Wohnt so ein Grüner? Einer der Unerbittlichsten dazu? Seine Villa, neu und wuchtig, sprengt die Reihe der bescheidenen Schindelhäuschen. Die Lichtschalter-Batterien im Innern könnten es mit jeder Theater-Beleuchtung aufnehmen. Und vor der Türe steht ein elegantes Auto. «Das ist», sieht Hanspeter Uster ein, «natürlich erklärungsbedürftig.» Alle Energie, die das Haus übers Jahr braucht, erzeugt es selbst. Und das Auto hat ihm eine 90-jährige Tante geschenkt. Ja, Auto fahren kann er auch. Hat sogar die Taxiprüfung gemacht. «Neben dem Anwaltspatent der einzig wichtige Schein in meinem Leben. Läuft alles schief, kann ich mich immer noch mit Taxifahren durchschlagen.»
Die Geschichte mit der Tante würde man keinem andern Politiker abnehmen. Hanspeter Uster glaubt man sofort. Wie man ihm auch alles andere glaubt. Vielleicht, weil er seine Sätze, in einer Art Auslegeordnung, so zögerlich auf den Tisch legt, als wollte er sie erst auf Genauigkeit und Wahrheitsgehalt überprüfen. Selbst in seinen wildesten Anarchistenzeiten hatte er auf diese tastende Art gesprochen. Ruhig, als läse er eine amtliche Verlautbarung vor, wandte er sich 1981 ans nichtsahnende Podiums-Publikum: «In diesem Augenblick besetzen wir die alte Kaserne.» Zuger Presse und Polizisten benötigten etliche Sekunden, bevor sie den Ernst der Lage begriffen und aus dem Saal stürmten.
Neun Jahre später war Uster Chef dieser Polizisten. Verärgert über ihre bürgerlichen Politiker, hatten die Zuger den 32-jährigen Ultralinken von der «Revolutionären, marxistischen Liga» in den Regierungsrat gewählt. Jetzt stand ein Arbeitersohn an der Spitze des Steuerflüchtlings- und Rohstoffhändler-Paradieses Zug. Ein Reformierter im erzkatholischen Land. Ein Mitglied der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee im Herzen der Eidgenossenschaft. Das Zuger Polit-Establishment rieb sich die Augen. Und verbannte den Wechselbalg ins Justizdepartement. Die Mannen von Feuerwehr und Polizei würden dem Bürschchen schon die Knöpfe zutun.
Es kam anders. Seine neuen Untergebenen zeigten sich überrascht, dass er jeden am Arbeitsplatz aufsuchte und ihre Sorgen ernst nahm. Zudem schaffte er den «Repressionsapparat» mit seinen «Scheissbullen» nicht sogleich ab. Vielmehr gründete er eine neue Umweltpolizei und stockte die Abteilungen Wirtschaftskriminalität und Strassenverkehr auf. «Ich habe», sagt Hanspeter Uster heute, «einfach erkannt, dass Polizisten und politische Gegner ihre Rolle ebenso spielen müssen, wie ich die meine. Es braucht alle.»
Seine Erfolge verhalfen ihm problemlos zur dreimaligen Wiederwahl als Regierungsrat. Bald schon galt Uster als gesuchter Fachmann in Sachen Wirtschaftskriminalität. Sogar Bundesrat Christoph Blocher griff auf die Dienste des raschen Analytikers zurück. Dazu kam Usters Glaubwürdigkeit. Selbst zwei geschenkte Fussball-Tickets gab er in der Steuererklärung an. Die Hälfte seines Gehalts als Regierungsrat - mehr als eine halbe Million Franken - spendete er seiner Partei. Und obwohl Boss einer Berufsgruppe mit Macho-Image, bekannte er öffentlich seine Angst vor körperlicher Gewalt und scheute sich nicht, mit seinem jüngeren Sohn Blockflöten-Unterricht zu nehmen.
Logisch, irritierte die politischen Gegner so viel penetrante Rechtschaffenheit. Zumal Uster, noch ärgerlicher, immer wieder den Puck mit juristischer Eleganz in ihr Tor schlenzte. Ihre Rachestunde kam nach Usters Austritt aus der Regierung: Einer seiner Chefbeamten hatte etliche Dutzend Strafvollzüge verschlampt. Dass dieser Amtsmissbrauch nationale Wellen warf, ist einer dem Zuger Freisinn nahestehenden Werbeagentur zu verdanken. Gegen ein Entgelt von 16 000 Franken schraubten die PR-Profis die Verantwortung des Amtsleiters so lange herunter und die seines Chefs Uster hoch, bis Letzterer als Hauptschuldiger dastand - auch wenn der Beamte seine Versäumnisse mit einer gefälschten Liste vertuscht hatte.
Die eifrig gestreute Polemik wirkte nur bedingt: Kein einziger Klient seines neuen juristischen Projektleitungsbüros sprang ab. Wie gefragt sein Urteil ist, beweist, dass er, wo immer es heute in der Justiz brennt, um ein Gutachten gebeten wird - sei es in Sachen Polizeieinsatz gegen den Bieler Rentner Peter Kneubühl oder Ungereimtheiten in der Bundesanwaltschaft.
Politische Rempeleien ist sich Hanspeter Uster gewöhnt. Schwieriger tat er sich mit einer Verletzung anderer Art: dem Lungendurchschuss durch Attentäter Friedrich Leibacher, der 2001 vierzehn Zuger Politiker getötet hatte. «Meine innere Sicherheit war weg.» Jahrelang marterte er sich: Wie umgehen mit solchen Menschen? Seine Ratschläge klingen simpel: «Das Gespräch suchen, bevor man eingeschriebene Briefe schickt.» Und: «Niemanden in die Ecke stellen. Die grösste Gefahr kommt immer von den Ausgegrenzten.» Und: «Nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Grenze zwischen Freiheit und Sicherheit Richtung Überwachungsstaat verschieben.»
Heute gibt er, neben der Beratertätigkeit für die Justiz, seine Erfahrungen an Polizeikader an den Fachhochschulen Luzern und Neuenburg weiter. Sein Ethikunterricht ist praxisbezogen, sein Ausbildungsziel Polizisten nach Zuger Vorbild: Freunde und Helfer, korrekt und fair. 2007 machte ihn das Schweizerische Polizeiinstitut in Neuenburg zu seinem Präsidenten.
Diese Arbeit für den Klassenfeind missfällt vielen Genossen. Uster kontert: «Nur innerhalb des Systems kann man etwas verändern.» Zu dieser Erkenntnis war er als junger Jurist im Zürcher Anwaltskollektiv gekommen. Anfechtungen von Mietzinsen und Arbeitsverträgen bleiben immer Stückwerk. «Regiert man jedoch mit, hat man Gestaltungsmöglichkeiten.»
Jetzt, freilich, regiert er nur im eigenen Büro; eine Juristin und eine Sekretärin gehen ihm zur Hand. «Dafür habe ich endlich Zeit, das Buch, das ich jede Woche kaufe, auch zu lesen.» Schier alle Wände seines Hauses sind mit Büchern bedeckt. Etliche Quadratmeter füllen allein Shakespeare und seine Zeitgenossen. Trotzki und Marx stehen im Gästezimmer. Nein, keine verschämte Verbannung. Auch wenn Uster jetzt Mitglied der gemässigteren grünen «Alternative Kanton Zug» ist. Ideologische Abstriche musste er deswegen keine machen. Als Beweis ergreift er den grünen Marker auf seinem Schreibtisch. «Mehr als Grün» steht darauf. Dann entfernt er die Kappe. Der Stift leuchtet purpurrot. Hanspeter Uster wirkt sichtlich belebt. Bereits laufen Wetten, wie lang er es ohne öffentliches Amt aushält.