Unter dem Begriff «Bedrohungsmanagement» laden immer mehr Polizeikorps Personen zu präventiven Gesprächen vor. Beispiel Kanton Zürich. Dort wurde kürzlich der Mandant eines Anwalts per Brief zu einem Gespräch aufgeboten. Darin stand: «In den letzten Jahren hatten Sie vermehrt Kontakt mit der Strafbehörde. Aufgrund dieser Gegebenheit bin ich der Ansicht, dass ein Gespräch mit der Fachgruppe Bedrohungsmanagement eine positive Wirkung für Sie haben könnte.»
plädoyer wollte von der Stadtpolizei Zürich wissen, ob sie tatsächlich Leute präventiv zu Gesprächen einlade, auf welcher rechtlichen Grundlage das erfolge und nach welchen Kriterien die Adressaten bestimmt würden. Laut Beat Rhyner, Chef des Kommissariats Ermittlungen der Stadtpolizei Zürich, kann die Polizei Personen ansprechen, die begründeten Anlass zur Annahme geben, dass sie eine schwere Straftat gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität begehen könnten. «Auslöser ist in der Regel eine Gefährdungsmeldung, die von der Polizei selbst oder von ausserhalb kommen kann.»
Zur gesetzlichen Grundlage sagt Rhyner: «Das Gespräch ist rechtlich als Befragung zur polizeilichen Aufgabenerfüllung gemäss §23 und 24 PolG sowie §3 bis 8 GSG Kanton Zürich zu qualifizieren.» Es gehe nicht um Strafverfolgung, sondern um Gefahrenabwehr.
Eine Ersteinschätzung der Gefährlichkeit einer Person erfolgt laut Rhyner durch die Fachgruppe Bedrohungsmanagement. «Liegt eine potenzielle Bedrohung vor, erfolgt eine vertiefte Gefährdungsanalyse durch polizeiliche und forensische Experten. Es können auch psychologische Spezialisten für die Risikoeinschätzung beigezogen werden.» Strafverfahrensakten würden nicht zum Bedrohungsmanagement gehen.
Keine Protokolle, dafür schriftliche Berichte
Auch der Kanton Solothurn verfügt über ein Bedrohungsmanagement. Er führte es 2013 als erster Kanton ein. Die Idee: Alle Fachstellen, die mit Gefährdungssituationen oder Gewaltpotenzial zu tun haben, sollen ihr Wissen austauschen und zusammenarbeiten. Gesetzlich geregelt ist die Sache in Artikel 35 des Gesetzes über die Kantonspolizei Solothurn.
Laut Sprecher Bruno Gribi werden die Gespräche nicht protokolliert: «Da es sich weder um eine Befragung noch um eine Einvernahme handelt, wird kein Gesprächsprotokoll verfasst, sondern ein Bericht.» Die betroffene Person könne gestützt auf das Datenschutzgesetz Einsicht verlangen.
Auch der Kanton Bern lädt Personen – unabhängig von ihrem Status – zu präventiven Gesprächen ein. Gemäss Christoph Gnägi, Mediensprecher der Kantonspolizei Bern, handelt es sich dabei um Personen, bei denen gestützt auf die vorhandenen Erkenntnisse die Möglichkeit bestehe, dass sie weiterhin polizeilich in Erscheinung treten könnten oder von denen eine Gefahr für andere oder sich selbst ausgehen könnte. Gnägi: «Im Kanton Bern besteht zurzeit keine gesetzliche Grundlage für eine zwangsweise Vorladung.» Betroffene könnten zu einem Gespräch lediglich eingeladen werden. «Es steht der Person frei, das Gesprächsangebot anzunehmen oder nicht», erklärt Gnägi. Da die Gespräche freiwillig seien, würden sie grundsätzlich nicht protokolliert.
Mehrere Kantone planen eine Einführung
In Sachen Bedrohungsmanagement sind nicht alle Kantone gleichermassen aktiv. Das zeigt eine im Herbst 2014 von der Schweizerischen Kriminalprävention durchgeführte Umfrage bei allen 26 Kantonen. Ergebnis:
In den Kantonen FR, GR, JU, NW und UR bestanden per September 2014 keine Pläne zur Schaffung eines Bedrohungsmanagements.
Die Kantone AG, AI, AR, BS, BE, GL, OW, TH, TI, VD und VS waren per September 2014 mit der Planung eines Bedrohungsmanagements beschäftigt.
Die Kantone BL, LU, NE, SG, SH, SZ und ZG waren zum Zeitpunkt der Umfrage mit der Umsetzung eines entsprechenden Projekts beschäftigt.
Strafverteidiger haben kaum Erfahrung mit dem präventiven Bedrohungsmanagement, wie eine plädoyer-Umfrage ergab. Stephan Bernard, Rechtsanwalt in Zürich, hat es bisher erst einmal erlebt, dass ein Klient zu einem präventiven Gespräch vorgeladen worden sei. «Er ging jedoch nicht hin.»Bernard hält die Rechtsgrundlagen für das Handeln der Polizei im Bereich des Bedrohungsmanagements für nicht ausreichend.