Auf dem zweiten Bildungsweg einen Bachelor erwerben und daneben Vollzeit arbeiten? An der Fernuni ist das möglich. Doch es braucht Durchhaltewillen. Und bis zum Master bleiben noch einige Hürden zu überwinden
Sie sind arrivierte Berufsleute, arbeiten zu 100 oder 80 Prozent, haben schon eine oder mehrere Ausbildungen abgeschlossen - und doch studieren sie noch Rechtswissenschaften. Sie investieren dafür wöchentlich rund zwanzig Stunden oder mehr, und das während viereinhalb Jahren: die Absolventen des Studiengangs Rechtswissenschaften an der Schweizer Fernuni (siehe Kasten).
Wer mit Studierenden oder Ehemaligen spricht, merkt sofort: Sie sind begeistert vom Jusstudium. «Es braucht viel Durchhaltevermögen und Motivation, doch ich hatte neun Semester lang Spass am Studium», sagt beispielsweise Thomas Achermann, der im Januar mit dem Bachelor (BLaw) abgeschlossen hat. Der 51-Jährige hatte in seiner Jugend das Jusstudium aus familiären Gründen abbrechen müssen und eine kaufmännische Ausbildung gemacht. Als Untersuchungsbeamter eines kantonalen Statthalteramtes sei sein Wunsch gereift, das Studium, auch im Hinblick auf die eidgenössische Strafprozessordung, wieder aufzunehmen und abzuschliessen. In einem Zeitungsartikel stiess er auf die Fernuni. Auch Renate Forster, Studentin im achten Semester, hat während ihrer Arbeit realisiert, dass ein Jusstudium hilfreich sein könnte: Die Dekorationsgestalterin hat sich einst zur Sozialarbeiterin weitergebildet und vertrat jahrelang Kinder in Sorgerechtsstreitigkeiten. «Da fühlte ich mich den Anwälten gegenüber oft etwas hilflos», sagt die 53-Jährige, die unterdessen eine 80-Prozent-Stelle im Justizvollzug hat. Deshalb wollte sie sich juristisch weiterbilden. Das Konzept der Fernuni (siehe Kasten) habe sie gleich überzeugt.
Hausaufgaben auf der Onlineplattform
Achermann und Forster entsprechen mit ihrem beruflichen Hintergrund dem durchschnittlichen Studierenden an der Fernuni: «Momentan haben wir rund 200 Jusstudierende, die meisten arbeiten daneben zu 80 oder 100 Prozent», erzählt Marion Hug, Koordinatorin des BLaw-Studiengangs. «Viele arbeiten in der Verwaltung, bei der Polizei, in Sozial- oder Arbeitsämtern, doch es hat auch Profisportler oder Mütter von kleinen Kindern darunter.»
Achermanns Söhne sind bereits erwachsen. Er hat während des ganzen Studiums Vollzeit gearbeitet, daneben auf Prüfungen gelernt und Hausaufgaben gemacht - «genau wie meine Söhne». Denn die Fernuni verlangt, dass auf einer Onlineplattform regelmässig Aufgaben gelöst und abgegeben werden. «Das sind oft pro Woche jeweils zwei bis vier kurze Fälle», erzählt Philip Gehri, Student im dritten Semester, der prinzipiell jede Woche zwei ganze Tage und vier Abende für das Studium reserviert hat. Doch die Hausaufgaben machen ihm Spass: «Und jede Arbeit wird korrigiert und kommentiert.» Ob man das wöchentliche Lesepensum verstanden habe, könne man mit Online-Lernkontrollen selbst überprüfen.
Jedes Semester steigt die Hälfte der Studenten aus
Der Aufwand sei schon sehr gross, sagt Pascal Schumacher, der im Januar den Bachelor bestanden hat. Er müsse viele Opfer erbringen. «Aber der Tag hat 24 Stunden und man muss auch mal Mut zur Lücke haben.» Nicht alle Studierenden gehen so einfach mit dieser Mehrfachbelastung von Beruf und Studium um. Die Quote der Abbrecher sei gross, sagt Studiengangskoordinatorin Hug: «Bei Fernstudien gilt die Faustregel, dass jedes Semester rund die Hälfte der Studierenden aussteigt, bei den Juristen liegt die Quote allerdings deutlich tiefer.»
Eigentlich wollte Philip Gehri, der nach einem Studium Journalist wurde und heute in der Kommunikation einer grossen Umweltorganisation arbeitet, an der Universität Zürich Jus studieren. Doch bald habe er gemerkt, dass dies neben der Arbeit unmöglich sei, erzählt der 34-Jährige. Als er auf die Fernuni gestossen sei, sei er zuerst etwas skeptisch gewesen. «Doch die Namen der Dozierenden haben mich von der Seriosität diese Angebots überzeugt.»
Und tatsächlich sind die Dozenten keine Unbekannten: So liest etwa Franz Riklin Strafrecht, Thomas Fleiner Öffentliches Recht, Andrea Büchler und Wolfgang Portmann halten die Vorlesungen zum Privatrecht. Denn obwohl das Studium zum grössten Teil im Selbststudium zu Hause stattfindet, besuchen die Studierenden fünf Mal pro Semester eine Präsenzveranstaltung, die jeweils den ganzen Samstag dauert.
Diese Samstage seien wichtig gewesen für den Austausch mit anderen Studierenden, das Finden von Lernpartnern und auch für die Motivation, erinnern sich Achermann und Schumacher.
Das Masterstudium im Blick der Fernuni
Motivierend empfinden offenbar auch die Dozenten diese Tage: Begeistert erzählt Strafrechtsprofessor Martin Killias vom grossen Interesse der Studierenden, die halt auch etwas älter seien als seine Studenten an der Präsenzuni und deshalb mehr Lebenserfahrung und Praxisbezug einbringen könnten.
Auch Felix Uhlmann, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Zürich und an der Fernuni, spricht deswegen von einer «privilegierten Art des Unterrichtens» - es sei zudem auch ein Unterschied, ob man vor 20 oder 25 Fernstudenten eine Vorlesung halte oder vor zehnmal so viel Studierenden an der Universität Zürich.
Der Jus-Bachelor-Studiengang existiert seit 2004, bereits konnten 30 Bachelor-Diplome vergeben werden. Rund die Hälfte der Absolventen hat die Juristerei so gepackt, dass sie ein Masterstudium (MLaw) anhängen wollen, weiss Hug. Allerdings müssen sie dies an einer regulären Uni machen, denn die Fernuni bietet diese Möglichkeit nicht. - Noch nicht, denn dass die Fernuni in Zukunft auch den MLaw anbietet, ist laut Hug ein «grosses Thema».
Vorderhand stossen nun aber die Fernuniabsolventen auf das Problem, dass MLaw-Studiengänge an Präsenzunis nicht kompatibel sind mit einer regulären Arbeitsstelle: So überlegt sich etwa Thomas Achermann, der in Basel das Masterstudium aufnehmen möchte, ob er sein Arbeitspensum reduzieren soll.
Fernuni-Abschluss nicht überall akzeptiert
Pascal Schumacher hingegen will es neben einer Vollzeitstelle als Journalist versuchen. Bei der Suche nach einer Universität für das Masterstudium ist der 43-Jährige allerdings auf ein weiteres Problem gestossen: «Nicht alle Unis akzeptieren den Bachelor der Fernuni als gleichwertig zu ihrem eigenen». So hätte er in Zürich noch 12 ETCS-Punkte zusätzlich machen müssen - und dies, obwohl ein grosser Teil des Fernuni-Lehrkörpers auch an der Uni Zürich lehrt und einige der Professoren im Gespräch mit plädoyer versichern, Inhalt ihrer Vorlesungen und Prüfungen entsprächen an beiden Orten den gleich hohen Anforderungen.
Andere Unis akzeptieren den Fernuni-BLaw hingegen ohne Probleme. Schumacher hat sich nun an der Universität Bern immatrikuliert und plant, den Master innert zweieinhalb Jahren zu erlangen und daneben voll zu arbeiten. Dass dies ambitiös ist, weiss er. Und für ihn ist klar: «Mein Job geht vor, sobald er unter dem Studium leiden würde, würde ich es aufgeben.»
Universitäre Fernstudien Schweiz
Universitäre Fernstudien Schweiz ist ein uni versitäres Institut mit Hauptsitz in Brig sowie mit Studienzentren in Brig, Pfäffikon SZ sowie Siders. Getragen wird es von einer Stiftung. Die Fernuni bietet 24 deutschsprachige und 14 französischsprachige Studiengänge an.Stiftung und Studiengänge sind seit 2004 vom Bund anerkannt. Alle Studiengänge können als Fernstudium absolviert werden, derzeit machen über 2000 Studierende von diesem Angebot Gebrauch. Auf Deutsch wird unter anderem ein Studium in Rechtswissenschaften angeboten, wobei vorderhand in Schweizer Recht nur ein Bachelorstudium angeboten wird, in deutschem Recht kann auch ein LL.M.erworben werden.
www.fernuni.ch
Das BLaw-Studium an der Fernuni
Das Bachelor-Studium dauert neun Semester, zum Abschluss werden, wie an Präsenz unis, 180 ETCS-Punkte vorausgesetzt. Zudem müssen von den fünf samstäglichen Präsenz veranstaltungen pro Semester mindestens drei besuchtworden sein, um an die Semesterprüfungen zugelassen zu werden. Zwischen den Präsenzveranstaltungen müssen Onlineübungen gelöst werden. Über das ganze Studium verteilt müssen zwei grössere Arbeiten geschrieben werden, am Schluss des Studiums eine Bachelorarbeit. Zum Studium zugelassen wird, wer über Matur, FH-Diplom oder Lehrerpatent verfügt. Nicht zugelassen wird aber, wer aneiner schweizerischen oder ausländischen Universität oder Hochschule infolge Nichtbestehens von Prüfungen endgültig vom Weiterstudium in einem vergleichbaren Studiengang ausgeschlossen wurde. Die Kosten betragen pro Semester 1300 Franken, für den ganzen Studiengang 11700 Franken.