Mit wem man in Streit gerät, kann man sich nicht aussuchen. Aber den Anwalt.» Mit diesem Versprechen wirbt gegenwärtig die Rechtsschutzversicherung des TCS, die Assista. Wer sich allerdings die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AGB) genau anschaut, wird enttäuscht. Erstens bestimmt die Assista, wann sie die Kunden selbst rechtlich vertreten will – und wann der Beizug eines Anwalts nötig ist. Und zweitens redet sie bei der Wahl des Rechtsvertreters mit. Wörtlich heisst es in den AGB: «Der Versicherte kann mit Genehmigung des TCS einen Anwalt frei wählen und beauftragen, sofern der Beizug eines Anwalts für die Interessenswahrung des Versicherten zu diesem Zeitpunkt notwendig ist.»
Was heisst mit Genehmigung? Stephan Müller, Mediensprecher der Assista: «Die Assista gewährt grundsätzlich die freie Anwaltswahl. Die Anzahl Fälle, in denen die Assista den Beizug einer externen Rechtsvertretung nicht akzeptiert, ist erfahrungsgemäss sehr gering.» Eine Statistik führe die Assista darüber nicht. Laut Müller wird dem ausdrücklichen Wunsch der Kunden nach Beizug eines externen Rechtsanwalts in der Regel sofort entsprochen. Einzig in einfachen und aussergerichtlichen Fällen, die voraussichtlich mit wenig Aufwand intern bearbeitet werden könnten, versuche die Assista die versicherte Person davon zu überzeugen, dass der Beizug eines Rechtsvertreters nicht oder noch nicht angezeigt sei. «Gleichzeitig weisen wir sie darauf hin, dass ein Beizug je nach Fallentwicklung in einem späteren Stadium neu geprüft wird.» Ziehe der Versicherte auf eigene Kosten einen Anwalt bei, werde nachträglich nochmals darüber befunden, ob die Versicherung diesen doch bezahle oder der Versicherte dessen Kosten selbst zu tragen habe.
Gesetz garantiert dem Kunden ein Vorschlagsrecht
Die Einschränkung des Zeitpunkts des Beizugs eines Anwalts durch den Versicherungsvertrag sowie dessen Auswahl ist in der Schweiz legal. Laut Gesetz haben Versicherte nur in zwei Konstellationen das Recht, ohne Zustimmung ihrer Rechtsschutzversicherung einen Anwalt zu mandatieren: Im Monopolbereich – also grundsätzlich bei Gerichts- und Verwaltungsverfahren – sowie bei Interessenkollisionen zwischen Versicherung und Kunden. Dies ergibt sich aus Artikel 167 Absatz 1 der Verordnung über die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen (AVO). Absatz 2 AVO beschränkt die freie Anwaltswahl in Gerichts- und Verwaltungsverfahren sowie bei Interessenkollisionen aber wieder: Nach dieser Bestimmung kann der Vertrag vorsehen, dass der Kunde bei Ablehnung des gewählten Anwalts drei andere Rechtsvertreter vorschlagen kann, von denen die Versicherung dann einen akzeptieren muss.
Auf europäischer Ebene wäre eine solche Einschränkung der Wahl nicht möglich: Gemäss Artikel 4 Absatz 1 litera a der Richtlinie 87/344/EWG ist in jedem Rechtsversicherungsvertrag ausdrücklich anzuerkennen, dass dem Versicherten die Wahl des Rechtsanwalts oder einer sonstigen Person freisteht, wenn ein Rechtsanwalt oder eine sonstige nach dem nationalen Recht entsprechend qualifizierte Person in Anspruch genommen wird, um in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren den Versicherten zu verteidigen, zu vertreten oder seine Interessen wahrzunehmen.
Die Assista des TCS ist nicht die einzige Gesellschaft, die bei der Wahl des Anwalts einen Genehmigungsvorbehalt macht. Fast alle AGB sprechen davon, dass der Versicherte einen Vorschlag machen könne. Das impliziert aber, dass der Vorschlag wie bei der Assista genehmigt oder abgelehnt werden kann. Einzig die Helvetia verzichtet darauf. In ihren AGB heisst es: «Wenn sich der Beizug eines Rechtsanwalts als notwendig erweist, insbesondere bei Gerichts- und Verwaltungsverfahren oder bei Interessenkollisionen, kann die versicherte Person diesen frei wählen.»
Ablehnung eines Anwalts laut Versicherungen selten
Von einem Vorschlagsrecht gehen etwa die AGB der Coop Rechtsschutz und der Dextra aus. «Den Vorschlag können wir ablehnen, wenn der Anwalt beispielsweise einen überhöhten Honoraransatz in Rechnung stellt», sagt Patrik Howald von der Dextra. In solchen Fällen werde der Kunde darauf hingewiesen, dass er allfällige Mehrkosten selbst tragen muss – wenn er sich für den vorgeschlagenen Anwalt entscheidet. Laut Howald lehne die Dextra den Rechtsvertreter also nicht ab – die Gesellschaft zahlt einfach nur bis zu einem gewissen Betrag. Howald: «Es kommt aber nur selten vor, dass wir einen vorgeschlagenen Anwalt ablehnen oder dessen Honorar auf eine bestimmte Höhe limitieren. Ich hatte in den letzten drei Jahren nur einen oder zwei solche Fälle.»
Auch Coop Rechtsschutz macht laut Daniel Siegrist von der Ablehnungsmöglichkeit der AGB nur wenig Gebrauch: «Wir lehnen in etwa 12 von 7000 Fällen pro Jahr einen vom Kunden vorgeschlagenen Anwalt ab oder übernehmen dessen Honorar nur bis zu einer gewissen Höhe.» Ein Anwalt werde etwa dann abgelehnt, wenn die Versicherung oder Versicherte mit ihm schlechte Erfahrungen gemacht hätten oder ihm das erforderliche Fachwissen fehle.
Sowohl Coop Rechtsschutz wie Dextra regeln in ihren AGB das Vorgehen bei Ablehnung eines vom Versicherten vorgeschlagenen Anwalts gemäss der AVO: Wenn die Versicherung den vom Kunden vorgeschlagenen Anwalt nicht akzeptiert, kann der Versicherte ihr drei Anwälte vorschlagen, von denen die Versicherung einen akzeptieren muss. Die gleiche Regelung findet sich auch in den AGB der AXA-Arag, der CAP (Allianz), der DAS, der Fortuna (Generali), der Orion (Zurich, Vaudoise) und der Protekta (Mobiliar).
Ausserhalb des Monopolbereichs und wenn keine Interessenkollisionen vorliegen, sind die Versicherungen in der Schweiz frei, ob sie einen Rechtsstreit durch angestellte Juristinnen und Juristen bearbeiten wollen. Dies im Unterschied etwa zu Deutschland: Die Versicherung darf den Versicherten dort nicht selbst vertreten, sie darf Rechtsstreitigkeiten also nicht durch eigenes Personal erledigen lassen. Auch dürfen deutsche Versicherungen im Rechtsschutzfall gestützt auf § 3 Absatz 3 BRAO Versicherten nicht vorschreiben, welchen Anwalt sie zu wählen haben. Oder einen Genehmigungsvorbehalt anbringen. In Deutschland herrscht damit freie Anwaltswahl.