Der Bundesrat müsse das «über hundertjährige, nicht mehr zeitgemässe» Pflichtteilsrecht flexibler ausgestalten. Das verlangte der Zürcher FDP-Ständerat Felix Gutzwiller vor acht Jahren in einer Motion zusammen mit 24 Ratskollegen. Die wichtigsten Forderungen der Ständeräte: Die Eltern des Erblassers sollen keinen gesetzlich garantierten Pflichtteil mehr bekommen. Der Pflichtteil der Nachkommen sei zu reduzieren. Und ledige Lebenspartner seien diskriminiert. Ihnen müsse daher ein gesetzlicher Erb- und Pflichtteil zukommen. Der Nationalrat sah ebenfalls Handlungsbedarf. Er ergänzte aber, die Familie müsse «als institutionelle Konstante» weiterhin geschützt werden. Konkubinatspaare dürfe man nicht mit Ehepartnern gleichstellen.
Systemwidrige Konkubinatsrente
Der Vorentwurf des Bundesrats sah diverse Neuerungen vor: Aufgehobene und reduzierte Pflichtteile, ein Videotestament, bessere Informationsrechte der Erben und Massnahmen gegen Erbschleicherei. Zudem wollte der Bundesrat dem Konkubinatspartner ein gesetzliches Vermächtnis einräumen.
Etliche Vernehmlassungen kritisierten die Vorlage. Der Bundesrat entschied, das Erbrecht wegen der «aufgeworfenen Fragen und der komplexen Materie» in Etappen zu revidieren. Die Pflichtteile und den Erbanspruch des Konkubinatspartners behandelte er prioritär. Die «eher technischen Revisionsanliegen» und eine vereinfachte erbrechtliche Unternehmensnachfolge folgen später. Im Spätsommer ging die erste Etappe der Revision ans Parlament.
Ledige Lebenspartner gehen ohne ein Testament leer aus. Das kann den überlebenden Partner in ernsthafte finanzielle Bedrängnis bringen. Der Bundesrat schlägt daher einen Unterstützungsanspruch für ledige Lebenspartner vor. Der neue Artikel 606a ZGB verpflichtet die Erben, dem überlebenden Konkubinatspartner eine Rente bis längstens zum 100. Geburtstag zu zahlen. Der Gesamtbetrag des Anspruchs ist auf maximal einen Viertel der Erbschaft beschränkt. Voraussetzung: Die Partner müssen mindestens fünf Jahre in einer faktischen Lebensgemeinschaft gelebt haben. Zweite Bedingung ist eine Notlage (siehe Unten). Als Notlage versteht der Bundesrat, dass das sozialhilferechtliche Existenzminimum nicht mehr gedeckt ist.
Profiteurin bei der Rente ist die Sozialhilfe
Alexandra Jungo, Professorin für Zivilrecht an der Universität Freiburg, kritisiert: «Die Unterstützungsrente ist ein Fremdkörper im System des Erbrechts.» Der Partner müsse gemäss Bundesrat nachweisen, dass er ohne den Anspruch in Not geraten würde. Die Professorin bevorzugt einen gesetzlichen Erbanspruch. «Das wäre klar und systemkonform.» Jungo ergänzt: Bei Lebenspartnern mit gemeinsamen Kindern würde ich einen gesetzlichen Anspruch vorsehen.» Einen Pflichtteil befürwortet sie beim Konkubinat hingegen nicht – um dem Willen des Parlaments Rechnung zu tragen.
Peter Breitschmid, Professor für Privatrecht an der Universität Zürich, stimmt zu. Er bezeichnet die geplante Konkubinatsrente als «enttäuschend». Im Familienrecht seien ledige Paare längst Alltag. Im Erbrecht «müssen sie nun unweigerlich auch noch ankommen». Gerade weil ein Konkubinat ohne Papier funktioniere, dürfe die erbrechtliche Lösung kein Testament verlangen, sondern müsse einen gesetzlichen Anspruch umfassen.
Auch Thomas Sutter-Somm, Professor für Privatrecht an der Universität Basel, kritisiert den Unterstützungsanspruch: «Der Artikel 606a schafft viele offene Fragen.» Unklar sei etwa, was bei Beziehungsunterbrüchen oder bei einer Trennung kurz vor dem Tod mit dem allfälligen Rentenanspruch geschehe. Das Konstrukt der Rente sei «nicht praktikabel», sagt Sutter-Somm. Die Rente könne über Jahrzehnte hinweg anfallen. Das erschwere es den Erben, den Nachlass rasch und einfach zu teilen, und «Gerichtsprozesse sind programmiert». Zudem orientiere sich der Anspruch gemäss Vorschlag des Bundesrates am Existenzminimum der Sozialhilfe. Das zeigt: «Es geht gar nicht darum, den Lebenspartner zu begünstigen», sagt der Basler Professor. Ziel sei es, Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen schadlos zu halten.
Pflichtteile der Eltern unter den Parteien umstrittten
Die Revision regelt die Pflichtteile neu. Der Pflichtteil der Eltern soll wegfallen. Bei den Nachkommen wird er von drei Vierteln des gesetzlichen Erbteils auf die Hälfte gekürzt. Der überlebende Ehegatte hat weiterhin Anspruch auf einen hälftigen Pflichtteil.
Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer begrüssen die Abschaffung des Pflichtteils der Eltern. Von den Parteien votierten die FDP und die Grünliberalen dafür. Sie argumentieren, die Eltern hätten im Erbfall meist genug Vermögen. Der Pflichtteil sei unnötig.
Für die Beibehaltung des elterlichen Pflichtteils setzten sich die CVP und SVP ein. Dafür spreche die familiäre Solidarität. Die Eltern hätten die Kinder erzogen und für sie gesorgt. Daher sei der Pflichtteil gerechtfertigt.
Der Vorentwurf sah vor, den Pflichtteil des Ehegatten auf einen Viertel zu reduzieren. Doch mehrere Vernehmlassungen machten sich für die eheliche Solidarität stark. Der Bundesrat krebste zurück. Es sei einheitlicher, wenn der Pflichtteil sowohl bei Nachkommen und Ehegatten je die Hälfte des Erbteils ausmache.
Das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) aus Bern schätzt, dass im Jahr 2015 in der Schweiz Vermögen von 63 Milliarden Franken vererbt wurden. Doch die Vermögen sind höchst ungleich verteilt: Nur wenige erben sehr viel. Viele Erben erhalten wenig bis nichts. Laut einer früheren Bass-Studie von 2007 teilte sich gut die Hälfte der Erbenden nur zwei Prozent der Gesamtsumme. Die obersten zehn Prozent der Erben erhalten drei Viertel der Erbsumme.
Die hohen Pflichtteile – zum Beispiel drei Viertel bei Nachkommen – haben zur Folge, dass das Geld weitgehend in der Familie bleibt, selbst wenn es der Erblasser lieber anders verteilt hätte. Eine Abschaffung oder Reduktion der Pflichtteile wirkt dem entgegen.
Peter Breitschmid, Professor für Privatrecht aus Zürich, schlug vor, den Pflichtteil betragsmässig zu begrenzen (plädoyer 3/2016). Zum Vorschlag des Bundesrats sagt der Professor: «Es erscheint mir richtig, dass die gesetzliche Ordnung die Begünstigung anderer als der gesetzlichen Erben in höherem Mass ermöglicht.» Der Erblasser könne damit «antidynastischer» vorgehen, wenn er wolle. Der Bundesrat erweitere die frei verfügbare Quote nun massvoll, was zu begrüssen sei.
Verschiedene punktuelle Klarstellungen
Der Bundesrat schlägt zudem in seiner Botschaft ans Parlament folgende Änderungen vor:
Der Pflichtteil des Ehepartners fällt bereits im Scheidungsverfahren weg. Genauer: Im Zeitpunkt, in dem die Partner gemeinsam die Scheidung beantragen oder wenn sie zwei Jahre getrennt sind. Eine Verzögerungstaktik bei der Scheidung zur Sicherung des Erbteils wäre somit nicht mehr möglich.
Der neue Artikel 476 ZGB stellt endlich klar: Leistungen der Säule 3a fallen nicht in den Nachlass. Lebensversicherungen wie Bankstiftungen haben das Geld an die Begünstigten auszuzahlen. Das Bankguthaben sowie der Rückkaufswert einer 3a-Versicherung im Zeitpunkt des Todes wird aber zur Erbmasse gerechnet, wenn es um die Bezifferung der Pflichtteile geht. Wer in seinem Pflichtteil verletzt ist, kann die Herabsetzung verlangen. Der Artikel beendet mit dieser Regelung einen Lehrstreit.
Der Erblasser kann dem Ehegatten zulasten der gemeinsamen Nachkommen die Nutzniessung am ganzen ihnen zufallenden Erbteil zuwenden. Der verfügbare Teil beträgt neben der Nutzniessung neu die Hälfte des Nachlasses statt wie bisher ein Viertel. Damit lässt sich der überlebende Gatte stärker begünstigen.
Begünstigen sich die Ehepartner mit einem Ehevertrag zulasten der gemeinsamen Nachkommen, so können diese neu die Herabsetzung auf den Pflichtteil verlangen, wenn der Begünstigte erneut heiratet. Auch das klärt einen Lehrstreit.
Professor Sutter-Somm begrüsst es, dass die Vorlage offene Fragen klärt. Trotzdem spricht er von einer «verpassten Chance». Der Bundesrat habe sich auf einzelne, weniger umstrittene Fragen beschränkt. «Bei diversen praktischen Fragen besteht immer noch Klärungsbedarf.» Das sei etwa bei der Herabsetzung lebzeitiger Zuwendungen der Fall. Hier sei unklar, ob die sogenannte objektive oder subjektive Betrachtungsweise zum Zug komme. Sutter-Somm: «Es braucht eine umfassende Revision des Erbrechts.»
Peter Breitschmid teilt diese Ansicht. Er schreibt im Successio-Buch «Silser Erbrechtsgespräche»: «Es ist falsch, auf die Komplexität der Aufgabe durch Portionierung zu reagieren.» Punktuelle Reformen würden oft daran kranken, dass man das Gesamtsystem zu wenig bedacht hat.
Der Unterstützungsanspruch des Lebenspartners gemäss Revision
Artikel 606a
1 Wer beim Tod des Erblassers seit mindestens fünf Jahren mit diesem in einer faktischen Lebensgemeinschaft gelebt hat, kann ab diesem Zeitpunkt von den Erben Unterstützung verlangen, falls er ohne diese in Not geraten würde.
2 Die Unterstützung erfolgt in der Form einer Rente. Der Gesamtbetrag darf weder die Summe der Renten, die der Lebenspartner bis zum vollendeten 100. Altersjahr erhalten würde, noch einen Viertel des Nettovermögens des
Erblassers im Zeitpunkt des Todes überschreiten.
3 Die Erben müssen eine angemessene Sicherheit für den Unterstützungsanspruch leisten.
4 Dieser Anspruch geht dem Anspruch auf Unterstützung gegenüber Verwandten in auf- und absteigender Linie vor.
5 Soweit das Gemeinwesen für die Unterstützung des Lebenspartners aufkommt, geht der Unterstützungsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über.
Artikel 606b
1 Der Unterstützungsanspruch erlischt, falls er nicht innert drei Monaten seit dem Tod des Erblassers schriftlich bei der zuständigen Behörde angemeldet wird.
2 Er verjährt mit Ablauf eines Jahres seit dem Tod des Erblassers.