Erbrecht
Schulden sind vor der Erbteilung zu begleichen
Die Sicherstellung oder Tilgung von Schulden des Nachlasses ist vor der Erbteilung vorzunehmen. Die Erben haben einen Anspruch, einen solchen Antrag stellen zu können.
Sachverhalt
Drei Geschwister aus dem Kanton Aargau stritten sich nach dem Tod der Eltern um die Erbschaft im Wert von rund 11,4 Millionen Franken. Das Bezirksgericht Rheinfelden sprach jedem Kind einen Drittel der Erbschaft zu und regelte, welche Zahlungen an die Erbteile angerechnet werden. Eine Schwester erhob Berufung vor dem Obergericht Aargau. Sie beanstandete, dass vor der Erbteilung noch nicht alle Schulden des Erblassers bezahlt wurden. Damit hatte sie Erfolg. Das Obergericht hielt fest, dass die Schulden zuerst bezahlt werden müssen oder dass wenigstens die Begleichung der Schulden sichergestellt wird.
Aus den Erwägungen
6.2 Nach Art. 610 Abs. 3 ZGB kann jeder Erbe verlangen, dass die Schulden des Erblassers vor der Teilung der Erbschaft getilgt oder sichergestellt werden. Das Begehren eines einzigen Erben genügt, und zwar auch dann, wenn dieser faktisch aus der Erbteilung nichts mehr erhält (Stephan Wolf, in: Berner Kommentar, Die Teilung der Erbschaft, 2014, N. 39 zu Art. 610 ZGB).
Die Passiven einer Erbschaft können wie die Aktiven anlässlich der Teilung den einzelnen Miterben zugewiesen werden. Das Gesetz lässt denn auch die Solidarhaftung der Miterben für fünf Jahre über die Erbteilung hinaus andauern (Art. 639 ZGB). Die Erben sind aber von Gesetzes wegen nicht zum Einbezug der Schulden in die Erbteilung verpflichtet; diese ist im Grunde vielmehr eine Auseinandersetzung nur über die Aktiven (Wolf, a.a.O., N. 33 zu Art. 610 ZGB).
6.3 Die Vorinstanz stellte zunächst die Aktiven und Passiven des Nachlasses fest. Nach der Feststellung der Aktiven und Passiven berechnete die Vorinstanz den Nettowert des Nachlasses (Aktiven abzüglich Passiven) und stellte fest, dass sämtliche drei Erben zu je ein Drittel am Nachlass berechtigt seien. Bei der darauffolgenden Berechnung der effektiven Ansprüche der Erben drittelte die Vorinstanz den Nettowert des Nachlasses und verrechnete jeweils diesen Drittel mit allfälligen ausgleichungspflichtigen Vorempfängen, Darlehen oder Guthaben der Erben. Daraus resultierte der effektive Anspruch eines jeden Erben am Nettowert des Nachlasses. Die Vorinstanz beschränkte sich damit nicht nur auf eine Auseinandersetzung mit den Aktiven, sondern bezog die Passiven insofern ein, als dass sie diese vorab zumindest rechnerisch vom Nachlass subtrahierte.
Damit hat die Vorinstanz – ohne es als solches zu bezeichnen – die Schulden des Nachlasses gewissermassen sichergestellt, denn die Erben haben gestützt auf das vorinstanzliche Urteil nur in dem Umfang Anspruch auf die Aktiven des Nachlasses, als diese abzüglich der Passiven noch vorhanden sind.
Wie die Berufungsklägerin aber zu Recht vorbringt, unterliess es die Vorinstanz indessen gänzlich, bezüglich der Passiven konkrete Anweisungen zu treffen. So werden zwar finanzielle Mittel im Umfang der Passiven nicht an die Erben verteilt, ob und gegebenenfalls von wem die Schulden getilgt werden oder ob die übriggebliebenen Mittel beispielsweise auf einem Sperrkonto sichergestellt werden, ist dem vorinstanzlichen Urteil nicht zu entnehmen.
Die Vorinstanz ist damit ihrer Pflicht nach Art. 610 Abs. 3 ZGB nicht nachgekommen. Nachdem die Vorinstanz hinsichtlich der Tilgung oder Sicherstellung der Schulden des Nachlasses keine Anordnung getroffen hat, ist das Verfahren auch in diesem Punkt gestützt auf Art. 318 Abs. 1 lit. c ZPO in teilweiser Gutheissung der Berufung zu diesem Zweck und zum neuen Entscheid in der Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Zusammengefasst dringt die Berufungsklägerin mit ihrer Berufung insoweit durch, als dass die Streitsache zur Neuvornahme der Erbteilung mittels Losbildungsverfahren sowie zur vorgängigen Schuldentilgung oder Sicherstellung an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.
Obergericht Aargau, Urteil ZOR.2023.3 vom 23.10.2023
Arbeitsrecht
Tipp zur Kündigung rechtfertigt keine fristlose Entlassung
Ein Angestellter verletzt die Treuepflicht zum Betrieb erheblich, wenn er zwei Kolleginnen zur Kündigung motiviert. Das ist aber kein genügender Grund für eine fristlose Entlassung. Anders wäre es bei «anhaltendem Aufhetzen» des Personals.
Sachverhalt
Ein Angestellter einer Walliser Firma kündigte die Stelle. Drei Tage später entliess ihn der Betrieb fristlos. Begründung: Er habe Mitarbeiter aufgefordert, ebenfalls zu kündigen, und so die Zukunft des Betriebs gefährdet. Vor Gericht zeigten Zeugenbefragungen: Der Angestellte hatte nur zwei anderen Mitarbeiterinnen geraten, die Stelle zu wechseln. Das reicht laut Urteil nicht für eine fristlose Entlassung. Das Arbeitsgericht und das Kantonsgericht sprachen dem Angestellten wegen der ungerechtfertigten fristlosen Entlassung 8571 Franken Entschädigung zu.
Aus den Erwägungen
2.3.2 Rechtlich qualifizierte die Vorinstanz die Aufforderungen des Klägers an die beiden Mitarbeiterinnen, ihre Arbeitsstelle bei der Beklagten zu verlassen, als eine nicht unerhebliche Verletzung der Treuepflicht des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber. Die Störung des Betriebsfriedens durch «Aufwiegeln» von Arbeitskollegen sei gemäss Lehre eine Treuepflichtverletzung, die grundsätzlich, jedenfalls im Wiederholungsfall, eine fristlose Entlassung rechtfertige.
Vorliegend hätten die Aufforderungen des Klägers nicht unmittelbar zu Kündigungen geführt. So sei eine Mitarbeiterin lediglich über einen Temporärarbeitsvertrag angestellt gewesen, und diese habe den Betrieb in nachvollziehbarer Weise bei erster Gelegenheit zugunsten einer Festanstellung verlassen; die andere Mitarbeiterin habe die Aufforderung des Klägers nicht ernst genommen und auch erst viel später aus gesundheitlichen Gründen gekündigt.
Dennoch stelle schon der entsprechende Versuch eine schwere Treuepflichtverletzung des Arbeitnehmers dar. Dass diese Verhaltensweise vorliegend auch ohne Verwarnung und nach erfolgter ordentlicher Kündigung eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde, erachtete die Vorinstanz als schwer vorstellbar, liess diese Frage aber aus nachfolgenden Gründen offen: Die Vorinstanz argumentierte, da das fragwürdige Verhalten des Klägers lediglich für den Monat März 2019 nachgewiesen und ihm deswegen jedoch erst am 24. Juli 2019 fristlos gekündigt worden sei, zwei Arbeitstage nach seiner eigenen ordentlichen Kündigung, wobei nicht habe nachgewiesen werden können, wie und wann die Beklagte über das Verhalten des Klägers unterrichtet worden sei und welche Abklärungen sie unternommen habe, bestehe betreffend die Frage der Rechtzeitigkeit der fristlosen Kündigung Beweislosigkeit. Die Konsequenzen davon trage der kündigende Arbeitgeber.
2.5 Erwiesen ist einzig, dass der Kläger im März 2019 zwei Mitarbeiterinnen mit der Begründung, die Firma habe keine Zukunft, eine Kündigung nahegelegt hat. Allenfalls hat er an den Sohn einer dieser Mitarbeiterinnen eine gleichlautende Aufforderung gerichtet, was die Vorinstanz offenlassen durfte. Denn in der durch die Beklagte vorbereiteten und von F unterschriebenen Bestätigung steht dazu lediglich, dass deren Sohn eine entsprechende an seine Mutter adressierte Aufforderung des Klägers bestätigen werde; bei ihrer Befragung antwortete F, der Kläger habe, soweit sie wisse, ihrem Sohn gesagt, er solle die Firma verlassen.
Ohne in leitender Stellung für die Beklagte tätig gewesen zu sein, kann darin noch kein wichtiger Grund für eine fristlose Entlassung gesehen werden. Wohl stellt ein solches Verhalten eine Treuepflichtverletzung gegenüber der Arbeitgeberin dar; sie wiegt aber nicht besonders schwer, weil ein anhaltendes Aufhetzen des Personals nicht nachgewiesen wurde und infolge Beweislosigkeit davon ausgegangen werden muss, dass der Kläger sich in den Monaten darauf insoweit nichts hat zuschulden kommen lassen. Offenbar hat er auch gegenüber den beiden Mitarbeiterinnen mit seinem Ansinnen nicht insistiert; jedenfalls haben sie ihre Arbeitsstellen bei der Beklagten nicht wegen der Intervention des Klägers aufgegeben.
Eine Verwarnung gegenüber dem Arbeitnehmer wurde seitens der Arbeitgeberin sodann zu keinem Zeitpunkt je ausgesprochen, sodass auch deshalb das zweimalige (allenfalls dreimalige) Vergehen des Klägers nicht als wichtiger Grund für eine fristlose Entlassung genügt. Diese ist demzufolge ungerechtfertigt.
2.6 Selbst wenn ein wichtiger Grund für eine fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorliegt beziehungsweise vorläge, so ist beziehungsweise wäre die Kündigung ab dessen Kenntnis umgehend, das heisst im Allgemeinen innert zwei bis drei Arbeitstagen zu erklären. Muss der Kündigungsentscheid von einem Gremium wie beispielsweise dem Verwaltungsrat an dessen Sitzung gefällt werden, so kann sich die Frist bis zu einer Woche verlängern. Beweispflichtig ist der Kündigende (Arbeitsgericht, E. 5.4 mit Hinweis auf die Lehre; vgl. auch die bei Portmann / Rudolph, a.a.O., N. 13 zu Art. 337 OR wiedergegebene Rechtsprechung).
2.6.1 Vorliegend hat die Berufungsklägerin, welche die fristlose Kündigung ausgesprochen hat, deren Rechtzeitigkeit nicht bewiesen. Folglich ist die fristlose Entlassung ungerechtfertigt.
Kantonsgericht Wallis, Urteil C1 23 51 vom 25.7.2023
Zivilprozessrecht
Handelsgericht missachtet Gebührentarif
Das Zürcher Handelsgericht hat einer unterlegenen Partei Gerichtskosten in Höhe von 500 Franken auferlegt, obwohl der Streitwert bloss 48 Franken betrug.
Sachverhalt
Die Urheberrechtsverwertungsgesellschaft Pro Litteris verlangte von einem freischaffenden Informatiker Fotokopiegebühren. Trotz Mahnung und telefonischer Kontaktaufnahme sei der Informatiker seiner Zahlungspflicht nicht nachgekommen. Dieser macht vor Gericht geltend, dass er weder etwas kopiere noch vervielfältige. Das Handelsgericht entscheidet im Sinne der Verwertungsgesellschaft und auferlegt dem unterlegenen Informatiker 500 Franken Entscheidgebühr bei einem Streitwert von Fr. 47.70.
Aus den Erwägungen
2.2.2 Gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. c URG dürfen urheberrechtlich geschützte und veröffentlichte Werke zum Eigengebrauch verwendet werden, wobei als Eigengebrauch insbesondere das Vervielfältigen von Werkexemplaren in Betrieben, öffentlichen Verwaltungen, Instituten, Kommissionen und ähnlichen Einrichtungen für die interne Information oder Dokumentation gilt. Wer zum Eigengebrauch gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. c URG befugt ist, schuldet dem Urheber oder der Urheberin dafür eine Vergütung (Art. 20 Abs. 2 URG).
Art. 46 Abs. 1 URG bestimmt sodann, dass die Verwertungsgesellschaften – wie die Klägerin eine ist – für die von ihnen geforderten Vergütungen Tarife aufstellen. Gemäss Art. 51 URG besteht grundsätzlich eine Auskunftspflicht der Nutzer gegenüber den Verwertungsgesellschaften. Zur Erlangung der massgeblichen Angaben für die Rechnungsstellung erhalten Nutzer ein Erhebungsformular, mit welchem sie innert 30 Tagen die notwendigen Angaben zu melden haben.
Falls die erbetenen Angaben auch nach einer schriftlichen Mahnung nicht innert Nachfrist eingereicht werden, kann die Verwertungsgesellschaft die Angaben schätzen und gestützt darauf Rechnung stellen. Diese Schätzung gilt als anerkannt, wenn die betroffenen Nutzer die für die Berechnung notwendigen Angaben nicht innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung der Schätzung schriftlich bekannt geben.
2.2.3 Es ist unbestritten, dass die Klägerin den Beklagten aufgrund des fehlenden Eingangs eines Erhebungsformulars gestützt auf Ziff. 6 ff. und insbesondere Ziff. 8.3 GT 8 VII bzw. GT 9 VII einmalig eingeschätzt hat. Unbestritten ist auch, dass der Beklagte weder diese Einschätzung beanstandet noch eine formgerechte Erklärung «kein Kopierer» bzw. «kein Netzwerk» eingereicht hat. Damit gilt die Einschätzung als anerkannt, selbst wenn die Klägerin dem Beklagten vorgängig telefonisch mitgeteilt hätte, dass er nicht vergütungspflichtig sei und es keine Rechnung geben werde, zumal der Beklagte das Erhebungsformular nicht ausgefüllt hat, obschon er von der Klägerin gemäss eigenen Angaben auf diese Pflicht hingewiesen wurde, und die Einschätzung nicht beanstandet hat.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Klägerin den Beklagten – nachdem dieser bei der Erhebung der notwendigen Angaben nicht mitgewirkt hatte – eingeschätzt und dementsprechend eine Rechnung gestellt hat, welche bis anhin nicht beglichen wurde. Der Beklagte ist daher zu verpflichten, der Klägerin den für das Vergütungsjahr 2021 insgesamt ausstehenden Betrag von Fr. 47.70 zu bezahlen.
3.1 Die Höhe der Gerichtsgebühr bestimmt sich nach der Gebührenverordnung des Obergerichts (Art. 96 ZPO i.V.m. § 199 Abs. 1 GOG) und richtet sich in erster Linie nach dem Streitwert bzw. nach dem tatsächlichen Streitinteresse (§ 2 Abs. 1 lit. a GebV OG). Vorliegend beträgt der Streitwert Fr. 47.70. In Anwendung von § 4 Abs. 1 und Abs. 2 GebV OG sowie angesichts des im Verhältnis zum Streitwert hohen Zeitaufwands ist die Mindestgebühr von 150 auf 500 Franken zu erhöhen. Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss dem Beklagten aufzuerlegen (Art. 106 Abs. 1 ZPO).
Handelsgericht Zürich, Entscheid HG220179 vom 11.7.2023
Kommentar
Gemäss § 4 Absatz 1 der Gebührenverordnung des Obergerichts des Kantons Zürich (GebV OG/ZH) beträgt die Gerichtsgebühr für Streitwerte unter 1000 Franken 25 Prozent des Streitwerts, mindestens aber 150 Franken. Mit anderen Worten beläuft sich die Grundgebühr bei Streitwerten bis 600 Franken stets auf 150 Franken. Gemäss klarem Wortlaut des § 4 Absatz 2 GebV OG/ZH kann die Grundgebühr unter Berücksichtigung des Zeitaufwands und der Schwierigkeit des Falls ermässigt oder – in Ausnahmefällen – bis auf das Doppelte erhöht werden.
Eine weitergehende Erhöhung ist nach klarem Verordnungswortlaut ausgeschlossen, womit bei einem Streitwert von Fr. 47.70 die höchstzulässige Gerichtsgebühr 300 Franken beträgt. Jede weitere Erhöhung lässt sich mit dem Wortlaut jener Verordnungsnorm nicht in Einklang bringen und erweist sich zudem als willkürlich. Gründe, die eine Abweichung von der Wortlautbindung – beispielsweise infolge eines Redaktionsversehens – erlauben würden (näher hierzu: BGE 143 IV 122, Erwägung 3.2.3), sind nicht ansatzweise ersichtlich. Vielmehr basiert die Streitwertorientierung zivilprozessualer Gerichtsgebühren auf der zutreffenden Einsicht, dass das Prozessrisiko für private Verfahrensparteien kalkulierbar sein muss, wobei dieses Ziel durch Gebühren, die ohne Bezug zum Streitwert beliebig erhöht werden könnten, stark in Frage gestellt würde.
Warum das Handelsgericht sich über den Kantonsrat als Genehmigungsbehörde des kantonalen Gebührentarifs hinwegsetzt, bleibt unklar. Fest steht indes, dass dieses Vorgehen bei Urheberrechtsstreitigkeiten von Pro Litteris oder Suisa geltend gemachten Forderungen System zu haben scheint, denn auch in den Urteilen HG230028 vom 15. Juni 2023, HG230039 vom 13. Juli 2023, HG230050 vom 15. Juni 2023 oder HG230113 vom 23. Oktober 2023 wurde der Gebührenrahmen von § 4 Absatz 2 der GebV OG/ZH offensichtlich überschritten.
Dass es auch rechtskonform geht, zeigt exemplarisch die II. Zivilkammer des Zürcher Obergerichts, indem sie erst kürzlich entschied, dass eine Gerichtsgebühr von 6240 Franken für eine blosse Testamentseröffnung auch bei hohem Nachlasswert vor dem Äquivalenzprinzip nicht standhält (Urteil PF230052 vom 6. Oktober 2023). Das verfassungsrechtliche Äquivalenzprinzip kann nämlich im Einzelfall gebieten, eine tarifgemässe Gebühr wegen besonders tiefen Aufwands zu senken (BGE 139 III 334, Erwägung 3 betreffend eine handelsgerichtliche Gerichtsgebühr von 12'000 Franken für einen blossen Nichteintretensentscheid infolge Nichtleistung des Kostenvorschusses).
Artur Terekhov, Oberengstringen ZH
Unfallversicherung
Vergewaltigung unter Betäubung stellt keinen Unfall dar
Erinnern sich Opfer wegen K.-o.-Tropfen nicht oder nur vage an eine Vergewaltigung, liegt rechtlich kein Unfall
vor. Es fehlt dafür an einem schreckbedingten Einfluss auf die Psyche. Abzustellen ist auf die Aussage der ersten Stunde.
Sachverhalt
Eine 28-jährige Frau aus dem Kanton Zürich wurde unter Wirkung von K.-o.-Tropfen vergewaltigt. Die Polizei konnte den oder die Täter nicht ermitteln. Das Opfer meldete ihre psychischen Leiden bei der Suva als Unfall an. Diese lehnte eine Leistung ab. Die Frau zog dagegen vor das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, das die Leistungspflicht der Suva bestätigte. Die Versicherung akzeptierte das Urteil nicht und verlangte vor Bundesgericht mit Erfolg die Aufhebung des Entscheids.
Aus den Erwägungen
3.1 Unfall ist, wie die Vorinstanz zutreffend darlegte, die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat (Art. 4 ATSG). Rechtsprechung und Lehre haben schreckbedingte plötzliche Einflüsse auf die Psyche seit jeher als Einwirkungen auf den menschlichen Körper (im Sinne des geltenden Unfallbegriffs) anerkannt und für deren unfallversicherungsrechtliche Behandlung besondere Regeln entwickelt.
Danach setzt die Annahme eines Unfalls voraus, dass es sich um ein aussergewöhnliches Schreckereignis, verbunden mit einem entsprechenden psychischen Schock, handelt; die seelische Einwirkung muss durch einen gewaltsamen, in der unmittelbaren Gegenwart der versicherten Person sich abspielenden Vorfall ausgelöst werden und in ihrer überraschenden Heftigkeit geeignet sein, auch bei einem gesunden Menschen durch Störung des seelischen Gleichgewichts typische Angst- und Schreckwirkungen (wie Lähmungen, Herzschlag etc.) hervorzurufen.
5. Da die Beschwerdeführerin in sachverhaltlicher Hinsicht ebenfalls davon ausgeht, die Beschwerdegegnerin sei Opfer einer Schändung geworden, erübrigen sich weitere Ausführungen dazu. Streitig ist hingegen, ob die Beschwerdegegnerin von der Tat der Schändung etwas mitbekommen hat oder nicht.
5.1 Gemäss der Beweismaxime der «Aussagen der ersten Stunde» erscheinen die spontanen Angaben der versicherten Person zuverlässiger als spätere Schilderungen, die bewusst oder unbewusst von Überlegungen versicherungsrechtlicher oder anderer Art beeinflusst sein können, weshalb ersteren höherer Beweiswert zuerkannt werden darf.
5.2 Wie die Beschwerdeführerin zutreffend vorbringt, gab die Beschwerdegegnerin anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 25. Oktober 2021 wiederholt an, sich an nichts mehr zu erinnern. Ihr fehlten sämtliche Erinnerungen an die vergangenen Stunden, und sie konnte zu den sexuellen Übergriffen keinerlei Angaben machen.
Tags darauf habe sie ihre Gynäkologin angerufen, weil sie sich Gedanken über ihre Gesundheit und über Krankheiten gemacht habe. Sie habe sich untersuchen lassen wollen, weil sie anscheinend Geschlechtsverkehr gehabt habe und das Kondom gerissen sei. Auch gegenüber der Ärztin gab die Beschwerdegegnerin an, nicht zu wissen, was geschehen sei, da sie sich nicht erinnern könne.
Die Beschwerdegegnerin hatte erstmals in ihrer Einsprache vom 17. August 2022 vorgebracht, sie könne sich bruchstückhaft an die Geschehnisse und den Übergriff erinnern, so z.B. an das Bild des Unbekannten, der sich über sie gebeugt habe, und an ihre Hilflosigkeit sowie Handlungsunfähigkeit, die sie in diesem Moment verspürt habe. Dazu verwies sie auf den Verlaufsbericht der Dr. phil. D und Dr. med. E vom 12. Juli 2022. An dieser Darstellung hielt die Beschwerdegegnerin in den folgenden Rechtsschriften fest.
5.3 Gemäss den «Aussagen der ersten Stunde» und unter Berücksichtigung der gesamten Aktenlage kann nach Gesagtem entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht als erstellt gelten, dass sich die Beschwerdegegnerin bruchstückhaft an einzelne Bilder des Ereignisses erinnern konnte und die Schändung zumindest teilweise bewusst erlebt hatte.
6.1 In rechtlicher Hinsicht ist nach Gesagtem mangels Erinnerung der Beschwerdegegnerin an das Geschehene davon auszugehen, dass diese die begangene Schändung wegen ihres Zustands nicht unmittelbar, das heisst mit eigenen Sinnen, wahrgenommen hatte.
6.2. Zusammenfassend verletzte das kantonale Gericht somit Bundesrecht, indem es das Ereignis vom 24. Oktober 2021 gestützt auf die konkreten Umstände als Unfall im Sinne von Art. 4 ATSG qualifizierte und die Sache zur Prüfung des natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs sowie der weiteren Leistungsvoraussetzungen an die Beschwerdeführerin zurückwies. Das vorinstanzliche Urteil ist daher aufzuheben, und der Einspracheentscheid vom 9. November 2022 ist zu bestätigen.
Bundesgericht, Urteil 8C_548/2023 vom 21.2.2024
Kommentar
Dieser Entscheid ist aus zweierlei Hinsicht stossend: Es ist nicht einzusehen, weshalb das Bundesgericht bei traumatischen Ereignissen derart strikt auf das Prinzip der «Aussage der ersten Stunde» abstellt. Denn es ist erwiesen, dass bei Personen, die einen Schock oder ein Trauma erleiden, eine Gedächtnislücke eintreten kann, die unter Umständen sogar mehrere Jahre umfassen kann.
Das Bundesgericht hätte deshalb im vorliegenden Fall wie die Vorinstanz die Aussagen des Opfers einer Gesamtschau unterziehen und diese entsprechend würdigen müssen. So ist nachvollziehbar, dass sich eine unter Schock stehende und verängstigte Frau zu Beginn an nichts mehr erinnert. Es ist auch einleuchtend, dass bruchstückhafte Erinnerungen an das Geschehen erst mit der Zeit und mit der psychologischen Aufarbeitung des Traumas ins Bewusstsein vordringen.
Weiter ist die vom Bundesgericht für die Unmittelbarkeit relevante Unterscheidung zwischen bewusstem und unbewusstem Wahrnehmen eines Vorfalles in Frage zu stellen. Tatsache ist, dass ein sexueller Missbrauch wie im vorliegenden Fall ein unmittelbarer und schwerer Eingriff in die sexuelle Integrität einer Frau darstellt und in der Regel für die Betroffene gravierende gesundheitliche Folgen hat. Es ist daher nicht einzusehen, weshalb diejenigen Frauen, die sich nicht oder nur vage an das Geschehen erinnern, unfallversicherungsrechtlich schlechtergestellt werden sollten.
Zudem ist eine Abgrenzung zwischen Bewusst- und Unbewusstsein schwierig zu treffen. Denn auch ein anfänglich unbewusstes, allenfalls verdrängtes Erleben kann später ins Bewusstsein gelangen und ebenso massive Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Person haben. Das Bundesgericht täte also gut daran, auf andere Kriterien zur Anknüpfung an die Voraussetzung der Unmittelbarkeit abzustellen.
Nathalie Lang, Zürich
Invalidenversicherung
IV muss Versicherte bei der Stellensuche unterstützen
Die Invalidenversicherung muss für invaliditätsfremde Probleme wie eine fehlende Ausbildung nicht einstehen. Doch wenn sich die fehlende Ausbildung neben einem Gesundheitsschaden bei der Arbeitssuche erschwerend auswirkt, besteht ein Anspruch auf Vermittlung.
Sachverhalt
Ein Versicherter aus Zürich meldete sich unter Hinweis auf Rücken-, Schulter- und Kniebeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich klärte die erwerbliche und medizinische Situation auch mit Hilfe des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) ab und bestätigte, dass die Voraussetzungen für eine Arbeitsvermittlung im Rahmen eines Arbeitsversuchs mit Job-Coaching erfüllt seien.
Sie sicherte dem Versicherten zu, dass er Unterstützung bei der Stellensuche erhalte. Nach knapp einem Jahr beendete die IV-Stelle die Arbeitsvermittlung jedoch und verneinte einen Anspruch auf Unterstützung bei der Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes. Dagegen wehrte sich der Versicherte erfolgreich vor dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich.
Aus den Erwägungen
1.3 Arbeitsunfähige Versicherte, welche eingliederungsfähig sind, haben Anspruch auf Unterstützung bei der Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes oder im Hinblick auf die Aufrechterhaltung ihres Arbeitsplatzes. Die IV-Stelle veranlasst diese Massnahmen unverzüglich, sobald eine summarische Prüfung ergibt, dass die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bedarf der Anspruch auf Arbeitsvermittlung weder der Invalidität noch eines Mindestinvaliditätsgrades. Zur Begründung des Anspruchs ist jedoch eine spezifische Einschränkung gesundheitlicher Art notwendig, wenn die Arbeitsfähigkeit einzig insoweit betroffen ist, als der versicherten Person nur leichte Tätigkeiten voll zumutbar sind.
Die leistungsspezifische Invalidität des Anspruchs liegt vor, wenn die Behinderung Probleme bei der Stellensuche verursacht. Dies trifft bspw. zu, wenn wegen Stummheit oder mangelnder Mobilität kein Bewerbungsgespräch möglich ist oder dem potenziellen Arbeitgeber die besonderen Möglichkeiten und Grenzen der versicherten Person erläutert werden müssen (z.B. welche Tätigkeiten trotz Sehbehinderung erledigt werden können), damit sie überhaupt eine Chance hat, den gewünschten Arbeitsplatz zu erhalten.
4.1 Strittig und zu prüfen ist vorliegend der Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitsvermittlung, insbesondere auf Unterstützung bei der Stellensuche, nach Art. 18 IVG. Die Beschwerdegegnerin macht einerseits geltend, dass beim Beschwerdeführer keine zusätzliche spezifische Einschränkung gesundheitlicher Art vorliege, welche Probleme bei der Stellensuche verursache, womit die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben seien. Sie ging insbesondere gestützt auf die Beurteilung des RAD davon aus, dass der Beschwerdeführer in einer optimal angepassten Tätigkeit voll arbeitsfähig sei. Andererseits sei eine weitere Unterstützung unverhältnismässig, da davon kein Erfolg zu erwarten sei.
4.2 Vorab ist festzuhalten, dass die Beschwerdegegnerin mit ihrer Annahme von mangelnden Anspruchsvoraussetzungen zu verkennen scheint, dass sie mit Mitteilung vom 2. August 2022 die Anspruchsvoraussetzungen für die Arbeitsvermittlung im Sinne eines Arbeitsversuchs mit Job-Coaching bereits bejaht hat und dabei insbesondere auch die Unterstützung bei der Stellensuche zugesichert hat. Diese Mitteilung ist bindend.
4.3 Ein Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen, wie das die Beschwerdegegnerin anzunehmen scheint, ergibt sich vorliegend nicht, denn die Anspruchsvoraussetzungen müssen für den Anspruch auf Arbeitsvermittlung nur glaubhaft gemacht werden. Vorliegend ist insbesondere von Bedeutung, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers aktenkundig nicht verbessert hat. Ganz im Gegenteil wurde im Verlaufsbericht ausgeführt, dass sich die Situation bezüglich der rechten Schulter verschlechterte. Die Gutachterin geht von einem reduzierten Pensum von 50 Prozent selbst bei wechselseitig leichter Belastung aus. Zudem ist auch der Knorpelschaden im Knie progredient.
4.4 Daran vermögen auch die Beurteilungen des RAD nichts zu ändern. Einerseits ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Beurteilungen des RAD nicht sämtliche medizinischen Berichte und entsprechenden Befunde vorgelegen haben. Wie sich gezeigt hat, lag beim Beschwerdeführer eine Ruptur der Supraspinatussehne mit luxierter langer Bizepssehne vor, welche eine Rotatorenmanschettenrekonstruktion notwendig machte, und nicht wie der RAD annahm eine blosse ACG-Arthrose.
Insofern fusst die aktuellste RAD-Beurteilung auf einem unvollständigen Befund, weshalb sie von vornherein nicht beweiskräftig ist. Zudem hat sich die prognostische Einschätzung des RAD, wonach in einer angepassten Tätigkeit nach entsprechender Einarbeitung über ca. sechs Monate die Arbeitsfähigkeit von 50 Prozent auf 100 Prozent gesteigert werden könne, nicht bewahrheitet. Der Beschwerdeführer konnte während der Dauer seines Arbeitsversuchs seine Arbeitsfähigkeit von 50 Prozent eben gerade nicht steigern, was vorliegend ebenfalls zu würdigen ist. Eine entsprechende Auseinandersetzung des RAD mit diesem Umstand ist nicht aktenkundig.
Darüber hinaus hat er ausgeführt, dass eine angepasste Tätigkeit «nach entsprechender Einarbeitung über ca. sechs Monate von initial 50 Prozent Arbeitsfähigkeit dann auf 100 Prozent erreichbar» sei. Somit ging der RAD zum Zeitpunkt seiner Beurteilung vom 5. Juli 2023 obenhin von einer 50-prozentigen Arbeitsunfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit aus. Es bleibt somit unklar, gestützt worauf die Beschwerdegegnerin eine vollständige Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in einer angepassten Tätigkeit im Verfügungszeitpunkt ableiten will.
4.6 Somit liegt eine gesundheitliche Einschränkung vor, die besondere Anforderungen an einen geeigneten Arbeitsplatz stellt und dem Beschwerdeführer bei der Suche einer Stelle Schwierigkeiten bereitet. Damit ist er auf Hilfe bei der Suche nach einer passenden Stelle angewiesen und der Anspruch auf Arbeitsvermittlung grundsätzlich ausgewiesen.
4.7.1 Solange die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist der Anspruch auf Arbeitsvermittlung grundsätzlich in zeitlicher Hinsicht nicht begrenzt, sondern besteht bis zur erfolgreichen Eingliederung. Indessen wird er nach Massgabe des Verhältnismässigkeitsprinzips begrenzt. Der Verhältnismässigkeitsgrundsatz ist in Form des angemessenen Mitteleinsatzes wegleitend für die Frage, wie lange der Anspruch auf eine Arbeitsvermittlung dauert: Grundsätzlich so lange, wie die versicherte Person nicht platziert und eingegliedert ist.
Die Arbeitsvermittlung ist aber nur so lange zu erbringen, als der dafür notwendige Aufwand nicht unverhältnismässig ist. Unverhältnismässig erscheint die Arbeitsvermittlung, wenn von weiteren Bemühungen keinerlei Erfolg mehr erwartet werden darf, obwohl vorher eine intensive Betreuung stattgefunden hat, was jeweils im Einzelfall entschieden werden muss. Die Verhältnismässigkeit einer Fortführung der Arbeitsvermittlung beurteilt sich nicht anhand der Erledigung von vorgängig festgelegten abstrakten Vorgaben; es besteht Anspruch auf das situativ Notwendige.
4.7.2 Dass die IV-Stelle nicht für invaliditätsfremde Probleme einzustehen hat (hier die fehlende Ausbildung des Beschwerdeführers), trifft zwar grundsätzlich zu, jedoch ist vorliegend zu berücksichtigen, dass wenn sich invaliditätsfremde Faktoren in Verbindung mit dem invalidisierenden Gesundheitsschaden bei der Suche nach Arbeit erschwerend auswirken, diese den aufgrund gesundheitlicher Probleme bestehenden Anspruch auf Arbeitsvermittlung nicht ausschliessen. Insgesamt erscheint die Arbeitsvermittlung daher verhältnismässig.
4.7.3 Es besteht somit Anspruch auf Arbeitsvermittlung in Form von Unterstützung bei der Stellensuche, weshalb die Beschwerde gutzuheissen ist.
Sozialversicherungsgericht Zürich, Entscheid IV.2023.00485 vom 28.3.2024
Migrationsrecht
Portugiese zu Unrecht aus der Schweiz gewiesen
Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union schützt den Verbleib von Erwerbstätigen in der Schweiz auch dann, wenn sie sozialhilfeabhängig werden.
Sachverhalt
Ein Portugiese kam 1988 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz und erhielt eine Niederlassungsbewilligung. Nach seiner Schulzeit wurde er professioneller Kampfsportler, nahm an nationalen und internationalen Wettkämpfen teil und arbeitete als Trainer. In den Jahren 2006 und 2014 wurde er wegen verschiedener Delikte zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Aufgrund von Gesundheitsproblemen beendete er 2011 seine Karriere als Profisportler und arbeitete anschliessend nur noch als Trainer. Ab 2022 bezog er Sozialhilfe.
Wenige Monate später entzog das Migrationsamt seine Niederlassungsbewilligung und wies ihn aus der Schweiz aus. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft wies seine Beschwerde ab, da er seit 2015 keine Erwerbstätigkeit mehr ausübe und somit keinen Anspruch auf Freizügigkeit habe. Dagegen wehrte er sich vor Kantonsgericht – mit Erfolg.
Aus den Erwägungen
3. Streitgegenstand bildet die Frage, ob der Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers und die Wegweisung aus der Schweiz zu Recht erfolgten.
4.3 Die Erteilung bzw. Verlängerung von Aufenthaltsbewilligungen richtet sich grundsätzlich nach dem Ausländergesetz. Für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) hat das Ausländergesetz allerdings nur insoweit Geltung, als das FZA keine abweichende Bestimmung enthält oder das Ausländergesetz eine für den Ausländer vorteilhaftere Regelung enthält (Art. 2 Abs. 2 AIG).
4.5 Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, dass die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers zu widerrufen sei. Ihr zufolge sei der Beschwerdeführer weder als Arbeitnehmer gemäss Art. 6 Anhang I FZA einzustufen, wie sie heute ausführt, noch erfülle er die Voraussetzungen für ein Verbleiberecht nach Art. 4 Anhang I FZA. Der Beschwerdeführer bestreitet dies.
4.7 Nach der Rechtsprechung kann nur dann von einem Arbeitnehmer im freizügigkeitsrechtlichen Sinne und dem damit verbundenen Status ausgegangen werden, wenn der unselbständig erwerbstätige Vertragsausländer (1) während einer bestimmten Zeit (2) Leistungen für eine andere Person nach deren Weisungen erbringt und (3) als Gegenleistung hierfür eine Vergütung erhält (BGE 141 II 1, E. 2.2.3). Auf den zeitlichen Umfang der Aktivität und die Höhe des Lohnes oder die Produktivität kommt es grundsätzlich nicht an. Damit schliessen auch Teilzeitarbeitsverhältnisse sowie Lohnsummen unterhalb des Existenzminimums das Vorliegen eines Arbeitnehmers im Sinne des FZA nicht aus.
5.1 Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, dass der Beschwerdeführer die Arbeitnehmereigenschaft gemäss FZA nicht erfülle. Zur Begründung verweist sie insbesondere auf das Urteil des Bundesgerichts 2C_168/2021 vom 23. November 2021, welches sich auf das Urteil des Bundesgerichts 2C_1137/2014 vom 6. August 2015 stützt, in welchem dieses entschieden habe, dass eine Teilzeitbeschäftigung, welche ein monatliches Einkommen von bloss ungefähr 600 bis 800 Franken einbringe, als marginal und nebensächlich anzusehen sei und folglich kein Arbeitsverhältnis im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Anhang I FZA darstelle.
5.2 Der Beschwerdeführer führt an der heutigen Parteiverhandlung aus, dass er sich seit rund einem Jahr keinem operativen Eingriff mehr habe unterziehen müssen, nachdem seine beiden Knie mit Prothesen ausgestattet worden seien. Zuvor sei er immobil gewesen, er habe weder stehen noch gehen können. Bei der letzten, ungefähr sechs Wochen zurückliegenden Untersuchung sei der Facharzt von einer Arbeitsfähigkeit von 80 Prozent ausgegangen.
Er selbst fühle sich in der Lage, eine Arbeitstätigkeit im Umfang von 100 Prozent aufzunehmen.
Eine solche Anstellung zu finden, gestalte sich für ihn jedoch als schwierig, da er die Schulzeit nach acht Jahren beendet habe, über keine Ausbildung verfüge und sich seine gesamte bisherige Karriere im Bereich Leistungssport bewegt habe. Sein aktuelles Pensum könne er aufgrund von bei der Arbeitgeberin liegenden Gründen aktuell nicht erhöhen, dies sei aber künftig beabsichtigt. Er bekräftigt, sich von der Sozialhilfe lösen zu wollen, und weist erneut darauf hin, dass dies in den vergangenen fünf Jahren aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei.
Er habe sich jährlich mindestens zwei bis drei Operationen unterziehen müssen, und bei dieser Ausgangslage hätte ihn niemand eingestellt. Das aktuelle Einkommen reiche knapp aus, um sein Existenzminimum zu decken, und eine vollständige Ablösung von der Sozialhilfe werde in den nächsten Wochen oder Monaten folgen.
5.3 Im vorliegenden Fall verfügt der Beschwerdeführer über eine Niederlassungsbewilligung. Seit dem Jahr 2014 bis zum 1. Mai 2023 ist er keiner Beschäftigung mehr nachgegangen. Wie den Akten entnommen werden kann, erzielte er im Rahmen seines Pensums von 20 Prozent einen Nettolohn von 870 Franken pro Monat. Seit dem 1. September 2023 arbeitet er im Umfang von 39 Prozent und konnte sein Einkommen folglich fast verdoppeln. Aus den Akten ergibt sich, dass sich das Existenzminimum des Beschwerdeführers auf Fr. 2053.40 beläuft, wobei dem Beschwerdeführer jeweils Fr. 1488.50 und Dritten Fr. 564.90 ausbezahlt wurden.
Der Beschwerdeführer erhielt von der Sozialhilfebehörde G für den Monat Mai 2023 eine Auszahlung in der Höhe von Fr. 1188.50 und für den Monat Juni 2023 eine solche in der Höhe von Fr. 468.50. Gemäss heutiger Aussage arbeitet der Beschwerdeführer ca. drei Stunden täglich, leitet Kurse und betreut Klienten, je nachdem eine Stunde morgens und zwei Stunden abends oder umgekehrt.
Damit verrichtet er seine Tätigkeit regelmässig, was praxisgemäss zu berücksichtigen ist. Zu beachten ist auch, dass der Beschwerdeführer sich in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befindet, auch wenn er damit quantitativ nur ein geringes Einkommen zu erwirtschaften vermag. Zudem konnte die Sozialhilfeunterstützung seit Aufnahme der Erwerbstätigkeit deutlich reduziert werden bzw. ist davon auszugehen, dass diese künftig allenfalls sogar beendet werden kann.
Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, dass die Anstellung bei seiner Lebensgefährtin lediglich zu einer Umverteilung der finanziellen Situation zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Lebensgefährtin führe und es sich ohnehin um Gefälligkeitsverträge handle. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann nicht allein aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer bei seiner Lebensgefährtin angestellt ist, auf das Vorliegen von Gefälligkeitsverträgen geschlossen werden.
Es ist zu berücksichtigen, dass seine Lebensgefährtin seit Jahren im selben Berufszweig arbeitstätig ist, der Beschwerdeführer langjährig erwerbslos war, die Lebensgefährtin ein eigenes Fitnessstudio betreibt und somit in der Lage ist, dem Beschwerdeführer einen Wiedereinstieg in die Berufsbranche zu ermöglichen.
5.4 Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen und die erwähnten Belege ist davon auszugehen, dass es sich bei der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit um eine quantitativ wie qualitativ echte und tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der dargelegten Rechtsprechung handelt, welche seinen Status als Arbeitnehmer im freizügigkeitsrechtlichen Sinn begründet. Somit kann er sich auf Art. 6 Anhang I FZA berufen, und das FZA kommt vorliegend zur Anwendung. Da eine Rechtsgrundlage für einen Aufenthaltsanspruch hinreichend ist, kann auf die Prüfung weiterer Anspruchsgrundlagen verzichtet werden.
6.1 Der Widerruf von Bewilligungen ist im FZA nicht geregelt; Art. 23 Abs. 2 der Verordnung über den freien Personenverkehr zwischen der Schweiz und der Europäischen Union und deren Mitgliedstaaten, zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich sowie unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (Verordnung über den freien Personenverkehr, VFP) vom 22. Mai 2002 bestimmt, dass für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung EU/Efta Art. 63 AIG gilt.
Ist einer der in Art. 63 AIG niedergelegten Widerrufsgründe erfüllt, stellt sich weiter die Frage, ob dem Widerruf das FZA entgegensteht und ob die Massnahme im Sinn von Art. 96 Abs. 1 AIG und Art. 8 Ziff. 2 EMRK verhältnismässig ist (Urteil des Bundesgerichts 2C_432/2020 vom 26. August 2020, E. 3.2).
6.2 Die Niederlassungsbewilligung kann widerrufen werden, wenn ein Ausländer zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde (Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. b AIG), die Ausländerin oder der Ausländer in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet (Art. 63 Abs. 1 lit. b) oder die Ausländerin oder der Ausländer oder eine Person, für die sie oder er zu sorgen hat, dauerhaft und in erheblichem Mass auf Sozialhilfe angewiesen ist (Art. 63 Abs. 1 lit. c AIG).
Zunächst ist auf den Widerrufsgrund der längerfristigen Freiheitsstrafe einzugehen. Als «längerfristig» gilt eine Freiheitsstrafe, wenn ihre Dauer ein Jahr überschreitet (BGE 135 II 377, E. 4.2 und E. 4.5). Der Beschwerdeführer wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, und damit ist der Widerrufsgrund von Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. b AIG erfüllt. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers kommt einer Beschränkung seiner aus dem FZA fliessenden Rechte gleich, und demzufolge kann er sich auf Art. 5 Anhang I FZA berufen.
6.4 Wie soeben dargelegt, darf eine strafrechtliche Verurteilung im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA mitberücksichtigt werden, wenn die ihr zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt.
Die Prognose über das künftige Wohlverhalten im Rahmen der Interessenabwägung nach rein nationalem Ausländerrecht ist zwar mitzuberücksichtigen, aber nicht ausschlaggebend, kommt es bei Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA doch wesentlich auf das Rückfallrisiko an. Die Vorinstanz hat die für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit des Widerrufs relevanten Kriterien zutreffend dargelegt und gewürdigt. Sie ist gestützt auf Landesrecht zum Schluss gekommen, dass sich ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung aufgrund der längerfristigen Freiheitsstrafe im Sinne von Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. b AIG und Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG als unverhältnismässig erweisen würde. Auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid ist zu verweisen.
Vor diesem Hintergrund erübrigt sich eine Prüfung nach Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA, auferlegt dieser doch zusätzliche Schranken. Ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung fällt damit ausser Betracht.
6.5 Ferner hat die Vorinstanz im vorliegenden Fall den Widerrufsgrund der dauerhaften und erheblichen Sozialhilfeabhängigkeit als erfüllt betrachtet und die Verhältnismässigkeit des Widerrufs der Niederlassungsbewilligung bejaht.
6.6 In der Lehre ist umstritten, ob ein Anspruch nach Art. 6 Anhang I FZA infolge Sozialhilfeabhängigkeit erlöschen kann. Andreas Zünd und Arthur Brunner vertreten die Auffassung, dass der Widerrufsgrund der Sozialhilfeabhängigkeit auf Arbeitnehmer von EU und Efta und ihre Familienangehörigen nicht anwendbar sei (vgl. Andreas Zünd /Arthur Brunner, in: Uebersax / Rudin / Hugi Yar / Geiser / Vetterli [Hrsg.], a.a.O., Rz. 10.81).
Auch Valerio Priuli etwa spricht sich dagegen aus und hält fest, dass wirtschaftliche Zwecke als Rechtfertigungsgründe für eine Beschränkung der Freizügigkeitsrechte gegenüber Arbeitnehmenden gänzlich ausser Betracht fallen sollten (Valerio Priuli, in: Spescha / Zünd / Bolzli / Hruschka / de Weck [Hrsg.], a.a.O., N 6 zu Art. 5 Anhang I FZA).
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass ein Anspruch gemäss Art. 6 Anhang I FZA fortbesteht, wenn die Sozialhilfeabhängigkeit erst nach der Wohnsitznahme und als Folge einer Krankheit eingetreten ist (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_13/2018 vom 16. November 2018, E. 4.2).
6.7 Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer seit dem 1. März 2018 sozialhilfeabhängig, d.h. also lange nach der Wohnsitznahme in der Schweiz. Gestützt auf die eingereichten Belege und Arztzeugnisse erfolgte die Sozialhilfeabhängigkeit als Folge seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen, welche ihn quasi immobilisiert haben. Wie vorstehend dargelegt, erfüllt der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall die Arbeitnehmereigenschaft, und sein aktueller geringer Sozialhilfebezug kann bei der geschilderten Ausgangslage und insbesondere mit Blick auf vorstehend dargelegte bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht zu einem Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung führen.
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Entscheid 810 23 21 vom 20.9.2023
Gebäudeversicherung
Kürzung nach Saunabrand wegen Selbstverschuldens
Das Lagern leicht brennbarer Materialien wie Koffer oder Teppiche in unmittelbarer Nähe eines ans Stromnetz angeschlossenen Saunaofens ist grobfahrlässig. Die Versicherung darf die Leistungen um 20 Prozent kürzen.
Sachverhalt
Die Besitzer eines Einfamilienhauses im Kanton Solothurn nutzten die Sauna als Abstellkammer und stellten unter anderem Koffer und Teppiche in die Sauna. In der Folge eines technischen Defekts startete der Saunaofen, und es entstand ein Brand, der sich aufgrund der eingelagerten Waren weiter ausbreiten konnte. Die Gebäudeversicherung des Kantons Solothurn kürzte die Entschädigung um 20 Prozent. Sie hätten es versäumt, den Saunaofen vom Stromnetz zu trennen, als sie die Sauna als Lagerraum umnutzten. Damit liege eine grobfahrlässige Unterlassung vor. Die Bewohner wehrten sich erfolglos vor Gericht.
Aus den Erwägungen
3. Gemäss § 60 Abs. 1 GVG hat jedermann im Umgang mit Feuer und Licht, beim Gebrauche feuer- und explosionsgefährlicher Stoffe und bei der Verwendung von Apparaten, Maschinen, Motoren, elektrischen und anderen Einrichtungen die zur Vermeidung eines Brandausbruches oder einer Explosion notwendige Vorsicht walten zu lassen. Brennstoffe und andere brennbare Materialien dürfen nicht zu nahe an Feuerstellen und anderen Einrichtungen, an denen sie sich entzünden können, gelagert werden.
4. Die Kürzung der Entschädigung ist in § 50 GVG geregelt. Demgemäss ist die Direktion berechtigt, die Entschädigungssumme in einem dem Grad des Verschuldens des Eigentümers entsprechenden Verhältnis, höchstens aber um zwei Drittel, zu kürzen, namentlich wenn der Eigentümer den Schaden grobfahrlässig verursacht oder die zu seiner Minderung geeigneten Massnahmen grobfahrlässig unterlassen hat. Die Kriterien zur Beurteilung des Verschuldens sind bei der öffentlich-rechtlichen Gebäudeversicherung nicht anders als im Zivilrecht, weshalb auf die einschlägige privatrechtliche (Spezial-)Literatur verwiesen werden kann (vgl. Stephan Fuhrer in: Urs Glaus /Heinrich Honsell [Hrsg.], Gebäudeversicherung, Basel 2009, S. 305, N 25).
5. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die elementarsten Vorsichtsgebote ausser Acht gelassen werden und das Verhalten des Fehlbaren damit «schlechterdings unverständlich» erscheint. Grobfahrlässig handelt, wer Massnahmen nicht ergreift, die jedem verständigen Menschen in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen hätten einleuchten müssen. Die Fahrlässigkeit wiegt umso schwerer, je gefährlicher die Umstände sind, die jemand schafft, und je weniger die konkret geforderten Sicherheitsmassnahmen ergriffen werden.
6. Streitig und zu prüfen ist, ob der Eigentümer grobfahrlässig gehandelt hat und die Beschwerdegegnerin ihre Entschädigung zu Recht um 20 Prozent gekürzt hat.
7.1 Der Beschwerdeführer benutzte die betriebsbereite Sauna seit Jahren als Lagerraum für Gepäckkoffer, Teppiche und andere leicht brennbare Materialien, obschon er wissen musste, dass er dadurch ein erhöhtes Brandrisiko schuf. Damit verstiess er gegen die in § 46 Abs. 3 lit. a VV GVG genannte Vorsichtsmassnahme, wonach Brennstoffe und andere brennbare Materialien nicht zu nahe an Feuerstellen und anderen Einrichtungen gelagert werden dürfen.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass sich die in § 60 GVG und § 46 VV GVG erwähnten Vorsichtsmassnahmen darauf beziehen würden, dass während der Verwendung der Sauna keine brennbaren Materialien in der Nähe gelagert werden dürfen. Auch die Warnhinweise in der Sauna-Bedienungsanleitung würden sich auf eine Sauna beziehen, welche in Betrieb sei. Nicht aber wie vorliegend auf eine Sauna, welche seit mindestens fünf Jahren nicht mehr in Betrieb gewesen sei.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers beziehen sich § 60 GVG und § 46 VV GVG nicht nur auf die Verwendung einer Sauna, die gerade zum Saunieren verwendet wird, sondern generell auf deren Betrieb resp. Betriebsbereitschaft. Also auch darauf, wenn die Sauna nicht eingeschaltet und dennoch am Stromnetz angeschlossen ist.
Worauf sich die Warnhinweise in der Sauna-Bedienungsanleitung beziehen, kann vorliegend nicht beurteilt werden, da sich die Sauna-Bedienungsanleitung nicht in den Akten befindet. Dies ist jedoch unerheblich, da sich § 60 GVG und § 46 VV GVG als allgemeine Pflichten und Brandverhütungsgebote auf die Verwendung von Saunas generell und nicht nur auf den Zeitpunkt beim Saunieren selbst beziehen.
7.3 Dem Beschwerdeführer sei nicht bekannt gewesen, dass sich die Sauna am Stromnetz befunden habe. Weder bei der Installation einer Photovoltaikanlage, noch bei der Erstellung einer Wärmepumpe-Heizung sei der Beschwerdeführer von den Fachleuten darauf hingewiesen worden, dass die Sauna am Strom angeschlossen sei, obwohl die Elektrik im ganzen Haus kontrolliert und eine Stromlegende erstellt worden sei. Der Beschwerdeführer habe daher davon ausgehen dürfen, dass die Sauna nicht mehr am Strom angeschlossen sei.
Diese Ausführungen des Beschwerdeführers sind als reine Schutzbehauptungen zu werten. Ferner war es weder an den Installateuren der Photovoltaikanlage noch an den Installateuren der Wärmepumpen-Heizung, den Beschwerdeführer über den Anschluss der Sauna ans Stromnetz aufzuklären. Wie die Beschwerdegegnerin treffend ausführt, trägt ein Hauseigentümer eine Eigenverantwortung, im Rahmen derer es diesem zumutbar ist, sich mit seinem Eigentum auseinanderzusetzen, sich bestehende Gefahrenquellen bewusst zu machen und, wo möglich, zu vermeiden.
7.4 Zusammengefasst ist das Lagern leicht brennbarer Koffer, Teppiche und anderer leicht brennbarer Materialien in unmittelbarer Nähe zum Ofen einer betriebsbereiten, d.h. ans Stromnetz angeschlossenen, Sauna als grobfahrlässig zu werten. Mit diesem Verhalten liess der Beschwerdeführer grundlegende Sicherheitsvorkehrungen ausser Acht. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Brandgefahr zu vermeiden. Wie hiervor dargelegt, erfordert grobe Fahrlässigkeit gerade nicht zwingend ein besonders waghalsiges oder mutwilliges Verhalten. Im Ergebnis erweist sich eine Kürzung der Versicherungsleistung als angebracht.
Verwaltungsgericht Solothurn, Entscheid VWBES.2023.192 vom 11.3.2024