das monatliche Nettoeinkommen der Ehefrau von 384 Franken zu berücksichtigen. Überdies sind auf der Einkommensseite die Kinder- und Ausbildungszulagen von 450 Franken hinzuzurechnen. Dies führt zu einem anrechenbaren Erwerbseinkommen der Familie von insgesamt 5752 Franken.
7. Zusammenfassend reichte der Beschwerdeführer sein Gesuch um Nachzug seiner Ehefrau, seines Sohns und seiner Tochter rechtzeitig bei der Beschwerdegegnerin 1 ein. Überdies ist das Erfordernis des Zusammenwohnens in einer bedarfsgerechten Wohnung und die finanzielle Sicherheit gegeben. Die Voraussetzungen von Art. 85 Abs. 7 AuG sind somit erfüllt. Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde.
Verwaltungsgericht Glarus, Urteil VG.2021.00024 vom 28.10.2021