1. Personenrecht
1.1 Schutz der Persönlichkeit
Zum Schutz namentlich vor häuslicher Gewalt sieht Artikel 28b ZGB vor, dass das Gericht einer Person verbieten kann, sich einer anderen anzunähern oder sich in einem bestimmten Umkreis ihrer Wohnung aufzuhalten. Das Verbot kann nicht nur mit einer Strafandrohung verbunden werden. Seit dem 1. Januar 2020 kann für höchstens sechs Wochen auch eine passive1 elektronische Überwachung angeordnet werden.2
Ein kantonales Gericht hatte die Anordnung einer elektronischen Fussfessel abgelehnt, weil das Verhalten des Betroffenen belegte, dass er sich durch eine solche Massnahme von seinen Gewaltakten nicht abschrecken lasse und eine solche Fessel auch nicht eine rechtzeitige Warnung der Bedrohten vor einem Gewaltakt ermögliche. Es hielt die Massnahme folglich für nicht verhältnismässig. Das Bundesgericht hob diesen Entscheid auf und wies die Sache für eine Interessenabwägung an die Vorinstanz zurück.
Wohl seien die für einen Grundrechtseingriff in Artikel 36 BV festgelegten Voraussetzungen zu prüfen. Die Argumentation, die Massnahme sei mit Blick auf das Verhalten des Täters wirkungslos und damit unverhältnismässig, entziehe Artikel 28c ZGB jede Anwendbarkeit, was nach Auffassung des Bundesgerichts offenbar nicht sein darf.3 Es ist allerdings nicht ersichtlich, wie eine weitere Interessenabwägung konform mit Artikel 36 BV zu einem anderen Ergebnis kommen könnte.
1.2 Änderung des Personenstands
Eine in der Schweiz geborene, nun aber in Deutschland lebende Schweizerin gab in Deutschland die nach deutschem Recht gültige Erklärung zur Streichung der Geschlechtsangabe ab. Anschliessend verlangte sie, dass diese deutsche Urkunde auch in der Schweiz anerkannt werde. Nachdem das Zivilstandsamt dies abgelehnt hatte, verfügte das Obergericht des Kantons Aargau die entsprechende Streichung. Das Bundesgericht hiess eine dagegen erhobene Beschwerde des EJPD gut.4
Zu Recht stützte es sich dabei nicht auf den Ordre public. Vielmehr sah das Bundesgericht die Geschlechtsbinarität als ein Grundprinzip des Zivilstandsregisters an. Die Überzeugung war offenbar so stark, dass es versehentlich die Aussage, das Geschlecht sei ein Element des Personenstandes, in «Art. 8 Bst. d ZGB» verankert sah,5 obgleich sich eine solche Aussage bloss in der Zivilstandsverordnung findet.6 Zudem sei die Erklärung zum Geschlecht als solche gar kein registerrechtliches Objekt und damit nicht eintragungsfähig.7 Das Bundesgericht prüfte sodann, ob eine Verletzung der EMRK vorliege, was es verneinte.8
2. Familienrecht
2.1 Allgemeine Wirkungen der Ehe
Eine partnerschaftliche Ehe setzt ein gegenseitiges Vertrauen und eine gegenseitige Offenheit voraus, auch in finanziellen Belangen. Entsprechend sieht Artikel 170 ZGB vor, dass jeder Ehegatte vom anderen Auskunft über dessen Einkommen, dessen Vermögen und dessen Schulden verlangen kann. Sind die Informationen bereits in den von beiden Parteien unterschriebenen Steuererklärungen enthalten, ist es einem Ehegatten zuzumuten, die entsprechenden Unterlagen beim Steueramt einzuverlangen. Der andere Ehegatte ist nicht verpflichtet, bezüglich der dort enthaltenen Sachverhalte weitere Unterlagen zu liefern, solange der die Auskunft begehrende Ehegatte nicht mindestens behauptet, dass die Angaben in den Steuerunterlagen unvollständig seien.9
2.2 Unterhalt
Grundsätzlich ist der Unterhalt nach der zweistufigen Methode zu berechnen.10 Entsprechend ist zuerst das familienrechtliche Existenzminimum festzustellen und anschliessend der Überschuss zu verteilen. Die einstufige Methode, nach der der Bedarf im Einzelnen errechnet wird, kann sich aber auch als angemessen erweisen, wie nachfolgende Beispiele zeigen. Unzulässig ist es jedoch, die Methoden zu mischen. Wird die zweistufige Methode angewendet, kann von der Unterhalt beantragenden Partei nicht verlangt werden, dass sie ihren Bedarf im Einzelnen nachweist.11
Der Unterhalt ist nicht aus dem Vermögen, sondern in erster Linie aus dem Einkommen zu finanzieren. Genügt dieses nicht, kann ein Rückgriff auf die Vermögenssubstanz zugemutet werden.12 Mit Blick auf Gleichbehandlung müssen dann aber beide Ehegatten auf ihr Vermögen zurückgreifen.13 Ausnahmen sind möglich, wenn die Vermögensverhältnisse sehr unterschiedlich sind.14
Ehegattenunterhalt und Kindesunterhalt hängen eng zusammen, was auch prozessuale Fragen aufwirft. Wird in einem Berufungsverfahren der Kindesunterhalt reduziert, erlaubt dies der zweiten Instanz, den Ehegattenunterhalt zu erhöhen, auch wenn dieser gar nicht angefochten ist.15 Das ist grundsätzlich richtig, da es keine Anschlussberufung gibt. Es erfordert aber, dass der Ehegatte die Erhöhung seines Unterhalts wenigstens in der Berufungsantwort fordert.
Geschuldet ist grundsätzlich der «gebührende Unterhalt».
Es sind die Einkommen und die Bedürfnisse beider Ehegatten festzustellen. Anschliessend werden die verfügbaren Mittel zwischen den Parteien aufgeteilt. Was der gebührende Unterhalt ist, hängt damit von den vorhandenen Mitteln ab. Er beläuft sich je nach den konkreten Verhältnissen auf das betreibungs- oder familienrechtliche Existenzminimum, gegebenenfalls zuzüglich eines Überschussanteils.16
Massgebend sind drei Elemente: Es geht maximal um den Erhalt des während der Ehe gelebten Lebensstandards.17 Weil der Unterhaltsgläubiger in erster Linie für seinen Unterhalt selber aufzukommen hat,18 kommt es folglich auch auf seine eigene Leistungskraft an. Schliesslich muss der Unterhaltsschuldner noch in der Lage sein, diesen Unterhalt zu bezahlen. Haben die Ehegatten während der Ehe das gesamte Einkommen für den Unterhalt ausgegeben, braucht der Lebensstandard während der Ehe nicht ermittelt zu werden, weil ohnehin feststeht, dass dieser aufgrund der durch das Getrenntleben bedingten Mehrkosten gar nicht mehr finanziert werden kann.19
Anders verhält es sich, wenn während des Zusammenlebens der Ehegatte mit dem Hauptverdienst einen Teil seines Einkommens sparen konnte. Diese Sparquote ist nicht unter den Ehegatten aufzuteilen, soweit sie nicht für die durch das Getrenntleben entstandenen Mehrkosten benötigt wird. Das Gleichbehandlungsgebot der Ehegatten gebietet es nicht, den einen Ehegatten an der Sparquote des andern teilhaben zu lassen. Der Unterhalt dient nicht einer Vermögensumverteilung.20
Weil es sich beim Eheschutz und bei einem Massnahmeentscheid um den ehelichen und nicht um den nachehelichen Unterhalt handelt, ist die Frage der Lebensprägung nicht relevant. Beim ehelichen Unterhalt steht vielmehr der Gleichbehandlungsgedanke im Vordergrund.21 Entsprechend rechtfertigt sich auch bei einer nicht lebensprägenden Ehe grundsätzlich keine zeitliche Begrenzung des Unterhalts.22 Es kann aber sehr wohl auch ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden.23
Wie beim ehelichen Unterhalt ist auch bei der Festsetzung des nachehelichen Unterhalts vom tatsächlichen Einkommen der Parteien auszugehen. Unter Umständen kann aber auch darüber hinaus bei beiden Parteien ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden24. Allerdings sind die Voraussetzungen dafür unterschiedlich, je nachdem ob es um den Unterhaltsschuldner oder den Unterhaltsgläubiger geht. Weil die Obergrenze für den Unterhaltsbeitrag die letzte Lebenshaltung während der Ehe ist, stellt sich die Frage nach einem hypothetischen Einkommen beim Unterhaltsschuldner nur, wenn er aufgrund des tatsächlichen Einkommens nicht in der Lage ist, für den gebührenden Unterhalt aufzukommen.
Mit Blick auf den Primat der Selbstversorgung25 stellt sich die Frage eines hypothetischen Einkommens auf Gläubigerseite jedoch schon, wenn diese Partei mit ihrem tatsächlichen Einkommen nicht für ihren gebührenden Unterhalt selber aufkommen kann. Ist dies möglich, stellt sich aber die Frage eines nachehelichen Unterhalts gar nicht mehr.
Bezüglich der Frage, was für ein Beschäftigungsgrad einem Ehegatten nach der Scheidung zuzumuten ist, auch wenn er während der Ehe keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, bestätigte das Bundesgericht seine Praxis, dass er neben der Kinderbetreuung eine Erwerbstätigkeit im Rahmen von 50 Prozent ab dem Eintritt des jüngsten Kindes in die obligatorische Schule, von 80 Prozent ab dem Beginn der Sekundarstufe und von 100 Prozent ab dem Ende des 16. Altersjahrs des Kindes ausüben kann.26
Allerdings ist zu beachten, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder deren Ausbau eine gewisse Vorbereitungszeit braucht. Deshalb ist in der Regel der entsprechenden Partei eine angemessene Frist einzuräumen, um sich an die neue Situation anzupassen. Sie ist nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessen.27 Auf die Gewährung einer Übergangsfrist kann allerdings verzichtet werden, oder diese kann sehr kurz angesetzt werden, wenn die Änderung für die Partei voraussehbar war.28
2.3 Vorsorgeausgleich
Es kommt häufig vor, dass ein Ehegatte nicht nur Vorsorgenehmer einer, sondern mehrerer Pensionskassen ist. Bei der Scheidung sind dann alle entsprechenden Austrittsleistungen in die Berechnung des Vorsorgeausgleichs einzubeziehen. Schliesslich resultiert ein Anspruch des einen Ehegatten gegenüber dem anderen auf Überweisung eines Vorsorgeguthabens.
Das Bundesgericht musste soweit ersichtlich bis jetzt noch nie ausdrücklich festhalten, dass nicht zwingend alle einzelnen Ansprüche hälftig geteilt werden müssen, sondern dass die Ehegatten vielmehr frei wählen können, aus welchem Vorsorgeguthaben der Betrag stammen soll, der in die Vorsorge des anderen Ehegatten überführt werden soll. Dass dieses Wahlrecht besteht, ergibt sich nun aus einem neuen Entscheid, allerdings nur indirekt.29
Durch die Wahl, aus welchem Vorsorgeguthaben der Vorsorgeausgleich erfolgen soll, kann das Verhältnis zwischen den Ansprüchen aus der obligatorischen und jenen der weitergehenden Vorsorge verschoben werden. Von daher kann das Wahlrecht nur von den Ehegatten gemeinsam ausgeübt werden. Demgegenüber ist nicht zu sehen, warum die Vorsorgeeinrichtung auch ein Mitspracherecht haben soll, solange bei ihr das Verhältnis zwischen obligatorischer und weitergehender Vorsorge nicht verändert wird und das entsprechende Guthaben vorhanden ist.
2.4 Güterrecht
Es kommt immer wieder vor, dass ein Ehegatte von seinen Eltern Bargeld erhält und dies auf ein Konto einzahlt, das auf beide Ehegatten lautet und dem Unterhalt der Familie dient. Bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung stellt sich dann die Frage, welcher güterrechtlichen Masse diese Beträge zuzuordnen sind beziehungsweise ob dem Eigengut eine Ersatzforderung zusteht, wenn der entsprechende Betrag nicht mehr vorhanden ist. In einem vom Bundesgericht zu entscheidenden Fall hatte die Ehefrau 80'000 Franken von ihren Eltern erhalten und auf das gemeinsame Konto der Ehegatten einbezahlt. Auf dieses Konto flossen auch Einkommen beider Ehegatten.
Aus dem Konto wurden der Familienunterhalt finanziert und wohl auch die Anschaffung eines Autos und eines Whirlpools getätigt. Die kantonalen Instanzen hatten das Auto und den Whirlpool offenbar der Errungenschaft hinzugerechnet. Sie hatten sodann dem Eigengut der Ehefrau eine Ersatzforderung gegenüber der Errungenschaft beider Ehegatten zugesprochen.30 Das Bundesgericht bejahte mit Blick auf Artikel 209 Absatz 1 ZGB, dass dem Eigengut der Ehefrau nun eine Ersatzforderung für diese Beträge zusteht.
Die Schuld und damit auch die Ausgabe für die entsprechenden Errungenschaftsgegenstände ist jener Masse zuzurechnen, mit der sie sachlich zusammenhängt, im Zweifel der Errungenschaft.31 Die Zuordnung der Ausgabe zur Errungenschaft rechtfertigte sich, weil es um den laufenden Unterhalt ging und Errungenschaft überdies zu vermuten ist.32 Im konkreten Fall hatten die kantonalen Gerichte festgestellt, dass Auto und Whirlpool zur Errungenschaft gehörten.33
2.5 Kindesrecht
2.5.1 Unterhalt
Das Parlament hat in den vergangenen Jahren das Unterhaltsrecht neu geregelt, aber die rechnerische Umsetzung des Kindesunterhalts vollständig der Rechtsprechung überlassen.34 Das Bundesgericht steht damit vor einer wohl kaum erfüllbaren Aufgabe. Es hat sich bemüht, die Regeln für den Unterhalt zu systematisieren und eine gesamtschweizerisch gültige Praxis einzuführen. Diese Praxis hat zweifellos eine für einfache Familienverhältnisse – Ehegatten mit gemeinsamen Kindern – angemessene Lösung gefunden.
Zuerst ist der Notbedarf der Parteien zu berechnen und mit dem zur Verfügung stehenden Einkommen zu vergleichen. Der so errechnete Überschuss ist dann nach Köpfen zu verteilen, wobei die Erwachsenen als grosse und die Kinder als kleine Köpfe35 zählen.36
Allerdings betont das Bundesgericht auch, dass es sich um eine blosse Regel handelt, von der bei besonderen, insbesondere bei überdurchschnittlichen Verhältnissen abgewichen werden kann.37 Verboten ist nur ein Methodenmix.38 Ist die Obhut nur einem Elternteil zugewiesen und erbringt dieser den ganzen Naturalunterhalt, ergibt sich aufgrund der Gleichwertigkeit des Natural- und des Geldunterhaltes, dass der andere Elternteil grundsätzlich den gesamten Geldunterhalt zu bestreiten hat.39 Anders verhält es sich nur, wenn der Betreuende wirtschaftlich leistungsfähiger ist als der andere Elternteil.40
In einem Fall, in dem die Eltern nie zusammengelebt hatten, verteilten die kantonalen Gerichte den Überschuss zwischen Vater und Kind im Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel, indem sie den Vater als grossen und das Kind als kleinen Kopf rechneten. Er machte nun geltend, das Gericht hätte wie bei der Aufteilung des Überschusses bei einer Scheidung von zwei grossen Köpfen und einem kleinen Kopf ausgehen müssen, sodass ihm vier Fünftel und dem Kind nur ein Fünftel des Überschusses zukomme.
Der Vater machte im Wesentlichen geltend, dass andernfalls ein nicht in einer Ehe geborenes Kind gegenüber einem in der Ehe geborenen Kind bevorzugt werde. Das Bundesgericht folgte dieser Betrachtungsweise nicht und schützte die im angefochtenen Entscheid vorgenommene Aufteilung.41
Mit dem Kindesunterhalt sind auch die Kosten von Betreuung und Erziehung des Kindes zu decken.42 Entsprechend hält Artikel 285 Absatz 2 ZGB ausdrücklich fest, dass der Unterhaltsbeitrag auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern dienen soll. Neben dem Barunterhalt ist folglich auch Betreuungsunterhalt geschuldet. Dieser bezweckt, die Kosten abzugelten, die dem Betreuenden aus der Differenz zwischen dem eigenen Einkommen und den laufenden Lebenshaltungskosten erwachsen, weil er wegen der Betreuung nur beschränkt oder gar nicht einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann.
Die vom Gesetzgeber gewählte rechtliche Ausgestaltung vermengt allerdings die rechtliche Konstruktion mit dem wirtschaftlichen Zweck insofern, als die Unterhaltsforderung dem Kind zusteht, aber den Unterhalt des betreuenden Elternteils decken soll.43 Heiratet die Mutter kurz nach der Niederkunft nicht den Vater des Kindes, sondern einen Dritten und kommt das Ehepaar überein, dass der Ehemann für den Geldbedarf aufkommt und die Mutter nicht erwerbstätig ist, weil sie sich auch um das inzwischen geborene gemeinsame Kind kümmern soll, sind die Lebenshaltungskosten der Mutter gedeckt. Es bleibt keine Differenz, die als Betreuungsunterhalt vom Vater des vorehelichen Kindes bezahlt werden müsste.44
Bei der Festsetzung des Kindesunterhalts sind selbstverständlich die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen. Das können insbesondere Sozial- und andere Versicherungsleistungen sein. Ist der Kindesunterhalt einmal festgelegt, darf die Hilflosenentschädigung für das minderjährige Kind nicht vom Betreuungsunterhalt abgezogen werden.45
Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert grundsätzlich bis zur Volljährigkeit des Kindes. Hat es zu diesem Zeitpunkt noch keine angemessene Ausbildung, dauert die Unterhaltspflicht bis zum ordentlichen Ausbildungsabschluss an, sofern dessen Bezahlung den Eltern wirtschaftlich und in persönlicher Hinsicht zugemutet werden kann.46 Namentlich der bewusste Abbruch jeder persönlichen Beziehung durch das Kind kann die Unterhaltsleistung als unzumutbar erscheinen lassen. Allerdings ist dafür zwingend, dass das Kind für diesen Beziehungsabbruch das Verschulden trifft.47
Ein inzwischen volljähriges Kind behauptete, es sei Opfer ritueller Gewalt geworden, und bezichtigte die Eltern wie auch die Geschwister des sexuellen Missbrauchs und der Mitgliedschaft in einer satanistischen Sekte. Es hatte auch eine entsprechende Strafanzeige erstattet. Obgleich erwiesen war, dass diese Vorwürfe in keiner Weise der Wahrheit entsprachen und ausschliesslich Ausdruck der Fantasie des Kindes waren, hielt es an den Vorwürfen weiter fest und verweigerte jeden Kontakt mit den Eltern. Das Bundesgericht verpflichtete die Eltern dennoch zu Unterhaltszahlungen für eine Ausbildung, weil das Verhalten dem Kind nicht als schuldhaft vorgeworfen werden könne. Es leide nachweislich an einer Paramnesie oder einem False-Memory-Syndrome.48
2.5.2 Begriffe
Trennen sich Eltern oder leben sie gar nie zusammen, ist das Verhältnis des Kindes sowohl zum Vater wie auch zur Mutter zu klären. Weil es im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern verschiedene Aufgaben, Rechte und Pflichten zu klären gilt, ist eine feste Zuteilung zum einen oder anderen Elternteil ohne irgendwelche Beziehungen zum anderen Elternteil nicht möglich. Für diese Organisation der Eltern-Kind-Beziehung kennt das Recht verschiedene Begriffe beziehungsweise Rechtsinstitute: die elterliche Sorge, die Obhut, die Betreuungsanteile und den persönlichen Verkehr (Besuchsrecht). Schliesslich gibt es noch das Auskunftsrecht.49
In den letzten Jahren sind diese Begriffe mit jeder Revision unklarer geworden. Ursprünglich ging es bei der elterlichen Sorge um das Recht, alle für das Wohl des Kindes notwendigen Entscheidungen zu treffen.50 Die Obhut bedeutete, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Bereits etwas konfus waren die Begriffe der Betreuungsanteile und des persönlichen Verkehrs, da der persönliche Verkehr wohl unweigerlich die Betreuung in dieser Zeit beinhaltet. Das Besuchsrecht relativierte insofern auch die Obhut, indem der Betreuungsberechtigte in aller Regel auch das Recht hat, während der Besuchszeiten den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
Die Begriffe sind noch verwirrlicher geworden, seit die Obhut nicht mehr das Recht bedeutet, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Vielmehr schliesst nun die elterliche Sorge dieses Recht ein.51 Damit wird die Obhut zwischen der elterlichen Sorge und den Betreuungsanteilen zu einer leeren Hülle; die Bestimmung des Wohnsitzes hat bei alternierender Obhut separat zu erfolgen. Gemäss Bundesgericht besagt die Obhut nur noch, in wessen Haushalt das Kind lebt.52
Was das allerdings bedeuten soll, ist nicht klar. Während der Besuchszeiten lebt es in der Regel im Haushalt des Besuchsberechtigten, und der Obhutsberechtigte kann das Kind auch bei Dritten unterbringen.
Den Eltern wurde in der Scheidung das gemeinsame Sorgerecht belassen und eine alternierende Obhut festgelegt. Aufgrund gewisser Vorfälle wurde die Mutter zusammen mit dem Kind in einer Institution untergebracht. Der Mutter wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und dem Vater ein ausgiebiges Besuchsrecht eingeräumt.
Gleichzeitig wurde auch ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen. Vor Bundesgericht verlangte er, dass der Entzug seines Aufenthaltsbestimmungsrechts nur für die Zeit erfolge, während der das Kind bei der Mutter in der Institution sei.53 Für die Zeit seines Besuchsrechts sei ihm dies aber zurückzugeben.
Das Bundesgericht hält fest, dass die Obhut alternierend sein kann, wenn das Kind abwechselnd in beiden elterlichen Haushalten lebt. Der Betreuungsumfang braucht nicht genau hälftig zu sein, muss aber einen erheblichen Umfang erreichen.54 Dem Elternteil, dem die Obhut entzogen ist, steht sodann ein Besuchsrecht zu.55 Entsprechend ist für die Gewährung eines Besuchsrechts der Entzug der Obhut notwendige Voraussetzung.56 Die Obhut war aber gemäss dem angefochtenen Entscheid dem Vater gar nie entzogen worden. Folglich konnte ihm auch kein Besuchsrecht eingeräumt werden.
Dennoch wies das Bundesgericht seine Beschwerde ab, weil das Aufenthaltsbestimmungsrecht (zeitlich) nicht teilbar sei. Werde es den Eltern entzogen, gehe es auf die Behörde über, und diese könne es nicht weiter oder gar zurück übertragen,57 es sei folglich auch nicht zeitlich teilbar.58 Diese Folgerung überzeugt nicht. Wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht nur für bestimmte Zeiten entzogen, muss es für die anderen Zeiten gar nicht auf den Elternteil zurückübertragen werden. Das Kindesrecht sollte den Bedürfnissen des Kindes angepasst und entsprechend flexibel sein. Überdies unterlässt es das Bundesgericht, auszuführen, wie es nun weitergehen soll, wenn es einerseits die Beschwerde abweist und andererseits feststellt, dass der angefochtene Entscheid falsch ist.
2.5.3 Persönlicher Verkehr
Ein Elternteil, dem die elterliche Sorge oder die Obhut entzogen ist, und das Kind haben einen Anspruch auf persönlichen Verkehr.59 Es handelt sich um ein Persönlichkeitsrecht des Kindes, sodass der persönliche Verkehr in erster Linie dem Kindeswohl zu dienen hat.60 Er muss folglich auf die Bedürfnisse des Kindes ausgerichtet sein.61 Die Interessen der Eltern treten in den Hintergrund.62
Gefährden persönliche Kontakte das Kindeswohl, ist der persönliche Verkehr in erster Linie einzuschränken oder in besonderer Weise auszugestalten. Die Verweigerung jeglichen Besuchsrechts muss Ultima Ratio bleiben.63 Ob die festgestellten Tatsachen dafür ausreichen, ist eine Rechtsfrage. Dem Sachgericht steht aber ein grosses Ermessen zu, in das das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift. Das musste auch der Beschwerdeführer im vom Bundesgericht zu entscheidenden Fall zur Kenntnis nehmen. Das Bundesgericht schützte den kantonalen Entscheid, der das Besuchsrecht zeitweise aufhob.64
Eine Partnerin eines in eingetragener Partnerschaft lebenden Paares gebar insgesamt drei mit künstlicher Insemination gezeugte Kinder. Nur sie war im Geburtsregister als Mutter eingetragen. Als sich die Parteien trennten, verlangte die andere Partnerin ein Besuchsrecht bezüglich der drei Kinder, was ihr vom kantonalen Gericht verweigert wurde. Das Bundesgericht hielt fest, dass aufgrund von Artikel 274a ZGB und Artikel 27 PartG sehr wohl der nicht im Geburtsregister eingetragenen Partnerin der Mutter ein Besuchsrecht eingeräumt werden kann.65
Voraussetzung ist einerseits, dass ausserordentliche Verhältnisse vorliegen, und andererseits, dass der persönliche Verkehr dem Kindeswohl dient.66 Ausserordentliche Verhältnisse liegen insbesondere vor, wenn die Partner einen gemeinsamen Kinderwunsch hatten und die Zeugung gemeinsam planten. Auch wenn sich das Bundesgericht mit Blick auf das Ermessen des Sachgerichts bei der rechtlichen Würdigung des festgestellten Sachverhalts grosse Zurückhaltung auferlegt, sah es im vorliegenden Fall die Umstände als von der Vorinstanz zu wenig gewürdigt an und wies die Sache zur neuen Entscheidung (ein zweites Mal!) an die Vorinstanz zurück.67
2.5.4 Übrige Kindesschutzmassnahmen
Wenn das Kindeswohl gefährdet ist und sich erweist, dass die Eltern nicht in der Lage oder willens sind, die Gefährdung abzuwenden, trifft die Kindesschutzbehörde die geeigneten Kindesschutzmassnahmen.68 Diese können nötigenfalls auch darin bestehen, den Eltern bestimmte Weisungen für die Pflege, die Erziehung oder die Ausbildung zu erteilen.69 Bezüglich dieser Weisungen gelten, wie im ganzen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismässigkeit. Die Behörde hat nur einzugreifen, wenn weder die Eltern noch deren Umfeld das Problem lösen können. Zudem ist die mildeste Massnahme anzuordnen, die noch Erfolg verspricht, und der Eingriff in die Rechte des Kindes und der Eltern muss in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der Massnahme stehen.70
Obgleich sich dies nicht aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt, können nicht nur Weisungen dazu gegeben werden, wie sich die Eltern dem Kind gegenüber zu verhalten haben. Vielmehr ermächtigt diese Bestimmung die Behörde auch, die Eltern gegen ihren Willen71 zu verpflichten, sich einer Familientherapie oder einer auf die Person eines Elternteils bezogenen Therapie zu unterziehen.72 Dabei kann es sich um eine Therapie gegen häusliche Gewalt handeln.73 Eine zwangsweise Durchsetzung der Anordnung dürfte allerdings nicht möglich sein.
Hatte die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) ein Kind bei Pflegeeltern platziert und hebt sie nun diesen Entscheid auf, sind die Pflegeeltern nahestehende Personen des Kindes nach Artikel 450 Absatz 2 Ziffer 2 ZGB und damit beschwerdelegitimiert. Ob ihre Begehren im Interesse des Kindes sind, ist keine Frage der Legitimation, sondern Gegenstand des anschliessenden Verfahrens.74
2.6 Erwachsenenschutz
Ein an einer paranoiden Schizophrenie mit chronischem Verlauf und Residualsymptomatik Leidender hatte zusammen mit seiner Mutter seinen Vater umgebracht. Er war wegen seines Geisteszustandes von Schuld und Strafe freigesprochen worden. Das Gericht hatte jedoch eine stationäre Massnahme angeordnet. Auf den Zeitpunkt der Entlassung aus dieser Massnahme hin hatte die Kesb eine Fürsorgerische Unterbringung nach Artikel 426 ZGB (FU) angeordnet. Nach einiger Zeit rekurrierte der Betroffene gegen die Verlängerung der Massnahme, wobei ihm auch vor Bundesgericht kein Erfolg beschieden war.75
Das Bundegericht hielt es aufgrund der Feststellungen der Vorinstanz für erwiesen, dass der Betroffene im Rahmen ambulanter Massnahmen die notwendige medikamentöse Behandlung nicht befolge und deshalb mit grosser Wahrscheinlichkeit verwahrlose und sich damit selber gefährde. Er sei folglich behandlungs- und betreuungsbedürftig, sodass sich die Fortsetzung der FU in einer geschlossenen Anstalt rechtfertige.76
Der Entscheid erstaunt. Als Begründung für die Fürsorgerische Unterbringung wird die Behandlungsbedürftigkeit genannt. Dabei wird die medikamentöse Behandlung ohne weiteres auch als ambulant möglich bezeichnet. Das Problem liegt nur darin, dass der Patient dieser nicht zustimmt. Da der angefochtene Entscheid gar keine Behandlung ohne Einwilligung nach Artikel 434 ZGB verfügt, kann diese aber auch nicht stationär durchgeführt werden und damit auch kein Grund für eine Fürsorgerische Unterbringung sein.
Das Bundesgericht nutzte diesen Entscheid, um die Anforderungen an ein Gutachten im Sinne von Artikel 450e Absatz 3 ZGB in Erinnerung zu rufen. Das Gutachten muss sich zum Gesundheitszustand der betroffenen Person äussern, darlegen, ob und wie sich allfällige gesundheitliche Störungen hinsichtlich des Risikos einer Selbst- oder Drittgefährdung oder einer Verwahrlosung auswirken und ob sich daraus ein Handlungsbedarf ergibt. Es ist darzulegen, ob ein Behandlungs- oder Betreuungsbedarf besteht.
Dabei sind die konkreten Gefahren für die Gesundheit oder das Leben der betroffenen Person oder von Dritten für den Fall darzulegen, dass die Behandlung unterbleibt, oder das Gutachten muss sich dann auch dazu äussern, ob eine stationäre Behandlung oder Betreuung unerlässlich ist. Es ist darauf einzugehen, ob der Explorand über eine glaubwürdige Krankheits- und Behandlungseinsicht verfügt. Schliesslich hat das Gutachten auch Ausführungen dazu zu enthalten, welche Anstalt für den Vollzug der FU geeignet ist und warum.77
Das Bezirksgericht Limassol (Zypern) hatte einen Mann wegen einer fortschreitenden Hirnkrankheit für unmündig erklärt und bestellte ihm einen Vermögensverwalter. Dieser verlangte in der Schweiz die Anerkennung dieses Entscheides, damit er über Bankguthaben in der Schweiz verfügen konnte, was das Zürcher Obergericht mit dem Argument verweigerte, dass die betroffene Person nicht als Gegenpartei im Verfahren in der Schweiz ins Recht gefasst worden sei. Das Bundesgericht hiess die dagegen erhobene Beschwerde gut.78
Die Anerkennung richtet sich nach dem Haager Erwachsenenschutzübereinkommen (HEsÜ),79 das sowohl die Schweiz wie auch Zypern ratifiziert haben.
Nach Artikel 22 Absatz 1 HEsÜ werden die von den Behörden eines Vertragsstaats getroffenen Massnahmen kraft Gesetzes in den anderen Vertragsstaaten anerkannt. Die Anerkennung erfolgt also, ohne dass ein Rückgriff auf ein Verfahren erforderlich wäre.80 Die Anerkennung kann nur aus ganz bestimmten, hauptsächlich formellen Gründen verweigert werden.81 Weil es sich bei der Entscheidung aus Limassol um einen Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt, war für die Anerkennung entgegen der Ansicht der kantonalen Instanz auch kein kontradiktorisches Verfahren notwendig, sodass der Betroffene nicht ins Recht gefasst werden musste.
Das wäre mit Blick auf seinen im anzuerkennenden Entscheid dargelegten Geisteszustand auch kaum möglich gewesen.82 Das Bundesgericht wies den Entscheid aber an die Vorinstanz zurück, weil noch offen war, ob der Betroffene in Limassol genügend ins Verfahren einbezogen worden war.
3. Erbrecht
Eine Erblasserin hatte ihren Namen nur am Anfang des Testamentes genannt, dieses aber nicht am Schluss unterschrieben. Sie hatte es dann allerdings in einen Briefumschlag gelegt und auf diesem handschriftlich in Grossbuchstaben ihren Namen angebracht. Mit Blick auf die in Artikel 505 Absatz 1 ZGB verankerten Formvorschriften hat das Bundesgericht die Ungültigkeitsklage gutgeheissen.83 Damit ein Testament gültig ist, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss dem Willen des Erblassers entsprechen, und dieser muss formgültig geäussert worden sein.84
Das Bundesgericht bestätigte seine Rechtsprechung,85 nach der entgegen einer in der Lehre vertretenen Meinung86 die Nennung des Namens am Anfang des Testaments die Unterschrift nicht ersetzen kann. Das ergibt sich eigentlich schon aus dem deutschsprachigen Wortlaut, spricht er doch von der «Unterschrift» und nicht von der «Überschrift». Heikler war für das Bundesgericht die Frage, ob der Namenszug auf dem Umschlag, in dem sich das Testament befand, als Unterschrift genügte.
Grundsätzlich braucht die Unterschrift nicht zwingend auf dem Testament selbst angebracht zu sein. Handelt es sich um ein anderes Schriftstück, muss aber ein klarer Zusammenhang bestehen und der Namenszug den «animus signandi» belegen, was jene Partei zu beweisen hat, die sich auf die Gültigkeit des Testaments beruft.87 Das war vorliegend aufgrund der konkreten Umstände und weil der Name in Grossbuchstaben aufgeführt war, nicht der Fall. Vielmehr war darin eine reine Beschriftung des Umschlags zu erblicken.88
Wer ein Testament errichtet, muss urteilsfähig sein. Das setzt die Fähigkeit voraus, Sinn, Zweckmässigkeit und Wirkungen der fraglichen Handlung zu erkennen und gemäss dieser vernünftigen Erkenntnis nach freiem Willen zu handeln.89 Die Vermutung der Urteilsfähigkeit für ein einzelnes Geschäft entfällt, wenn jemand an einem Schwächezustand leidet, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Urteilsfähigkeit entfallen lässt. Dafür genügt aber die Abhängigkeit von einer anderen Person nicht.90
Vielmehr muss eine mit «abnorm» zu umschreibende Beeinflussbarkeit vorliegen.91 Selbst wenn eine solche gegeben ist, fehlt es bezüglich des konkreten Testaments an der Urteilsfähigkeit aber auch nur dann, wenn konkret eine Beeinflussung erfolgt ist.92
Es kommt immer wieder vor, dass ein Erblasser lebzeitig einen geldwerten Vorteil nicht selbst, sondern über eine von ihm beherrschte und mit ihm wirtschaftlich identische Gesellschaft einem Nachkommen zuwendet. In einem entsprechenden Fall hat das Bundesgericht mit ausführlicher Begründung entschieden, dass die Ausgleichungspflicht in diesen Fällen auch dann zur Diskussion steht, wenn dem Erblasser kein Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden kann. Es ist vielmehr nur zu prüfen, ob es sich unter dem Blickwinkel von Treu und Glauben oder angesichts der drohenden Verletzung von legitimen Interessen aufdrängt, über die formalrechtliche Selbständigkeit der juristischen Person hinwegzusehen.
Ein solches legitimes Interesse ist der vom Gesetzgeber geschützte Gleichheitsgrundsatz der Kinder im Erbrecht. Entsprechend unterliegen auch über eine juristische Person ausgerichtete Zuwendungen der Ausgleichung nach Artikel 426 ZGB, sofern sie zu einem dort festgehaltenen Zweck erfolgen und nicht eine ausdrücklicher Ausgleichsdispens nachgewiesen ist.93
Um die Ausgleichung verlangen zu können, muss ein Erbe wissen, wem was mit welchem Wert zugewendet wurde. Demgemäss haben die Erben einander über ihr Verhältnis zum Erblasser alles mitzuteilen, was für die gleichmässige und gerechte Verteilung der Erbschaft zu berücksichtigen ist.94 Entsprechende Begehren können in einer Erbteilungsklage im Sinne einer Stufenklage gestellt werden. Die fraglichen Zuwendungen sind zu ihrem Wert zur Zeit des Erbganges oder, wenn die Sache vorher veräussert worden ist, nach dem dafür erzielten Erlös auszugleichen.95
Ein Erblasser hatte einem Nachkommen eine AG mit zwei unterschiedlichen Betrieben zugewendet. Der Erbe hatte dann eine neue AG gegründet und den zukunftsträchtigeren Betrieb als Sacheinlage eingebracht. Entgegen der Auffassung der kantonalen Instanzen sah das Bundesgericht darin keine Veräusserung im Sinne von Artikel 630 Absatz 1 ZGB und gewährte folglich den anderen Erben Einsicht in die Entwicklung dieser neuen AG, weil nicht auszuschliessen war, dass der Wert der neuen AG bei Eröffnung des Erbgangs zur Ausgleichung zu bringen war.96
Erst die weiteren Informationen können Klarheit darüber verschaffen, ob mit dieser Übertragung auf eine neue AG eine Änderung der wirtschaftlichen Berechtigung erfolgte oder nicht. Das erwies sich aber als das entscheidende Kriterium für die Frage, ob eine Veräusserung gegeben ist oder nicht.
Die Regelung, wer erbt, wenn ein Erbe die Erbschaft ausschlägt, ist im Gesetz etwas verwirrlich geregelt.97 Grundsätzlich ist dann so zu verteilen, wie wenn dieser Erbe den Erbgang nicht erlebt hätte.98 Entsprechend fällt der einem Ausschlagenden in einer Verfügung von Todes wegen zugewendete Erbteil an die gesetzlichen Erben des Erblassers, nicht des eingesetzten Erben, was das Gesetz sprachlich korrekt, aber nicht auf den ersten Blick verständlich ausdrückt.99
Schlagen alle Erben aus – eingesetzte und gesetzliche – wird die Erbschaft konkursamtlich liquidiert. Schliesst dieses Verfahren mit einem Aktivenüberschuss ab, «so wird dieser den Berechtigten überlassen, wie wenn keine Ausschlagung stattgefunden hätte.»100 Besteht eine Verfügung von Todes wegen, geht demzufolge der Überschuss an die in einer Verfügung bezeichneten und nicht an die gesetzlichen Erben.101 Das ist allerdings kein erbrechtlicher, sondern ein obligationenrechtlicher Erwerb, wie der Erwerb eines Vermächtnisnehmers.102
Eine Verfügung von Todes wegen kann mit Bedingungen und Auflagen versehen werden. Es fragt sich dann, wie lange der Erbe mit der Auflage belastet ist und wer deren Vollzug verlangen kann. Das Bundesgericht bestätigte seine Rechtsprechung, nach der nicht nur jene Personen, die ein eigenes rechtliches oder tatsächliches Interesse am Vollzug der Auflage haben,103 sondern auch weitere Personen den Vollzug einklagen können.104
Es gibt aber keinen allgemeinen Anspruch Privater, ohne jegliche Beziehungsnähe zur Sache und unabhängig von einem praktischen Nutzen die richtige Rechtsanwendung durch Behörden oder Private durchzusetzen. Es muss vielmehr ein Berührtsein und ein schutzwürdiges Interesse gegeben sein. Das gilt auch, wenn die Verfügung, mit der ein bestimmtes Objekt dem Gemeinwesen zugewendet wird, bestimmt, dass das Objekt «ausschliesslich öffentlichen Interessen dienstbar zu machen» sei.105
Wird ein pflichtteilgeschützter Erbe von der Erbschaft durch eine Verfügung von Todes wegen gänzlich ausgeschlossen, kann er als bloss virtueller Erbe keine Erbteilungsklage erheben. Er muss zuerst seine Erbenstellung durch Anfechtung der Verfügung erlangen. Dabei handelt es sich um ein Gestaltungsurteil. Die Klage ist an eine Frist gebunden. Wird diese nicht eingehalten, ist es nicht mehr möglich, mit einer Erbteilungsklage den Pflichtteil zu verlangen.106
Fussnoten siehe angehängtes PDF.