plädoyer: Würden Sie eine Lebensversicherung abschliessen, bei welcher nur gerade die aktuelle Prämie bekannt ist, aber weder die künftigen Prämien noch die Leistungen bei der Pensionierung?
Ueli Kieser: Ja, aber nur, falls die Regeln während der Versicherungsdauer ausschliesslich von kompetenten Leuten geändert werden könnten. Und wenn es eine gute Aufsicht gäbe. Sicher aber nicht, wenn die Regeln je nach finanzieller Lage der Kasse neu festgelegt werden, ohne dass bestimmte Vorschriften berücksichtigt werden müssen.
Hanspeter Konrad: Auch ich wäre zurückhaltend mit dem Kauf einer solchen Versicherung. Die Finanzierung kann man nicht einfach im Lauf der Zeit ändern. Bei den Leistungen müssten gewisse Parameter vorgegeben sein.
plädoyer: Im Obligatorium der zweiten Säule werden die Schweizer Angestellten aber zu einer rund 45 Jahre laufenden Lebensversicherung gezwungen, bei der die Prämien und die Höhe der Rente jederzeit geändert werden können. Die Verzinsung der Einzahlungen ist nicht einmal im Gesetz geregelt, sondern Sache des Bundesrats und der Stiftungsräte. Sind die Interessen der Versicherten so ausreichend geschützt?
Konrad: Ja. Der Grundsatz der Verzinsung der angesparten Altersguthaben ist in Artikel 15 des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) festgelegt. Aber zugegeben: Der Mindestzins wird jedes Jahr diskutiert und schliesslich vom Bundesrat festgelegt.
Kieser: Nicht einmal der Mindestzins ist garantiert, wie die Rechtsprechung zur Nullverzinsung zeigt. Ich finde das ganze Konstrukt des BVG problematisch. Man spart über Jahre hinweg eine bestimmte Summe. Und am Ende gibt es irgendeinen Betrag samt irgendeinem Zins. Die Unfallversicherung beispielsweise hat ein besseres System: Hier weiss jeder, wie viel er erhält, wenn er verunfallt. Beim BVG hängt man in der Luft.
plädoyer: Warum lässt man den Mindestzins von einem politischen Gremium festlegen und bindet ihn nicht beispielsweise an die tatsächlich von den Pensionskassen erzielten Renditen?
Konrad: Diese Frage kam in den letzten zehn Jahren immer wieder auf. Auch unser Verband verlangt eine bestimmte Formel. Die Interessenvertreter konnten sich aber nicht auf die Gewichtung der einzelnen Anlageformen einigen.
Kieser: Es ist problematisch, dass etwas derart Zentrales wie eine Zinsformel nicht im Gesetz steht. In allen anderen Sozialversicherungsgebieten stehen alle wichtigen Parameter im Gesetz. Im BVG ist nicht einmal geregelt, welches das früheste Rücktrittsalter ist. Das hat erst der Bundesrat in einer Verordnung festgelegt. Das Parlament nimmt beim BVG seine Führungsposition zu wenig wahr.
Konrad: Die Aussage zum Rücktrittsalter kann ich unterschreiben.
Kieser: Andererseits hat der Gesetzgeber irgendwelche Detailfragen mit liebevoller Gründlichkeit geregelt. So beispielsweise die Transparenzvorschriften. Sie sind im Gesetz sehr ausführlich beschrieben. Die Festlegung des Mindestzinses wäre von der Bedeutung für die Versicherten mindestens so wichtig wie die Regelung der Transparenz. Aber im Parlament wollte sich niemand die Finger daran verbrennen.
plädoyer: Der minimale Rentenumwandlungssatz ist im Gesetz festgelegt. Er gilt aber nur für das Obligatorium. Darüber hinaus können die Pensionskassen die Rentenhöhe nach eigenem Gusto festlegen. Und weil die meisten Versicherten auch überobligatorisch versichert sind, können die Kassen den gesetzlichen Mindestumwandlungssatz des Obligatoriums umgehen. Ist das noch im Sinn des Gesetzgebers?
Kieser: Richtig, der gesetzliche Umwandlungssatz gilt nur für Leute, die lediglich im Rahmen des Obligatoriums versichert sind. Von Seiten der Pensionskassen gibt es immer wieder Vorstösse, die auch den Umwandlungssatz für das Obligatorium aus dem Gesetz entfernen wollen. Wenn auch dies noch an den Bundesrat delegiert werden sollte, wäre die Unsicherheit der Versicherten noch grösser.
Konrad: Man kann fordern, dass die massgebenden Parameter der zweiten Säule im Gesetz stehen müssen. Man kann aber ebenso die Meinung vertreten, dass die Verantwortung dafür bei den Sozialpartnern liegen soll – also den paritätisch zusammengesetzten Stiftungsräten. Diese könnten unter Aufrechterhaltung des Leistungsziels den Umwandlungssatz definieren.
Kieser: Da bin ich dagegen. Im Sozialversicherungsrecht brauchen die Versicherten den Schutz des Gesetzes. Die Stiftungsräte sind zwar heute besser ausgebildet als auch schon. Aber ich weiss aus eigener Erfahrung, dass viele Stiftungsräte immer noch zu wenig wissen. Deshalb kann man den Umwandlungssatz nicht den Stiftungsräten überlassen. Dies übrigens noch aus einem zweiten Grund: Die Arbeitnehmervertreter im Stiftungsrat könnten unter Druck der Arbeitgebervertreter geraten. In der obligatorischen beruflichen Vorsorge sollte meines Erachtens alles Wichtige im Gesetz stehen.
plädoyer: Die Konzeption der zweiten Säule ist eigenartig. Es gibt ein Obligatorium, das nach dem Sozialversicherungsrecht funktioniert. Und ein Überobligatorium, das privatrechtlichen Charakter hat. Diese Konstruktion hat zur Folge, dass man die zwingenden Leistungen des BVG umgehen kann, wie das bei den umhüllenden Kassen der Fall ist.
Konrad: Das BVG formuliert die Minimalvorschriften. Die Pensionskassen können die Vorsorge als umhüllende Kassen gestalten. Rund 80 Prozent der vier Millionen Versicherten sind heute in einer umhüllenden Kasse versichert. Solche Stiftungen unterscheiden nicht mehr zwischen Obligatorium und Überobligatorium – es gibt immer nur einen Vorsorgeplan und ein einheitliches Altersguthaben. Gesetzeskonform ist diese Lösung, wenn im Leistungsfall der Nachweis erbracht werden kann, dass die Leistungen mindestens so hoch sind wie die BVG-Mindestleistungen. Von einer Umgehung zu sprechen, widerspricht Sinn und Zweck der umhüllenden Vorsorgestruktur und ist irreführend.
plädoyer: Die Versicherten zahlen bei umhüllenden Kassen mehr Prämien, haben aber nur gerade Anspruch auf die Leistungen des Obligatoriums. Ein solches Konstrukt ist doch nicht im Sinn der Versicherten.
Kieser: Mit diesen Stiftungen kann man die Schutzvorschriften, die der Gesetzgeber durchsetzen will, tatsächlich übergehen. Ein Beispiel ist die Kinderrente: Im Obligatorium muss die Kasse eine Kinderrente bezahlen. Der Gesetzgeber wollte dies so zum Schutz der Familien. Und zwar pro Kind eine zusätzliche Rente. Jetzt kann eine umhüllende Kasse kommen und sagen: Diese gesetzgeberische Absicht interessiert uns nicht – wir machen eine überobligatorische Leistung, die wir immer noch höher ausgestalten als die obligatorische samt Kinderrente. So können Grundentscheidungen des Gesetzgebers ausgehebelt werden. Das gibt es bei den Sozialversicherungen sonst nicht.
plädoyer: Bei der Krankenkasse gibt es das Obligatorium des KVG sowie freiwillige Zusatzversicherungen nach Privatrecht. Die Versicherten, die eine Zusatzversicherung abschliessen, haben Anspruch auf beide Leistungen – aus dem KVG-Obligatorium und aus der Zusatzversicherung. Weshalb ist das bei der zweiten Säule anders?
Kieser: Zu den Zusatzversicherungen der Krankenkassen sagt das Bundesgericht: Eine Zusatzversicherung darf nur eine echte Mehrleistung zum Obligatorium erbringen. Und nicht irgendwelche Leistungen, die einfach mindestens der Höhe der Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung entsprechen müssen. Das Krankenkassenmodell ist für die Versicherten klar und deutlich besser.
Konrad: Das bestreite ich. Auch in der beruflichen Vorsorge gibt es diesen Split mit Obligatorium und Überobligatorium. Wesentlich zahlreicher sind aber die umhüllenden Kassen. Dies ist mit den Ursprüngen der beruflichen Vorsorge zu erklären. Wichtig ist, dass die Versicherten davon ausgehen können, dass die Kasse ein reglementarisch definiertes Leistungsniveau hat und immer mindestens für die im Rahmen des Obligatoriums einbezahlten Prämien die BVG-Leistungen erbringt.
Kieser: Das überzeugt doch nicht. Beispiel: Eine Halbinvalide, die überobligatorisch versichert ist, erhält eine halbe Invalidenrente. Drei Jahre später wird sie wegen fortgeschrittener Krankheit ganz invalid. Im Rahmen des Obligatoriums müsste die Kasse die Rente verdoppeln. Diese Frau erwartet deshalb, dass sie als Ganzinvalide eine ganze Rente bekommt. Die Kasse kann aber jetzt aufgrund der Rechtsprechung zur umhüllenden Kasse bestimmen: Die Ganzinvalide erhält keine doppelte Rente, weil die halbe Rente inklusive Überobligatorium höher ist als die ganze nach BVG. Das versteht doch kein Versicherter, Herr Konrad!
Konrad: Entscheidend ist, dass der Anspruch nach Massgabe des Reglements berechnet wird. Gemäss Anrechnungsprinzip wird der Leistungsanspruch auf der Basis des Reglements berechnet und das Resultat den gesetzlichen Mindestvorgaben gegenübergestellt.
Kieser: Der Gesetzgeber hat aber im Obligatorium gesagt: Wenn du als Versicherter halb invalid bist und drei Jahre später ganz invalid wirst, dann erhältst du eine ganze Invalidenrente. Bei der umhüllenden Kasse kann das auf den Franken gleich viel sein.
Konrad: Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts. Zu Recht werden die Konzeption der umhüllenden Pensionskassen und das Anrechnungsprinzip geschützt.
Kieser: Ja, aber bei dieser halben Invalidenrente beispielsweise gibt es kantonale Gerichte – etwa das Verwaltungsgericht Bern –, die früher sagten: So geht es nicht. Es ist fraglich, ob das Bundesgericht recht hat.
plädoyer: Die Rechtsprechung des Bundesgerichts entspricht immer nur einer momentanen Auslegung des Gesetzes. Es hat das Problem gesehen, indem es sagte: «Wer über das Obligatorische hinaus Beiträge entrichtet oder ergänzende Einkäufe tätigt, am Ende aber nicht mit einem Mehr rechnen kann, kann sich in seinem Vertrauen in die zweite Säule getäuscht sehen.» Das Bundesgericht gewichtet jedoch die Interessen der Pensionskasse höher als die der Versicherten. Ist eigentlich der Versicherte für die Versicherung da oder umgekehrt?
Konrad: Die Pensionskasse ist kein Selbstzweck. Es ist ein sozialpartnerschaftlich geführtes Institut, das Leistungen im Interesse der Versicherten definiert. Stabilität und Sicherheit sind grossgeschrieben. Es stimmt aber: Der Spielraum, den die umhüllende Kasse hat, führt angesichts des veränderten Marktumfelds im Moment eher zu Leistungsreduktionen für die Versicherten.
Kieser: Am Bundesgericht sind bei einem Urteil maximal fünf Richter beteiligt. Es gibt immer wieder einen Wechsel. Früher hat das Bundesgericht einmal gesagt, eine Kinderrente darf man nicht einfach in die Invalidenrente hineinrechnen. Ich schliesse nicht aus, dass das Bundesgericht solche Fragen nochmals anschaut und das nächste Mal anders entscheidet. Kürzlich hat es bei der Frage der Nullverzinsung vier zu eins entschieden. Auch dieser Entscheid wird ein paar Jahre halten – wohl aber nicht für immer.
plädoyer: Was spricht gegen den Vorschlag, in der zweiten Säule das Modell der Krankenversicherung zu übernehmen? Dann hätten die Versicherten gegenüber der Pensionskasse sowohl Anspruch auf die Leistungen des Obligatoriums wie des Überobligatoriums, wenn sie Prämien für beides bezahlen.
Konrad: Das ist bereits heute möglich. Als das BVG im Jahr 1985 in Kraft trat, gab es einige Kassen, die so gesplittet waren: als BVG-Kasse und als weitergehende überobligatorische Kasse. Heute wüsste ich nicht, wer so organisiert ist. Dieses Modell ist heute aus Optik des Pensionskassenverbandes weniger zielführend.
Kieser: Für die Versicherten sehr wohl! Nehmen wir ein zweites Beispiel, die Anpassung der Renten an die Teuerung. Sie ist im BVG vorgeschrieben. Ein Versicherter, der mit 45 Jahren invalid wird, vertraut darauf, dass seine Rente in den kommenden 25 Jahren in einem bestimmten Rahmen an die Teuerung angepasst wird. Mit der Rechtsprechung über die umhüllenden Kassen kann es aber sein, dass die Renten nur angepasst werden, wenn sie tiefer sind als das Obligatorium – nachher nicht mehr. Das leuchtet doch einem Versicherten nicht ein – weil er auch überobligatorische Prämien bezahlt hat. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts ist einfach nicht stimmig. Sie vergleicht Äpfel mit Birnen. Wenn man sonst im Sozialversicherungsrecht Leistungen koordiniert, sagt man immer: das Kongruenzprinzip ist massgebend. Das heisst: Es dürfen nur gleiche Leistungen miteinander verglichen werden. Um auf das erste Beispiel mit der Teilinvalidität zurückzukommen: Eine halbe überobligatorische Rente wird mit einer ganzen obligatorischen Rente verglichen. So was macht man sonst nirgends.
plädoyer: Gibt es hier also Handlungsbedarf für den Gesetzgeber?
Kieser: Ich sehe zwei Möglichkeiten. Erstens: Das Parlament setzt sich grundlegend mit der ganzen Konstruktion der zweiten Säule auseinander. Das ist eine hohe Erwartung. Es würde engagierte Parlamentarier voraussetzen, die sich dafür interessieren und von der Materie etwas verstehen. Wenn sich das Parlament einmal grundlegend mit der beruflichen Vorsorge auseinandersetzen würde, wäre schon etwas gewonnen. Zweitens: Man müsste den Pensionskassen vorschreiben, dass sie im Reglement klipp und klar sagen, wo sie das Anrechnungsprinzip anwenden. Ein Versicherter weiss dann: Sollte er einmal ganz invalid werden, erhält er eventuell nur das Minimum. Diese Praxis wäre die Umsetzung der Ungewöhnlichkeitsregel bei Verträgen: Alle ungewöhnlichen Bestimmungen müssen dort explizit herausgehoben werden. Erstaunlich: Ich hielt kürzlich einen Vortrag vor Stiftungsräten von Pensionskassen über das Anrechnungsprinzip. Ich stellte fest, dass einzelne dieser Leute keine Ahnung davon hatten.
Konrad: Im Sinne der Transparenz ist reglementarisch klar festzuhalten, wie man die Kasse finanziert und welche Leistungen daraus resultieren. Es braucht diesbezüglich auf Gesetzesstufe keine Anpassungen. Wir sind daher zurückhaltend, wenn es darum geht, die Sache auf die politische Schiene zu bringen. Es ist nicht in unserem Sinn, heute über Anrechnung und Umhüllung zu diskutieren. Letztlich erbringen die umhüllenden Kassen sehr gute Leistungen. Im Vordergrund steht die Revision der Altersvorsorge 2020.
Kieser: Bei den Unfallversicherungen läuft das aber gut. Meine Wunschvorstellung wäre deshalb, dass man auch in der beruflichen Vorsorge klar trennt zwischen dem Obligatorium – in dem alles gesetzlich geregelt ist – und dem Überobligatorium, bei dem die Kassen mehr Freiheiten haben als heute. Die heutige Mischform ist unglücklich.
plädoyer: Heute können die Angestellten ihre Pensionskasse nicht wählen – das machen die Arbeitgeber. Könnten die Angestellten frei wählen, würden sie sich wohl nicht für eine umhüllende Kasse entscheiden. Was spricht gegen eine individuelle Wahl der Pensionskasse – wie bei der Krankenkasse?
Konrad: Wir lehnen die freie Wahl ab. Die heutige Ausgestaltung fördert auch die Verbundenheit zum Unternehmen. Die freie Wahl überträgt das Risiko den Versicherten. Die kollektive Vorsorge liegt insgesamt im Interesse der Versicherten.
Kieser: Auch ich bin dem Vorschlag gegenüber skeptisch. Und zwar wegen der Erfahrung mit der Krankenversicherung. Dort kann man leicht wechseln. Und die Erfahrung zeigt: Es sind immer die jüngeren und schlaueren Leute, die wechseln und dann auf der besseren Seite stehen. Und die Ungeschickten sind schlimmer dran. Zudem sind Arbeitgeber wohl grosszügiger, wenn sie bei einer autonomen Kasse sind. Wir sollten in eine andere Richtung gehen: Man müsste das Obligatorium besser durchnormieren und ausbauen – und damit einen Wechsel hinfällig machen. Die Ansprüche der Versicherten müssten klarer definiert werden.
Konrad: Was soll man denn noch normieren? Wir haben doch schon jetzt genug Regulierung.
Kieser: Beispielsweise den Umwandlungssatz und die Mindestverzinsung. Man sollte auch das Pensionsierungsalter einheitlich festlegen. Und die Ansprüche von Konkubinatspartnern einheitlich regeln. Heute kann es passieren, dass ich bei einer Pensionskasse bin, in der meine Partnerin abgedeckt ist, wenn mir etwas zustösst. Aber nach einem Stellenwechsel bezahlt die neue Kasse vielleicht keine Partnerrenten mehr.
Konrad: Das ist letztlich der Preis der Gestaltungsfreiheit – man kann nicht den «Fünfer und das Weggli» haben.
plädoyer: Auf dem Papier ist der Stiftungsrat einer Pensionskasse paritätisch zusammengesetzt – je zur Hälfte aus Vertretern des Arbeitgebers und der Angestellten. Aber die Betriebe können indirekt die Zusammensetzung des Stiftungsrats beeinflussen – indem sie etwaeinem Arbeitnehmer, der im Stiftungsrat ist, den Arbeitsvertrag kündigt. Ist das für die Stiftungsräte nicht ein permanentes Damoklesschwert?
Konrad: In dieser absoluten Form trifft das sicher nicht zu. Man kann einem Angestellten nicht kündigen mit der Begründung, er sei als Stiftungsrat tätig und nehme die Interessen der PK wahr.
plädoyer: Aber man kann ihm ohne eine solche Begründung kündigen.
Konrad: Diesen Sachverhalt gilt es zu relativieren. Ausgeschlossen werden kann ein solches Vorgehen nicht, aber es bestehen genügend Schutzmechanismen. Ich glaube daher persönlich nicht, dass es dringend notwendig ist, einen zusätzlichen Kündigungsschutz für Stiftungsräte zu etablieren.
Kieser: Bei den grossen Sammelstiftungen ist nicht einfach zu erkennen, wo die Parität liegt. Deshalb braucht es auch hier Normen. Die Stiftungsräte haben heute ein zu grosses Gewicht. Es leuchtet mir nicht ein, weshalb ein Sozialversicherungswerk, das dermassen viel Geld verwaltet, vom Gesetzgeber nicht besser normiert wird.
plädoyer: Herr Konrad, besteht aus Sicht der Pensionskassen kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf?
Konrad: Zu überprüfen sind die Bestimmungen zu den Teilliquidationen. Was passiert bei Strukturveränderungen auf Seiten des Arbeitgebers mit den Aktivversicherten? Und was passiert vor allem auch mit den Rentenbezügern der Penssionskasse? Die heutigen Vorschriften sind diesbezüglich im BVG nicht optimal gelöst.
plädoyer: Für das Über-obligatorium gibt es fast keine gesetzlichen Bestimmungen. Müsste man die überobligatorisch Versicherten nicht besser schützen?
Konrad: Nein, um die Versicherten zu schützen, wurde Artikel 49 Absatz 2 BVG seit 1985 bereits ständig ausgebaut. Die heutige Kombination hat sich grundsätzlich bewährt. In einer umhüllenden Kasse wird nicht zwischen dem obligatorischen und überobligatorischen Leistungsanspruch unterschieden. Im Zentrum steht der reglementarische Leistungsanspruch. Es ist nicht notwendig, hier etwas zu änderen.
Kieser: Dieser Artikel ist unbefriedigend. Ich würde es vorziehen, wenn man den ganzen Artikel streichen und dafür das Obligatorium so klar definieren würde, dass man weiss, woran man ist. Schauen Sie sich einmal diese vielen Pensionskassenreglemente an. Es ist mit erheblichem Aufwand verbunden, nur schon herauszufinden, welches Reglement im Einzelfall anzuwenden ist. Denn es ändert jedes Jahr. Auch solche Probleme könnten wir vermeiden, wenn man das Obligatorium besser normieren würde.
Ueli Kieser, 60, Dr. iur., Rechtsanwalt, ist Titularprofessor für Sozialversicherungsrecht an den Universitäten St. Gallen und Bern und Ersatzrichter am Zürcher Verwaltungsgericht.
Hanspeter Konrad, 57, lic.iur., Rechtsanwalt, ist Direktor des Schweizerischen Pensionskassenverbandes (Asip) und unter anderem Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen in Zug (IFZ).